FÖDERALISMUSKOMMISSION
Ein Scheitern kann nicht mehr völlig ausgeschlossen werden
Es ist der Moment der Diplomatie. "Ich bin Optimist", betont Günther Oettinger nach dem jüngsten Treffen der Föderalismuskommission. Später unterstreicht der baden-württembergische Ministerpräsident noch einmal: "Ich bleibe weiterhin optimistisch." Doch der CDU-Politiker sagt auch dies: Bis Mitte Oktober werde klar sein, ob es zu einer Einigung komme oder ob die unterschiedlichen Interessen zu stark seien. Offenbar kann also die Neujustierung der staatlichen Finanzarchitektur mit einer im Grundgesetz verankerten Schuldenbegrenzung als Kern auch noch scheitern. Einen Tag vor den Beratungen in der Stuttgarter Landesvertretung formuliert es der Bremer SPD-Regierungschef Jens Böhrnsen im heimischen Parlament weniger diplomatisch: Die Chancen auf einen Kompromiss schätze er "50 zu 50" ein. Und überhaupt sei er bislang nach jeder Sitzung froh gewesen, dass das Gremium nicht geplatzt sei.
Auch nach zwei Grundsatzdebatten über das von Oettinger und SPD-Fraktionschef Peter Struck erarbeitete "Eckpunktepapier" scheint so ziemlich alles offen zu sein. Für die Experten dürfte die Ferienzeit jedenfalls anstrengend werden. Bis Anfang Oktober haben laut Oettinger vier Arbeitsgruppen "gesetzesreife Texte" vorzulegen, über die dann Mitte Oktober in der Kommission entschieden werden soll. Es sei nur eine "Paketlösung" denkbar, in deren Rahmen jeder Vor- und Nachteile akzeptieren müsse. Indes macht der öffentliche Streit deutlich, dass es nach wie vor dann hakt, wenn es um die Umsetzung schöner Leitlinien geht. Im Eckpunktepapier der beiden Vorsitzenden findet sich keine Präzisierung der ominösen Bremse bei der Aufnahme neuer Kredite. Ausnahmen vom Restriktionskurs wie etwa eine Rezession müssen noch näher definiert werden. In die Zukunft verschieben wollen Oettinger und Struck die Tilgung der bei der öffentlichen Hand aufgelaufenen Altschulden von 1,5 Billionen Euro. Stattdessen soll es für arme Länder mit besonders hohen Zinslasten "Konsolidierungshilfen" von bis zu 1,2 Milliarden Euro jährlich geben, die je zur Hälfte vom Bund und von wohlhabenden Ländern aufgebracht werden. Dadurch soll es Schleswig-Holstein, Bremen und dem Saarland ermöglicht werden, in absehbarer Zeit ihre aktuellen Etats ohne neue Kredite auszugleichen.
Oettinger räumt ein, dass die Vorstellungen über die in "normalen Zeiten" erlaubte Schuldenaufnahme bei Bund und Ländern nach wie vor zwischen null, wie es Union und FDP wollen, und 0,75 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Letzteres fordert die SPD-Bundestagsfraktion. Das wären bis zu 18 Milliarden Euro jährlich. Laut SPD-Fraktionsvize Joachim Poß lägen die staatlichen Gesamtschulden nur bei 500 Milliarden Euro, wenn das SPD-Konzept schon in der Vergangenheit praktiziert worden wäre. Die Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und Günther Beckstein (CSU) beharren jedoch auf einer strikten Untersagung neuer Kredite. Poß wirft dem Münchner Regierungschef vor, ein absolutes Schuldenverbot zu versprechen und gleichzeitig Steuersenkungen von 30 Milliarden Euro zu verlangen. Und Koch habe in Hessen den Schuldenstand um gut 37 Prozent erhöht. Auch für Peter Müller ist eine "Null-Toleranz-Regelung" bei neuen Krediten nicht sinnvoll. Der Saarbrücker CDU-Ministerpräsident findet die von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) vorgeschlagene 0,5-Prozent-Quote realistisch. Berlins SPD-Regierungschef Klaus Wowereit wiederum warnt davor, durch eine zu rigide Schuldenbremse die "Souveränität der Landesparlamente" auszuhöhlen.
Umstritten ist in der Kommission zudem immer noch die Frage der Altschuldentilgung, Hessen dringt unverdrossen auf einen zügig in Angriff zu nehmenden Abbau. Solchen "Beratungen" wolle man sich "nicht verschließen", so Oettinger distanziert. Keine Freude löst bei Beckstein der auch von Bayern mitzufinanzierende Fonds für "Konsolidierungshilfen" zugunsten armer Länder aus. Als Gegenleistung verlangt Beckstein zusätzliche Sparmaßnahmen der betreffenden Regierungen. Für solche Eingriffe sieht indes der saarländische Finanzminister Peter Jacoby (CDU) keinen Spielraum mehr. Und aus Sicht Wowereits ist es "nicht akzeptabel", dass Berlin nicht in den Genuss der "Zinshilfen" kommen soll. Union gegen SPD, Bund gegen Länder, reiche gegen arme Länder: Der gordische Knoten wartet nach wie vor darauf, durchschlagen zu werden. Viel Zeit bleibt nicht.