Organisierte Kriminalität
Drogen, Waffen, gefälschte Produkte: Das globalisierte Verbrechen überwindet alle Grenzen. Es geht um möglichst viel Gewinn bei möglichst wenig Risiko
Drogen sind eine Wachstumsbranche - genauso wie der illegale Handel mit Menschen, Waffen oder gefälschten Markenprodukten. Die Wirtschaft der Nationen hat sich globalisiert, die Industrie des Verbrechens tut es ebenfalls. Ihr Netz operiert weltumspannend wie multinationale Konzerne.
Bekämpfen kann sie nur, wer die ökonomischen Prinzipien versteht, nach denen sie funktioniert. Die Welt des Verbrechens ist ein Mosaik aus Produzentenländern und Absatzmärkten, ein grenzübergreifendes Geflecht schlecht bezahlter Bauern, Kleindealer oder Kuriere und gut verdienender Chefs transnationaler Kartelle. "Mit der Globalisierung haben sich für die Organisierte Kriminalität die Möglichkeiten vervielfältigt, die Summen vervielfacht", sagt Wolfgang Hetzer, Berater der europäischen Antibetrugsbehörde "Olaf".
Kooperation, nicht Konkurrenz, lautet die erfolgreiche Devise des globalen Verbrechens. Im Drogengeschäft kommen die Rohstoffe meist aus den armen Ländern, die Absatzmärkte befinden sich hingegen überwiegend in der reichen Welt. Als Kuriere fungieren oft Dutzende von Zwischenhändlern. Auch die Produktpiraten kooperieren fast immer arbeitsteilig: Eine Gruppe sorgt für die Fabrikation, eine zweite für die Logistik, die dritte für den Verkauf. Multi-Länder-Operationen sind die Regel. Üblicherweise ist Fälschung Auftragsarbeit. Wolfgang Schmitz vom Zollkriminalamt in Köln berichtet von einem türkischen Großhändler in Westdeutschland, der je nach Nachfrage in der Türkei gefälschte Kleidung bekannter Modeschöpfer orderte, um sie an italienische Zwischenhändler weiterzuverkaufen. Die setzten sie auf Wochenmärkten und in Boutiquen in ganz Italien ab. "Die Vertriebswege der Täter unterschieden sich nicht von den Vertriebswegen im legalen Handel", sagt Schmitz.
Auch Menschenhändler und Schleuser arbeiten im Auftrag. Die Globalisierung hat die Grenzen für Waren und Kapital weitgehend niedergerissen, nicht aber die Hürden, die sich jenen entgegenstellen, die aus der armen in die reiche Welt wollen. Das verspricht Profite. Interpol schätzt, dass jährlich vier Millionen Menschen über internationale Grenzen geschleust werden. Die multinationale Unterwelt kooperiert überall dort, wo es Geld zu verdienen gibt. Mitunter bedienen sich die verschiedenen Sparten des globalen Verbrechens dabei derselben Transportrouten, vielfach sind die kriminellen Banden zugleich in mehreren Produktlinien tätig.
Mehr und mehr, sagt der frühere leitende Beamte beim Bundeskriminalamt Richard Karl Mörbel, werde das globale Verbrechen von diffusen Netzen geprägt, in denen kleinere Unternehmen ad hoc zusammenarbeiteten. Ihre Netze sind weniger nach Produkten organisiert als nach Tätigkeiten. Spezialisierung ist an der Tagesordnung, Flexibilität, Schnelligkeit und unternehmerisches Denken sind gefragt. Die Kaufmänner des Verbrechens gleichen nicht nur normalen Unternehmern, sie arbeiten auch wie sie: Sie beschaffen Waren oder stellen sie her, sorgen für Transport und Verkauf und bemühen sich um die Erschließung von Märkten. Dabei gehe es um "möglichst viel Gewinn bei möglichst geringem Risiko", sagt der Chef der europäischen Polizeibehörde Europol, Max-Peter Ratzel.
Risikostreuung durch Outsourcing und die Beschäftigung von Subunternehmen sind deshalb auch im kriminellen Milieu inzwischen Normalität. Rückzug aus einzelnen Geschäftsbereichen und der Aufbau neuer Sparten gehören zum Alltag. Drogen sind nach wie vor eines der gewinnträchtigsten Wirtschaftsgüter der Welt. Nur mit Öl und Waffen wird heutzutage mehr Geld verdient. Freilich ist der Drogenhandel nicht nur profitabel, sondern auch gefährlich. Menschenschleusung ist in erster Linie wegen geringerer Strafen weniger risikoreich. Die Gewinne dagegen sind ähnlich hoch. Steigende Gewinne verzeichnet auch die Produktpiraterie bei einem noch geringeren Risiko. Die OECD bezifferte den Gesamtumsatz im grenzüberschreitenden Handel mit gefälschter Markenware für 2005 auf rund 200 Milliarden Dollar. Zählt man den Inlandsverkauf von Piratenprodukten hinzu, kommt man auf eine Summe von über 600 Milliarden Dollar. Die Freibeuter der Globalisierung sitzen vor allem in China, mehr als 60 Prozent aller Fälschungen werden dort hergestellt.
Die immensen Profite, die in der illegalen Wirtschaft entstehen, werden angelegt. Sie werden gewaschen, damit man fortan legale Geschäfte machen kann. Die OECD schätzt, dass jährlich 1.500 Milliarden Dollar schmutziges Geld gewaschen werden. Spätestens dann, wenn aus illegalem Bargeld legales Buchgeld geworden ist, kann es überall investiert werden.
Mit jeder Investition in die legale Wirtschaft wächst auch der ökonomische und politische Einfluss des kriminellen Milieus. Kurz hinter der deutsch-polnischen oder deutsch-tschechischen Grenze existieren die Märkte, auf denen illegale Produkte verkauft werden. Hinter der Fassade legaler Unternehmen verbreite sich Korruption, Bestechung und Betrug, sagt Wolfgang Hetzer. Auch in Europa verschwimmen die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität. Länderübergreifend wie die Organisierte Kriminalität soll auch Europol arbeiten. Wenn Verbrecher über Ländergrenzen hinweg agieren, muss es auch die Polizei. Nur: Das kann sie bislang nicht gut genug. Die Global Player der kriminellen Szene seien den Strafverfolgern "meilenweit voraus", sagt ein Experte, der ungenannt bleiben möchte. Europas 1,2 Millionen Polizisten arbeiten unter völlig verschiedenen rechtlichen Bedingungen. Schon die Regeln darüber, wann eine Untersuchung gestartet und wie Beweismaterial gesammelt werden darf, unterscheiden sich.
Mit fast jeder Sparte des globalen Verbrechens gehen die Nationen der Welt unterschiedlich um. Produktpiraterie gilt in vielen Ländern als Kavaliersdelikt. Schleusung wird im armen Süden als notwendiges ökonomisches Regulativ gesehen, im reichen Norden als Bedrohung. Trotz verschärfter Gesetze und einer international vernetzten Fahndung ergibt sich im Kampf gegen die Geldwäsche nur eine fünfprozentige Chance, dass die Täter bestraft werden, so das Washingtoner Institute for International Economics. Ähnlich ist es auf anderen Deliktfeldern der globalisierten Kriminalität. Trotz riesigen finanziellen und personellen Aufwands im Kampf gegen den Drogenhandel hat sich allein die weltweite Produktion von Heroin seit 1970 vervierfacht.
Die Industrie des globalen Verbrechens folgt ökonomischen Prinzipien. Das Risiko bei der Überwindung nationaler Grenzen bestimmt Kosten und Preise. Damit stellt sich die Frage, ob die Arbeit von Polizei und Staatsanwälten allein jemals ausreichen würde, um die Kriminalität einzudämmen - selbst dann, wenn es eine weltweite Kooperation der Strafverfolger gäbe und die Rechtssysteme harmonisiert wären. Den Kaufleuten des Verbrechens geht es in ihren Geschäften fast nie um Moral und immer um Profit. Doch Gewinne sind letztlich nur da zu erzielen, wo es auch Abnehmer für ihre Produkte gibt.
Der Autor ist Redakteur bei "Die Zeit".