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Den Andachtsraum im Bundestag sollen Angehörige aller Konfessionen zur Andacht und Meditation nutzen können. © DBT/Werner Huthmacher
Günther Uecker hat mit dem Andachtsraum die umfassendste künstlerische Gestaltung im Reichstagsgebäude vorgenommen. Ihm ist es gelungen, auf der Grundlage theologischer Überlieferungen mit sparsamen bildnerischen und architektonischen Ausdrucksmitteln einen Raum zu gestalten, der zu Meditation und innerer Einkehr anregt. Durch den Einbau einer zum Innenraum hin offenen Zwischenwand vor den seitlichen Fenstern führt Uecker das Licht indirekt in den Raum, der auf diese Weise - im Kontrast zu der lichtdurchfluteten Architektur Fosters - die mystische Aura einer frühmittelalterlichen Krypta gewinnt. Eine Kante im Boden zeigt die Ostrichtung an und ermöglicht dem Betrachter, im rechten Winkel zu ihr in Richtung Jerusalem und Mekka zu blicken. So wird der Andachtsraum in ein geistiges Koordinatensystem mit bedeutenden Weltreligionen eingebunden. Er ist als interkonfessioneller Andachtsraum konzipiert, der sich dem Dialog mit anderen Religionen öffnet. In einer beleuchteten Wandvitrine im Vorraum finden liturgische Gegenstände der einzelnen Religionen Platz.
Der zurückhaltend ausgestaltete Raum erhält seine Akzentuierung durch kraftvolle skulpturale Elemente wie den Altar aus sandgestrahltem Granit, durch eigens entworfene Stühle und Bänke sowie durch sieben hohe Holzbildtafeln, die in leichter Schräge an die Wände gelehnt sind. Die Tafeln sind nicht befestigt, so als ob sie jederzeit wieder entfernt und auf eine Reise mitgenommen werden könnten. So führen sie sinnfällig die Unbehaustheit des Menschen auf Erden vor Augen. Auf diesen Tafeln hat Günther Uecker mit Nägeln, Farbe, Sand, Asche und Steinen bildnerische Gestaltungen entstehen lassen, in denen elementare menschliche Seinserfahrung thematisiert und zu eindrucksvollen suggestiven Bildern verdichtet wird. Die beeindruckende Gestaltung des Kreuzmotivs auf den Tafeln an der Stirnwand beschwört durch Hunderte von Nägeln, die die collagierte Kreuzform durchbohren, die Schmerzen, die Christus durch die Verletzung seines Liebesgebots zugefügt werden. Doch zugleich lässt der Künstler die Nägel wie eine Wolke nach oben hin aufsteigen, sich vom Kreuz lösen, und leitet damit zum Thema der Auferstehungstafel über, auf der alles Irdische in weißfarbenen und nach außen drängenden dynamisch- bewegten Nagelstrukturen überwunden scheint.
Günther Uecker studierte an den Kunstakademien in Berlin und Düsseldorf. Er schloss sich Anfang der 1960er- Jahre der Gruppe "Zero" an und gestaltete mit seinem kompositorischen Hauptelement, weiß übermalten Nägeln, strenge Ordnungen auf Brettern oder rotierenden Scheiben. Auf diese Weise gelangte er sowohl zu seriellen Strukturen als auch zu optisch-kinetischen Effekten mit einem differenzierten Licht-Schatten-Spiel. Zunehmend setzt er sich in seinen Arbeiten, Installationen und Aktionen mit der existentiellen Bedrohung des Menschen in der Moderne auseinander und ruft zur Bewahrung des Humanen auf.
geboren 1930 in Wendorf / Mecklenburg, lebt und arbeitet in Düsseldorf und Berlin.
Text: Andreas Kaernbach
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages