Rechtsextremismus
Im Gewand des Biedermanns geht die NPD auf Stimmenfang
Mölln, Halberstadt, Dortmund - die Liste der Orte, die im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Übergriffen Schlagzeilen machten, könnte man um viele Namen ergänzen. Dagegen tauchen auf politischer Ebene bislang nur zwei Namen auf: Dresden und Schwerin. Dort ist die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) in den Landtagen vertreten. Indes steht sie auf dem Sprung in weitere Parlamente, wie die Autoren des von Andrea Röpke und Andreas Speit veröffentlichten Bandes "Neonazis in Nadelstreifen" überzeugend darlegen. Beide haben schon mit "Braune Kameradschaften" (2004) bewiesen, wie gut sie die rechtsextremistische Szene kennen.
In acht Beiträgen untersuchen die Autoren, wie die NPD Machtpositionen erringt. Eine Schlüsselfigur sei Udo Voigt, der die Partei durch die Zusammenarbeit mit den freien "Kameradschaften" modernisiert und radikalisiert habe. Parallel habe er die "Verbürgerlichung" auf kommunaler Ebene eingeleitet. Dort, in den Kreistagen, Gemeinde- und Stadträten gebe es weitgehend unbeachtet etwa 125 Mandatsträger. Fielen die Rechtsextremen in den Landtagen durch Provokationen und demonstratives Nichtstun auf, so gälten sie in Städten und Kreisen als energische, engagierte Politiker - eine gute Ausgangslage für die bayerischen Landtagswahlen.
Im Hauptteil des Bandes zeigen die Autoren die zunehmende Vernetzung der Szene. Sie stellen deren wichtigste Vordenker vor, die als Vorbilder auf die "konservativen Revolutionäre" um Moeller van den Bruck und Spengler verweisen. Diese Berater sorgen dafür, dass sich NPD-Politiker in der Form vorsichtiger äußern, ohne von ihren radikalen Inhalten abzurücken. Durch die mit den Wahlerfolgen verbundenen Finanzmittel sei es der Partei außerdem gelungen, ihre in den 90er-Jahren noch miserable finanzielle Lage stark zu verbessern.
Im Zuge der Modernisierung habe sich nach außen hin auch die Rolle der Frauen in der NPD verändert. Von "Gleichberechtigung" könne zwar keine Rede sein, aber man habe erkannt, dass Frauen schneller den Kontakt zu den umworbenen Wählern fänden und setze dies ein. Ihre wichtigste Aufgabe aber bleibe es, die Kinder von klein auf in die rechte Parallelwelt einzubinden. Diese besuchten die Zeltlager der "Heimattreuen Deutschen Jugend", wo sie neben Mutproben und Geländetraining an Schusswaffen trainierten.
Als Attraktion für Jugendliche gehörten Neonazi-Musiker unverzichtbar zu Parteiveranstaltungen. Wie populär diese Art von Musik sei, belegten die enormen Gewinne aus dem Verkauf von Merchandising-Produkten und Lifestyle-Accessoires rechtsextremer Bands.
Sind schon die Reaktionen auf die Provokationen der Rechten hilflos, so dokumentieren die Autoren im letzten Kapitel, wie Polizei und (Lokal-)Politik angesichts rechter Gewalttaten versagen und diese "klein reden". Zunehmend entstünden "No Go Areas" für alle, die den rechtsextremen Vorstellungen nicht entsprächen - und das betreffe durchaus nicht nur abgelegene Orte in der Ost-Provinz, sondern auch Großstädte im Westen.
Der Band hinterlässt beim Leser Wut und Entsetzen darüber, dass Rechtsextremisten so unverhohlen agieren können. Es ist unerträglich, dass vorbestrafte Schläger Abgeordneten-Diäten kassieren, die wiederum helfen, dass rechte Netzwerk weiter zu verdichten. Allein dafür, dass sie deren Techniken komprimiert darstellen und zeigen, wie erfolgreich diese bereits sind, verdienen die Autoren große Anerkennung.
Teilweise irritiert allerdings der enthüllungsjournalistische Tenor. Er widerspricht der eindrucksvoll belegten Hauptthese des Bandes: dass die Durchdringung der Gesellschaft öffentlich geschieht. So bedürfe es keiner neonazistischen Verschwörung oder geheimer "SS-Schätze", um den Weg in die angebliche Mitte der Gesellschaft zu machen. Um so schlimmer.
Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft.
Ch. Links Verlag, Berlin 2008; 208 S., 16,90 ¤