FERNSEHEN
Das Europäisches Parlament hat jetzt einen eigenen Sender - Europarl TV
Nur noch neun Monate sind es bis zur nächsten Europawahl. Den Abgeordneten des EU-Parlaments spukt eine bemerkenswerte Zahl im Kopf herum: 45,6 Prozent. So hoch - beziehungsweise niedrig - lag die europaweite Wahlbeteiligung beim letzten Urnengang im Juni 2004. "Europa muss endlich den Kontakt zu seinen Bürgern finden", sind sich Brüsseler Politiker einig.
Nun hat sich das Europaparlament einen neuen Kanal dafür geschaffen: "Europarl TV". Über das Internet kann er theoretisch Hunderte Millionen Europäer erreichen. In einem brechend vollen Brüsseler Parlamentssaal fand vergangenen Mittwoch die Eröffnungsfeier statt. Das Programm werde "attraktiv, glaubwürdig und professionell" sein, versprach Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU), bevor er das Angebot per Knopfdruck auf Sendung schickte.
Unter www.europarltv.europa.eu sollen die verschiedensten Zielgruppen auf ihre Kosten kommen. Live-Übertragungen aus dem Plenum und den Ausschüssen sind ebenso vorgesehen wie redaktionell aufbereitete Berichte und Analysen. In der Rubrik "Ihre Stimme" werden einzelne Bürger zu Themen wie etwa der illegalen Einwanderung interviewt.
Nicht nur der Wahlkampf gibt den Abgeordneten einen Motivationsschub. Die EU befindet sich seit dem irischen "No" zum Reformvertrag von Lissabon im vergangenen Juni in einer neuen Krise. Nie habe sich die Kluft zwischen Europa und seinen Bürgern deutlicher gezeigt, meint Pöttering. Der Brückenschlag per Fernsehen wird neun Millionen Euro jährlich kosten. Doch ist dieses Geld tatsächlich gut angelegt? Die Skeptiker im Parlament bezweifeln das. Inwieweit soll oder kann "Europarl TV" journalistisch unabhängig berichten? Könnte am Ende eine "Art Prawda" entstehen, die "langweilige Propaganda" von sich gibt, wie der niederländische Sozialdemokrat Thijs Berman in der Debatte warnte?
Fest steht zunächst: Das EU-Parlament will mehr redaktionellen Aufwand betreiben als etwa der Deutsche Bundestag, der derzeit über ein Angebot im Internet und im Berliner Kabelnetz verfügt. Letzterer betont ausdrücklich, er betreibe "keinen eigenen Fernsehsender", sondern einen Dokumentationskanal mit Live-Schaltungen und Talkshows. "Europarl TV" dagegen wird von einem rund 30-köpfigen Team der Brüsseler Firma Mostra produziert.
"Selbstverständlich sehen wir uns als unabhängige Journalisten, und nicht als PR-Männer", sagt Chefredakteur Patrick Delfosse. Das letzte Wort hat freilich das Europaparlament. "Ich denke, aus Gründen der Glaubwürdigkeit werden wir sehr selten intervenieren", meint der Projekt-Koordinator des Parlaments, Michael Shackleton. Allerdings: "Ich kann nicht sagen, dass es keine Spannungen geben wird." Die Pressevertreter hoffen vor allem auf die Übertragung von Debatten und Abstimmungen - am besten unkommentiert.