Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 13.03.2006
Bernd Jürgen Wendt

Schmach und Schuld liegen in Rüsselsheim

Der Konzern General Motors und seine Tochtergesellschaft Opel in der NS-Zeit

Vor einigen Jahren lenkte die Zahlung von 30 Millionen Mark in den Entschädigungsfonds für überlebende Zwangsarbeiter die Aufmerksamkeit wieder auf die schweren politischen Vorwürfe gegen den amerikanischen Autokonzern "General Motors" (GM). Diese beziehen sich vor allem darauf, dass GM über seine 1929 übernommene deutsche Tochterfirma Opel freiwillig und eng mit dem Regime der Nationalsozialisten kollaboriert und von dieser Zusammenarbeit erheblich profitiert hat.

Der Konzern habe, so die Vorwürfe, die Kriegsvorbereitungen der Wehrmacht durch die Lieferung des legendären "Opel Blitz"-Dreitonners, von wichtigen Bauelementen für den Kampfbomber Ju 88 - das "Rückgrat der Luftwaffe" -, von Torpedozündern und Landminen sowie durch modernen Technologietransfer aktiv unterstützt. Ferner habe er sich an der Ausbeutung von Zwangsarbeitern und -arbeiterinnen beteiligt und am Ende - der Gipfel des Zynismus - die inzwischen auf 1 Million Mark abgewerteten Kriegsprofite aus dem NS-Zerstörungspotenzial nach ihrer Freigabe im Jahre 1950 nachträglich abkassiert.

Der bekannte amerikanische NS-Forscher Henry Ashby Turner geht diesen massiven Vorwürfen in seinem Buch "General Motors und die Nazis" gründlich und differenziert nach. Er konnte sich dabei, wie er ausdrücklich betont, ohne jeden Versuch zensierender Vorgaben durch die Konzernleitung auf die umfangreichen GM-Akten und die erhaltenen Bestände bei Opel stützen - durchaus keine Selbstverständlichkeit.

Das Ergebnis der intensiven Recherchen überzeugt und stimmt nachdenklich, gerade dort, wo es für den Konzern keineswegs bequem ist. Der amerikanische Konzern hat sich über seine Tochter zweifellos eng auf den Nationalsozialismus eingelassen und sich seit Mitte der 30er-Jahre in den profitablen militärisch-industriellen Komplex eingeklinkt. Im Berliner Machtpoker hatte er erfolgreich auf die Unterstützung durch die Wehrmacht, durch Göring und das Reichswirtschaftsministerium gegen die Begehrlichkeiten des hessischen Gauleiters und Reichsstatthalters Sprenger gesetzt und auch aus der Aufrüstung erhebliche Gewinne gezogen.

New York zögerte

Dies alles geschah jedoch, wie Turner nun nachweist, nicht ganz freiwillig und resultierte teilweise auch aus dem Vorpreschen des verantwortlichen Führungspersonals in Rüsselsheim, gegen die zögerlicheb Bedenken in New York. Denn stets hing über dem Werk, je näher der Krieg kam, das Damoklesschwert einer angedrohten Konfiszierung und damit des Verlustes enormer Investitionen und beachtlicher, freilich infolge der Devisenkontrollen eingefrorener Gewinne auf dem deutschen Automarkt.

Deren ersatzlose Abschreibung wäre den heimatlichen Aktionären wohl kaum zu vermitteln gewesen. Zudem teilten die Amerikaner mit vielen anderen noch lange die Illusion, wenn es denn wider Erwarten zum Krieg komme, werde dieser nur von kurzer Dauer sein, danach könne die PKW-Produktion sofort wieder voll einsetzen. Auch gelte es, strikt zu trennen zwischen kommerziellen Interessen und zweifellos vorhandenen politischen Vorbehalten gegen das diktatorische und mörderische Regime, das die Nationalsozialisten seit 1933 etablierten.

"Ein weltweit tätiger Konzern", so formulierte es ein Vorstandsmitglied, "sollte seine Unternehmungen auf rein geschäftlicher Ebene betreiben, ohne Rück-sicht auf die politischen Ansichten seines Managements oder der Staaten, in denen er tätig ist". Es wäre auch "äußerst kurzsichtig, die deutsche Regierung zu verärgern". Schließlich war die Konzernzentrale während des Krieges von den Entscheidungen in dem unter deutscher Verwaltung stehenden Rüsselsheimer und Brandenburger Opel-Werk bei weiterer Anerkennung der amerikanischen Eigentumstitel ausgeschlossen.

Turner setzt auch kritische Akzente. Der Technologietransfer sei das "zweifelhafteste Vorhaben des GM-Managements" gewesen. Die Ausbeutung der Zwangsarbeiter sei "ein schmachvolles Kapitel der Unternehmensgeschichte", freilich allein unter deutscher, nicht unter amerikanischer Konzernverantwortung im Krieg. Mit der Einforderung und Annahme der Kriegsprofite 1950 habe sich GM "schuldig" gemacht.

Turners Buch reiht sich ein in die Ergebnisse der "New Business History" mit solide gearbeiteten Firmengeschichten der NS-Zeit, so über die Deutsche Bank, die Commerzbank, die Dresdner Bank, VW, Krupp, BASF und Hoechst. Es liest sich mit seiner sachbezogenen und unaufgeregten Diktion ungemein spannend.

 

Henry Ashby Turner: General Motors und die Nazis. Das Ringen um Opel. Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber. Econ Verlag, Berlin 2006, 304 S., 18,- Euro

 

Professor Bernd Jürgen Wendt ist emeritierter Ordinarius für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg.


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