FINANZEN
Das Bürgerentlastungsgesetz enthält Wohltaten für alle und soll Konjunktur zum Blühen bringen
Kurz vor Ende der Legislaturperiode lässt der Bundestag Bürgern und Unternehmen noch einmal Milliarden zukommen, die wie Dünger wirken und die Konjunktur zum Blühen bringen sollen. 13 Milliarden Euro würden vom nächsten Jahr an Bürger und Unternehmer ausgeschüttet, freute sich der Vorsitzende des Finanzausschusses, Eduard Oswald (CSU), am 19. Juni in der Debatte über das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung ( 16/12254, 16/12674, 16/13429). Das seien "sinnvolle und nötige Investitionen in unsere Zukunft", betonte der CSU-Politiker.
Rund zehn Milliarden Euro der Entlastungssumme werden den Krankenversicherten zugute kommen, die ihre Beiträge erstmals vollständig als Sonderausgaben von den Steuern abziehen können. Die übrigen Entlastungen betreffen Gegenfinanzierungsmaßnahmen der Unternehmensteuerreform wie die Zinsschranke oder die Umsatzbesteuerung, die befristet reduziert werden.
Gabriele Frechen (SPD) wies darauf hin, dass auch Beiträge zur Unfall- und Haftpflichtversicherung abzugsfähig bleiben würden, was zunächst nicht vorgesehen gewesen sei. Jetzt habe man die Abzugsfähigkeit im Vergleich zur heutigen Rechtslage sogar verbessert. Dass bedürftige Familien einen Zuschuss (100 Euro) zum Schulbedarf ihrer Kinder künftig bis zur 13. statt heute 10. Klasse erhalten, sei ein "weiterer Beitrag zur Familienfreundlichkeit unserer Politik".
Von einer der größten Steuerentlastungen in der Geschichte sprach Finanzminister Peer Steinbrück (SPD). Angesichts der Rekord-Neuverschuldung des Bundes von 90 Milliarden Euro im nächsten Jahr gebe es aber in der neuen Legislaturperiode keinen Spielraum für Steuersenkungen, egal wer die Regierung bilden werde. Zu den zumeist auf zwei Jahre befristeten Unternehmensentlastungen sagte der Minister, es gehe nicht um eine dauerhafte strukturelle Entlastung. Die nach wie vor richtige Gegenfinanzierung der Unternehmensteuerreform könne nicht mit dem argumentativen Rückenwind der Konjunkturlage zurückgedreht werden. "Dafür besteht weder eine sachliche Notwendigkeit noch verkraftet es die Einnahmebasis der öffentlichen Haushalte."
Für die Opposition wunderte sich Carl-Ludwig Thiele (FDP), dass sich die Koalition für die Entlastung selbst lobe. Dabei sei es das Bundesverfassungsgericht gewesen, das die Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge vorgeschrieben habe. Die Entlastung sei kein Gnadenakt und kein gewollter Beitrag der Koalition zur Konjunkturbelebung, sondern eine vom Bundesverfassungsgericht geforderte Entlastung, die die FDP schon seit langem in ihrem Steuerkonzept stehen habe. Zur Befristung der Unternehmensentlastung sagte Thiele, es sei "Unfug", den Unternehmen mit Ablauf der Vergünstigung wieder Liquidität zu entziehen.
Barbara Höll (Linksfraktion) kritisierte, dass Besserverdienende wieder einmal die großen Gewinner der Reform seien. Obere Einkommensgruppen würden stark, mittlere Einkommen würden mittel und untere Einkommen nur niedrig entlastet. Die Abgeordnete verlangte eine Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze, die die Höhe der Kassenbeiträge begrenzt: "Warum sollte nicht auch ein Herr Ackermann auf sein gesamtes Einkommen pro Monat einen ordentlichen Beitrag für seine Krankenversicherung bezahlen?"
Der Bundestag stimmte dem Gesetzentwurf mit Stimmen der Koalitionsfraktionen Union und SPD zu. Grüne und FDP-Fraktion lehnten ab, die Linksfraktion enthielt sich. Keine Mehrheiten fanden Änderungsanträge der Linksfraktion (16/134/77, 16/13478) sowie Entschließungsanträge von Linksfraktion ( 16/13482) und FDP-Fraktion ( 16/13479). Für den FDP-Gesetzentwurf zur Korrektur der Unternehmensteuerreform ( 16/12525) stimmten nur die Liberalen selbst, alle anderen Fraktionen lehnten ab.
Auf Drängen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD hatte der Finanzausschuss am 17. Juni weitere Änderungen an der "Sanierungsklausel" für Unternehmen (Paragraf 8c Körperschaftsteuergesetz) beschlossen. Damit sollen Unternehmen für zwei Jahre befristet bei der Übernahme eines anderen Unternehmens dessen Verlustvorträge steuerlich besser nutzen können. Der geänderte Gesetzentwurf sieht vor, dass der Unternehmenserwerb zum Zwecke der Sanierung erfolgt sein muss, wenn dessen Verlustvorträge steuerlich genutzt werden sollen. Voraussetzung ist, dass auch fünf Jahre nach dem Erwerb die Lohnsumme einen Wert von 80 Prozent der ursprünglichen Lohnsumme nicht unterschreitet. Wenn die Arbeitnehmervertreter einem Arbeitsplatzabbau zustimmen, kann dieser Wert aber auch unterschritten werden.
Ein weiteres Kriterium ist die Zuführung von neuem Betriebsvermögen (mindestens 25 Prozent) in die zu übernehmende Firma. Die Bundesregierung wies in der Sitzung darauf hin, dass für die Nutzung des Verlustvortrages nur eines der beiden Kriterien (Arbeitsplätze oder Betriebsvermögen) erfüllt sein müsse.
Die Bundesregierung hatte im Ausschuss bestätigt, dass der Änderungsbedarf im Verlauf der Diskussion über Sanierungsfälle, zu denen auch, aber nicht nur der Autobauer Opel gehöre, erkannt worden sei. Die Maßnahme sei aber keineswegs nur auf ein Unternehmen bezogen, was auch an den durch die Änderung erwarteten jährlichen Steuermindereinnahmen von 300 Millionen Euro deutlich werde. Dagegen sprach die Grünen Finanzexpertin Christine Scheel von einem Spezialregelung für den Autobauer und forderte: "Wir brauchen keine Lex Opel im Steuerrecht."