rÜDIGER WOLFRUM
Das Mandat des Bundestages erlaubt nur den Kampf gegen Piraten zur See und aus der Luft, sagt der Völkerrechtler
Der Bundestag hat die Teilnahme der Bundeswehr an der EU-Mission "Atalanta" beschlossen. Wie dürfen deutsche Soldaten gegen Piraten vorgehen?
Im Mandat des Bundestags heißt es, sie dürfen "alle erforderlichen Maßnahmen, einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt ergreifen". Das heißt, sie dürfen Piratenboote abdrängen, anhalten und durchsuchen, und als letztes Mittel auch versenken.
Sind solche Militäreinsätze mit dem Grundgesetz überhaupt vereinbar?
Selbstverständlich. Es gibt nur Unterschiede in der Begründung. Die Bundesregierung hält den Einsatz für verfassungskonform, weil es sich um eine EU-Mission handelt. Sie beruft sich dabei auf das Bundesverfassungsgerichts-Urteil von 1994, wonach die Bundeswehr im Ausland eingesetzt werden kann, wenn der Bundestag dem Einsatz zustimmt und der Einsatz außerdem im Rahmen von Organisationen "gegenseitiger kollektiver Sicherheit" gemäß Artikel 24 Grundgesetz erfolgt. Als entsprechende Organisation gelten EU, Nato oder Uno. Nach meiner Ansicht hätte die Bundeswehr aber auch ohne eine ausdrückliche EU-Mission gegen Piraten eingesetzt werden können.
Wie begründen Sie das?
Ich verweise auf Artikel 25 des Grundgesetzes. Danach sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts. Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts rechne ich auch die Vorschriften des Seerechtsübereinkommens zur Pirateriebekämpfung. Die Fregatte "Mecklenburg-Vorpommern", die derzeit im Rahmen des Anti-Terror-Einsatzes in der See vor Somalia aktiv ist, hätte also schon längst gezielt gegen Piraten vorgehen können. Aber das ist jetzt nur noch eine akademische Diskussion, weil der Bundestag ja nun ein ausdrückliches Mandat zur Piratenbekämpfung erteilt hat.
Wie sieht es mit dem Völkerrecht aus?
Auch hier gibt es keine Probleme. Das Seerechtsübereinkommen verpflichtet die Staatenwelt geradezu zum Einsatz gegen Piraten auf hoher See. Das Abkommen gilt zwar nicht in den Küstengewässern Somalias. Deshalb hat aber der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in mehreren Resolutionen Militäreinsätze gegen Piraten innerhalb der 12-Meilen-Zone Somalias gebilligt.
Inzwischen hat der UN-Sicherheitsrat auch die Verfolgung von Piraten an Land erlaubt. Muss die Bundeswehr nun auch Bodentruppen schicken?
Nein, so kann man das Mandat des Bundestags auf keinen Fall deuten. Das Mandat nimmt zwar auf unbestimmte "nachfolgende" Resolutionen des UN-Sicherheitsrats Bezug, doch Landeinsätze in Somalia sind vom jetzigen Parlamentsmandat nicht gedeckt. Das aktuelle Mandat bezieht sich eindeutig nur auf See- und Lufteinsätze. Für die Entsendung von Bodentruppen, Panzern und Geländewagen wäre ein neuer Beschluss des Bundestags erforderlich.
Meinen Sie mit den Lufteinsätzen auch solche über somalischem Boden?
Nein, nur die Seeaufklärung. Lufteinsätze über somalischem Festland sieht das Mandat des Bundestages nicht vor - selbst wenn man die neue Resolution des Sicherheitsrats in diese Richtung interpretieren kann.
In Regierungskreisen wurde die Losung ausgegeben, die Bundeswehr würde vorrangig humanitäre Hilfslieferungen schützen, erst dann deutsche und EU-Schiffe. Andere ausländische Schiffe seien nur letztrangig zu unterstützen. Sind diese Prioritäten rechtlich verbindlich?
Nein, hierbei handelt es sich wohl eher um politische Ankündigungen als um rechtliche Festlegungen. Im Mandatstext ist eine derartige Prioritätenliste nicht zu finden. Der besondere Schutz humanitärer Schiffstransporte ist aber schon in den UN-Resolutionen als Motiv angelegt.
Darf die Bundeswehr jetzt auch Piraten festnehmen?
Ja, das durfte sie aber nach meiner Auffassung schon immer. Völkerrechtlich ist dies bereits im Seerechtsübereinkommen vorgesehen. Und innerstaatlich kann sich die Bundeswehr auf die Strafprozessordnung berufen. Nach dem dortigen Paragraph 127 kann jeder Bürger, also auch die Bundeswehrsoldaten, einen auf frischer Tat ertappten Kriminellen festhalten.
Wann endet bei Piraten die "frische Tat"?
Das sollte man nicht zu eng sehen. Solange die Piraten noch bewaffnet auf dem Meer sind, ist die frische Tat meiner Meinung nach noch nicht vorbei. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, warum man für die Verhaftung von Piraten extra Polizisten mitnehmen sollte.
Was passiert nach einer Piratenfestnahme? Müssen die Inhaftierten sofort einem Richter vorgeführt werden?
Das ist umstritten. Laut Grundgesetz muss eine erste Haftprüfung spätestens am Ende des Tages, der auf die Festnahme folgt, stattfinden. An Bord eines Kriegschiffes lässt sich diese Frist aber wohl kaum einhalten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat deshalb in zwei ähnlichen Verfahren - es ging um Schiffe im Atlantik, die Drogendealer aufgefischt hatten - gesagt, es genüge, wenn die inhaftierten Personen unverzüglich zum nächsten Hafen gebracht werden. Das könne auch ein paar Tage dauern.
Was hat dann am nächsten Hafen mit den Piraten zu geschehen?
Dort müssen sie entweder der örtlichen Justiz übergeben oder einem deutschen Richter präsentiert werden - zum Beispiel in der
deutschen Botschaft.
Die Bundesregierung will ja eher verhindern, dass Piraten vor deutsche Gerichte gestellt werden. Sie hat wohl Angst, dass man sie nach Strafverbüßung nicht mehr los wird...
Dieser Linie würde ich nicht folgen. Für die Strafverfolgung von Piraten ist die Justiz weltweit zuständig, es gilt das so genannte Universalitätsprinzip. Deshalb sollten sich auch Staaten wie Deutschland vor dieser Aufgabe nicht drücken. Außerdem wird man in der Region kaum einen Staat finden, der Piraterie nicht mit der Todesstrafe bedroht, was eine Überstellung an dessen Justiz ausschließt.
Vor welchem Gericht würden die Piraten in Deutschland angeklagt?
Für Verbrechen auf Hoher See ist laut Strafprozessordnung im Zweifel das Landgericht in Hamburg zuständig.
Und für welche Delikte können Piraten dann in Deutschland belangt werden?
Den Straftatbestand der Piraterie gibt es zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber zum Beispiel den "Gefährlichen Angriff auf den Seeverkehr" oder die "Geiselnahme". Beides wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.
Was halten Sie von dem Vorschlag, einen speziellen Seestrafgerichtshof für Piraten einzuführen?
Davon halte ich nicht viel. Piraten sind doch einfach nur Kriminelle. Denen sollte man nicht so viel Ehre antun, für sie auch noch einen eigenen Gerichtshof zu schaffen. Dieser müsste ja auch erst einmal gegründet werden, was vermutlich Jahre dauern würde. Und dann müssten sich Staaten bereit finden, die Strafen zu vollstrecken. Da sollte man doch besser gleich auf die nationale Justiz setzen.
Was ist mit dem Internationalen Seegerichtshof, an dem Sie Richter sind?
Dieser Gerichtshof ist schon deshalb nicht für die Piratenverfolgung geeignet, weil seine Richter Völkerrechtler sind und keine Strafrichter. Sie sind Experten für die Lösung seerechtlicher Streitigkeiten zwischen Staaten, aber nicht zur Aufklärung von Verbrechen auf See.
Das Interview führte Christian Rath.
Rüdiger Wolfrum (67) ist Direktor
des Max-Planck-Instituts für
Völkerrecht in Heidelberg und
seit 1996 Richter am Internationalen
Seegerichtshof in Hamburg.