SPÄTABTREIBUNG
Der fraktionsübergreifende Streit um Pflichten und Fristen geht weiter
Der Bundestag will die Beratung von Frauen vor einer möglichen Abtreibung nach der zwölften Schwangerschaftswoche verbessern. Auf welche Weise dies geschehen soll, ist weiter strittig. Die Abgeordneten diskutierten in einer nachdenklichen Debatte am 18. Dezember drei Gesetzentwürfe und zwei Gruppenanträge mit unterschiedlichen Intentionen.
Ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen ist in Deutschland laut Paragraf 218a des Strafgesetzbuches straffrei, wenn die Frau mindestens drei Tage vor dem Abbruch an einem Beratungsgespräch teilgenommen hat. Nach der zwölften Woche ist eine Abtreibung nur dann erlaubt, wenn die körperliche oder seelische Gesundheit der Frau durch die Schwangerschaft stark gefährdet wird. Sie hat laut Schwangerschaftskonfliktgesetz ein Recht auf Beratung, ist aber nicht dazu verpflichtet, sich Rat einzuholen. Eine Abtreibung wegen einer Behinderung des Kindes ist seit 1995 verboten.
"Wir wollen Frauen, die sich in einer existenziellen Notlage befinden, nachhaltig helfen und behindertes ungeborenes Leben besser schützen", begründete der familienpolitische Sprecher der Union, Johannes Singhammer seine Initiative des von 193 Abgeordneten, überwiegend aus CDU/CSU, getragenen Gesetzentwurfs ( 16/11106). Der Entwurf sieht eine Pflicht des Arztes zur Beratung über die medizinischen und psychosozialen Aspekte einer Spätabtreibung vor. Zwischen Beratung und Abbruch soll künftig eine dreitägige Bedenkzeit liegen, es sei denn, es bestünde Gefahr für Leib oder Leben der Schwangeren. Die Unterstützer des Entwurfes wollen eine Dokumentationspflicht für Ärzte einführen und die Statistik über Spätabtreibungen ausweiten. Singhammer betonte, die im Entwurf des Gendiagnostikgesetzes vorgesehene Beratung über Pränatal-Diagnostik sei "eine gute Möglichkeit für die Beratung vor der Maßnahme". Es bedürfe aber weiterer Regelungen. Außerdem würden im Gendiagnostik-Gesetz nicht alle möglichen Untersuchungen erfasst, sagte Singhammer.
Der Gesetzentwurf unterstelle Frauen Leichtfertigkeit im Umgang mit einer Spätabtreibung, warf Christel Humme, familienpolitische Sprecherin der SPD, Singhammer vor. Die dreitägige Wartezeit sei "willkürlich". "Frauen setzen sich von Beginn der Schwangerschaft an mit dem Fall ,was passiert, wenn' auseinander, sie brauchen keine staatlich verordnete Frist." Abgesehen davon würden "80 Prozent der Abbrüche vorgenommen, weil das Kind nicht lebensfähig ist", sagte Humme. Sie unterstützt einen Antrag ( 16/11342), den bisher 142 Abgeordnete unterzeichnet haben. Darin fordern die Unterstützer, die Mutterschaftsrichtlinien so zu überarbeiten, dass auch "für die vom Gendiagnostikgesetz nicht erfassten pränatal-diagnostischen Untersuchungen" eine medizinische Beratungspflicht bestehe und auf eine psychosoziale Beratung hingewiesen werden müsse. Außerdem sollen die Schwangeren ein Recht darauf haben, die Untersuchungen abzulehnen.
Das "Recht auf Nicht-Wissen" betonte auch Ina Lenke, familienpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. Sie warb für einen Gesetzentwurf ( 16/11330), dem sich bisher 37 FDP-Abgeordnete angeschlossen haben. Darin wird ebenfalls eine Verpflichtung des Arztes, die Schwangere zu beraten und auf psychosoziale Beratung zu verweisen, angestrebt. Im Gegensatz zu den Unterstützern des Unions-Antrages lehnen es die Unterzeichner aber ab, die Geldstrafe für Ärzte, die gegen die Regelungen verstoßen, anzuheben. Lenke wandte sich auch gegen eine Beratungspflicht für die Frau. "Wir haben Vertrauen in die medizinische Beratung des Arztes, in die psychologischen Beratungsstellen und in die Entscheidungskraft der Frau", begründete Lenke den Entwurf.
"Es geht um Wunschkinder und nicht um Misstrauen gegenüber Frauen", hob Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) hervor, die einen Gesetzentwurf von 46 Abgeordneten ( 16/11347) unterstützt. In dem Entwurf wird betont, dass die Beratung des Arztes nach einer Pränataldiagnostik ergebnisoffen erfolgen muss. Göring-Eckardt sagte, der Entwurf solle Ärzten Sicherheit in ihrem Handeln geben. Kerstin Griese (SPD), die denselben Antrag unterstützt, unterstrich ihre Intention, das Leben behinderter Menschen zu verbessern. "In Gesetzen kann man Werte und Normen festsetzen. Behindertes Leben ist erfülltes Leben", so Griese.
Kirsten Tackmann, frauenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, wandte sich gegen Gesetzesänderungen. Die vorliegenden Entwürfe stellten "Frauen und Ärzte unter Generalverdacht". Sie betonte das Recht der Frau auf Selbstbestimmung. In dem von ihr unterstützten Antrag fordern 49 Abgeordnete der Linksfraktion ( 16/11377) "untergesetzliche Regelungen", die das Selbstbestimmungsrecht fördern sollen. Schwangeren müsse das Angebot einer Beratung über Therapiemöglichkeiten für das Kind und das Leben mit behinderten Kindern gemacht werden, sofern eine Behinderung des Kindes diagnostiziert werde, heißt es unter anderem in dem Antrag. Die Gesetzentwürfe und Anträge wurden im Anschluss zur Beratung an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen. Am 19. März will der Ausschuss eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema abhalten.