Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 13.03.2006
Peter Manstein

Klimawissen ist heute Überlebenswissen

Wir machen das Wetter - zum Nachteil unserer Umwelt
Es ist kein Zufall, dass ein neuerlicher Kassandraruf in Sachen CO2-Aufheizung der Atmosphäre und desaströser Klimaveränderung von einem Australier kommt: Kein Land der Erde emittiert pro Einwohner mehr von dem Treibhausgas als Australien - und das noch vor den notorisch fossile Energien verschwendenden USA. In Australien sind, global gesehen, erstmals durch eine bereits eingetretene Klimaänderung Großstädte wie Perth und Sydney vom Verdursten bedroht, während das Große Barriereriff, "einst", will sagen noch bis 1998, ein Wunder an Lebensvielfalt war, jetzt aber als bleiches "Stummelriff" degeneriert.

Der Autor des Buches "Wir Wettermacher" ist primär Klimawissenschaftler. Als solcher bringt er die nötige Kenntnis in die höchst komplexe Klimamaterie mit. Seine auf vielfältigen Quellen fußende Seriösität hindert ihn aber nicht daran, in anschaulicher Weise die grundlegenden Zusammenhänge sowie die aktuellen Trends zu schildern und uns in packender Sprache die Leviten zu lesen. Da der bereits vor sich gehende, massive und vom Menschen verursachte Klimaumschwung (etwa in Form der Zunahme der Wetterextreme) vor allem von der Lobby der alten Energien angezweifelt wird, macht der Autor gleich die Gründe klar: So kann sie - analog der Asbest- und Tabakindustrie - eben Zeit gewinnen.

Der Autor macht im Detail die längst erdrückende Beweislast für einen "hausgemachten" Klimawandel dingfest. Sieht man von katastrophalen Ereignissen in der Erdgeschichte wie dem gigantischen sibirischen Lavaausfluss zu Ende des Erdaltertums ab, die vermutliche Ursache dafür, dass fast das ganze Leben ausstarb, oder die Kollision mit einem Asteroiden zu Dinosaurierzeiten, dann hat es einen Klimawandel von Natur aus immer wieder gegeben, man denke nur an den Umschlag von Eis- in Warmzeiten.

Nur läuft heute die Aufheizung viel schneller ab; die Anpassungsfähigkeiten von Flora und Fauna kommen nicht mehr mit, zumal ihnen die Dichte und Verbreitung der menschlichen Besiedlung inzwischen ein Ausweichen und Auswandern vielfach verwehren. Geht die bereits eingetretene weltweite Erwärmung ungehindert weiter, dann werden beispielsweise die Berge quasi "eingeebnet", weil das an die höheren Lagen angepasste Leben keine Chance mehr hat: ein auswegloses Ausgeliefertsein, dass der Autor plastisch schildert.

Möglicherweise ist es, so Flannery, sogar schon zu spät. Die bisher bereits in die Luft geblasenen und dort Jahrzehnte verbleibenden CO2-Mengen könnten ausreichen, dass es zu einer massiven, quasi ruckartigen Klimaverschlechterung bereits ab dem Jahr 2050 kommt. Allerdings mache ein fatalistisches Abwarten oder ein bloßes "Weiter so" aus dieser Eventualität eine fast sichere Sache. Es komme vielmehr darauf an, jetzt und unverzüglich gegenzusteuern: Jeder Einzelne in den Fossilenergie fressenden Industrieländern kann das, was not tut, schaffen, nämlich einen 70-prozentigen Abbau seiner CO2-Emmision. Es ist erfrischend, welch realistische Vorschläge, welch Phantasie und Tatkraft hier der Autor auch bei sich persönlich an den Tag legt.

Die Auswege liegen natürlich im Energieeinsparen und in den regenerativen Energien, in der Markt- und politischen Macht des Verbrauchers und Wahlbürgers. Zum Glück gibt es eben nicht nur die sich fatal aufschaukelnden positiven Rückkoppelungsschleifen der Klimanatur (so entlässt die Erwärmung des Meeres durch die erwärmte Luft wiederum noch mehr CO2 aus dem Meer in die Atmosphäre), sondern auch im Marktgeschehen: Je mehr regenerative Energien zur Anwendung kommten, umso billiger wird es, und umso mehr können sie wiederum Verbreitung finden.

Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann liegt, so Flannery, das Funktionieren und Nicht-Funktionieren des Weltklima-Thermostats bald ganz in menschlicher Hand. Und dann könnte es um des Überlebens willen zu einer globalen Thermostat-Weltregulierungsbehörde von geradezu orwellschem Ausmaß kommen, etwa indem sie in die Reproduktionsrate des Menschen eingreift - ja eingreifen muss.

Eines zumindest macht das Buch in aller Deutlichkeit klar: Klimawissen ist heute Überlebenswissen und so oder so: Die Klimaänderung fängt bei jedem Einzelnen an. Das darf nicht in irgendwelchen unlesbar faden Tagungsbänden oder für den Laien unverständlichen Fachartikeln verborgen bleiben. Das fundierte Buch Flannerys ist dagegen lesbar und deshalb geradezu klimarelevant.

 

Tim Flannery: Wir Wettermacher. Wie die Menschen das Klima verändern und was das für unser Leben auf der Erde bedeutet. Aus dem Englischen von Hartmut Schickert. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2006; 383 S., 18,90 Euro

 

Peter Manstein arbeitet als freier Journalist in Bonn; vor allem zu umweltpolitischen Themen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.