LEBENSMITTEL
Die Deutschen essen falsch. Eine bessere Nährwert-Kennzeichnung soll Abhilfe schaffen
Die Deutschen sind zu dick. Zwei Drittel aller Männer und die Hälfte der Frauen sind übergewichtig, schon jeder fünfte Bundesbürger ist fett. Die Behandlung von Krankheiten, die auf Übergewicht zurückgehen, kostet das Gesundheitssystem pro Jahr etwa 70 Milliarden Euro. Gründe für diese Fehlentwicklung sind ungesunde Ernährung und mangelnde Bewegung. Vor allem aber weiß ein großer Teil der Bevölkerung nicht, wie man gesund lebt. Zur Aufklärung beitragen könnte eine verbesserte Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln. Schon heute gibt es Nährwertangaben auf vielen Verpackungen, der Effekt ist gleichwohl kaum messbar. Im Kern stehen sich zwei Systeme gegenüber: eine differenzierte Darstellung der Inhaltsstoffe inklusive einer Mengenangabe für den Anteil am täglichen Kalorienbedarf auf der einen Seite und eine farbliche Kennzeichnung der Inhaltsstoffe - die so genannte Ampel - auf der anderen.
Die Verbraucherschützer wollen eine möglichst einfache und übersichtliche Kennzeichnung, was aus ihrer Sicht am besten durch Farben zu erreichen ist. Vorbild ist für viele Großbritannien, wo große Einzelhandelsketten wie Tesco schon länger mit der Ampel-Kennzeichnung aus roten, gelben und grünen Punkten experimentieren. Eine abschließende Erfolgsanalyse steht allerdings dort noch aus. Der Verbraucherzentrale Bundesverband brachte im Juli eine "Ampel-Karte" heraus. Auf Scheckkartenformat listet sie für Lebensmittel und Getränke auf, welche Anteile an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz als unbedenklich, akzeptabel oder zu hoch einzustufen sind. Die Karte soll aber kein Ersatz für verbindliche und leicht verständliche Nährwertangaben sein. "Die Scheckkarte ist eine Krücke. Damit die Verbraucher ohne Hilfsmittel durch den Konsumalltag laufen können, brauchen wir die Ampelkennzeichnung", sagt der oberste Verbraucherschützer Gerd Billen.
Die Lebensmittelwirtschaft lehnt eine Nährwert-Ampel ab, wobei sie allerdings dieselben Argumente wie die Verbraucherschützer anführt. Die Farbkennzeichnung brächte den Verbraucher in ein Labyrinth, aus dem er den richtigen Weg zum Einkauf gesunder Lebensmittel nicht finden könne, heißt es beim Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde. Die Ampel gebe auch falsche Signale. So bekäme eine Flasche Rapsöl wegen ihres 100-prozentigen Fettgehalts einen roten Punkt. Dabei ist die Aufnahme von Fetten für den Menschen lebensnotwendig und Rapsöl wegen seines hohen Anteils an ungesättigten Fettsäuren sogar gesund.
Michael Goldmann, Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion für Ernährung und Landwirtschaft, hat ein weiteres Negativbeispiel zur Hand. "Coca Cola bekäme einen roten Punkt für den Zuckergehalt, aber drei grüne Punkte, weil es weder Fett noch gesättigte Fettsäuren und auch kein Salz enthält", sagt der Abgeordnete. Die Ampel beruhe im Wesentlichen darauf, Signale zu setzen. "Wir versimpeln die Sache, und das ist nicht richtig", sagt Goldmann. Die Menschen müssten als mündige Verbraucher in die Lage versetzt werden, sich ein präzises Bild vom Nährstoffgehalt eines Produkts zu machen. Vielfach fehle den Menschen der dazu nötige Bildungshintergrund. Daher müssten das Wissen um die Nahrung verbessert und die Ernährung in einen größeren Gesundheitszusammenhang gestellt werden. Goldmann begrüßt die von der Bundesregierung begründete Initiative "In Form", mit der sie ihren Nationalen Aktionsplan zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten in die Tat umsetzen will. Goldmann hatte auch eine Kleine Anfrage der FDP zur Haltung der Bundesregierung zur Nährwertkennzeichnung initiiert ( 16/9281, 16/9127). Bundesernährungsminister Horst Seehofer (CSU) schlägt die "1+4-Kennzeichnung" mit farblicher Untermalung und GDA-Kennzeichnung (Guideline Daily Amount) vor, die einen Richtwert für die Tageszufuhr darstellt. Eins plus vier bedeutet die Angabe von Kalorienzahl plus Informationen über den Gehalt an Zucker, Salz, Fett und gesättigten Fettsäuren. Hinzu kommen sollen noch Angaben über enthaltene allergene Stoffe oder Alkoholgehalt.
In Brüssel arbeitet die EU-Kommission an der Ausgestaltung ihres Entwurfs für eine EU-weite Nährstoffkennzeichnung. Der Bundesrat plädierte im Juli dafür, in Deutschland möglichst bald eine aussagefähige und verständliche Nährwertkennzeichnung einzuführen, die als Modell für die EU dienen könnte. Denn der EU-Entwurf sieht zwar einige für alle gültige Kennzeichnungspflichten vor, lässt aber den Mitgliedstaaten Raum für weitergehende Produktinformationen. An einer einheitlichen Kennzeichnung ist aber allen gelegen: Verbrauchern, Politik und Lebensmittelindustrie. Am 19. September sagte Minister Seehofer Agenturberichten zufolge, wenn auf EU-Ebene keine verpflichtende Regelung zustande komme, sei eine solche auch national vorstellbar.
Einer detaillierten Nährwertbeschreibung stehen oft ganz praktische Probleme im Weg. "Wenn man bedenkt, wie viele Infos auf eine Packung Kaugummi kommen müssen, ist das angesichts der Verpackungsgröße kaum noch machbar", räumt auch der FDP-Abgeordnete Goldmann ein. Ganz davon zu schweigen, dass künftig möglicherweise auch noch andere Verbraucherinformationen mitgeliefert werden sollen, etwa die über den Verbrauch von Kohlendioxid bei der Herstellung des Kaugummis, den so genannten Carbon Footprint. Dann muss der Verbraucher zum Einkauf nicht nur das Portemonnaie mitnehmen, sondern auch eine Lupe.