Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 13.03.2006
Konrad Ege

Unwahres als Wahrheit verkauft

Die fragwürdige Rolle der CIA im Irak-Krieg
US-Präsident George W. Bush sagt das gerne und oft: Die USA befänden sich im Krieg. Dieser Krieg gegen den Terrorismus solle Bushs Griff nach Macht rechtfertigen, schreibt James Risen, Reporter der "New York Times". Kritiker sollten keine Fragen nach dem Sinn des Krieges im Irak stellen, auch wenn, wie das Buch detailliert nachweist, die US-Geheimdienste und Sicherheitskräfte bei der Kriegsplanung streckenweise außerordentlich dilletantisch vorgegangen sind und die Entscheidung den Ideologen überlassen haben. Nach Aussagen eines Regierungsmitglieds gab es "nie eine Sitzung mit allen ranghohen Beratern des Präsidenten, bei der offiziell über einen Krieg gegen den Irak debattiert und entschieden wurde."

Der Reporter der "New York Times" hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben. Der Untertitel mag etwas zu hoch gegriffen sein, aber "State of War" schlägt Sehschlitze in die Festung Bush. Erste Schlagzeilen machte in den USA Risens vormaliger Bericht über Bushs supergeheimes Programm, den für ausländische Überwachung zuständigen Geheimdienst National Security Agency (NSA) ohne richterliche Genehmigung "terrorismusverdächtige" Telefonanrufe abhören zu lassen. Risens Zeitung hatte diese Informationen auf Wunsch des Weißen Hauses mehr als ein Jahr zurückgehalten.

Die NSA-Enthüllungen setzen Bush zu. Nach Ansicht vieler Juristen ist die Rechtslage klar: Telefonüberwachungen in den USA müssen von einem Richter genehmigt werden, auch wenn es um die nationale Sicherheit geht. 1978 setzte der Kongress eigens einen im Geheimen tagenden Gerichtshof für Genehmigungen polizeilicher oder geheimdienstlicher Telefonüberwachung "ausländischer Mächte" ein. Dieses Gericht hat schon tausende von Lauschangriffen abgenickt. Kongressausschüsse prüfen nun, ob die NSA-Überwachung gegen das Gesetz verstößt.

Auch viele Konservative mögen keinen Schnüffelstaat. Bush seinerseits hat das FBI losgeschickt, um herauszufinden, wer in der Regierung Risen diese Informationen zugesteckt hat. Es drohen Haftstrafen wegen Geheimnisverrates, und Risen müsste eventuell, wenn er seine Quellen nicht preisgibt, mit Beugehaft rechnen.

Unter Berufung auf anonym bleibende Quellen wartet Risens Buch mit einer Reihe weiterer Enthüllungen auf - zum Teil sind sie neu, zum Teil ergänzen sie bereits Bekanntes. Er berichtet über Folterungen in CIA-Gefängnissen, das Zurechtdrehen geheimdienstlicher "Infomationen", um den Irakkrieg zu begründen, die Tolerierung des Heroinschmuggels im befreiten Afghanistan und eine geradezu bizarre Operation gegen den Iran mit katastrophalen Folgen, wie Risen es darstellt:

So habe die CIA im Februar 2000 dem Iran Baupläne für eine Atombombe zukommen lassen; Pläne, die absichtlich kleine, aber schwerwiegende Fehler enthalten hätten. Der Überbringer der Pläne, ein russischer Wissenschaftler in Diensten des US-Geheimdienstes, habe die Iraner aber auf die Fehler aufmerksam gemacht. Iran sei so in den Besitz möglicherweise sehr nützlicher Unterlagen gekommen.

Im Irak hatte die CIA vor dem Krieg nach Angaben von Risens Gewährsleuten keine Agenten, die die USA über Massenvernichtungswaffen hätten informieren können. So verließ man sich auf fragwürdige und kriegstreibende Quellen und ignorierte einfach die zahlreichen Berichte, die nicht zur Theorie von Saddam Hussein als einem Besitzer von Massenvernichtungswaffen passten.

Risen befasst sich im Detail mit den zahlreichen regierungsinternen Machtkämpfen, bei denen Verteidigungsminister Rumsfeld und Vizepräsident Cheney die Oberhand behielten und CIA-Chef George Tenet dem Präsidenten das versicherte, was dieser hören wollte. Außenminister Colin Powell blieb außen vor, und auch Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, die jetzige Außenministerin, hatte anscheinend nur wenig zu sagen.

Risen berichtet über die brutalen CIA-Verhöre mutmaßlicher Al-Qaida-Verantwortlicher, die dem FBI zu weit gegangen seien. Diese Taktiken seien von führenden US-Regierungsvertretern abgesegnet worden; allerdings hätten ranghohe Regierungsmitglieder, "anscheinend vor allem (Vizepräsident Richard) Cheney", den Präsidenten bewusst von internen Debatten über Verhörmethoden ausgeschlossen, um ihm die Möglichkeit zu geben, alles zu leugnen.

Nach Darstellung von Risen gibt es freilich auch in der CIA Kritik am "Verschwindenlassen" von Terrorverdächtigten. Ungewiss sei, wie die Regierung die Frage beantworten wolle, was langfristig mit den verschwundenen Häftlingen passieren soll, wenn man ihnen "erst einmal sämtliche Informationen entlockt hat".

Risen hat freilich Schwierigkeiten, Schlussfolgerungen aus seinen vielen Fakten zu ziehen. Das Buch bleibt ein hochinteressantes Potpourri; nicht klar macht Risen, was das alles für die USA und ihre Demokratie bedeutet. Einerseits prangert er Bushs "radikale Abkehr von der gemäßigten Tradition der amerikanischen Außenpolitik" an, den "Missbrauch" der Geheimdienste und Bushs Amtsanmaßung. Andererseits lobt Risen, etwas unvermittelt, man müsse George Bush "den Verdienst zusprechen", die "Verbreitung der Demokratie zum Herzstück seiner Agenda gemacht zu haben". Näher erläutert wird das aber vom Autor nicht.

 

James Risen: State of War. Die geheime Geschichte der CIA und der Bush-Administration. Aus dem Amerikanischen von Norbert Juraschitz, Friedrich Pflüger und Heike Schlatterer. Hoffmann & Campe, Hamburg 2006; 249 S., 19,95 Euro

 

Konrad Ege arbeitet in Washington als USA-Korrespondent für mehrere deutsche Zeitungen.


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