Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 13.03.2006
Jutta Witte

Kontrastprogramm Beck - Böhr

Wahlkampf in Rheinland-Pfalz
"Die Westerwaldpartei" plakatieren die Christdemokraten in Montabaur. Auf der Bühne der Stadthalle stehen weiße Plastikblumenkästen mit Hortensien, die Diskusssion dreht sich stundenlang um den Ausbau der B 255, im Hintergrund stehen Wahlkampfhelfer mit orangenfarbigem Fleeceschals, auf denen "Zukunft Rheinland-Pfalz" steht.. Dann ruft die örtliche Landtagsabgeordnete Ulla Schmidt "Doktor Christoph Böhr" ans Rednerpult, "einen klugen Kopf, den Rheinland-Pfalz braucht". Zum zweiten Mal geht der 52-jährige Politologe und Philosoph gegen den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck ins Rennen. Vor fünf Jahren ist er gegen den Landesvater krachend gescheitert, der an Bodenständigkeit kaum zu überbieten ist. Nun setzt Böhr darauf, dass die Wähler nach 15 Jahren sozial-liberaler Regierungsarbeit "mehr Farbe, mehr Schwung und weniger Selbstlob" wollen.

Eigene inhaltliche Akzente zu setzen ist für beide Spitzenkandidaten schwer in diesem Wahlkampf: In Berlin zwingt die Große Koalition die beiden großen Volksparteien zu Harmonie und in Mainz sind die landespolitischen Ziele von CDU und SPD kaum zu unterscheiden. "Es fehlt das große Streitthema", sagt der Generalsekretär der Sozialdemokraten, Roger Lewentz. So bleibt am Ende das Kontrastprogramm Beck - Böhr. Auf der einen Seite ein Herausforderer, der alle Themen, die er in seinen Reden anspricht, zuvor sorgfältig theoretisch erarbeitet hat und von dem der Musiker Heinz Rudolf Kunze sagt, er sei wohl "kein Ellenbogenmensch, sondern ein gebildeter Gentleman". Auf der anderen Seite ein jovialer, authentischer Amtsinhaber, zuverlässig, "nah bei den Menschen", seit fast zwölf Jahren Regierungschef und bei jedem Rosenmontagszug dabei.

Vor dem Evangelischen Gemeindehaus im pfälzischen Eisenberg warten Streikende der Autobahnmeisterei und ein Gewerkschaftsvertreter auf Beck. Die Gewerkschaften sind seine politische Heimat. 13 Jahre war der Sohn eines Maurers Personalratsvorsitzender bei der Bundeswehr, wo er bis 1972 als Funkelektroniker gearbeitet hat. Im gleichen Jahr ist Beck in die SPD eingetreten. Fünf Jahre später wurde er in den Landtag gewählt. Vom Parlamentarischen Geschäftsführer und Fraktionsvorsitzenden hat sich der heutige Ministerpräsident hochgearbeitet bis zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD. In der Partei hat seine Stimme Gewicht. Beinahe wäre er, der Sozialdemokrat der alten Schule, sogar Parteichef geworden. Doch in seiner rheinland-pfälzischen Heimat drohen ihm durch das Antreten der WASG Stimmen der Linken und aus den Reihen der Gewerkschaft abhanden zu kommen - für Beck dürfte dies am Ende nicht existenzbedrohend sein, aber es kränkt ihn.

"Das Streikrecht ist Verfassungsrecht", versichert er den Mitarbeitern der Autobahnmeisterei. Er hat mit Bsirske und mit Platzeck über das Problem gesprochen. "Wir gehen anständig miteinander um", versichert er am Ende. Drinnen im Saal zieht er vor seinen Anhängern Regierungsbilanz. Mehr als 40.000 zivile Arbeitsplätze hat er im Rahmen der Konversion geschaffen, Rheinland-Pfalz ist das einzige Land mit steigender Erwerbsquote, es gibt 304 Ganztagsschulen, ein 106-prozentiges Kindergartenangebot, das letzte Kindergartenjahr ist beitragsfrei. "Wir haben das Land gemeinsam mit den Menschen nach vorne gebracht", ruft er. Böhr kommt in seiner Rede eher am Rande vor. 50 Mal schickt die SPD ihren Landesvorsitzenden bis zum 26. März in die Säle. "Wer Beck will, muss die SPD wählen", lautet das Motto. Die Mobilisierung ist gut, versichert Generalsekretär Lewentz. Aber so richtig überzuspringen scheint der Funke noch nicht in dieser ersten heißen Phase des Wahlkampfs.

Und während der 57-jährige Beck "Scharfmacherei" aus Prinzip ablehnt und mit dem wirbt, was er geleistet hat, geht Böhr in die Offensive. "Wo die Schulden am höchsten sind, da regiert Kurt Beck", ruft er den Delegierten des Landesparteitags Anfang März zu. Er will "diesen Ministerpräsidenten stellen". Zum Fernsehduell fordert er den Regierungschef. "Sogar in Schwarzafrika ist es inzwischen üblich, dass vor einer Wahl ein Duell stattfindet", ereifert er sich. Der CDU-Spitzenkandidat hat viel zu verlieren. Seit 1997 ist der ehemalige Bundesvorsitzende der Jungen Union Fraktionschef im Landtag, seit 1999 Vorsitzender der Wertekommission der CDU und seit 2002 stellvertretender Bundesvorsitzender seiner Partei. Innerhalb der Partei zählte er zur Gruppe der "Jungen Wilden" und gehört dem legendären "Andenpakt" an. Zwei schwere Hypotheken liegen auf den Schultern des Oppositionsführers: 2001 führte er seine Partei mit einem Wahlergebnis von 35,3 Prozent in eine historische Niederlage. Vor zwei Jahren konnte er seinen Kopf als Spitzenkandidat nur nach wochenlangen Querelen und einer Mitgliederbefragung retten. Auf die Frage, wie es mit ihm und dem Landesverband im Falle einer erneuten Wahlniederlage weitergehen soll, weiß derzeit niemand eine Antwort.

So versucht Böhr nicht nur den Vorwurf zu entkräften, er stünde nicht wirklich im Leben - auf seiner Homepage ist die Rede von seinem 80-jährigen Vater, der immer noch als Architekt arbeitet, von seinen beiden Katzen und seiner Frau, die im Moment eine Ausbildung zur Heilpraktikerin absolviert. Er verkauft sich auch als Vertreter eines neuen, ernsthafteren Politikstils und spielt die Themen Integration und Leitkultur. Er zieht gegen die Scharia zu Feld, fordert Staatsbürgerkurse und prangert die Zwangsverheiratung von 13-jährigen Mädchen an: "Das ist keine Folklore, das ist strafwürdig." Seine Zuhörer goutieren es. Dafür, dass seine Strategie aufgeht, spricht derzeit allerdings wenig. Bei einer Direktwahl, besagt eine repräsentative Umfrage, die infratest dimap im Auftrag des Südwestrundfunks Mitte Februar durchgeführt hat, würden 68 Prozent Beck und 22 Prozent Böhr zum Regierungschef wählen. "Es wird sich in den letzten 100 Stunden entscheiden", glaubt der Herausforderer. Beck und seine Anhänger jedenfalls sind überzeugt, dass der jetzige Ministerpräsident mindestens noch eine komplette Legislaturperiode vor sich hat.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.