Manche Dinge gehören zum Weihnachtsfest einfach dazu: Plätzchen backen, Baum schmücken, Lieder singen. Letzteres ist auch im Bundestag vorweihnachtliche Tradition. Dafür sorgt der Bundestagschor, für den ein Auftritt in der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten zu den festen Terminen gehört. Am vergangenen Donnerstag war es soweit: Zur Mittagszeit sang das Vokalensemble die Zuhörer im Jakob-Kaiser-Haus mit "Ave Maria" und vier anderen Liedern eine halbe Stunde lang in Weihnachtsstimmung.
Neben dem Weihnachtssingen gehören auch ein Auftritt vor der Sommerpause sowie die Proben zu den festen Terminen des Chors. Einmal in der Woche, mittwochs von halb sechs bis halb acht, treffen sich die Mitglieder. Dann sitzen in drei Reihen verteilt Bass, Tenor, Alt und Sopran in Gruppen zusammen. "In den Sitzungswochen kommen einige Kollegen auch schon mal später zur Probe", erzählt Dagmar Linnemann-Gädke, die stellvertretende Vorsitzende der Musikgemeinschaft des Deutschen Bundestages.
Jede Probe beginnt mit Aufwärmübungen. Für eine Übung senken alle leicht den Kopf und rollen das "R". Sie klingen dabei wie ein Schwarm laut gurrender Tauben. Nach 20 Minuten und verschiedenen Aufwärmübungen sagt der Chorleiter Zarko Bulajic: "Los Leute, ihr habt den ganzen Tag gesessen - aufstehen!" Am Klavier gibt er den Ton vor und die Frauen und Männer beginnen das "Gloria" aus der Missa Criolla von Ariel Ramirez zu singen. Gesungen wird nicht nur Opernmusik, sondern auch Klassiker wie "Moonriver", "Mein kleiner grüner Kaktus" oder, zu Ehren von Walter Scheel, "Hoch auf dem gelben Wagen". "Das haben wir bei unserem zweiten Fernsehauftritt 2006 vorgetragen - und zwar zusammen mit Walter Scheel", berichtet Edeltraut Hamm, die Schatzmeisterin des Chors.
Wie viele andere war sie froh, dass Bulajic vor sieben Jahren die Initiative ergriffen und wieder einen Chor auf die Beine gestellt hat. "Mehr als eineinhalb Jahre hat es gedauert, die Sache in Gang zu bringen. Am 16. Oktober 2001 fand dann die erste Probe in Berlin statt", blickt Bulajic zurück. Bereits in Bonn hatte es einen Chor gegeben, der aber schon vor dem Umzug nach Berlin "im Koma lag", wie Hamm erzählt. Heute erscheinen rund 40 Sänger zur Probe. Sie kommen aus der Bundestagsverwaltung oder arbeiten bei den Fraktionen, bei Abgeordneten oder in den Ministerien, auch ein Abgeordneter und eine ehemalige Abgeordnete sind dabei. "Wer für wen arbeitet oder mit welcher Partei sympathisiert, spielt bei uns keine Rolle", sagt Linnemann-Gädke.
Seit der Neugründung ist auch das Repertoire ein Indiz für den Anspruch, den der Chor an sich selbst hat. "Wir repräsentieren das deutsche Parlament. Das sollte sich bei auch an unserem eigenen Auftreten bemerkbar machen", sagt Bulajic, der ausgebildeter Chorleiter ist und im Bundestag hauptberuflich die Kleiderkammer leitet. So war das auch beim ersten von bislang drei Fernsehauftritten. Der Mitteldeutsche Rundfunk hatte die Sängergruppe 2004 nach Leipzig zur Live-Sendung "Deutschland singt" eingeladen. "Als wir über die Einzelheiten gesprochen haben, wurde ich vom Veranstalter gefragt, welches Volkslied wir denn singen wollen", erinnert sich Bulajic. "Volkslied? - habe ich gefragt. Wir singen den Gefangenenchor aus Nabucco - auf Italienisch." Er weiß, was er will. Opern in der Originalsprache zu singen, gehört dazu. Für die Chorsänger bedeutete das, im Hotelzimmer in Leipzig bis kurz vor dem Auftritt den Text zu lernen.
2011 feiert der Chor, der 1951 in Bonn als Männerensemble gegründet wurde, seinen 60. Geburtstag. "Auch wenn der Chor zwischenzeitlich einige Jahre nicht aktiv war, die Zeit rechnen wir mit", sagt Hamm. Der bisherige Höhepunkt in der Vereinsgeschichte war ein Auftritt im Plenarsaal, erzählen Hamm und Linnemann-Gädke. Das 30jährige Jubiläum ehemaliger Parlamentarier wurde gefeiert. "Wir saßen auf der Regierungsbank. Die Akustik war nicht gut, aber es war ein einmaliges Erlebnis."