Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 13.03.2006
Hans-Eckerhard Bahr

Proletarische und aristokratische Neinsager im Kampf gegen Hitler

Dietrich Bonhoeffer und Wolfgang Borchert - Pfarrer und Dichter

Es ist der 9. April 1945. In der Dämmerung des Montagmorgen sieht der KZ-Lagerarzt von Flossenbürg den Häftling Dietrich Bonhoeffer in der Vorbereitungszelle knien. Er betet. Wenig später wird er erhängt.

Am 20. November 1947 stirbt Wolfgang Borchert, 26-jährig, einen Tag nach der Uraufführung seines Bühnenstücks "Draußen vor der Tür". Im Alter von 20 Jahren kommt Borchert 1941 an die Ostfront, wird schwer verwundet, aber nicht ins Lazarett gebracht, sondern statt dessen ins Militärgefängnis Nürnberg. Er habe in seinen Briefen Hitler kritisiert und als Verbrecher bezeichnet, so die Anklage. Gelbsucht und Diphtherie machen ihn todkrank. 1945 kehrt er in die Trümmer Hamburgs zurück, äußerlich gebrochen, aber voller Hoffnung auf ein neues, ziviles Deutschland. "Denn wir lieben diese gigantische Wüste, die Deutschland heißt. Dies Deutschland lieben wir nun. Und jetzt am meisten", schreibt er.

Man kann sich kaum einen größeren Gegensatz denken. Borchert, ein Junge, der ohne Geschwister aufwächst, Bonhoeffer dagegen behütet im Kreise von sieben Geschwistern. Bonhoeffer wird nicht an die Ostfront strafversetzt wie Wolfgang Borchert. Er bleibt in Berlin und kommt in den deutschen militärischen Geheimdienst. Er wird Mitverschwörer gegen Hitler.

Wolfgang Borchert hingegen läuft gänzlich ungeschützt in die Messer der Nazi-Justiz. Im Sommer 1941 schreibt er auf einer offenen Postkarte an einen Hamburger Freund aus der Tannenberg-Kaserne in Weimar-Lützendorf: "Aus einem der schönsten Zucht-häuser des Dritten Reiches sende ich Dir die besten Grüße." Und in einem weiteren Brief, an die Freundin Aline Bußmann: "Diese Zeit wird mich nicht niederzwingen. Meine Seele entflieht in die Reiche meiner Phantasie - und da ist Liebe, Größe, Kunst und Schönheit."

Wolfgang Borchert und Diet-rich Bonhoeffer, zwei junge Deutsche, beide im Widerstand gegen Hitler. Beide, der Dichter und der Pfarrer, voller Hoffnung auf ein anderes Deutschland. Borchert, in der Tradition der Deutschen Romantik, Bonhoeffer preußisch protestantisch. Der eine - aus Hamburg -, das ist der junge Schiller, der andere, das ist der lebensweise Goethe.

Borchert wird Ende Dezember 1942 mit erfrorenen Füßen ins berüchtigte Seuchenlazarett Smolensk eingeliefert. Seine Antwort: Er schreibt. Er formuliert Geschichten, nein, Verzweiflungen, stellt Fragen, wie Dietrich Bonhoeffer sie zu der Zeit noch nicht zu denken wagte. 1941 bereits schreibt Borchert: "Ich träumte. Rings war Vernichtung und Tod - sinnlos sank das Leben in das Nichts, zu keiner Auferstehung. … Wo ist der Gott?" Aber am Schluss dieses Klagegesangs erscheint dann plötzlich das Überraschende, eine Blume, die leise in der Trümmerlandschaft zittert: "Anbetend hatten meine Knie sich vor der Blume gebeugt … Der Tod war voller Auferstehung und Linderung … in dir, Blume des Gottes, fand ich den Sinn."

Die Blume ist das Symbol aller Lebendigen, das immer neu wächst - ein romantisches Symbol. Die blaue Blume der Dichter - eine hilflose Beschwörung des Nicht-Zerstörbaren, wo längst alles bricht? Eine Geste der Verzweiflung, wo man bei Dietrich Bonhoeffer der festen Gewissheit guter Mächte begegnet? Auch Bonhoeffers Gebete bleiben eine Beschwörung, ein Herbeiwünschen eines Friedens, der gerade nicht da ist. Gegen das Kalte anschreiben, beten, die Angst bannen im Gegenentwurf des Poetischen - das ist ein schöpferisches "Trotzdem". Von Bonhoeffer religiös formuliert, von Borchert ästhetisch.

Es ist das Jahrhundert der Zerstörung, in dem Borchert schreibt. Befreiung wird im Eintauchen in die Natur gesucht, nicht in der Herstellung demokratischer Freiheiten. Ins Gedicht sich retten - hinter diesem romantischen Credo Borcherts sieht man immer auch den politischen Neinsager, den jungen Deutschen, der den Nazis etwas Nichtzerstörbares entgegensetzen will, der sich verbinden will mit den tiefsten Lebensenergien.

Sophie und Hans Scholl suchen zur gleichen Zeit nach ganz ähnlichen Widerstandsquellen. "Mit wachsender Erschütterung habe ich in den letzten Tagebüchern von Sophie und Hans Scholl gelesen", berichtet Christa Wolf, "ihre Hingabe an die Natur … diese Bemühung, immer aus dem eigenen Zentrum heraus zu schreiben. Diese Literaturbesessenheit, dieser Ernst, mit dem beide geistige Nahrung aus Büchern saugen."

Die Geschwister Scholl, Wolfgang Borchert - da begegnen sich 20-jährige Deutsche, die im Gedicht und in der Blume etwas entdecken, das ihnen dauerhafter als Stahlhelme und kraftgebender als nationale Mythen erscheint.

Im Gefängnis in Berlin-Tegel lernt Dietrich Bonhoeffer Leidensgenossen kennen, die keinen großbürgerlichen Hintergrund haben, die indessen voller Mitgefühl sind und sich ein klares Urteil über das NS-Regime als Terrororganisation gebildet haben. Sie alle, die proletarischen und die aristokratischen Neinsager, bilden eine Leidensgemeinschaft. Bonhoeffer schreibt: "Der Gott, der bei uns ist, ist der Gott, der uns verlässt." Das könnte auch Unteroffizier Beckmann in Borcherts "Draußen vor der Tür" sagen. Das war bei beiden nicht Traktatliteratur. Das war, lange vor Jean-Paul Sartre und Albert Camus, die Formulierung eines deutschen Existentialismus der noch religiös sprach, wenn er den Krieg literarisch verfluchte.

14 Mal beschwört Borchert in seinem letzten Manifest ein großes Nein gegen alles, was mit der Aufrüstung zu tun hat. Bonhoeffer hatte bereits 1934 von der Kirche gefordert, sie möge ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus den Händen schlagen.

Beide sollte man zusammen sehen, Wolfgang Borchert nicht länger draußen vor der Kirchentür stehen lassen, und Dietrich Bonhoeffer zurückholen in die Mitte unserer politischen Kultur.

Literaturhinweise:

Ferdinand Schlingensiepen: Dietrich Bonhoeffer 1906-1945. Eine Biografie. Verlag C.H. Beck, München 2006; 432. S., 24,90 Euro

Dietrich Bonhoeffer/ Maria von Wedemeyer: Brautbriefe Zelle 92. 1943-1945. Verlag C.H.Beck, München 2006; 307 S., 18,- Euro

Das (schmale) Gesamtwerk von Wolfgang Borchert wird vom Rowohlt Verlag betreut (vier Taschenbücher). Peter Rühmkorf hat eine Monografie über Wolfgang Borchert geschrieben.

 

Hans-Eckerhard Bahr ist emeritierter Ordinarius für Theologie der Ruhr-Universität Bochum.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.