NPD
Die Partei fasst immer mehr Fuß in der Mitte der Gesellschaft - ein Beispiel aus Sachsen
Es ist nichts los an diesem sonnigen Sommertag im "Panoramarestaurant Schrammsteinblick". Terrasse und Gastraum sind menschenleer, daran ändert auch das Angebot für Schnitzel mit Pommes für 6,90 Euro nichts. Draußen hängen die letzten Fähnchen von der Europameisterschaft an den Autos. An Laternenmasten laden Plakate zur Sonnenwendfeier des Sportvereins ein, die schon vor zwei Wochen stattgefunden hat.
Reinhardtsdorf-Schöna, dieses Dorf knapp 50 Kilometer südöstlich von Dresden ist ziemlich verschlafen, hat es aber dennoch zu unrühmlicher Bekanntheit gebracht: 25,2 Prozent seiner Einwohner stimmten bei den Kreistagswahlen am 8. Juni für die NPD. Ein einmaliger Ausrutscher war das nicht - die Rechtsaußen-Partei fuhr bei der Landtagswahl 2004 mit 23,1 Prozent ihr bestes und bei der Bundestagswahl 2005 mit 14,4 Prozent ein überdurchschnittlich hohes Ergebnis ein.
Seitdem gilt Reinhardtsdorf-Schöna als braunes Dorf. Immer wenn die Wahlergebnisse bekannt werden, fallen dutzende Journalisten in die 1.575-Seelen-Gemeinde ein und wollen erkunden, warum hier so viele Menschen für eine Partei stimmen, die aggressiv den Hass auf alles Fremde schürt, die sich nach einer Volksgemeinschaft sehnt, in der die Frau Hausfrau und Mutter ist und deutsche Unternehmen nur noch in Deutschland produzieren.
Es ist der Ärger über die vielen Schlagzeilen und nicht der Schock über die Ergebnisse, der die Reinhardtsdorfer in Rage bringt. Mit Journalisten sprechen mag hier kaum noch einer. "Hör'n Sie bloß auf", sagen die wenigen, die auf der Straße sind und auch der Chef des "Schrammsteinblicks" will nicht sagen, ob die ungute Aufmerksamkeit, die das Dorf auf sich zieht, Auswirkungen auf die Umsätze hat. Sein Mitarbeiter gibt zu, die Berichterstattung sei "ganz sicher nicht dienlich. Wir können uns da alle nur distanzieren. Wir wissen ja, was wir uns und unserer Umgebung damit antun."
Ein Imageproblem scheint das gute NPD-Ergebnis hier für viele zu sein, das am besten zu lösen ist, wenn man so wenig wie möglich darüber spricht. Das hat auch Bürgermeister Olaf Ehrlich erfahren. Der 39-jährige Gastwirt ist seit 2006 Bürgermeister des Orts. Er wurde damals nominiert von der Wählervereinigung 94, als nach dem altersbedingten Ausscheiden des langjährigen CDU-Bürgermeisters ein NPD-Bürgermeister drohte.
Zwei Jahre nach seiner Wahl kann Ehrlich nicht allzu viel Unterstützung vermelden. Unermüdlich hatte er vor den Wahlen an seine Bürger appelliert, demokratisch zu wählen - und konnte dennoch nicht verhindern, dass von 1.370 Wahlberechtigten 146 für den NPD-Landratskandidaten stimmen. Bei der Kreistagswahl entfielen 535 Stimmen (jeder Wahlberechtigte hat drei Stimmen) auf die NPD. "Die Leute sagen mir dann: Was wollen Sie denn? Die Partei steht auf den Stimmzetteln und ist nicht verboten, dann ist sie doch demokratisch", erzählt Ehrlich. Am liebsten würde er eine Gemeindeversammlung ansetzen und jeden Vierten aufstehen und erklären lassen, wie die Stimmen für die NPD zusammengekommen sind. "Offen gibt das doch keiner zu. Jeder sagt: ,Also, ich hab sie nicht gewählt, aber was mein Nachbar gemacht hat, weiß ich natürlich nicht'."
Ehrlich ist sichtlich müde, wenn er versucht, das Ergebnis zu erklären. Mit dem Informatiker Mario Viehrig und dem Klempner Michael Jacobi habe die NPD zwei Mitglieder "die im Ort extrem gut verankert sind. Der Jacobi hat den meisten Leuten hier die Heizung eingebaut, mir auch. Und wenn eine junge Frau ein Baby geboren hat, kommt er mit einem Blumenstrauß gratulieren." Etwa zehn Prozent Stammwählerschaft habe die NPD im Ort, "den Rest ziehen Viehrig und Jacobi, weil sie so beliebt sind".
Die Beliebtheit des Klempners nahm auch keinen Schaden, als sich sein Sohn zur mittlerweile verbotenen Gruppe "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) bekannte. Man traf sich im örtlichen Jugendclub, in dem die SSS verkehrte, spielte Skat mit den kahl geschorenen jungen Männern und fand auch deren "Sieg Heil"-Rufe unproblematisch.
Diejenigen, die diese Zustände wie Olaf Ehrlich und Bianca Richter für nicht ganz so harmlos halten, fanden und finden im Ort kaum Gehör. Die 27-jährige Psychologin hat gemeinsam mit ihrem Bruder die Bürgerinitiative "Demokratie anstiften" ins Leben gerufen. Sie warnt seit Jahren vor der NPD - gilt deshalb als Nestbeschmutzerin. Ins Gesicht sagt ihr das allerdings niemand: "Hier im Ort wird über das Thema nicht offen gesprochen, aber meine Mutter, die in der Bäckerei arbeitet, muss sich schon gelegentlich Spitzen gefallen lassen."
Doch der stärkste Gegenwind kommt nicht von den NPD-Mitgliedern. "Der Herr Jacobi grüßt mich, wenn wir uns sehen. Einige andere Gemeinderäte haben damit allerdings aufgehört." Damit kann Richter leben. Was sie ärgert, ist die Tatsache, dass sie seit der Gründung der Bürgerinitiative als "Rote" bezeichnet wird. "Ich wähle seit Jahren strikt konservativ. Aber hier gilt: Wer gegen die NPD ist, ist automatisch links." Etwa 60 Mitglieder hat die Bürgerinitiative. Der "harte Kern" besteht aus etwa zehn Personen. Immer wieder versuchen sie, Informationsveranstaltungen zu organisieren, zu diskutieren und zu überzeugen. Doch Unterstützung fehlt. Lange durfte die Initiative ihre Treffen in den Räumen der Kirche abhalten, nun soll sie Miete zahlen. Eine Unterschrift unter ihren Wahlaufruf verweigerte der Kirchenvorstand, seit die engagierte Pfarrerin versetzt wurde, "kommt von dieser Seite keine Unterstützung mehr".
Bianca Richter fühlt sich allein gelassen. "Uns fehlt hier der öffentliche Diskurs. Das ist ja auch klar: Wenn selbst die politische Elite vor Ort, und das ist nun mal der Gemeinderat, das Problem nicht sehen will und uns entweder als naiv oder störend bezeichnet, kommen wir nicht weit." Von den großen Volksparteien höre man hier im Ort nichts, klagt Richter. "Ich habe hier weder einen Landrat noch einen Bundestagsabgeordneten von den Volksparteien je gesehen". Die 27-Jährige fühlt sich von "der Politik" allein gelassen. "Uns hilft es nicht, wenn ein Fonds gegen Rechtsextremismus nach dem anderen aufgelegt wird, aber sich keiner kümmert. Wir brauchen kein Geld, wir brauchen echte Unterstützung", fordert sie. Initiativen wie das Bundesprogramm "Vielfalt tut gut", das der Bund 2007 mit 19 Millionen Euro finanziert hat, scheinen hier nicht anzukommen - dabei gibt es auch für die Sächsische Schweiz einen lokalen Aktionsplan.
Wut auf Union und SPD hat auch Michael Wunderlich. Der Inhaber des "Goldenen Ankers" in Reinhardtsdorf-Schöna, findet das Wahlergebnis "erschreckend". Die NPD habe mit ihren Parolen den Nerv der Bürger getroffen. "Höchststrafe für CDU-Verbrecher" hatte es mit Bezug zum Skandal um die Sächsische Landesbank geheißen und dass "Milliarden versenkt" worden seien. Oder wie die Große Koalition sich "erst geweigert hat, die Sache mit der Pendlerpauschale rückgängig zu machen, und dann versucht hat, sich die Diäten zu erhöhen: Das versteht hier keiner mehr", wettert Wunderlich.
Die Stimmen für die NPD sind für ihn klar ein Votum gegen die Volksparteien: "Unser Dorf hat aus Protest braun gewählt. In Berlin haben die Leute aus denselben Gründen rot gewählt, aber darüber redet ja keiner." Für den Gastwirt hat diese Protestwahl bereits Auswirkungen gehabt. "Es haben Leute ihren Urlaub storniert, weil sie nicht in so ein Nazidorf kommen wollten. Das tut finanziell schon weh."
Für Wunderlich hängt das gute NPD-Ergebnis bei allem Frust über die anderen Parteien eng mit der Beliebtheit der beiden örtlichen Kandidaten zusammen. "Der Jacobi kommt und hilft, das ist einfach ein guter Handwerker. Er ist ja damals im Zusammenhang mit den SSS-Ermittlungen verhaftet worden, weil man angeblich Waffen und Sprengstoff bei ihm gefunden hat. Aber sie haben ihn wieder freigelassen - also konnte ihm ja wohl nichts nachgewiesen werden." Ohnehin sei Jacobi früher für die Wählervereinigung angetreten. "Warum er dann zur NPD gewechselt ist weiß ich nicht. Vielleicht hat er sich gedacht, wenn er schon als braun hingestellt wird, könnte er das auch werden."
Worüber Wunderlich nicht spricht: Im Fall von Jacobis Parteifreund Mario Viehrig dürfte es in Sachen brauner Gesinnung keinen Zweifel geben. Er wurde aus dem örtlichen Heimatverein geschmissen, weil er bei einem Fußballturnier die Spieler in T-Shirts mit dem Aufdruck "Fit fürs Reich" auflaufen ließ. Trotzdem betont Wunderlich: "Ja, 25 Prozent haben NPD gewählt. Aber das heißt doch auch, dass 75 Prozent vernünftig waren."
Doch Reinhardtsdorf-Schöna ist mehr als diese Zahlen, es ist mehr als ein Dorf mit einem netten Klempner, der zufällig NPD-Mitglied ist. Es ist Ausdruck eines beunruhigenden Trends: Immer stärker setzen sich gerade in den ländlichen Gebieten Ostdeutschlands fremdenfeindliche Ressentiments fest, immer öfter bekommen die Parteien am rechten Rand Stimmen, weil die Bürger von denen in der Mitte enttäuscht sind - bei den Wahlen im Juni zog die NPD in jeden sächsischen Kreistag ein und konnte ihren Stimmenanteil von 1,3 (2004) auf 5,1 Prozent vervierfachen. Auf zwischen drei und sieben Prozent schätzen Experten die Stammwählerschaft inzwischen. Und immer weniger wird darüber diskutiert, weil die Parolen der Partei längst kein Tabu mehr sind.
Zu diesem Schluss kommt auch eine jüngst veröffentlichte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, in der es heißt, immer dann, "wenn der Wohlstand als Plombe bröckelt, steigen aus dem Hohlraum wieder antidemokratische Traditionen auf". Auch der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer, der in seiner Reihe "Deutsche Zustände" die politischen Einstellungen der Deutschen untersucht, kommt zu dem Schluss, dass die Ängste vor sozialer Desintegration, die viele Ostdeutsche haben, zur Abwertung anderer Gruppen führen. Und weil niemand widerspreche, werde es irgendwann normal, fremdenfeindliche Äußerungen zu machen oder zu dulden.
Diese ungute Normalität aufzubrechen, das sieht Bianca Richter als ihre Aufgabe. NPD-Gemeinderat Viehrig habe in einem Interview gesagt, man werde sehen, wer den längeren Atem hat. "Das gilt für mich genauso", stellt die 27-Jährige klar, "ich bin ja noch jung."