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Feeling Material XXIX © Stephen White
Kunst-Raum im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
Zugang über die Spree-Uferpromenade
Schiffbauerdamm, 10117 Berlin
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag von 11.00 bis 17.00 Uhr
Während der gesamten Laufzeit der Ausstellung bietet der Besucherdienst des Deutschen Bundestags jeden Freitag und Sonntag Themenführungen zur Ausstellung und zur (sonst nicht zugänglichen) Installation "Steht und Fällt" (2001) im Jakob-Kaiser-Haus an (Anmeldeinfos). Außerdem werden im Kunstraum durchgehend Filme über Werk und Arbeitsweise des Künstlers gezeigt.
"FEELING MATERIAL" ist eine Ausstellung zum zeitgenössischen Werk des britischen Bildhauers Antony Gormley im Kunst-Raum des Deutschen Bundestags. Sie wird zeitgleich mit der Ausstellung der Bernhard-Heiliger-Stiftung" BODIES IN SPACE" im Georg-Kolbe-Museum ausgerichtet. Die Eröffnung fand am 15. September 2007 direkt nach der Verleihung des Bernhard-Heiliger-Preises für Skulptur 2007 im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus in Anwesenheit des Künstlers statt. Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, begrüßte die Gäste. Dr. Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages, hielt die Laudatio.
Der Deutsche Bundestag verdankt dem britischen Bildhauer Antony Gormley eines seiner bemerkenswertesten Kunst-am-Bau-Projekte: die Installation "Steht und Fällt" aus dem Jahre 2001. Im Jakob-Kaiser- Haus, dem Haus der Abgeordnetenbüros, hat Gormley einen Innenhof vollständig geflutet. Nur ein Steg führt noch über das Wasser in den Hof hinein. Im Wasser spiegeln sich fünf Skulpturen, die senkrecht zu den Wänden des Hofes angebracht sind und diese hinaufzulaufen scheinen.
Erst durch diese Installation gewinnt der Innenhof ein ganz eigentümliches Leben: Ohne die Skulpturen und ihre Spiegelbilder wäre er ein durch geometrische Architekturelemente umschriebener, abstrakter Raum. Nun verleihen ihm die Skulpturen als Bezugsgrößen menschliches Maß. Ein sonst unbelebter Raum wird für den Betrachter sinnlich und geistig erfahrbar durch die Irritation, die die senkrecht zur Wand in den Hof ragenden Skulpturen auslösen. Die Figuren sind Abgüsse vom Körper des Künstlers, in Gußeisen ausgeführt. Die Fertigungsspuren sind gut zu erkennen: die Gußnähte, -grate und -kanäle. Die Figuren haben eine rostige Patina angesetzt und beziehen auch auf diese Weise eine trotzige Gegenposition zur glatten Perfektion der Architektur, oder in Worten Gormleys aus einem Interview von 1994: "... what I love most is when there is a sense of an architectural structure which has within it notions of opposition." So spiegelt diese Installation das ästhetische und soziale Anliegen des Künstlers, die Menschen durch seine Skulpturen wieder eine körperlich-räumliche Beziehung zu ihrer Umwelt gewinnen zu lassen, in der sie sich selbst oft als fremd empfinden.
Der britische Bildhauer gehört zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart. Bekannt wurde Gormley 1994, als er den Turner-Preis der Tate Gallery für eine Serie von Installationen mit dem Titel "Field" erhielt: In weltweiten Ausstellungen hatte er mit zahlreichen Mitarbeitern, die er vor Ort engagierte, kleine Tonfiguren gefertigt, die die gesamte Ausstellungsfläche belegten. Der Betrachter konnte den Ausstellungsraum nicht betreten, sah sich aber von hunderten oder tausenden Augenpaaren der Skulpturen fixiert, von Figuren, die einander ähnlich und doch individuell waren und die das Ergebnis eines kollektiven Schaffensprozesses bildeten.
Ähnliches Aufsehen erregten die 20 Meter hohe Skulptur "Angel of the North" (1998) mit einer Flügelspannweite von 54 Metern, die weithin sichtbar die Landschaft bei Gateshead im Nordosten Englands zu umfassen scheint, oder die ein Jahr später fertiggestellte 30 Meter hohe Skulptur "Quantum Cloud" in der Nähe des Millennium Domes am Ufer der Themse. So sind seine Gestaltungen einem ständigen Wechsel unterworfen, stellen jedoch immer wieder den menschlichen Körper als Medium zur Raum- und Welterfahrung in den Mittelpunkt, integrieren ihn in ein Koordinatensystem sozialer und ästhetischer Beziehungen.
Diese Grundidee des Künstlers lassen die aktuellen Skulpturen in fragiler Schönheit auf neue Weise Bild werden. Gormleys Körper ist nur noch als Leerform in der Mitte der Skulptur zu erahnen, gleichsam eine entmaterialisierte Gloriole, deren Strahlen sich in den Raum hinein entwickeln als fein ziselierte Zeichnung im Raum. Diesen Skulpturen ist nicht ein bestimmter Blickwinkel eigen. Jede Veränderung seines Standortes erschließt dem Betrachter neue Perspektiven auf ein Gebilde, das ein Paradoxon schlechthin ist: sowohl Zeichnung als auch Skulptur, leeren Raum umschließend und doch wieder Raum greifend, zerbrechlich und zugleich voller Energie, scheinbar fest und doch geradezu kinetisch, Skulptur zwar, aus Metall gefertigt, und doch wie ein organisches Gebilde wuchernd.
"Feeling Material", die Skulptur, die der Ausstellung den Namen gegeben hat, löst den Körper geradezu in Energieschwingungen konzentrischer Kreise auf und erinnert an Oskar Schlemmers Bauhaus- Figurinen und das vibrierende Lebensgefühl der zwanziger Jahre. Die hierzu gezeigten Zeichnungen variieren das Spiel zwischen Drei- und Zweidimensionalität, in das durch den Schwung der Bewegungen auch noch die Zeit gewissermaßen als vierte Dimension einfließt und den Zeichnungen und Skulpturen Ereignischarakter verleiht.
So bieten die aktuelle Ausstellung im Deutschen Bundestag anläßlich der Verleihung des Bernhard-Heiliger-Preises für Skulptur an den Künstler durch die Bernhard-Heiliger-Stiftung sowie die parallele Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum einen Blick auf den derzeit bedeutendsten britischen Bildhauer und die Entwicklung seiner Arbeit. Sie zeigt, dass Antony Gormley in seinen Skulpturen das Phänomen des menschlichen Körpers nicht nur variiert, sondern mit seiner Gestaltung einen gänzlich neuen Blick auf Raum und Körper eröffnet und ein neues Empfinden für die Beziehungen des Menschen zur Umwelt, zu Raum und Zeit vermittelt.
Text: Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages