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23. Januar 2012

Projektgruppe diskutiert Partizipationsmöglichkeiten im Internet

Welche Möglichkeiten für mehr politische Partizipation bietet das Netz? Darüber diskutierte die Projektgruppe Demokratie und Staat in ihrer Sitzung am 23. Januar. Außerdem standen Textarbeit und die Vorbereitung eines Expertengesprächs auf der Tagesordnung.

Mehrere Impulsreferate durch Projektgruppenmitglieder bildeten die Einleitung zur Diskussion über das Potential des Internets für politische Beteiligungsmöglichkeiten. Einleitend ging es um die zunehmende Entfremdung der Bürger – gerade jüngerer Menschen – von der Politik. Die Parteien seien der entscheidende Filter in der politischen Kommunikation. Die Partizipationsmöglichkeiten für einzelne Bürgerinnen und Bürger gestalte sich zur Zeit aber schwierig und kompliziert. Der politische Betrieb, der sich ständig im Dauerwahlkampf zu befinden scheine, werde undurchschaubar für die Wähler, was sich auch in einer weiter abnehmenden Wahlbeteiligung äußere. Durch die hieraus resultierende verringerte Legitimation relativiere sich auch die Umsetzung des Wählerwillens auf der Grundlage der Wahlentscheidung.

Chancen durch das Internet

Immer häufiger entstünden Koalitionen aus eigentlich konkurrierenden Parteien. Viele Menschen verstünden daher nicht, was politische Entscheidungen mit ihrer Wahlentscheidung zu tun hätten. Das Internet biete hier auf drei Ebenen Chancen: Zunächst auf der Ebene der Informationsvermittlung, dann bezüglich des politischen Diskurses. Auf Entscheidungsebene schließlich, so der Referierende, könne es sinnvoll sein, zu punktuellen Themen Plebiszite durchzuführen. Offen sei die Frage, wie man zu diesen Themen komme. Die Projektgruppe selbst mache mit der Beteiligungsplattform entsprechende Versuche. Transparenz und Partizipation hätten sich hier als die richtigen Ansätze erwiesen. Bezogen auf politische Entscheidungen sei die repräsentative Demokratie trotz aller Politikverdrossenheit das beste unter allen nicht perfekten politischen Systemen. Zusätzliche Partizipationsmöglichkeiten, gerade über das Internet, könnten zu mehr Legitimation führen.

Bekenntnis  zur parlamentarischen Demokratie

In einem weiteren Referat berichtete ein Projektgruppenmitglied von der Studie Bürger Online. Diese Forsa-Studie habe zunächst zwei Ergebnisse gebracht. Erstens schwinde die Legitimationsbasis für Regierungen massiv: Einige Landesregierungen in Deutschland seien nur durch etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung legitimiert. Andererseits habe die Studie gezeigt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger weiterhin für die parlamentarische Demokratie aussprechen. Die geringe Wahlbeteiligung werde also nicht als Zeichen für Demokratiemüdigkeit oder eine schwindende Identifikation mit der Staatsform gewertet. Trotzdem werde die geringer werdende Legitimation für die Regierungen zu einem Problem, weshalb die sich die Frage stelle, wie man die Menschen dazu bringen könne, sich politisch mehr zu engagieren.

Wissensdefizit zu Nichtwählern

Deshalb sei mit der Studie untersucht worden, inwieweit das Internet hier neue Möglichkeiten schaffe. Das Internet, so ein Ergebnis der Studie, sei in der politischen Kommunikation angekommen, hier seien online neue stabile Strukturen entstanden. Die nutzten allerdings vor allem Gruppen, die sich bereits früher für Politik interessiert haben und klassische Instrumente der Kommunikation genutzt haben. Zur Verbreiterung der Bereitschaft zur Beteiligung hätten die neuen Möglichkeiten bisher so gut wie nichts beigetragen. Gerade zum Thema der Nichtwähler, das für die Projektgruppe aber ein wichtiger Aspekt sei, gebe es zudem ein Wissensdefizit.

Wenige Beiträge, dafür mit hoher Qualität

Differenzierter müsse auch über Voraussetzungen für Partizipation gesprochen werden: Wie können Bürgerinnen und Bürger stärker in den Prozess der Wissensgenerierung für politische Entscheidungen einbezogen werden? Dabei müssten die Phasen vor der eigentlichen Entscheidung in den Blick genommen werden. Die Studie habe außerdem gezeigt, dass sich bei Konsultationen oft verhältnismäßig wenige Personen tatsächlich beteiligt hätten, die Qualität des Inputs aber häufig relativ hoch sei. Insofern decken sich die Ergebnisse der Studie mit den Erfahrungen, die die Enquete-Kommission mit der Beteiligungsplattform Adhocracy macht. Wenn eine qualitative Verbesserung erreicht werden soll, könne dies auch durch sehr wenige Anregungen erreicht werden.

Anstrengende Demokratie

Ein Projektgruppenmitglied beschrieb, dass Partizipation und Transparenz auch negative Folgen auf Akzeptanz haben könne. Durch transparente Prozesse bekämen die Bürger heute jeden internen Streit mit. Das führe dazu, dass  politische Entscheidungen anstrengender zu verfolgen seien. Heute bekämen die Bürger den gesamten Diskurs und nicht nur das Ergebnis politischer Diskussion mit Entscheidungsoptionen mit. "Viele Bürger stört das, weil es ihnen zu kompliziert ist", sagte ein Projektgruppenmitglied. Einen Diskurs zu einem bestimmten Thema von Anfang bis Ende nachzuvollziehen, das wolle und könne nur ein kleiner Prozentsatz. Viele Bürger nähmen hier ein vermeintliches Chaos im Diskurs wahr, das es aber schon immer gab – nur jetzt sei es transparent. Deshalb prallten gegensätzliche Ansprüche auf die Entscheidungsträger. Die spannende Frage sei nun, wie man es einerseits schaffe, eine Akzeptanz für neue Offenheit und gleichzeitig für das vermeintliche Chaos im Diskurs zu schaffen. Das Internet allein reiche nicht, um Politikverdrossenheit zu bekämpfen. Die Herausforderung sei es, den Bürgern diesen Zusammenhang zu vermitteln.

Die Rolle des Staates zur Ausgestaltung von Beteiligungsmöglichkeiten

In der anschließenden Textarbeit befasste sich die Projektgruppe noch einmal mit dem Textentwurf zu Punkt 1.3 des Arbeitsprogramms, "Formen einer digital vernetzten Demokratie". Vor Abschluss des Textes gilt es, noch einzelne Punkte zu klären. Offen blieb insbesondere noch das Kapitel 1.3.4 "Anforderungen an die Gestaltung digitaler politischer Partizipation". Einige Formulierungen, etwa über die Rolle des Staates zur Ausgestaltung von Beteiligungsmöglichkeiten, gehörten eher zu den Handlungsempfehlungen als in die Bestandsaufnahme, argumentierten mehrere Projektgruppenmitglieder. Zu diesem Punkt erzielte die Projektgruppe in der verbleibenden Zeit keine Einigung, weshalb sich die Referenten der Fraktionen noch einmal mit ihnen befassen werden. Die Projektgruppe ruft sie in ihrer nächsten Sitzung erneut auf. Dann steht auch Arbeit an den anderen, noch abzustimmenden Texten auf der Tagesordnung.
Die nächste Sitzung der Projektgruppe findet am 27. Februar 2012 statt.

Gespräch zum Strukturwandel der politischen Kommunikation und Partizipation

Die Projektgruppe beriet außerdem über die Möglichkeit einer Sachverständigenanhörung. Die Mitglieder kamen überein, ein solches Expertengespräch nach Möglichkeit im Rahmen einer ordentlichen Enquete-Sitzung stattfinden zu lassen. Terminlich biete sich Ende Februar 2012 an. Thema des Gesprächs soll der Strukturwandel der politischen Kommunikation und Partizipation sein.




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Stand: 23.01.2012