Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 13.03.2006
K. Rüdiger Durth

Stolperstein für Wowereit: die WASG

Berlin: Noch keine vereinte Linkspartei
Ausgerechnet die lediglich 860 Mitglieder zählende Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) kann am 17. September, dem Tag der Wahl zum neuen Abgeordnetenhaus von Berlin, zum Stolperstein für den rot-roten Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) werden. Denn die Mitglieder haben in einer Urabstimmung mit knapper Mehrheit festgelegt, dass die WASG am 17. September als selbstständige Partei antritt und nicht zusammen mit der PDS. Damit ist zumindest für das Land Berlin das Projekt einer geeinten Linken vorerst gescheitert.

Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus wurde vor fünf Jahren die SPD mit 29,7 Prozent der Wählerstimmen stärkste Fraktion im Abgeordnetenhaus (44 Sitze), gefolgt von der CDU mit 23,8 Prozent der Stimmen (35 Sitze). Drittstärkste Fraktion wurde die PDS mit 22,6 Prozent der Stimmen (33 Sitze). FDP und Grüne kamen auf 9,9 beziehungsweise 9,1 Prozent (15 beziehungsweise 14 Sitze). Da eine Ampel-Koalition nicht zustande kam, ging die SPD ein Bündnis mit der PDS ein, das bislang ziemlich geräuschlos funktioniert und nach dem Willen beider Parteien auch nach dem 17. September fortgeführt werden soll. Laut Umfragen kann Rot-Rot mit einer knappen Mehrheit rechnen.

Die WASG, die einst angetreten ist, um den rot-roten Senat zu stürzen, kann laut Umfragen mit etwa drei Prozent der Stimmen rechnen. Da aber die Linkspartei.PDS in den Umfragen nur noch auf etwa 15 Prozent kommt, könnten die drei Prozent für die WASG wahlentscheidend werden. Im Klartext: Rot-Rot hätte keine Mehrheit und wäre auf die Grünen angewiesen. Oder aber es könnte zu einer Koalition von CDU unter Wowereit-Herausforder Friedbert Pflüger, FDP und Grünen kommen. Eine erneute große Koalition wird zurzeit von allen Seiten ausgeschlossen.

Doch noch ist das Schicksal der WASG ungewiss. Denn nur 51,6 Prozent der sich an der Abstimmung beteiligenden Mitglieder stimmten gegen eine Fusion mit der PDS und für einen Alleingang bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus. Will sie nun tatsächlich antreten, dann muss sie bis zum 11. Juli 2.200 Unterschriften sammeln, die für eine Zulassung zur Wahl erforderlich sind. Die Fusionsgegner wollen beim WASG-Bundesvorstand 30.000 Euro Unterstützung für den Wahlkampf beantragen. Da der jedoch gegen einen Alleingang ist, wird den Berlinern wohl auch kein Geld aus der Bundeskasse zur Verfügung gestellt werden.

Wahlalternative in Finanznöten

Für diesen Fall denkt die WASG Berlin an ein Darlehen, das nach der Wahl aus der Wahlkampfkostenerstattung in die Parteikasse gespült werden wird - vorausgesetzt, man erreicht wenigstens ein Prozent der abgegeben Stimmen. Eine noch größere Gefahr droht der kleinen Partei freilich aus den eigenen Reihen. Es ist damit zu rechnen, dass die Befürworter eines Zusammengehens mit der PDS nun die WASG verlassen - zumal es auch jetzt schon eine Reihe von Doppelmitgliedschaften gibt - und auf einer offenen Liste der Linkspartei.PDS für das Abgeordnetenhaus kandidieren. Auch ist ein Ausschluss des Berliner Landesverbandes aus der Bundes-WASG denkbar, der gegenwärtig eine bundesweite Mitgliederbefragung über einen für 2007 vorgesehenen Zusammenschluss mit der PDS zu einer einheitlichen Linkspartei gestartet hat.

Der Berliner Streit unter den Linken hat möglicherweise auch Auswirkungen auf die Fraktion der Linkspartei.PDS im Deutschen Bundestag. Denn nach der Geschäftsordnung des Bundestages dürfen bei Fraktionszusammenschlüssen die beteiligten Parteien auch in den Ländern nicht gegeneinander antreten. In dieser Frage gibt es allerdings sehr unterschiedliche juristische Auffassungen. Im Endeffekt würde das aber für den Alltag der 16. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages keine Bedeutung haben, denn die PDS stellt innerhalb der Fraktion 34 Abgeordnete. Diese Zahl würde für eine eigene Fraktion ausreichen.

Dennoch ist das Echo aus der WASG-Bundespartei für die Berliner verheerend. Von Oskar Lafontaine bis Ulrich Maurer oder Klaus Ernst wird die Berliner Haltung als "Sektiererei" gewertet, an der das Projekt Linkspartei nicht scheitern dürfe. Obwohl die führenden WASG-Köpfe für die Fusion sind - die meisten von ihnen haben über die Linkspartei ja auch ein Bundestagsmandat erreicht -, gärt es in der kleinen Partei, die nicht zuletzt eine Folge der Hartz-Gesetze sind. In ihnen haben sich viele unzufriedene ehemalige SPD-Mitglieder und Gewerkschaftler zusammengefunden, aber auch ehemalige PDS-Mitglieder. Sie alle werfen dem rot-roten Senat vor, keine wirkliche linke Politik zu betreiben.

Auch wenn der Vorsitzende der Berliner Linkspartei.PDS, Klaus Lederer, überzeugt ist, dass das bundesweite Projekt Linkspartei an der Berliner WASG nicht scheitern darf, so breitet sich Unsicherheit aus. Denn die Berliner Abstimmung, so knapp sie auch mit lediglich 272 Ja- bei 245 Nein-Stimmen und zehn Enthaltungen für einen Alleingang war, könnte in anderen Landesverbänden Nachahmer finden. Noch setzt die WASG-Bundesführung auf Gespräche mit dem Berliner Landesverband. Sollte es aber zu einer Übertrittswelle von WASG-Mitgliedern zur Linkspartei.PDS kommen, dann würden die Befürworter einer WASG-Selbstständigkeit zu einer politisch bedeutungslosen Splitterpartei werden.

Mit Genugtuung reagiert man in den anderen Oppositionsparteien auf den Krach. Schließlich hat man - trotz der hohen Umfragewerte vor allem für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit - die Hoffnung auf eine neue, sprich andere Mehrheit im Abgeordnetenhaus noch nicht aufgegeben. Für sie ist die WASG zu einem zusätzlichen Hoffnungsfunken geworden. SPD-Partei- und Fraktionschef Michael Müller freilich spielt das Problem herunter. Eine so "völlig zerstrittene Splitterpartei" könne er als Gefahr nicht ausmachen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.