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Im Bundestag herrscht Einigkeit über die Notwendigkeit einer Neuregelung der elterlichen Sorge bei nicht verheirateten Eltern und darüber, dass das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen muss. Doch sehr unterschiedliche Ansichten vertraten die Fraktionen am Donnerstag, 26. April 2012, im Plenum darüber, wie ein neues Gesetz ausgestaltet werden sollte. Anlass der Debatte waren je ein Antrag von der SPD (17/8601) und der Linksfraktion (17/9402).
Die Linksfraktion forderte, die "bisher bestehenden unterschiedlichen Rechte nicht verheirateter und verheirateter Väter so weit wie möglich anzugleichen". Kritisiert wurde, dass sich die geltenden Regelungen zum Sorgerecht "an der klassischen Ehe" orientieren würden; "Regenbogen- und Patchworkfamilien" seien "nicht vorgesehen".
In der Plenardebatte betonte Jörn Wunderlich (Die Linke), dass es ein "höchst emotionsgeladenes Thema" sei und mancher "vielleicht auch schon persönliche Erfahrungen gemacht" habe. "Der Staat soll sich möglichst wenig einmischen", sagte Wunderlich, zumindest im Normalfall. Beiden Eltern solle deshalb "unabhängig von ihrem eherechtlichen Status mit der Anerkennung der Vaterschaft ein gemeinsames Sorgerecht" übertragen werden, "sofern der Vater die Übernahme der gemeinsamen Sorge erklärt". Dieses gemeinsame Sorgerecht solle auch bei späterer Trennung der Eltern Bestand haben.
Sind sich aber beide Elternteile darüber einig, dass sie kein gemeinsames Sorgerecht ausüben wollen, soll durch eine gemeinsame Willenserklärung der Eltern gegenüber dem Jugendamt die Alleinsorge beantragt werden können. Eine Gerichtsentscheidung, sagte Wunderlich, "sollte Ultima Ratio sein".
Die SPD-Fraktion forderte, dass nicht miteinander verheiratete Eltern bei der standesamtlichen Registrierung ihrer Kinder über die Möglichkeit einer gemeinsamen Sorgeerklärung aufgeklärt werden sollen. Christine Lambrecht (SPD) sagte, dass es bisher "immer nur um das Recht des Vaters oder der Mutter" gegangen sei. "Dabei ist aus dem Blickfeld geraten, dass es einzig darum geht, was das Beste für das Kind ist."
Herrscht zwischen den Eltern kein Einvernehmen, solle das Jugendamt eine Frist setzen dürfen, in der sich die Eltern zur Ausgestaltung des Sorgerechts äußern müssen. Werde die gemeinsame Sorge von beiden Elternteilen gewünscht, sei die gemeinsame Sorgeerklärung vor dem Jugendamt abzugeben. Sind sich die Eltern nicht einig, solle das Jugendamt im Gespräch mit den Eltern auf eine Lösung hinwirken.
Ute Granold (CDU/CSU) erklärte, dass die Koalitionsfraktionen an einem eigenen Antrag arbeiten würden. Dieser Entwurf werde in Kürze vorliegen. Es sei so viel Zeit verstrichen, weil das Thema gut vorbereitet werden müsse, schließlich gehe es um ein "so wichtiges Thema", bei dem es tatsächlich "nur um die Kinder" gehen müsse.
Anschließend skizzierte sie die Eckpunkte des Koalitionsentwurfs: "Der Vater muss die Möglichkeit haben, sowohl zum Gericht als auch zum Jugendamt zu gehen." Die Stellung der Jugendämter derart auszurichten, entspreche nicht der Vorstellung der CDU/CSU. Ein "Automatismus per Geburt" sei auch nicht das Ziel, "aber eine schnelle Regelung, immer unter dem Maßstab, dass das Kindeswohl an oberster Stelle steht", erklärte sie.
Koalitionskollege Stephan Thomae (FDP) kritisierte beide Anträge der Opposition: "Ich denke, wir machen das besser." Wiederholt betonte Thomae, dass es "um das Kindeswohl" gehe und die Regierung deshalb "die Hürden für das gemeinsame Sorgerecht" senken müsse.
Nach dem Entwurf der Koalition soll die Mutter ihre Gründe nennen müssen, die gegen ein väterliches Sorgerecht sprechen; nicht der Vater müsse sich vorab rechtfertigen und um das Sorgerecht bemühen. Mit solch einer Regelung würde "das Recht nach der Lebenswirklichkeit der Menschen in diesem Land" geformt.
"Wenn ich mir die Vorschläge alle ansehe, dann habe ich die Hoffnung, dass wir in dieser Legislaturperiode zu einer guten Lösung kommen", sagte Katja Dörner (Bündnis 90/Die Grünen). In Richtung Koalitionsfraktionen kritisierte sie, dass noch immer kein Gesetzentwurf, sondern erst einen Referentenentwurf vorgelegt wurde. Bereits im August 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung gefordert. Dörner sagte an die Regierungsfraktionen gewandt: "Das sind eineinhalb verlorene Jahre für die betroffenen Familien."
Die Grüne verwies auf einen früheren Antrag "Gemeinsames elterliches Sorgerecht für nicht miteinander verheiratete Eltern" ihrer Fraktion (17/3219), der bereits im Oktober 2010 in den Bundestag eingebracht worden war. Väter, die nicht mit der Mutter des gemeinsamen Kindes verheiratet sind, aber die Vaterschaft anerkannt haben, oder wenn die Vaterschaft gerichtlich festgestellt wurde, sollen danach beim zuständigen Jugendamt einen Antrag auf gemeinsames Sorgerecht stellen können. Falls die Mutter widerspricht, solle das Familiengericht entscheiden.
Die Anträge von SPD und Linksfraktion wurden zur Beratung in den Rechtsausschuss und den mitberatenden Familienausschuss überwiesen. (ver)