PREISEXPLOSION
Hütten sehen sich als Opfer der mächtigen Rohstoffkonzerne
Die weltweite Jagd nach Rohstoffen ist ausgerufen. Untrügliche Zeichen sind der rasante Anstieg der Ölpreise und der durch den weltweiten Stahlboom ausgelöste Run auf Erz, Kohle und auf Schiffsraum für die Transporte. Die hohen Energie- und Rohstoffpreise treiben die Wirtschaft um und lassen auch die Politik nicht ruhen.
Stahl ist so teuer wie nie zuvor. Die mittelständischen Verarbeiter sprechen vom "Konjunkturkiller" und einem "politischen Problem". Eine Verteuerung des Stahls von 40 Prozent hatte die Deutsche Bank für dieses Jahr vorausgesagt. Diese düstere Prognose ist schon hinfällig. Weniger als 500 Euro kostete die Tonne Flachstahl zum Jahresbeginn, ab Juli verlangen die Stahlkonzerne bereits 720 Euro und ab September hat Branchenprimus Arcelor Mittal bereits einen weiteren Aufschlag auf dann 770 Euro angekündigt. Für die mittelständischen Stahlverarbeiter wird diese Teuerung zum "Konjunkturkiller" fürchtet Ulrich Galladé, der Präsident des Wirtschaftsverbandes Stahl- und Metallverarbeitung (WSM), einem Zusammenschluss von mehr als 4.600 Unternehmen, die noch überwiegend in Familienbesitz sind.
Die Stahlverarbeiter fordern von der Politik klare Maßnahmen, um die Binnenkonjunktur und damit den industriellen Mittelstand als Jobmotor zu stärken. "Für Wahlkampf ist es viel zu früh", warnt Galladé. WSM-Hauptgeschäftsführer Andreas Möhlenkamp spricht mit Blick auf die Antidumping-Klagen der EU-Kommission gegen chinesische Stahllieferungen von einem Zusammenhang von Politik und Markt. Wegen der Klagen hätten die Chinesen ihre Lieferungen gedrosselt, was zu den Engpässen beigetragen habe. Die Stahlverarbeiter kämpfen nach eigenen Angaben mit einem Kostenschub von 50 Prozent. Den Stahlkonzernen werfen sie vor, ihre Macht ohne Rücksicht auf ihre mittelständischen Kunden auszuspielen.
Die Stahlindus-trie weist diese Vorwürfe weit von sich. "Wir sind an einer Kundenbindung interessiert und versuchen nicht, den letzten Euro he-rauszukitzeln", sagt Paul Belche, der Chef des Grobblech-Spezialisten Dillinger Hütte. Die Stahlkonzerne selbst stehen mit dem Rücken zur Wand. Mit starken Abnehmern wie der Autoindustrie sind bisher meist Halbjahres- oder Jahresverträge üblich. Preisgleitklauseln lehnen die Großkunden bisher ab. Einige Unternehmen wie Saarstahl in Völklingen sind für einen Großteil ihrer Produkte auf Monatsverträge umgestiegen. "Festverträge spielen für uns praktisch keine Rolle mehr", sagt Vertriebsvorstand Peter Schäfer. In der rohstoff- und energieintensiven Stahlbranche gilt die Faustformel, dass zur Erzeugung einer Tonne Rohstahl zwei Tonnen Einsatzstoffe wie Eisenerz, Schrott, Kohle, Koks sowie Legierungsmittel und Zuschlagstoffe benötigt werden. Die Preise dieser Rohstoffe haben damit erheblichen Einfluss auf die Kosten der Stahlerzeugung. Der Anteil der Rohstoff- und Energiekosten an den Herstellkosten liegt nun bei über 80 Prozent.
Die Preise für Eisenerz und Kokskohle haben sich in den vergangenen Jahren vervielfacht. Allein zu Jahresbeginn mussten die Stahlkonzerne eine Verteuerung von Kokskohle um 200 Prozent in Kauf nehmen. Die Versorgungslage war durch sintflutartige Regenfälle in Australien und die Überflutung zahlreicher Minen erschwert. Eisenerze verteuerten sich teilweise um bis zu 90 Prozent. Solche Preissteigerungen seien nur in einem oligopolistischen Markt durchsetzbar, auf dem drei Produzenten den Überseehandel beherrschten, wettert Hans Jürgen Kerkhoff, neuer Präsident der Deutschen Wirtschaftsvereinigung Stahl. Eisenerz wird nur in wenigen großen Lagerstätten wirtschaftlich gewonnen. Die drei Bergbaukonzerne CVRD aus Brasilien, der britisch-australische Rio-Tinto-Konzern und BHP Billiton aus Australien beherrschen mehr als zwei Drittel des weltweiten Handels.
Und es gibt Bestrebungen zur weiteren Konzentration. So bemüht sich BHP seit Ende vergangenen Jahres stark um den Rivalen Rio Tinto. Die europäischen Stahlkonzerne kritisieren dieses Vorhaben heftig und fordern die EU-Kommission in Brüssel auf, diesen Zusammenschluss zu verhindern, bestätigt der deutsche Verbandspräsident Kerkhoff. Die Kommission hat Ende Mai die Prüfungen begonnen. Gar nicht gut zu sprechen ist die Stahlindus-trie auf die europäische Klimaschutzpolitik. Der Standort Deutschland sei dadurch "massiv gefährdet", klagt die Branche gemeinsam mit anderen energieintensiven Industriezweigen. Die geplante Versteigerung der Kohlendioxidzertifikate würde zu einer "Kostenlawine für die energieintensiven Industrien in Deutschland von mindestens 7 Milliarden Euro im Jahr führen, die die Belastungen aller bisherigen klimapolitischen Instrumente übersteigt", heißt es in einem Brief von Verbänden der Stahl-, Metall-, Papier-, Zement- und Glasindustrie an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Der deutsche Stahl-Marktführer ThyssenKrupp spricht ab dem Jahr 2020 von Belastungen in einer Größenordnung von einer Milliarde Euro. Für den Fall, dass die EU-Pläne umgesetzt würden, sei mit dem Verlust von 10.000 Arbeitsplätzen allein am Stahlstandort Duisburg zu rechnen, warnt der Betriebsratsvorsitzende Thomas Schlenz. Die größte Gefahr sieht die Branche im geplanten Einstieg in die Versteigerung der Kohlendioxidzertifikate, die bislang kostenlos zugeteilt wurden. "Dann wäre unsere Indus-trie nicht mehr wettbewerbsfähig und würde abwandern", sagt Saarstahl-Vorstandschef Claude Kintz. Schließlich dürfte sich die Tonne Stahl je nach dem Preis für die Emissionsrechte bei Umsetzung der EU-Pläne um 50 bis 80 Euro verteuern.
Hinzu komme, dass die Versteigerung von Emissionsrechten an die Energiekonzerne den Druck auf die Strompreise erhöhe und einen zusätzlichen Preisschub auslösen dürfte. Mit einer Abwanderung der Stahlhütten an außereuropäische Standorte wäre dem Klimaschutz nicht gedient. Der Kohlendioxidausstoß würde verlagert und bei geringerer Effizienz nur erhöht. Darin stimmen Katherina Reiche, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Meyer, Abteilungsleiter Industriepolitik im Bundeswirtschaftsministerium, sowie Joachim Ehrenberg von der EU-Kommission und der ehemalige Stahlverbandspräsident Dieter Ameling überein. Die Branche senkte ihren Energieverbrauch seit 1960 um 40 Prozent und damit entsprechend auch ihre Kohlendioxidemissionen. Gegenüber der Politik hatte sich die Stahlindustrie freiwillig verpflichtet, die Emissionen von 1990 bis 2007 um 16 Prozent zu reduzieren. Bis 2012 soll eine Reduktion um weitere sechs Prozentpunkte erreicht werden.
Damit stießen die Stahlkonzerne an ihre technischen Grenzen, so Ameling. Zwar liefen seit Jahren intensive Forschungen zur Entwicklung neuer Technologien. Diese seien jedoch langfristig angelegt und könnten nicht vor 2020 in großtechnischem Maßstab eingesetzt werden.