Mafia
Misha Glenny, Journalist und Buchautor, über den Zusammenbruch des Kommunismus und den Boom der Organisierten Kriminalität
Sie haben für die Recherchen zu Ihrem Buch "McMafia. Die grenzenlose Welt des organisierten Verbrechens" mit Mafiabossen auf der ganzen Welt gesprochen. Hatten Sie keine Angst?
Doch, jedes Mal. Zumal ich fast immer alleine oder nur mit einem Mittelsmann unterwegs war. Als besonders beängstigend habe ich mein Gespräch mit einem Vertreter der kolumbianischen Farc in Erinnerung. Es gab aber auch kuriose Begegnungen. In Tokio zum Beispiel habe ich mich mit dem Vizechef der Tokioter Yakuza, einer einflussreichen japanischen Mafiaorganisation, getroffen. Es gab Tee und jede Menge Komplimente. Und dann hat er sich wie der gestresste Senior Manager eines mittelgroßen Unternehmens über den Werteverfall unter den jungen Leuten beklagt und wie schwer es sei, den passenden Nachwuchs für sein Geschäft zu finden.
Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, sich mit dem Phänomen der Organisierten Kriminalität zu beschäftigen?
Während der Jugoslawienkriege war ich Korrespondent der BBC für Mitteleuropa. Als mein Freund, der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic, 2003 einem Auftragsmord zum Opfer fiel, war rasch klar, dass dieser Mord auf das Konto des organisierten Verbrechens ging. Damals habe ich angefangen, zum Thema Organisierte Kriminalität zu recherchieren.
In Ihrem Buch machen Sie den Zusammenbruch des Kommunismus für diesen Aufschwung mitverantwortlich. Was hat das Ende des Kalten Krieges mit Organisierter Kriminalität zu tun?
Als 1989 der Eiserne Vorhang fiel, war die westliche Staatenwelt nicht im Mindesten darauf vorbereitet. Sie wusste zunächst überhaupt nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Die Einzigen, die um den bevorstehenden Zusammenbruch des Kommunismus wussten, waren Geheimdienste und Sicherheitskräfte in den Ostblockstaaten. Und sie wussten dieses Wissen für sich zu nutzen.
Inwiefern?
Indem sie viele Aufgaben des Staates, die dieser in jenen chaotischen Tagen nicht mehr erfüllen konnte, auf eigene Faust übernahmen und zugleich ein Mindestmaß an Ordnung und Sicherheit garantierten. Quasi über Nacht waren diese ehemaligen Geheimdienstler in der Lage zu definieren, was Recht und was Unrecht war. Und Recht war in ihren Augen all das, was Geld einbrachte. Daher wurden viele von ihnen auf illegalen Geschäftsfeldern wie etwa dem Frauen- oder dem Drogenhandel aktiv. Denn sie hatten sehr schnell begriffen, dass es in Westeuropa einen riesigen Markt für illegale Güter und Dienstleistungen gibt.
Das organisierte Verbrechen als Geburtshelfer des Kapitalismus im Osten?
So kann man das sehen. Zumindest sehen das nicht wenige der Mafiabosse etwa in Bulgarien so - und sind stolz darauf. Ohne uns, das war der Tenor vieler Gespräche, die ich mit ihnen geführt habe, wären die osteuropäischen Staaten in Anarchie versunken.
Bereits vor dem Fall der Mauer gab es eine sehr große Schattenwirtschaft weltweit. Worin sehen Sie die neue Dimension?
Bis Anfang der 90er-Jahre hatte sich die Schattenwirtschaft im Großen und Ganzen auf den Handel mit Kokain, Heroin und Marihuana beschränkt. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kamen neue Geschäftsfelder wie der Frauen-, der Kaviar- und der Waffenhandel hinzu. Unter dieser Entwicklung hatte übrigens nicht zuletzt die sizilianische Mafia zu leiden.
Warum?
Weil sie in ihren Strukturen hoffnungslos veraltet und daher auf die Konkurrenz aus dem Osten äußerst schlecht vorbereitet war. Die sizilianische Mafia ist streng hierarchisch aufgebaut und stark von dem Gedanken der Clan- und Familienloyalität bestimmt. Das hat gravierende Nachteile: Wenn ein Clanboss verhaftet wird, ist die gesamten Organisation in Gefahr.
Bei den osteuropäischen Verbrechersyndikaten ist das anders?
Ja. Dort hat man sehr schnell erkannt, dass der Wert der illegalen Transaktionen viel wichtiger ist als die Loyalität dem eigenen Clan gegenüber. Daher können diese Syndikate in gewisser Weise viel professioneller und rücksichtsloser agieren als etwa die sizilianische Mafia. Zudem versuchen sie, Gewalt nach außen zu vermeiden, um kein Aufsehen zu erregen. Und schließlich sind sie stark dezentralisiert organisiert - ein Vorteil, wenn einer gefasst wird.
Bedeutet das, dass die sizilianische Mafia an Einfluss verliert?
Sie hat jedenfalls lange Zeit die Auswirkungen des Zusammenbruchs des Ostblocks auf ihre Geschäfte nicht erkannt und ein schlechtes Krisenmanagement betrieben. Die Schwäche der sizilianischen Mafia haben aber andere Mafiaorganisationen in Italien wie die kalabrische 'Ndrangheta zu nutzen gewusst, um ihre Position auf dem Markt des organisierten Verbrechens zu festigen. Allerdings mehren sich auch bei der Mafia die Anzeichen, dass sie sich erholt.
Insgesamt macht Ihr Buch jedenfalls wenig Hoffnung, dass die organisierte Verbrechen wirksam bekämpft werden kann.
Stimmt. Denn dazu wäre ein übergreifender Ansatz nötig. Schließlich ist es die maßlose Gier der westlichen Überflussgesellschaft nach Drogen und käuflichem Sex, die dem organisierten Verbrechen seinen massiven Aufschwung beschert.
Das Interview führte Nicole Alexander.
Sie arbeitet als freie Journalistin in Berlin.