Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 13.03.2006
Birgit Svensson

"Mit Ihnen kann man viel Geld machen!"

Das "Geschäft" mit den Geiseln blüht - betroffen sind vor allem Einheimische

Sie sind ja jetzt eine fette Beute im Irak", begrüßt der Vermieter den deutschen Gast in Bagdad und grinst. Auch der Priester der mittlerweile ausgedünnten christlichen Gemeinde in Karrada, am Ostufer des Tigris, weiß von dem hohen Lösegeld, das Deutschland für die Freilassung von Susanne Osthoff gezahlt hat. "Mit Ihnen kann man viel Geld machen", flüstert er beim Verlassen der Kirche nach dem Sonntagsgottesdienst. Und gibt noch einen Ratschlag mit auf den Weg: "Passen Sie auf sich auf, trauen Sie niemandem!" Die Kunde von der Millionenzahlung an die Kidnapper der deutschen Archäologin hat sich im Irak wie ein Lauffeuer verbreitet. Die Zeitungen Bagdads waren voll davon. Dass die Deutschen reich sind, wollen ohnehin viele Iraker wissen. Dass aber gleich mehrere Millionen Dollar für eine Frau bezahlt werden, die vielen hier als dubios erscheint, ist für die meisten unvorstellbar. Es liegt auf der Hand, dass das Geiseldrama um Susanne Osthoff mit der Entführung der beiden deutschen Ingenieure Nachahmer gefunden hat.

Dabei können gerade auch Iraker ein Klagelied über Entführungen singen. Es gibt kaum eine Familie in der Hauptstadt, die nicht selbst betroffen ist oder von einem Kidnappingversuch in der Nachbarschaft berichten kann. Entführungen und Lösegelderpressungen sind zum traurigen Alltag geworden in einem Land, das im gesetzlosen Chaos versinkt und in dem die Brutalität des Überlebenskampfes immer härtere Formen annimmt. Rafaa, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, erzählt, dass sein 15-jähriger Sohn auf dem Schulweg verschleppt wurde. Für seine Freilassung verlangten die Entführer 500.000 Dollar. Der einberufene Familienrat brachte aber nur 15.000 auf, da bereits zwei weitere Familienmitglieder in Geiselhaft waren und nur gegen Lösegeldzahlung freikamen. Schließlich lenkten die Entführer ein und ließen Ra-faas Sohn nach vier Wochen für die angebotene Summe frei. Für den Bruder Walid Gazalas, einen der bekanntesten Chirurgen im Irak, verlangten die Kidnapper 900.000 Dollar Lösegeld. Der Bruder, selbst Arzt - Urologe und einer von drei Nierenspezialisten im Irak, die eine Transplantationslizenz besitzen -, wurde vor einem halben Jahr entführt. Man habe zwar noch verhandeln können, erzählt Walid, doch habe die Zahlung der Summe, die er nicht nennen will, die Familie in den finanziellen Ruin getrieben. Der Bruder - auch er will seinen Namen nicht nennen - hat mit Frau und Kindern in der Zwischenzeit den Irak verlassen, wie auch die beiden anderen Nierenexperten, deren Familienmitglieder bedroht wurden.

So verlassen fast täglich Ärzte, Rechtsanwälte, Professoren, Lehrer und sogar Restaurantbesitzer das Land: Ein Exodus der Elite, wie ihn der Irak Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre schon einmal erlebt hat, als die Baath-Partei und Saddam Hussein ihre Macht zementierten und die Verfolgungen der Gegner und Kritiker begannen. Vorsichtige Schätzungen sprechen von bis zu zwei Millionen Irakern, die ihrem Land seit Beginn des Terrors den Rücken gekehrt haben. Auch Walid Gazala würde am liebsten gehen. Für seine Familie hat er bereits Unterschlupf in Kanada gefunden. "Aber ich kann doch die Menschen hier nicht ganz allein lassen", sagt der Arzt, der eines der 42 privaten Krankenhäuser in Bagdad besitzt, "außerdem ist hier meine Heimat!"

Die Kidnapper rekrutieren sich auch - wird im Irak vermutet - aus der ehemaligen Einheit Saddam Husseins für "Spezialbehandlungen". Ihre Mitglieder folterten, erschossen Gegner oder vermeintliche Gegner des Regimes, schnitten Kehlen durch, trennten Finger und Ohren ab. Heute morden sie im Auftrag internationaler Terroristen ausländische Geiseln, irakische Polizisten oder Armee-Angehörige. Die Gewalt richtet sich gegen alle, die die neue Regierung unterstützen. Dass dadurch immer mehr irakische Zivilisten getötet werden, liegt in der Natur der Dinge. Denn mehr und mehr werden die US-Soldaten durch irakische Sicherheitskräfte ersetzt. Trotz der großen Gefahr, der die jungen Rekruten von Anfang an ausgesetzt sind, ist die Zahl der Bewerber jedoch enorm. Denn außer bei staatlichen Stellen und der US-Verwaltung gibt es fast keine Jobs. Die Produktion im Irak liegt völlig darnieder, der private Sektor ist erst im Entstehen. Das einzige, was derzeit läuft, ist der Handel und das "Geschäft" mit Geiseln.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.