Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 13.03.2006
Werner Hornung

Datenbahn zum Wissen der Welt

Neue Lexika, gedruckt und digital
Brockhaus zeigt eine Dynamik, die geradezu verblüfft: Ungefähr 20 Millionen Euro hat der Mannheimer Verlag für die neueste Edition seiner Enzyklopädie investiert, die nun in zwei Varianten angeboten wird - nämlich gedruckt und digital. Im vergangenen Herbst erschienen die ersten Bände der Printversion, im kommenden September stehen sie dann vollständig im Regal: die 30 Prachtexemplare der 21. Auflage. Edel eingehüllt in Leinen und Leder und mit schützendem Kopfgoldschnitt, 300.000 Stichwörter und 40. 000 visuelle Elemente auf alterungsbeständigem Spezialpapier gedruckt - so präsentiert sich diese so bibliofile Datenbank, deren Bände 13 bis 18 jetzt zur Leipziger Buchmesse ausgeliefert werden.

Was inhaltlich opulent und optisch ansprechend gefertigt wurde, ist aber nicht nur imposant, sondern auch innovativ. Mit einer bloßen Überarbeitung und thematischen Erweiterung der bisherigen Ausgabe wäre der elektronischen Konkurrenz nicht mehr standzuhalten gewesen. Der Brockhaus-Verlag hat deshalb seinen Klassiker um eine Audiothek auf DVD erweitert. Liegt sie im Laufwerk, können ungefähr 4.000 Hörbeispiele abgespielt werden, zum Beispiel Tierstimmen, zeitgeschichtliche Tondokumente oder musikalische Werke.

Jeder Käufer erhält außerdem einen personalisierten Zugang zum Online-Portal der Enzyklopädie. Damit lässt sich das Lexikon durch regelmäßige Updates bis zum Jahr 2010 kostenlos aktualisieren. Und der vollständige Inhalt aller 30 Bände kann von jedem internetfähigen Computer aus abgerufen werden.

Schlauer Knirps im Cyberspace

Wer für dieses gut 70 Kilogramm schwere Wissenspaket, das im Bücherregal immerhin 1,70 Meter einnimmt, keinen Platz hat, für den gibt es die zweite Variante: die "Brockhaus Enzyklopädie Digital". Sie besteht aus einem handlichen USB-Memory-Stick und einer Dockingstation samt Kabel.

Dieser schlaue Knirps für Bildungsreisen im Cyberspace sieht wie eine Buchstütze aus, doch sein Innerstes hat mit der Gutenberg-Ära nichts mehr zu tun. Es ist kaum zu glauben, aber auf diesem Speicherstift findet sich der komplette Textkorpus von 24.500 Buchseiten. Will sich jemand beispielsweise über den ehemaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer informieren und möchte zusätzlich noch Auskunft über die CDU, über Köln und die Zentrumspartei, so müssen bei herkömmlicher Suche gleich vier dickleibige Lexikonbände aufgeblättert werden. Mit dem USB-Stick dagegen klappt das klickweise und komfortabler.

Diese digitale Version funktioniert ähnlich wie eine externe Festplatte. Sie wird in eine Schnittstelle des Rechners gesteckt, und fast in ,null Komma nichts' öffnet sich die Startseite mit einem ersten Menü. Das Programmangebot ist vielfältig und voluminös zugleich: Lexikon, historische Zeitleiste, Themendatenbank, Kulturführer, Brockhaus von 1906, Kinder- und Jugendlexikon, Link zur Online-Aktualisierung und zoombarer 3-D-Atlas, der sich freilich wie die Audio- und Videothek auf einer DVD befindet. Klickt man mit der Maus den obersten Button "Lexikon" an, erscheint auf dem Bildschirm ein weiteres Menü mit Eingabefeld. Hier können wie gewohnt Suchbegriffe von A bis Z eingetragen werden, ebenso aber natürlich sprachlich formulierte Fragesätze. Das ist ein Novum, das neugierig macht. Schnell ist deshalb eine Frage eingetippt, etwa diese: "Wer war 1953 Bundesjustizminister?" Die passende Antwort lässt keine Minute auf sich warten. Auf der linken Seite werden Fundstellen aus der Enzyklopädie genannt, die Bildschirmmitte füllt eine Biografie des bayerischen FDP-Politikers Thomas Dehler (1897-1967) aus und rechts wird auf thematisch ähnliche Kontexte verwiesen.

Gleich noch ein Versuch und dazu eine etwas ausgefallene Frage: "Welcher Gepäckträger wird in Oberbayern besonders verehrt?" Auch diesmal geht's auf dem Monitor elektronisch fix, und schmunzelnd lesen wir die biographische Notiz: "Hingerl, Alois, (latinisiert: Aloisius), Bahnhofsangestellter, Visionär und Religionskritiker, *München 1911; Gepäckträger auf dem Münchener Hauptbahnhof, erlitt Hingerl nach einem körperlichen Zusammenbruch infolge Arbeitsüberlastung in einem visionären Erlebnis seine zeitweilige Entrückung in den Himmel…" Das ist wieder ein bisschen lexikografischer Schabernack, wie ihn die Brockhaus-Redaktion schon in früheren Ausgaben mit fiktiven Personen getrieben hat!

Nach unfreiwilligem Humor klingt allerdings die Auskunft, wenn diese Zeile im Eingabefeld steht: "Wie heißt die südlichste Stadt der Welt?" Verdutzt schaut man auf das Ergebnis und will es nicht glauben. Kein Wort von Ushuaia (Argentinien) oder Puerto Williams (Chile). Nein, der sonst so schlaue Winzling liefert uns einen Artikel über Leipzig samt Extra-Hinweisen zur Völkerschlacht und zu Auerbachs Keller.

Lexikalisch ausgereift ist diese neu entwickelte Software also noch nicht. Vom Brockhaus-Atlas dagegen darf mehr Zuverlässigkeit erwartet werden, denn der erscheint ja seit vielen Jahren. Doch leider sind hier Schwächen zu kritisieren, die bereits in der vorherigen Edition vorhanden waren. So zeigt etwa die Ortssuche außer dem Namen der chinesischen Hauptstadt weiterhin "Peking, D (Sachsen-Anhalt)" an; auf der Karte markiert ein Punkt die angebliche Lage nahe der ostdeutschen "Straße der Romanik".

Verkehrsverbindungen fehlen

Der 3-D-Globus für die Enzyklopädie und die inhaltlich schlankere DVD "Brockhaus multimedial 2006 premium" stammt aus einer amerikanischen Dependance des Mannheimer Verlags. Bei der Hammond Corporation in New Jersey pflegt man eine für uns etwas ungewohnte kartografische Handschrift. Das beweist schon die Legende.

Den Verlauf der Autobahnen und weiterer Fernstraßen verdeutlicht undifferenziert allein eine rote Linie, was die Atlas-Lektüre teils erschwert. Zudem wurden in die Deutschland-Karten keineswegs längst befahrbare Autobahnabschnitte der A 20, A 38 oder A 71 eingezeichnet. Bei anderen Ländern fehlen gleichfalls wichtige Neuerungen im Verkehrsbereich, etwa auf einer Australien-Karte die transkontinentale Eisenbahnstrecke von Darwin nach Adelaide. Vor den japanischen Küstenstädten Osaka und Nagoya vermisst man Signaturen für die Off-Shore-Flughäfen; und während die Europa-Brücke bei Innsbruck besonders erwähnt wird, haben die amerikanischen Kartographen den architektonisch beeindruckenden Brücken-Neubau beim südfranzösischen Millau vergessen.

Auch die Encarta 2006 führt uns gelegentlich von der gut ausgebauten Datenautobahn auf einen Holzweg. Beispielsweise wird einem zum Thema "U-Boot" ein Artikel über den "Gum Boot Dance" (Gummistiefeltanz) südafrikanischer Minenarbeiter angeboten. Von solchen Schwachstellen aber abgesehen ist die Microsoft-Enzyklopädie freilich ein ebenso brauchbares Nachschlagewerk wie die multimediale Brockhaus-DVD. Beide Editionen präsentieren bestes Infotainment: populärwissenschaftlich formuliertes Wissen, effektvoll ergänzt um Animationen, Videos oder virtuelle Reisen.

Wäre hier nicht über PC-Software zu sprechen, sondern über PKWs, dann ließen sich beide Lexika so charakterisieren: Solide gefertigte Mittelklassewagen mit toller Sonderausstattung. Welches Modell nun eher zu empfehlen ist, lässt sich schwer sagen. Leicht zu erkennen ist bloß, dass die Encarta 2006 weniger kostet.

Noch preisgünstigere Informationen liefert die mehrsprachige Online-Enzyklopädie "Wikipedia". Hinter ihrem deutschen Portal stehen momentan jedem Nutzer gut 360.000 Artikel frei zur Verfügung; darunter übrigens einer über die Vogelgrippe, der zumindest umfangreicher ausfällt als die entsprechenden Beiträge auf den oben erwähnten Silberscheiben.

Wie gut all diese Internet-Auskünfte sind, darüber gibt es teilweise heftige Diskussionen, vor allem bei den Wikipedianern selbst. Henriette Fiebig ermöglicht jetzt interessante Einblicke in die Arbeit dieser enzyklopädischen Community; ihrem Taschenbuch liegt außerdem die Wikipedia-Version vom 29.10. 2005 auf DVD bei. Erschienen ist die Mixtur aus Werkstattbericht und Ratgeber bei Zenodot, einer Neugründung des Berliner Medienhauses directmedia. Das ist ein dynamischer Verlag, dessen elektronische Exkursionen in beide Richtungen gehen: vorzüglich gefertigte Aufbereitungen von traditionsreichen Konversationslexika und andererseits literarische Unterstützung des zukunftsträchtigen Projekts Wikipedia.

 

Bibliografisch-elektronische Hinweise:

Brockhaus Enzyklopädie, 21. Auflage. 30 Bände. Brockhaus, Mannheim 2005/06; ca. 24.500 S., bis 31. März 2006: 2.397 Euro, dann 2.490 Euro

Brockhaus Enzyklopädie Digital. USB-Memory-Stick mit Docking-Station. 2 DVDs für Windows. Brockhaus, Mannheim 2005; 1.499 Euro

Der Brockhaus multimedial 2006 premium. 7 CDs für Windows; 1 DVD für Windows, Linux oder MacOS X. Brockhaus, Mannheim 2005; 99,95 Euro

Microsoft: Encarta-Enzyklopädie 2006. 1 DVD und 4 CDs für Windows. Microsoft, München 2005; 59,99 Euro

Wikipedia. Das Buch. Zusammengestellt von Henriette Fiebig. Zenodot, Berlin 2005; 272 S. plus DVD, 9,90 Euro

Conversationslexikon - oder kurzgefaßtes Handwörterbuch. 1. Auflage 1809-1811. CD für Windows und ab MacOS 10.3. Directmedia, Berlin 2005; 45,- Euro

 

Werner Hornung arbeitet als Publizist und ist Lehrer an einem Gymnasium im fränkischen Lichtenfels.


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