Reportage
Unterwegs mit der Polizei im westlichen Brandenburg - Druck ausüben auf potenzielle Täter
Gegen drei Uhr nachts kommt der Funkspruch: Es gibt Ärger in der Innenstadt. Der Fahrer gibt Gas, das Zivilfahrzeug rauscht in schneller Fahrt die Einfallstraße nach Rathenow hinein und biegt in eine Seitengasse. Rund 50 Jugendliche stehen auf der Straße vor einer Gaststätte, auf dem Gehweg eine Blutlache. Die drei Polizeibeamten springen aus ihrem Wagen, zwei Kollegen sind schon vor Ort. Die Befragungen ergeben: Eine junge Frau ist in der Kneipe offenbar durchgedreht und mit einer abgeschlagenen Bierflasche auf eine Gruppe von Jungs losgegangen. Zwei sind verletzt, einer hat womöglich das Nasenbein gebrochen. Die Beamten fotografieren, nehmen dann die Zeugenaussagen zu Protokoll. Die Täterin ist verschwunden, angeblich über einen Hinterausgang. Die Beschreibung ergibt ein ziemlich diffuses Bild. Bei Swen Schäfer, Chef der Einsatzeinheit "Mega", bildet sich eine steile Falte auf der Stirn. Es wird schwierig werden, die Täterin zu finden.
Dabei waren die Hoffnungen der Beamten auf eine ruhige Nacht im Laufe der Schicht größer geworden. "Erstaunlich ruhig", hieß es immer wieder, wenn sie Kontakt zu Kollegen per Funk aufnahmen oder sie an einer Straßenkreuzung trafen. Dabei findet im brandenburgischen Rathenow an diesem Abend das Kneipenfest statt, mehrere Musikveranstaltungen sind in der 26.000-Einwohner-Stadt westlich von Berlin angekündigt, und die rechte Szene bereitet sich auf die Kommunalwahlen vor. Die Kameradschaften und Skinheads der Region haben die Polizisten in den letzten Jahren ganz schön auf Trab gehalten. Vor zehn Jahren wurde "Mega", die "Mobile Einsatzeinheit gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit", ins Leben gerufen, um politisch motivierte Gewalttaten zu verhindern. Der Handlungsdruck war stark geworden in Brandenburg, wo mancherorts das Wort von der "No-Go-Area" die Runde macht. Vom rechtsfreien Raum, wo Menschen sich nicht sicher fühlen dürfen, die nicht dem Bild vom typischen Deutschen entsprechen.
Aber heute ist es ruhig. Noch. Swen Schäfer sitzt im abgedunkelten Fond des Einsatzfahrzeugs und beobachtet ein Gartentor. Dahinter leuchtet ein Garten in sattem Grün, eine Idylle im Licht der untergehenden Sonne. Wäre da nicht das Schild am Tor, auf dem steht: "Betreten verboten. Lebensgefahr." Hier sei ein bekannter Nazitreff, erläutert Schäfer, regelmäßig kämen hier Mitglieder der Kameradschaften zusammen. Die gefährlichste in der Region, die gewaltbereite Kameradschaft "Hauptvolk" und ihre Untergruppe "Sturm 47" ist verboten worden; das Verbot wurde jüngst vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Die Beweise, die das Verbotsverfahren letztlich zum Erfolg geführt haben, wurden von Schäfer und seinen Leuten gesammelt.
Ihre Arbeit hat den Beamten der "Mega" viele Feinde eingebracht, mit Drohungen müssen sie leben. "Sätze wie: Ich schmeiß' dir 'ne Handgranate ins Wohnzimmer! Klar, so etwas kennen wir", sagt Schäfer. "Aber das sind Sprüche. So richtig ernsthaft bedroht worden ist noch keiner von uns." Dennoch: Seine beiden Kollegen möchten nicht, dass ihre Namen in der Zeitung stehen. Swen Schäfer aber ist das egal, er ist bekannt in der Szene.
Derzeit halten sich die Nazis zurück, glaubt Schäfer. Die NPD ist im Bundesland Brandenburg stark geworden, denn viele ehemalige Mitglieder der mittlerweile verbotenen Kameradschaften engagieren sich in der rechtsextremen Partei. Der heutige NPD-Stadtchef in Rathenow zum Beispiel ist ein ehemals führender Aktivist der inzwischen verbotenen Kameradschaft "Hauptvolk". Während die politische Organisation der Rechten sich professionalisiert, nimmt die Gewalt von Rechts auf der Straße ab, die Neonazis treten verhaltener auf, hat Schäfer festgestellt: "Die wollen in die Parlamente. Um gewählt zu werden, braucht man wählbare Leute. Die können nicht mit Bomberjacke und Baseballschläger durch die Gegend ziehen; das macht einen schlechten Eindruck."
Die Sonne ist verschwunden, es ist dunkel auf den Landstraßen. Sehr dunkel. Die Scheinwerferlichter streifen Bäume oder verlieren sich in der Weite abgeernteter Felder. Es herrscht nur wenig Verkehr. Über Funk kommt ein Hinweis. In Großwudicke, einem Dorf etwas außerhalb von Rathenow, findet am heutigen Abend ein Rockkonzert statt. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich hier Rechtsradikale sammeln, dennoch wollen die Beamten nachsehen. Präsenz zeigen. Ob Rockkonzerte, Stadtfeste, Erntefeste - Beamte von der Mega sind stets dabei. Ihre Hauptarbeitszeit ist das Wochenende, einer der drei Beamten ist jetzt schon das fünfte Wochenende in Folge im Einsatz. Die Familie zieht da oftmals den Kürzeren. Beinahe jede Woche wird der Dienstplan geändert, weil neue Hinweise auf mögliche Konflikte eingehen. Das erfordere von den "Mega"-Leuten höchste Flexibilität, sagt Schäfer. "Man braucht einen Partner, der damit umgehen kann." Er selbst ist nicht verheiratet, der Job sei "zum Teil" schuld daran. Er sei zur Polizei gegangen, "um etwas zu verändern", sagt Schäfer. Ist er ein Idealist? "Ja", sagt er ernst, und ergänzt nach kurzer Pause: "Für diesen Job muss man auch einer sein."
Das Konzert findet auf einem Bauernhof statt, auf der Wiese stehen einige Wurststände, ein Bierwagen und eine Bühne. Am Einlass weiß man sofort Bescheid, als die Männer von der Polizei auftauchen. Die Mega-Leute brauchen keine Uniform, um erkannt zu werden. Drei kräftige Männer in Lederjacken, zum Teil mit ausgebeulten Stellen unter dem Saum ihrer Jacken, wo die Taschenlampe hängt und die Dienstwaffe - sie sind leicht als Zivilpolizisten zu erkennen. Und werden ohne Kommentar eingelassen. Das Gelände ist viel zu groß für die bescheidene Anzahl von Besuchern. Vielleicht fünfzig junge Leute stehen in Grüppchen verstreut auf der Wiese und nippen am Bier.
Einige Konzertbesucher haben schon persönliche Bekanntschaft mit den Mega-Leuten gemacht. Sie grüßen freundlich, als die Beamten über das Gelände gehen. Swen Schäfer ist das nur recht. "Es ist nicht nötig, dass wir uns verstecken. Wir arbeiten mit offenem Visier." Die zentrale Aufgabe der Mega sei eben nicht die verdeckte Ermittlung, sondern Druck auszuüben auf potenzielle Gewalttäter, ihnen immer wieder klar zu machen, dass sie unter Beobachtung stehen.
So sehen die Beamten einen jungen Mann, der für eine rechte Gruppierung für den NPD-Stadtverband Rathenow kandidiert. Swen Schäfer ärgert sich über den dummen Zufall. "Jetzt denkt der, dass wir extra seinetwegen losfahren. Er fühlt sich wichtig."
Schäfers Kollege möchte wissen, wem der Wagen gehört, in dem der Neonazi umherfährt. "Benötigen Typvergleich, Halter nach Kennzeichen", lautet die Anfrage. Die Antwort kommt prompt. Der Halter ist offenbar der Vater des Jugendlichen. Der Wagen fährt voraus, das "Mega"-Fahrzeug folgt in einigem Abstand. Es ist ein Katz- und Maus-Spiel, das die Beamten und die Jugendliche hier treiben. Jeder weiß, dass der andere da ist. Den "Druck aufrecht halten", nennt das Schäfer. "Auch Neonazis wollen nicht ins Gefängnis."
Die Arbeit der Beamten ist langwierig. Mehrere Jahre hat es gedauert, bis sie die nötigen Beweise für das Verbot der rechtsradikalen Kameradschaft "Hauptvolk" gesammelt hatten. "Es reicht nicht zu wissen, dass es böse Leute sind", sagt Schäfer. "Wir brauchen Beweise, die verwaltungsgerichtlich Bestand haben." Über Jahre trugen die Beamten Indizien über die konspirative Vereinigung zusammen, überwachten, befragten Personen, suchten Zeugen, die ihre Aussagen auch vor Gericht wiederholen würden. Im Nacken immer wieder die Medien und besorgte Bürger, die sich fragten, warum denn die Kameradschaft nicht schon längst verboten sei. "Natürlich gibt es die Erwartungshaltung, dass wir immer vor Ort sind. Aber die Polizei kann nicht gleichzeitig überall sein, es ist objektiv unmöglich."
Vor einigen Jahren wurde Personalknappheit für Schäfer jedoch beinahe zur persönlichen Katastrophe. Es war die Hochzeit der politischen Gewalt in Rathenow, Jugendliche hatten sich zu einer Straßenschlacht verabredet. "Die Stimmung zwischen rechten und linken Jugendlichen hatte sich in der Stadt derart hochgeheizt, dass es vermutlich Tote gegeben hätte", sagt Schäfer.
An dem Tag stand nur ein Dutzend Beamte zur Verfügung. Als sich Einsatzleiter Swen Schäfer mit seiner kleinen Truppe zwischen die Fronten stellte, flogen die ersten Flaschen. Schäfer bekam eine ab und stürzte sich wütend in den Pulk, um den Täter zu stellen. Er wurde von allen Seiten angegriffen und verletzt. Trotzdem führte Schäfer den Einsatz zu Ende, mit einer blutbeschmierten Lederjacke und einem weißen Turban aus Mullverband auf dem Kopf, wegen der Platzwunde. Der Abend war ein Erfolg für die Polizei, der Mob konnte zerstreut werden.
Warum er sich so etwas antut? Swen Schäfer zuckt mit den Achseln. Er fühle sich auf eine unbestimmte Art berufen für die Arbeit mit jungen Leuten. Außerdem könne er Erfolgserlebnisse verzeichnen, anders als viele Kollegen, die ausschließlich mit Erwachsenen zu tun hätten.
"Der Jugendbereich ist spannend, weil man da noch keine verfestigten Persönlichkeiten hat. Man kann noch was verändern." Swen Schäfer wird regelmäßig von ehemaligen Intensivtätern angerufen, die ihm stolz berichten, dass sie straffrei geblieben sind. "Leider erlebt man als Polizist ansonsten fast nur Negatives", sagt Schäfer. Es sei eine hohe Kunst, als Polizist nicht den Mut zu verlieren: "Man muss sich immer wieder klarmachen, dass dies nur unsere, ganz spezielle Sicht ist."
Dann kommt der Alarm. Ärger in der Innenstadt. Auf der Fahrt in die Stadt herrscht angespannte Ruhe, nur das Funkgerät knistert. Das schwache Licht der Amaturen fällt auf die Gesichter der Männer. Immer wieder diese Ungewissheit: Was wird geschehen? Wird es ein Routineeinsatz oder eine lebensgefährliche Situation?
Am Ende war es dann doch eher Routine. Nach dem Einsatz geht es zurück auf die Polizeiwache, der Bericht über den Einsatz muss geschrieben werden. Vor den Fenstern kündigt ein fahles Dämmerlicht den Morgen an. Schäfers Kollege seufzt. Der Computer will den Bericht nicht ausdrucken. Um vier Uhr ist Feierabend. Den Sonntag werden die brandenburger Polizisten wohl verschlafen.
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.