Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 13.03.2006
Roland Löffler

Alle müssen Deutsch sprechen

Sprachtraining im Kindergarten

Du musst üben, üben, üben", sagt der sechsjährige Vietnamese Ricky altklug zu seinem Kindergartenfreund, der gerade eine deutsche Präposition falsch angewendet hat - und grinst breit durch seine Zahnlücke. Ricky, der Türke Murat, die Deutsch-Argentinierin Larissa und der Iraner Siavash sind Teilnehmer der "Frühstart"-Sprachfördergruppe in der evangelischen Lukas-Kindertagesstätte in Gießen. Der fünfjährige Murat findet "Frühstart" toll: "Wir lernen immer etwas Neues." Mit Hilfe eines Kartenspiels übt er weiter Präpositionen: Der Clown habe auf der einen Karte den Hut "auf dem Kopf", auf der nächsten sei der Hut aber "neben dem Clown". Schwer sei das nicht, findet Murat und Spaß mache es auch.

Das Sprachtraining ist neben der interkulturellen Erziehung, der Elternarbeit und Gesundheitsvorsorge eine der Säulen des dreijährigen Frühstart-Projekts, das seit April 2004 an zwölf Kitas in Gießen, Wetzlar und Frankfurt läuft und von der Gemeinnützigen Hertie-, der Herbert-Quandt-, der Türkisch-Deutschen Gesundheitsstiftung, den Kommunen und dem Land Hessen mit insgesamt 500.000 Euro gefördert wird. Es soll Zuwandererkindern einen erfolgreichen Start in die Schule ermöglichen.

Vielfalt der Nationalitäten hat Vorteile

Die Kombination aus Sprachförderung und interkultureller Erziehung habe das Team motiviert, sich um die Teilnahme am "Frühstart"-Projekt zu bewerben, sagt die Kita-Leiterin Annette Bender. 70 Prozent der Kinder im Lukaskindergarten stammen aus Migrantenfamilien. Die oberhessische Mittelstadt mit rund 72.000 Einwohnern hat einen Migrantenanteil von rund 20 Prozent. Kinder aus bis zu 16 Nationen gehen in die Kita, die für insgesamt 46 Kinder ausgelegt ist. Die Kinder werden in zwei Gruppen gefördert. "Die Vielfalt der Nationalitäten hat einen Vorteil", erklärt Frau Bender: "Hier müssen alle Deutsch sprechen, denn wie will sich ein Iraner mit einem Vietnamesen sonst verstehen?"

"Die interkulturelle Erziehung ist das Dach. Spracherziehung und Elternarbeit sind Teile des Konzepts", erklärt Projektleiterin und Diplom-Pädagogin Mehtap Sanli die Konzeption. In einem intensiven, zweieinhalbjährigen Weiterbildungsprogramm würden die Erzieherinnen für kulturelle Prägungen, Erziehungsstile und Rollenverhalten sensibilisiert, um Probleme möglichst frühzeitig anzugehen. Um den Kontakt zu den Eltern zu intensivieren, bildet "Frühstart" zudem so genannte Elternbegleiter aus, die nicht nur dolmetschen, sondern auch zwischen den Kulturen vermitteln sollen.

Trotz erster positiver Evaluationen des Projekts, sieht Frau Sanli weiter sprachliche Defizite beim Übergang in die Grundschule. Die Idee des "Sprachbads", in dem ein Ausländer durch sein deutsches Umfeld schnell die Sprache erlerne, sei nicht aufgegangen, so Frau Sanlis Beobachtung. Das gelte vor allem für Stadtteile mit hohem Ausländeranteil wie etwa dem Frankfurter Gallus-Viertel. Sanli favorisiert deshalb das Modell der "Sprachinseln": Zweisprachig aufwachsenden Kindern sollten bestimmte Orte mit je einer Sprache verbinden, etwa zu Hause Türkisch, auswärts Deutsch sprechen. Perspektivisch sollen die Ergebnisse des Projekts, so Nils Warner, Referent der beteiligten Quandt-Stiftung, in die Curricula der Kitas einfließen. Der Kindergarten als Bildungseinrichtung steht also auch in interkultureller Perspektive vor neuen Herausforderungen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.