10.2.1.3 Ein neues Verhältnis
zwischen Innen- und Außenpolitik
Eindeutig ist, dass viele
grenzüberschreitende Probleme nicht mehr mit den
herkömmlichen Methoden und Instrumenten der
nationalstaatlichen Außenpolitik erfolgversprechend bearbeitet
werden können (vgl. Messner 2001b). Das Politikfeld
„Außenpolitik“ schien lange Zeit sehr
übersichtlich strukturiert zu sein. Im Zentrum der
auswärtigen Beziehungen standen Friedens- und
Sicherheitspolitik (inklusive Verteidigung), die Marktöffnung
für eigene Exporte und die Gestaltung der
Nord-Süd-Beziehungen im Rahmen der Entwicklungspolitik. Vor
diesem Hintergrund ließen sich Innen- und Außenpolitik
ziemlich trennscharf voneinander unterscheiden. Diese Wahrnehmung
von Außenpolitik als überschaubarem Feld mit leicht zu
umschreibenden Aufgabenfeldern und schnell zu verortenden Akteuren
innerhalb der Ministe rienlandschaft dürfte grundlegend
dafür sein, dass in Deutschland, wie die
„Geschäftsordnung der Bundes regierung“
zeigt, das Auswärtige Amt (AA) für die Gesamtheit der
deutschen Außenbeziehungen zuständig ist, flankiert durch
das Bundeskanzleramt, das aufgrund der Richtlinienkompetenz des
Kanzlers auch in der Außenpolitik eine starke Stellung
besitzt. Die umfassende Verantwortung des AA für die
Wahrnehmung „gesamtstaatlicher Interessen“ drückt
sich zum Beispiel darin aus, dass in der Geschäftsordnung
(§11) festgelegt ist, dass Mitglieder und Vertreter
auswärtiger Regierungen und zwischenstaatlicher Einrichtungen
nur nach vorherigem Benehmen mit dem AA empfangen werden sollen und
Verhandlungen mit dem Ausland oder im Ausland nur mit Zustimmung
des AA, auf Verlangen auch nur unter seiner Mitwirkung,
geführt werden dürfen. Diese Aufgabenbeschreibung
für das AA als Spitze und Zentrum deutscher
Außenbeziehungen entspricht längst nicht mehr den
Realitäten. So zeigt eine Bestandsaufnahme der
auswärtigen Beziehungen der Bundesministerien (Eberlei und
Weller 2001), dass alle Fachressorts in den vergangenen zehn bis 15
Jahren als Reflex auf Globalisierungsdynamiken ihre
grenzüberschreitenden Aktivitäten stark ausgebaut haben.
Dies drückt sich z.B. in der hohen und steigenden Zahl der
Arbeitseinheiten aus, die sich mit internationalen Fragestellungen
beschäftigen. Derzeit sind in den Bundesministerien 336
Referate mit internationalen Aufgaben befasst, davon 281 mit
Problemstellungen, die auch über die „europäische
Innen politik“ hinausreichen. Zum Vergleich: das AA
verfügt über 74 Referate. Faktisch ist somit jedes
Fachministerium zum „Außenministerium“ des von ihm
bearbeiteten Politikfeldes geworden.
Empfehlung 10-2
Stärkung einer kohärenten internationalen Politik der
Bundesregierung
Die internationale
Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ist eine unabdingbare
Voraussetzung für die aktive Gestaltung der Globalisierung.
Sie ist eng gekoppelt an ein hohes Maß von Kohärenz all
der Politikbereiche, die sich mit internationalen Fragen
beschäftigen. Die Enquete-Kommission empfiehlt der
Bundesregierung, bereits bestehende Konzepte zur Schaffung von mehr
Kohärenz zu stärken sowie darüber hinaus gehende
Ansätze zu identifizieren und umzusetzen. Die über
250Referate und ähn liche Arbeitseinheiten in den
Bundesministerien, die sich mit europapolitischen und
internationalen Fragen beschäftigen, sollten in ihrer Politik
aufeinander abgestimmt werden, um eine kohärente
internationale Politik zu gewährleisten. Um die
Bearbeitungskapazitäten von internationalen Strukturfragen und
politischen Querschnittsthemen zu erhöhen, sind
Strukturreformen notwendig.
Beispielsweise kann die
Entwicklungspolitik ihren erweiterten Aufgabenkatalog im Sinne
eines Beitrags zu Globaler Strukturpolitik als politische
Querschnittsaufgabe nur dann erfüllen, wenn Außen- und
Menschenrechtspolitik, Handels- und Finanzpolitik, Umwelt- und
Agrarpolitik mit der Entwicklungspolitik in eine kohärente
Gesamtpolitik eingebunden werden. Ziel muss dabei sein, die
nationalen wie internationalen Rahmenbedingungen sozial gerecht und
ökologisch tragfähig zu gestalten, so dass alle Menschen
an den Chancen der Globalisierung teilhaben können und Risiken
der Globalisierung eingedämmt werden. Entsprechend den vier
Zieldimensionen der Entwicklungspolitik (vgl. Kapitel 10.2.3.1)sollten im Zentrum der
Bemühungen die Reduktion der Armut, die Verbesserung der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einschließlich der
Bedingungen für private Direktinvestitionen in den
Partnerländern, die politische Stabilität – auch im
Kontext erweiterter Beteiligungsmöglichkeiten der
Bevölkerung – sowie der Erhalt des ökologischen
Gleichgewichtes stehen.
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