10.2.2.1
Multilaterale Kooperation vs. unilaterale Dominanz
Ungeachtet der Notwendigkeit von globaler Zusammenarbeit fehlt
oft der politische Wille dazu, weil machtpolitische Interessen und nationale
Egoismen überwiegen. Dazu kommt, dass verstärkte internationale Kooperation
per se noch keine ausreichende Lösung ist: Es gibt bereits ein hohes
Maß an internationaler Kooperation, deren Ergebnisse jedoch oft unbefriedigend
bleiben. Multilaterale Kooperation gilt es also nicht nur auszubauen, sondern
– was noch wichtiger ist – inhaltlich zum Wohle aller Menschen zu gestalten.
Kritiker erkennen in nationalen Eigeninteressen und exis-tierenden
Machtasymmetrien zentrale Hindernisse für Global Governance. Sie beobachten
vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik der USA eine Tendenz zum Unilateralismus.
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts
wurde eine weltpolitische Konjunktur des Multilateralismus erwartet. Tatsächlich
erleben wir aber eine Krise des Multilateralismus. Die Großmächte befürworten
üblicherweise nur soviel Multilateralismus, wie zur Wahrung der eigenen Interessen
unbedingt notwendig ist. Diese Tendenz hat sich – ausgelöst durch die gegen
die USA gerichteten Terrorangriffe am 11. September 2001 – noch verstärkt.
Unilateralismus ist für eine Kultur der Kooperation abträglich
und blockiert den Aufbau multilateraler Global Governance-Strukturen. Das schlechte
Vorbild könnte Schule machen: Warum sollten sich die ehemalige Großmacht Russland
und die aufsteigenden Großmächte China und Indien anders verhalten? Das Resultat
offenbart sich in der Schwächung des UN-Systems, das eigentlich das institutionelle
Rückgrat einer multilateralen „neuen Weltordnung“ bilden sollte. Im Vorwort
zu Brzezinskis „Die einzige Weltmacht“ (1997) setzte Hans-Dietrich Genscher
einen Kontrapunkt: Eine künftige Weltordnung könne nur dann die Gebote der Dauerhaftigkeit
und Gerechtigkeit erfüllen, wenn sie auf das „gleichberechtigte Zusammenleben
der Völker und auf die gleichberechtigte und globale Zusammenarbeit der Weltregionen“
gegründet sei.
Lehrreich sind auch die Schlussfolgerungen, die der
amerikanische Politologe Samuel Huntington vor dem 11.September 2001 aus seiner
Analyse der weltpolitischen Mächtekonstellation gezogen hatte: Das derzeitige
Streben der politischen Entscheidungsträger und ihrer wissenschaftlichen Beraterstäbe
nach einem „globalen Unilateralismus“ sei im Eigeninteresse der USA kontraproduktiv.
Eine kooperationsfeindliche Supermacht laufe Gefahr, zur „einsamen Supermacht“
(Huntington 1999) zu werden, die als solche mehr verlieren als gewinnen könne.
Während Skeptiker die Zukunft multilateraler Kooperation eher
pessimistisch einschätzen, setzt eine optimistische Sicht darauf, dass unilaterales
Verhalten langfristig für alle zu „teuer“ sei, denn Kooperation und „Burden
sharing“ können auch politische und finanzielle Kosten sparen. Globale Probleme
können auch durch einen mächtigen Hegemon nicht mehr allein bewältigt werden.
Seine Kooperationsverweigerung provoziert zudem die Kooperationsverweigerung
anderer Staaten bei der Bearbeitung von Problemen, die ihn auch selbst betreffen.
Die Bereitschaft zur Kooperation besteht aber nur dann, wenn alle Verhandlungspartner
einen fairen Interessenausgleich erwarten können. Deshalb läge es auch im aufgeklärten
Eigeninteresse der USA, mehr auf partnerschaftliche Kooperation zu setzen und
auf diese Weise Widerstände abzubauen, die ein hegemonialer Führungsanspruch
unweigerlich aufbaut.
Eine
künftige Weltordnung kann nur dann dauerhaft sein, wenn sie auf die globale
Zusammenarbeit aller Weltregionen gegründet ist. Sie kann zwar nicht ohne oder
gegen die USA geschaffen werden, aber diese können nur dann eine konstruktive
Rolle spielen, wenn sie zu einem „selbstbewussten Multilateralismus“ zurückkehren.
Wenn sich die Supermacht verweigert, kann eine kooperative Weltfriedensordnung
nicht funktionieren (vgl. Debiel 2000a, 2000b).
Die Vision von Global Governance zielt trotz all dieser aktuellen
Widerstände, die durch eine andere Wahrnehmung von Interessen veränderbar sind,
auf den Aufbau einer nicht-hegemonialen Kooperationskultur ab. Auch der nach
dem 11. September 2001 ausgerufene „Krieg gegen den Terror“ verlangt globale
Kooperation. In einer zunehmend vernetzten Welt ist multilaterale Kooperation
mehr denn je erforderlich.
Empfehlung 10-10 Förderung und Ausbau multilateraler Kooperation
Die EU
sollte im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP),
der europäischen Handels-, Umwelt- und Entwicklungspolitik ihr multilaterales
Engagement verstärken und ggf. Trends zu unilateralem Verhalten gegensteuern.
Aus den europäischen Juniorpartnern der Vergangenheit sollte sich schrittweise
ein gleichberechtigter „Partner EU“ mit Verhandlungsmacht und zivilem weltpolitischem
Gestaltungswillen entwickeln. Die EU soll eine konstruktive Vorreiterrolle als
„kooperative Weltmacht“ (Messner 2001a) übernehmen, mit besonderem Schwerpunkt
auf der zivilen Krisen- und Konfliktprävention.
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