10.1.2 Probleme, auf
die
Global Governance eine Antwort geben will
Ein Ausgangspunkt der Überlegungen zu
Global Governance ist, dass aufgrund der gestiegenen
Interdependenz zwischen Staaten – verursacht durch die
zunehmend grenzüberschreitenden Auswirkungen v.a.
wirtschaftlichen Han delns – viele Probleme nicht mehr
im nationalstaatlichen Alleingang gelöst werden können.
So können sowohl Verursacher als auch Betroffene von
problematischen grenzüberschreitenden Effekten in einem
anderen Staat angesiedelt sein, wie etwa im Falle der Verschmutzung
eines grenzüberschreitenden Flusses oder von regionalen
Wirtschaftskrisen. Ebenso kann ein Staat allein bestimmte
öffentliche Güter nicht ausreichend zur Verfügung
stellen (etwa im Falle der Armutsbekämpfung, wenn ihm dazu die
Ressourcen fehlen) bzw. diese nicht effektiv vor Übernutzung
und Zerstörung schützen (etwa im Falle des Schutzes der
Ozonschicht). Zu den international zu schützenden globalen
öffentlichen Gütern („Global public
goods“)8 zählen
nach einer Studie von UNDP (Kaul u.a. 1999) nicht nur das globale
Klima oder die biologische Vielfalt (vgl. Kapitel
7),auch Frieden, die Vermeidung von Wirtschaftskrisen,
ökonomische, soziale und finanzielle Stabilität (vgl.
Kapitel 2,3 und 4) sowie die
verschiedenen Aspekte
menschlicher Sicherheit („Human security“, vgl. u.a.
6.2.3) gehören dazu. Ebenso existieren auch „Public
bads“, wie sie etwa die aus der gestiegenen ungleichen
Einkommensentwicklung resultierende Armut, die weltweit ungleiche
Verteilung des Zugangs zu Wissen, die Einschränkung
staatlicher Souveränität oder Schranken für
die Ausübung von Bürgerrechten darstellen. Der Schutz
öffentlicher „Goods“ wird durch solche
„Bads“ unter Umständen bedroht. Insbesondere
bestimmte „externe Kosten“ privatwirtschaftlicher
Tätigkeiten, beispielsweise soziale und ökologische
Schäden, können dem Schutz öffentlicher Güter
entgegenwirken. Diese Probleme können einerseits durch
Globalisierungsprozesse bzw. die in ihrer Folge gewachsene
Interdependenz verschärft werden, wenn nicht entsprechende
politische Gegenmaßnahmen getroffen werden (s.
Kasten 10-2).Globalisierungsprozesse befördern zumeist das
Wachstum privater Güter, gefährden aber unter
Umständen gleichzeitig den Schutz globaler öffentlicher
Güter – insofern kann zwischen beidem ein nur schwer
aufzulösendes Spannungsverhältnis bestehen. Die
Globalisierung kann andererseits aber auch Positives mit Blick auf
diese Probleme und ihre Lösung leisten, z.B. durch besseren
Zugang zu Wissen und Technologie, Herausbildung gut informierter
und emanzipierter gesellschaftlicher Gruppen oder
Ressourcenein sparung durch Effizienzgewinne. Ergebnis
erfolgreicher
Global Governance sollte sein, dass diese Chancen so weit wie
möglich von allen Menschen genutzt werden können.
In der
Kontroverse über diese Herausforderungen wurde darauf
hingewiesen, dass der Begriff der „globalen Probleme“
eine recht große Zahl unterschiedlicher Tatbestände
erfasse. Die dahinter stehenden unterschiedlichen Ursachen sowie
oft grundverschiedenen Handlungsinte-ressen und -optionen
müssten jedoch auseinandergehalten werden, um ein
realistischeres Bild der heutigen Lage zu zeichnen. Auch nach
dieser Einschätzung ist Global Governance in verschiedener
Hinsicht erforderlich und hilfreich: in Form allgemein akzeptierter
Verhaltensregeln für die Lösung regionaler Probleme (z.B.
Verursacherprinzip, Gewaltverzicht), als Hilfe des
begünstigten für den benachteiligten Teil der Welt und
als gemeinsame Anstrengung zur Überwindung der wirklich
gemeinsamen Probleme. So besteht Übereinstimmung darüber,
dass ein Staat allein die genannten Probleme nicht befriedigend
lösen kann, sondern dazu die Kooperation mehrerer oder gar
aller betroffenen Staaten notwendig ist. Bei dem Bestreben,
politisch weltumspannend zu handeln, darf nicht übersehen
werden, dass nicht automatisch so etwas wie ein gemeinsames
Interesse „der Menschheit“ bzw. der Staatenwelt an
einer Lösungsfindung vorausgesetzt werden kann. Auch gilt eine
gleichmäßige Wechselseitigkeit der
„Interdependenz“ nur für bestimmte Sachverhalte
und Staatengruppen, oft existieren klare
Hierarchieverhältnisse und einseitige Abhängigkeiten. So
sind die OECD-Länder viel besser ausgestattet als die
Entwicklungs- und Schwellenländer, um mögliche
problematische Auswirkungen der Globalisierung abzuwehren.
Ausgehend von einer solchen Situation globaler Chancenungleichheit
ist es daher notwendig, eine globale Verantwortungsethik zu
entwickeln und aus einer daraus abgeleiteten Verantwortung heraus
zu handeln. Die unterschiedlichen Folgen der Globalisierung,
begründet durch die große Ungleichheit zwischen den
Industrieländern und vielen weltwirtschaftlich abgekoppelten
Entwicklungsländern, sollten berücksichtigt werden. Die
Schaffung einer globalen Struktur- und Ordnungspolitik muss es
gerade den schwächeren Mitgliedern der internationalen
Staatenfamilie, also in erster Linie den Entwicklungsländern,
ermöglichen, an der Globalisierung mit den gleichen Chancen
und Rechten wie die wirtschaftlich potenteren Länder
partizipieren zu können. In diesem Zusammenhang stellt sich
auch die Frage,
ob und wieweit bereits bestehende globale Institutionen, wie z.B.
der IWF und die WTO, tatsächlich zur Lösung globaler
Probleme beigetragen haben oder ob sie – wie vor allem von
Seiten einer größeren Zahl von Entwicklungsländern,
von vielen Gruppierungen der Zivilgesellschaften aber auch von
internationalen Organisationen wie der UNCTAD vorgebracht wird
– diese Probleme nicht nur nicht gelöst, sondern sogar
verschärft haben. Auch innergesellschaftliche Probleme und die
Rolle gesellschaftlicher Gruppen (wie etwa die inkompetenter oder
korrupter Eliten) müssen dabei in die Analyse von Auswirkungen
der Globalisierung auf bestimmte Länder mit einbezogen
werden.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass es
sowohl gemeinsame – wie auch divergierende – Interessen
an einer erfolgreichen Lösung bestimmter Probleme, etwa der
Flüchtlingsproblematik oder der Probleme durch die Existenz
von Massenvernichtungswaffen, als auch eine moralische
Verantwortung dazu gibt. Beides motiviert heute – wie auch
schon vor dem Globalisierungsschub der 90er Jahre – die
Überlegungen zur Schaffung und Gestaltung einer
Global Governance.
8 Öffentliche Güter sind Güter, bei denen
sich zum einen das Ausschlussprinzip nicht anwenden lässt und
zum anderen die Nichtrivalität im Konsum überwiegt. Ihr
Nutzen kommt allen zugute, wenn es an ihnen mangelt, erleiden viele
Schaden. Die Globalität öffentlicher Güter bestimmt
sich vor allem durch die Reichweite ihres Nutzens.
|