Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 13.03.2006
Nicole Alexander

Man kann die Deutschen begeistern

"Du bist Deutschland": Die viel diskutierte Kampagne geht im Herbst in die zweite Runde
Ein junger Mann sitzt auf der Tartanbahn einer Sporthalle, da, wo sein linkes Bein sein müsste, hat er eine Sportprothese. Er lächelt in die Kamera und sagt: "Man sieht ja ganz gut, dass ich eine behinderte Person bin." Schnitt. Der junge Mann läuft die Tartanbahn entlang, gleichmäßig, scheinbar mühelos. Seine Stimme kommt jetzt aus dem Off: "Mir geht es gut und ich fühle mich gut und ich habe Spaß am Leben und freue mich auf jeden Tag, der kommt." Schnitt, sein Gesicht in Großaufnahme. "Man braucht einfach jemanden, an dem man sich orientieren kann und der einem Ziele gibt. Und das versuche ich zu sein. Einfach zu zeigen: Menschen mit Handicap oder mit anderen Schicksalsschlägen können trotzdem weitermachen." Abblende, dann erscheint das Logo "Du bist Deutschland".

Der junge Mann ist Wojtek Czyz, dreifacher Goldmedaillengewinner bei den Paralympischen Spielen. Sein Bein hat er vor fünf Jahren verloren. Ein Sportunfall, die Ärzte machten einen Fehler nach dem anderen, am Ende blieb nur die Amputation. Seit Ende Februar läuft der TV-Spot auf zwölf verschiedenen Regionalsendern - eine Art "Making of" der umstrittenen Kampagne "Du bist Deutschland", bei der Czyz mitgemacht hat, und sehr viel eindrucksvoller als diese selbst. Denn was der behinderte Sportler in seinen eigenen, einfachen Worten ausdrückt, berührt den Zuschauer ungleich mehr als das leicht verkitschte "Manifest für Deutschland", das Prominente wie Unbekannte für die eigentliche Kampagne aufsagten.

Behandle dein Land wie einen Freund

Die Kampagne, für die im Herbst 2006 eine Fortsetzung geplant ist, nicht zur Kenntnis zu nehmen, dürfte kaum einem Deutschen gelungen sein. Das hoben auch die Macher der unabhängigen und überparteilichen "Mutmach-Kampagne" auf einer Pressekonferenz Ende Februar in Berlin hervor. Fünf Monate lang - von September 2005 bis Januar 2006 - liefen auf fast allen großen Fernsehkanälen TV-Spots, in denen Prominente wie Quizmaster Günther Jauch, "Tagesthemen"-Moderatorin Anne Will und Nationaltorhüter Oliver Kahn, aber auch ganz "normale" Menschen an ihre Landsleute appellierten, mehr Initiative und Verantwortung für Deutschland zu zeigen. "Behandle Dein Land doch einfach wie einen guten Freund", forderte etwa Jauch die Fernsehzuschauer auf. "Dein Wille ist wie Feuer unterm Hintern", gab Schauspieler Oliver Korittke den Deutschen mit auf den Weg. Ein geistig behinderter Mann sagte: "Du bist von allem ein Teil", und Dominic Raacke alias "Tatort"-Kommissar Till Ritter ergänzte: "Und alles ist ein Teil von Dir."

In vielen Printmedien wurden großformatige Anzeigen geschaltet ("Du bist Einstein", "Du bist Ludwig van Beethoven"), es gab Plakate und Flyer, selbst auf Brötchentüten prangte der Slogan. Die Idee zu der größten nichtkommerziellen Werbeaktion in der deutschen Mediengeschichte hatte Gunther Thielen, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG, kreiert wurde sie von den renommierten Werbeagenturen Jung von Matt und kempertrautmann.

Ziel der Kampagne: Die Deutschen aus der gefühlten nationalen Lethargie zu reißen und eine breite Dis-kussion über Eigeninitiative und Leistungsbereitschaft für das eigene Land auszulösen. 25 Medienunternehmen konnte Thielen zum Mitmachen bewegen. Das Argument: "Du bist Deutschland" helfe, eine positive Allgemeinstimmung zu verbreiten, die wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung sei. Der Zeitschriftenverlag Gruner und Jahr etwa erklärte seine Unterstützung so: "In Deutschland fehlt es an Selbstvertrauen und Eigeninitiative. Unsere Zukunft hängt aber davon ab, dass sich die Menschen etwas zutrauen und bereit sind, auch mal ein Wagnis einzugehen. Deutschland ist mit Einfallsreichtum, technologischem Fortschritt und Glauben an die Zukunft zu einem der lebenswertesten Länder geworden. Damit dies so bleibt, ist ein Aufbruch nötig, der nur in den Köpfen beginnen kann." Insgesamt wurden der Kampagne Werbeleis-tungen im Wert von 32 Millionen Euro unentgeltlich zur Verfügung gestellt, außerdem sicherte Thielen der Aktion die Unterstützung von mehr als 1.000 Unternehmen.

Polarisiert hat die Kampagne von Anfang an. "Die Zeit" räsonierte über die Wiederkehr des sozialistischen Zwangsoptimismus, manche kritisierten, hier solle ein diffuses Wir-Gefühl als "Sozialkitt" dienen. Wieder andere warfen der Kampagne vor, sie sei ein unguter Mix aus neuem Nationalismus und Neoliberalismus, und bemängelten das vertrauliche "Du" des Slogans. Die nächsten kritisierten die Auswahl der herausgestellten Persönlichkeiten. Diese Kritik kann Dominic Raake nicht verstehen: "Wenn ein Haufen ganz unterschiedlicher Leute ein Gedicht aufsagt, das dem Individuum huldigt, kann man das albern finden, aber doch nicht nationalistisch oder anbiedernd. Optimistisch ja, zwanghaft, na ja. Das kann man so sehen, muss man aber nicht."

Auch Wojtek Czyz findet den Vorwurf, die Kampagne habe eine nationalistische Ausrichtung, absurd. "Wenn ich das höre, kann ich nur lachen. Meine Wurzeln liegen in Polen. Das ist eben unser Problem, dass wir uns mit unserem Land nicht identifizieren können." Von dem Sinn der "Mutmach-Aktion" ist der 25-Jährige nach wie vor überzeugt und verweist auf seine eigenen Erfahrungen. "Nach der Beinamputation haben mir viele Leute gesagt: ,Versuch, zu vergessen, was hinter Dir liegt, und bau Dir eine Zukunft auf.' Diese Einstellung hat mir sehr geholfen. Deshalb geht es mir heute wieder gut", erzählt Czyz.

Kritik und Spott - für die Initiatoren der Kampagne ein weiterer Beweis dafür, dass sie die Menschen anspreche und emotionalisiere. Auf der Pressekonferenz zeigten sie sich hoch zufrieden mit dem Erfolg von "Du bist Deutschland". Wenn im Herbst die Fortsetzung folgt, wolle Bertelsmann die Führungsrolle allerdings abgeben. Die Aktion habe zur Aufbruchsstimmung in Deutschland beigetragen, so die übereinstimmende Meinung der Macher. Laut dem Marktforschungsinstitut GfK kennen 38 Millionen Deutsche die Kampagne. Allein am Starttag, dem 26. September, hätten 17 Millionen Menschen die Erstausstrahlung des Fernseh-Spots auf neun TV-Sendern gesehen "Die Kampagne ist ein Zeichen, dass man die Deutschen sehr wohl begeistern kann, etwas für ihr Land zu tun", sagte Thielen. Die Stimmung in Deutschland habe sich dank der Anzeigen und TV-Spots in den vergangenen fünf Monaten deutlich verbessert.

Das sieht Dominic Raacke allerdings anders. "Die Kampagne hat ihr Ziel definitiv verpasst. So etwas mögen die Deutschen nicht. Wir sind eben Skeptiker. Es ist deutsche Mentalität, kritisch auf Stimmungsmacher zu reagieren, und das ist im Prinzip ja auch gar nicht so schlecht."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.