ITALIEN
Gegen Silvio Berlusconis Regierungsstil regt sich Widerstand bei den Parlamentariern. Die zerstrittene Opposition schließt sich zu einem gemeinsamen Protest zusammen
Die aufgeblähten Volksvertretungen sind absolut überflüssig und sogar kontraproduktiv", gab Silvio Berlusconi am 21. Mai im Europawahlkampf seine Verachtung für den italienischen Parlamentarismus zu Protokoll und schloss gleich auch das Europaparlament ein: "Ein enormes Monster, das gar nichts entscheidet." Als Heilmittel schlug der Mann, an dem sich in Italien seit 15 Jahren die Geister scheiden, eine Volksinitiative vor, um das Abgeordnetenhaus von heute 630 auf 100 Mitglieder zu reduzieren. Dass er dieses Versprechen wahr machen könnte, steht wohl genau so wenig zu befürchten wie eine allseits geforderte Wahlrechtsreform, die ein Mehrheitswahlrecht zum Ziel hat. Ein entsprechendes Referendum dürfte am 21. Juni allerdings gescheitert sein (Die Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor).
Eine Reform wird jedoch von allen politischen Lagern für wünschenswert erklärt, seit die Parlamentsmehrheit Berlusconis 2005 wenige Monate vor den Wahlen im Alleingang ein proportionales Wahlgesetz durchbrachte, das von dem zuständigen Minister als "Schweinerei" bezeichnet wurde. Den Parteichefs ermöglicht es, die Parlamentarier praktisch im Alleingang zu "nominieren". Durch das Referendum am Sonntag wäre ohnehin nur eine unbefriedigende Korrektur des aktuellen Wahlgesetzes möglich gewesen. Sie hätte dazu geführt, dass die stärkste Partei unabhängig von ihrem prozentualen Ergebnis immer 55 Prozent der Mandate bekommt. Einige Befürworter des Referendums befürchteten, dass dies letztlich nur Berlusconi begünstigen würde, und hatten deshalb ihre Unterstützung vorher zurückgezogen. Um eine Irritation seines Koalitionspartners Umberto Bossi (Lega Nord) zu vermeiden, hat auch Berlusconi selbst keine Kampagne für das Referendum gestartet. Die meisten Bürger waren deshalb entweder völlig verwirrt über die bevorstehende Abstimmung. So war das bestehende Quorum nur schwer zu erreichen. Die dringend notwendige Reform des Wahlgesetzes wird dadurch in noch weitere Ferne gerückt.
In punkto Gespür für populistische Kampagnen ist Berlusconi aber weiterhin unschlagbar, und so gelang es ihm auch im jüngsten Europawahlkampf wieder, sich als einzigen unerschütterlichen Streiter gegen das "Parteienunwesen" zu stilisieren und alle anderen in die Gegenecke zu drängen, nicht zuletzt auch seinen eigenen Parteifreund Gianfranco Fini, der sich als Präsident der Abgeordnetenkammer zu einer kraftlosen Entgegnung genötigt sah: "Eine Reduzierung der Parlamentarier ist zu befürworten, aber eine Entkleidung des Parlaments von seinen essentiellen Funktionen der Willensbildung, der Regierungskontrolle und der Gesetzgebung wäre inakzeptabel."
Indessen scheint genau letzteres derzeit mit auf dem Programm zu stehen, wenn die Koalition Berlusconis fast täglich neue Fakten schafft, die mit einem modernen Rechtsstaat immer weniger in Einklang zu bringen sind. Jüngste Beispiele dafür sind ein "Sicherheitspaket" des Innenministers Roberto Maroni (Lega Nord) zur Verschärfung der Normen gegen illegale Einwanderung und zur Einrichtung von Bürgerwehren in den Kommunen sowie ein "Gesetz zur Sicherung der Privatsphäre" für den Schutz der Reichen und Mächtigen vor Abhöraktionen durch Polizei und Staatsanwaltschaften. Um derart dringliche Vorlagen rasch und problemlos durch das Parlament zu schleusen, greift die Regierung trotz komfortabler Mehrheit in beiden Kammern immer wieder auf das Instrument des Vertrauensvotums zurück, allein in der Abgeordnetenkammer bereits zum fünfzehnten Mal seit Beginn der gerade erst einjährigen Legislaturperiode. Nach der Europawahl, bei der Berlusconis Ambitionen zwar einen leichten Dämpfer erhielten, die Demokratische Partei unter ihrem neuen kommissarischen Parteichef Dario Franceschini aber noch weit schlechter abschnitt, fand sich die oft als zerstritten und ohnmächtig verhöhnte Opposition deshalb endlich zu einer gemeinsamen Aktion bereit: einen Protestbrief an den Staatspräsidenten Giorgio Napolitano.
In ihrem Appell brachten die Fraktionsvorsitzenden der DP und der kleineren zentristischen IDV und UDC ihre Besorgnis über die systematische Aushöhlung der parlamentarischen Prärogativen zum Ausdruck, welche "das Verfassungsgleichgewicht zwischen der Regierung und ihrer Parlamentsmehrheit wie auch zwischen den Mehrheitsfraktionen und der Opposition gefährlich beeinträchtige". Im besonderen beklagten sie die wiederholte Verbindung der Gesetzentwürfe mit der Vertrauensfrage, die Verweigerung der verfassungsmäßig garantierten geheimen Abstimmung und die immer umfangreicheren Dringlichkeitsdekrete der Regierung, welche besonders bedenklich seien, wenn es um so wichtige verfassungsmäßig garantierte Grundrechte gehe wie den Schutz der Privatsphäre oder die Informations- und Pressefreiheit.
Tatsächlich war das Gesetz gegen die Telefonüberwachung im Mai von Berlusconi forciert worden, nachdem peinliche Details aus seinem Privatleben bekannt wurden, wie ein Techtelmechtel mit einer 17-jährigen Neapolitanerin. Das genannte Gesetz dient auch zur Einschüchterung von Presse und Internetanbietern durch die Androhung schwerer Strafen bei unliebsamer Berichterstattung.