EUROPA
EU-Gipfel beschließt Garantien für Irland und spricht sich für Wiederwahl Barrosos aus
Ein EU-Kommissionspräsident muss als Chef der mächtigsten Behörde Europas viele Briefe schreiben. Vor einer Woche verfasste José Manuel Barroso jedoch ein Schreiben in eigener Sache: In einem offenen "Brief an den Europäischen Rat" wandte er sich an die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten, obwohl er doch mit allen ein paar Tage später auf dem EU-Gipfel in Brüssel persönlich zu Abend essen konnte.
Auf knapp einer Seite präzisierte der EU-Kommissionspräsident darin die wichtigsten Punkte des EU-Gipfels und erinnerte so ganz nebenbei auch noch daran, dass dort am 18. und 19. Juni der "Prozess für die Nominierung des Präsidenten der Europäischen Kommission" anstehe.
Seine Mühe scheint sich gelohnt zu haben - in doppelter Hinsicht. Zum einen aus europapolitischer Sicht: Denn die 27 Staats- und Regierungschefs ebneten mit weitreichenden Garantien den Weg für ein zweites Referendum in Irland. Es soll voraussichtlich Anfang Oktober stattfinden. Die Iren hatten vor einem Jahr gegen den EU-Reformvertrag gestimmt. Ihnen wurde zugestanden, dass zukünftig weder in die irische Steuerpolitik eingegriffen noch das strenge Abtreibungsrecht angetastet werden kann. Auch die militärische Neutraliät der grünen Insel soll in den Verträgen festgeschrieben werden. Damit der EU-Vertrag nicht erneut aufgeschnürt werden muss, soll en die Änderungen in Form eines Protokolls festgehalten werden. Dieses soll mit dem nächsten EU-Beitrittsvertrag - vermutliche dem von Kroatien - für rechtsverbindlich erklärt werden.
Und auch andere Vorhaben, die Barroso in seinem Brief angekündigt hatte, wurden umgesetzt: So einigte sich der Gipfel sich auf eine Neuordnung der EU-Finanzaufsicht sowie gemeinsame Eckpunkte für die Klimaverhandlungen im Dezember 2009 in Kopenhagen.
Zu diesem Zeitpunkt möchte Barroso schon längst als EU-Kommissionspräsident wiedergewählt sein. Das wollen offensichtlich auch die Staats- und Regierungschefs - und zwar so schnell wie möglich. "Wir brauchen Führung für Europa", sagte Schwedens Regierungschef Fredrik Reinfeldt, der ab 1. Juli Europas neuer Ratspräsident sein wird. Er und seine Kollegen sprachen Barroso daher am 18. Juni einstimmig ihre Unterstützung aus. Um das Europäische Parlament nicht zu verärgern, wurde auf eine offizielle Nominierung Barrosos jedoch verzichtet. Läuft alles nach Plan, dann könnte das neugewählte Europäische Parlament dann Mitte Juli - kurz nach seiner Konstituierung - seiner Wiederwahl zustimmen.
Im Vorfeld des Gipfels regte sich dagegen aber Kritik - sowohl am Verfahren als auch an der Personalie Barrosos. Diskutiert wird darüber, ob der neue EU-Kommissionspräsident auf der Grundlage des noch geltenden Vertrages von Nizza oder erst später nach den Regularien des Vertrages von Lissabon bestellt werden soll. Zwar räumt der Reformvertag dem Parlament mehr Rechte ein, kann aber frühestens im Herbst in Kraft treten. Die Geister scheiden sich aber auch an der Person Barrosos. Während die Europäische Volkspartei (EVP) und andere konservative Parteien im Parlament den Portugiesen gerne weiter an der Spitze der Kommission sehen wollen, sprachen sich eine Reihe von Sozialdemokraten und Grünen gegen eine zweite Amtszeit des 53-Jährigen aus.
Auch während der Regierungserklärung und der Bundestagsdebatte am 18. Juni vor Beginn des EU-Gipfels erhitzten sich die Gemüter an der Personalfrage. "Die Bundesregierung unterstützt einmütig Herrn Barroso", erklärte Michael Stübgen (CDU/CSU). Das Europäische Parlament müsse allerdings genug Zeit gegeben werden, um sich mit den Plänen Barrosos auseinanderzusetzen. Einen Tag zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die in der Debatte nicht das Wort ergriff, im Europaausschuss erklärt, dass auf dem Gipfel ein politisches Votum für eine zweite Amtszeit Barrosos abgegeben werden solle. Grüne und die SPD sprachen sich dagegen aus. "Ja, die SPD-Bundestagsfraktion lehnt diesen Vorschlag ab" sagte Michael Roth auf beharrliche Nachfragen von Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) und Guido Westerwelle (FDP). Zur Begründung sagte Roth, die Spitze der Kommission brauche eine "kraftvolle Person". Trittin erklärte, er halte Barroso für "ungeeignet". So hätte er im Klimaschutz selbst bescheidenste Fortschritte blockiert. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sparte die Personalfrage in seiner Regierungserklärung aus - zum Ärger von Westerwelle: "Sie verhandeln längst und äußern sich dazu öffentlich, aber das Parlament soll dazu nichts erfahren", kritisierte er. Doch den deutschen Außenminister beschäftigten in seiner Rede andere Themen. Er ging dabei vor allem auf die Wirtschaft- und Finanzkrise ein. "Wir haben gesehen und gelernt: Markt braucht Regeln. Wir brauchen eine internationale Finanzregelung ohne Grauzonen und schwarze Löcher." Die EU-weiten Aufsichtsmöglichkeiten müssten dazu harmonisiert werden in Ergänzung zu nationalen Strukturen. Als Reaktion auf die niedrige Wahlbeteiligung bei den Europawahlen am 7. Juni müsse Europa noch mehr Überzeugungsarbeit leisten: "Wir müssen jeden Tag nachweisen, dass Europa bessere Antworten bereithält als die Nationalstaaten", sagte er. Für das schlechte Ansehen Europas macht Die Linke auch den Lissabon-Vertrag verantwortlich, den sie im Gegensatz zu allen anderen Parteien ablehnt. Denn der Vertrag, argumentierte Gregor Gysi, sei "noch mit dem ganzen neoliberalen Zeitgeist abgeschlossen worden".