Demokratie
Der Politikphilosoph Otfried Höffe hält die Volksherrschaft trotz aller Krisen für zukunftsfähig - solange gewisse Ratschläge beherzigt werden. Die findet er bei Machiavelli und im biblischen Schöpfungsbericht
Erst die gute Nachricht: Die Mehrheit der Deutschen hält die Demokratie für die beste Staatsform. Die weniger gute lautet: Fast die Hälfte der Deutschen äußert sich skeptisch über die derzeitige Funktionstüchtigkeit der Demokratie. So die jüngsten Ergebnisse einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen unter 2.000 Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Das aktuelle Stimmungsbild deckt sich in etwa mit dem von Otfried Höffe.
Im Unterschied zu den Befragten hat sich der kritische Politikphilosoph aus Tübingen diese Meinung intellektuell hart erarbeitet. Er kann mit scharfsinnigen Argumenten belegen, worin sich die Volksherrschaft gegenüber allen anderen Staatsformen auszeichnet und wo ihre strukturellen Defizite liegen. Vor allem aber zeigt er, welche Bedingungen herrschen und welche Strategien angewandt werden müssen, um das Überleben der Demokratie auch in Zukunft zu sichern. Das ist nicht wenig, wenn man sich das populistische Politikbashing eines Gabor Steingart oder Axel Brüggemann betrachtet (siehe Rezensionen unten).
Freilich verlangen Höffes theorieschwere Exkurse den Lesern ein gehöriges Quantum an Denkvermögen, Konzentration und Offenheit ab. Mit seinem erhellenden Beitrag zur Demokratiedebatte bedient er den nachdenklichen Bürger, aber auch zur Ein- und Umsicht bereite Politiker. All jene aber, die sich hinter ihren Vorurteilen verbarrikadieren und aus dieser Deckung ihre Schimpfkanonaden abfeuern, werden wohl kein Verständnis für seine abgewogenen Beobachtungen und Analysen aufbringen. Dabei ist der nüchterne Blick auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Demokratie heute nötiger denn je, soll sie derzeitige, aber auch künftige Krisen überstehen.
Eilig geschnürte Milliardenpakete und ad hoc aufgelegte Abwrackprämien vermögen die momentane Notlage, wenn überhaupt, nur kurzfristig zu lindern. Ob solche Maßnahmen den Fortbestand der Demokratie sichern, ist fraglich. Denn wer ein drohendes Übel erst erkennt, wenn es sich deutlich zeigt, ist ein schlechter Staatsmann, zitiert Höffe aus Machiavellis "Il Principe" (Der Fürst). Auch 500 Jahre nach Erscheinen des Werks sind politische Klugheitslehren vonnöten, die über den Tag hinausweisen. Höffes Studie kann als eine solche gelten. Sie analysiert und steckt die Rahmenbedingungen, die Strategien sowie die Aufgaben einer zukunftsfähigen Demokratie ab.
"Zukunftsfähigkeit" bedeutet für den Philosophieprofessor "die Fähigkeit eines Gemeinwesens sowohl anstehende als auch neu aufkommende Probleme unter Berücksichtigung der Handlungsspielräume nachhaltig zu lösen". Voraussetzung dafür ist die unbedingte Ausrichtung des Gemeinwesens auf das "Gemeinwohl", das von Bürgern wie Politikern nicht weniger als "Rechtssinn", "Gerechtigkeitssinn", "Zivilcourage", "Urteilskraft" und "Gemeinsinn" fordert. All dies sollte in einer modernen aufgeklärt liberalen Demokratie kein Thema sein, legitimiert und stabilisiert sie sich doch gerade dadurch, wenn sie jedem Einzelnen und der Gesamtheit zugute kommt. Dabei muss sie freilich auch "vorpolitischen und vordemokratischen Mächten" wie der Religion oder der Familie einen eigenen Entfaltungsspielraum gewähren, aber auch ihr Potenzial zur Wertevermittlung nutzen. Höffe weiß allerdings genau, dass diese Rahmenbedingungen in den heutigen Demokratien unterschiedlich stark ausgeprägt sind und ständig ausgehöhlt werden.
Noch wichtiger indes ist, dass sich die Herrschenden bewusst werden, in welchem Umfang, auf welche Art und in welcher Richtung sie die Demokratie zukunftsfähig halten. Dass der Mensch nicht nur dazu ermächtigt, sondern Kraft seiner Vernunft sogar zu vorausschauendem Handeln befähigt und verpflichtet ist, steht für ihn außer Frage. Seine Weisheit und die Muster für die "Strategien der Zukunft" entdeckt er dabei erstaunlicherweise im biblischen Schöpfungsbericht, in der Geschichte Noahs und der Propheten. Auch wenn die Übertragung dieser religiösen Lehren auf die moderne Welt auf theoretischer Ebene konstruiert erscheint, überzeugen doch die Lehren aus den ausgewählten Fallstudien auf praktischer Seite.
An den Feuerbrünsten, die im Sommer 2007 Griechenland heimgesucht haben, oder am weltweiten Klimawandel kann Höffe ganz konkret zeigen, wie eine zukunftsfähige Politik etwa Naturkatastrophen vermeiden oder mit ihren Folgen besse umgehen kann. Im Falle Griechenlands fehlte nicht die Erfahrung mit den Waldbränden, sondern die Bereitschaft, etwa schwerer entzündliche Bäume zu pflanzen und feuerresistente Brandschneisen anzulegen. Auch der Brandstiftung zwecks Erschließung neuen Baulands hätte die Regierung entgegenwirken können, wenn sie die Wiederaufforstung der Waldflächen rigoros verlangen würde.
Auch die Weltgemeinschaft versäumt es trotz besseren Wissens, den Klimaschutz ernsthaft voranzutreiben. Unabhängig davon, ob der Mensch den Klimawandel verursacht hat, muss sie die Erderwärmung bremsen, um ihre Zukunft zu sichern. So einfach und klar stellen sich natürlich nicht alle politischen Probleme dar. Deren globale Lösung schon gar nicht. Weshalb er für eine Weltrechtsordnung plädiert, die mit ihren universalen und flexiblen Rechtsprinzipien erfolgversprechend klingt, aber dennoch schwer durchzusetzen sein wird.
Höffe weiß, dass die Politik zukünftige Entwicklungen weder genau berechnen und steuern kann. Während das Bevölkerungswachstum und seine Folgen relativ klar prognostizierbar sind und langfristige Maßnahmen getroffen werden können, sieht es beim Nutzen und den Konsequenzen der Gentechnik schon ganz anders aus. Auch über die Zielkonflikte, die zwischen der Energie- und der Umweltpolitik, aber auch auf vielen anderen Politikfeldern existieren, macht er sich keine Illusionen. Der hervorragende Kant-Kenner appelliert an die Vernunft der Weltbürger und mahnt, dass "einseitig interessenorientierte als auch moralische Forderungen, ohne einen Blick auf die komplexe Realität" weder Konflikte noch Probleme löst. Vielmehr müssen alle Probleme offen, ehrlich und vor allem mit wissenschaftlichem Sachverstand diskutiert und alle denkbaren Lösungen auf ihre Chancen und Risiken hin abgeklopft werden. Frei von Panikmache oder Sorglosigkeit, sondern mit Augenmaß, Klugheit und Besonnenheit.
Auch wenn diese hehren Tugenden und Methoden von der Politik, der Wirtschaft oder den Medien eher selten gepflegt werden, so sind sie in der Demokratie noch am ehesten aktivierbar, schließt Otfried Höffe überzeugend. Insofern fällt die Antwort auf seine im Buchtitel gestellte Eingangsfrage eher positiv als negativ aus. Letztlich steht und fällt die Zukunftsfähigkeit der Demokratie aber mit der Einsicht in notwendige, auch schmerzhafte Veränderungen. Höffes Essay lässt uns diese Erkenntnis machen und akzeptieren.
Ist die Demokratie zukunftsfähig?
Verlag C.H. Beck, München 2009; 334 S., 14,95 ¤