11.1.7 Minderheitsvoten der CDU/CSU zu
speziellen Kapiteln und Handlungsempfehlungen des
Mehrheitsberichts
11.1.7.1 Finanzmärkte
Vorbemerkungen
Die Arbeitsgruppe
„Finanzmärkte“ hatte bereits im Zwischenbericht
der Enquete-Kommission eine Vielzahl von Handlungsempfehlungen
vorgelegt. Die CDU/CSU-Gruppe hatte damals der Mehrheitsmeinung in
vielen Punkten widersprochen, aber auch erwartet, dass der ihrer
Meinung nach verfrüht vorgelegte Zwischenbericht in weiteren
Diskussionen vertieft würde. Das ist nur in
Ausnahmefällen geschehen.
Auch bei neu
diskutierten Themen traten erneut schwerwiegende
Meinungsdifferenzen zwischen den Koalitionsparteien – in der
Regel verstärkt durch die PDS – und der CDU/CSU-Gruppe
sowie der FDP auf. Das ist in Anbetracht der Bedeutung der
behandelten Themen für den Globalisierungsprozess
bedauerlich.
Die Mehrheit
steht der Globalisierung der Finanzmärkte ablehnend
gegenüber. Schlimmer jedoch ist, dass die Mehrheit diese
Skepsis an den Anfang ihrer Überlegungen stellt und daher bei
allen weiteren Betrachtungen systematisch empirische Entwicklungen
und Theorien ausblendet, die nicht in diese Kritik passen. So setzt
sie sich bereits mit der sonst allgemein anerkannten
Überzeugung der „herrschenden Lehre“ nicht einmal
ernsthaft auseinander, wonach weitgehend freie Kapitalmärkte
nicht nur notwendige Voraussetzung funktionierender internationaler
Gütermärkte sind, sondern auch aus sich heraus dazu
beitragen, den Wohlstand in der Welt zu mehren („das
zentrale Argument für einen freien internationalen
Kapitalverkehr ist sein Beitrag für das Wirtschaftswachs
tum“ (Deutsche Bundesbank 2001d: 21). Sie erweckt stattdessen
den Eindruck, die positiven Wirkungen globaler Finanzmärkte
könnten nur unter sehr speziellen, in der Realität nicht
gegebenen Voraussetzungen eintreten.
An vielen
weiteren Stellen werden Stil und Inhalt des Mehrheitsbericht den
Ansprüchen, die an eine ausgewogene Darstellung und
wissenschaftliche Auseinandersetzung zu stellen sind, nicht
gerecht. Dies betrifft vor allem die Teile, die sich mit dem
Problem hoher Realzinsen, dem Entstehen und den Folgen von
Finanzkrisen sowie dem europäischen Finanzmarkt und der
Europäischen Währungsunion beschäftigen. Ein
Bemühen um Konsens in der Arbeitsgruppe war bei der Mehrheit
nicht festzustellen. Dies führte dazu, dass die Meinung der
Minderheit im Kommissionsbericht fast an keiner Stelle sichtbar
wird. Im Folgenden können nur die wichtigsten Themen
angesprochen werden.
a) liberalisierte
Finanzmärkte
Die Mehrheitsmeinung geht davon aus, dass
die Globalisierung der Finanzmärkte für eine Vielzahl von
Fehlentwicklungen und Krisen der Weltwirtschaft verantwortlich zu
ma chen und deshalb
einzuschränken und zu kontrollieren sei. Deregulierung und
Liberalisierung der Finanzmärkte gelten als gefährlich
und als Ursache von Finanzkrisen.
Die
CDU/CSU-Gruppe betont dagegen die durchweg positiven Auswirkungen
der Liberalisierung der Finanzmärkte. Sie bewirkt z.B.,
dass
– Kapital seiner produktivsten Verwendung
zugeführt werden und damit eine wachstumssteigernde Wirkung
entfalten kann.
– kapitalsuchende Marktteilnehmer nicht nur
auf ihre nationalen Märkte beschränkt bleiben bzw.
verzerrte Preise zu zahlen haben.
– „privates Kapital mittlerweile
für eine zunehmende Zahl von Entwicklungs- und
Schwellenländern zur dominierenden Finanzierungsquelle
geworden (ist)“ (Deutsche Bundesbank 2001d: 17)
– Investitionsrisiken auf verschiedene
Marktteilnehmer verteilt werden können.
– gesamtwirtschaftliches Angebot und
Nachfrage zu niedrigen Preisen einen Ausgleich finden und die
Auswahlmöglichkeiten der Marktteilnehmer reichhaltiger
werden.
– kurzfristige Schwankungen des
Sozialproduktes durch Kapitalimporte bzw. -exporte ausgeglichen
werden können.
– die Effizienz nationaler Finanzsysteme
erhöht wird.
b) Finanzkrisen
Die Mehrheit ist
der Meinung, Ausgangspunkt der Finanz krisen sei ein
überhöhtes Kapitalangebot. Besonders attraktiv
erscheinende Länder seien „überschwemmt“
worden. Die Welle sei dann zurückgeschwappt, wenn sich eine zu
geringe Absorptionsfähigkeit des nationalen Marktes gezeigt
habe.
Die
CDU/CSU-Gruppe widerspricht dieser einfachen Argumentation.
Nachfrageaspekte bleiben dabei unberücksichtigt.
Es ist richtig, dass in den neunziger
Jahren die privaten Kapitalflüsse in die
Entwicklungsländer außergewöhnlich stark anstiegen,
nachdem sie vorher v.a. in Industrieländer geströmt
waren. Nun ist es aber nicht so, dass die Entwicklungsländer
nutzen- und schutzlos einem einströmenden Kapital ausgesetzt
sind. Zum einen profitieren von der Kapitalanlage beide Seiten
– die Anleger und die Anlageorte –, zum anderen liegt
es im Verantwortungsbereich der Anlageländer, durch eine
(fortgesetzte) rationale, attraktive und an nationalen
Gegebenheiten orientierte Politik die Bedingungen für ein
rentables Kapitalangebot aufrechtzuerhalten und für eine
solide nationale Marktaufsicht zu sorgen.
Länder, die
nicht durch eine solide Wirtschaftspolitik ausländisches
Kapital attrahierten, sondern durch anders motivierte
Einflussnahmen auf den Wechselkurs bzw. das Wirtschaftsgeschehen
erst Anreize für exzessive Kapitalzuströme schufen und
dabei implizit Wechselkurs- und Kreditgarantien vorzugeben
schienen, sind an „ihrer“ Krise selbst schuld –
nicht ein anonymer internationaler Kapitalmarkt oder „die
Globalisierung“. Diese Anschauung setzt sich auch nach den
Krisen der jüngsten Zeit (z.B. in Argentinien) mehr und mehr
durch.
Damit sollen die
Fehleinschätzungen und Überreaktionen seitens der
Marktteilnehmer im Vorfeld und während der Finanzkrisen nicht
verharmlost werden. Sie waren aber alleine niemals die Ursache. Es
gibt auch kein einziges Beispiel dafür, dass wirtschaftlich
gesunde Länder in eine ausschließlich durch Spekulation
verursachte schwere Krise gerieten. „Freier Kapitalverkehr
kann also Krisen verstärken und beschleunigen, ihre Ursachen
liegen aber anderswo“ (Deutsche Bundesbank 2001d: 25),
nämlich in wirtschaftspolitischem Fehlverhalten der
betroffenen Länder. „Der freie Kapitalverkehr legt
(es)... offen und übt so einen Rechtfertigungszwang auf die
politisch Verantwortlichen aus“ (Deutsche Bundesbank 2001d:
25).
Ungeachtet der
grundsätzlichen Befürwortung freier internationaler
Kapitaltransaktion muss es jedem Land überlassen bleiben, frei
darüber zu entscheiden, ob und in welcher Weise es seine
Grenzen für ausländisches Kapital öffnet. Umgekehrt
muss jeder Staat, der am globalen Finanzsystem teilnehmen will, die
internen Voraussetzungen, insbesondere mit Blick auf das heimische
Banksys tem hierfür schaffen
c) Devisenumsatzsteuer („Tobin-Steuer“)
Das Eintreten der
Mehrheit in der Arbeitsgruppe für
Kapitalverkehrskontrollen einschließlich einer
Devisenumsatzsteuer („Tobin-Steuer“) wird von
einer breiten Mehrheit von Währungs- und
Finanzwissenschaftlern und -politikern verworfen. Das kürzlich
vom BMZ in Auftrag gegebene Gutachten kommt zwar zum Ergebnis, dass
es technisch möglich sei, die Steuer zu erheben, enthält
sich aber jeder Wertung, ob das sinnvoll sei (Spahn 2002).
Die
CDU/CSU-Arbeitsgruppe lehnt die Tobin-Steuer entschieden ab.
Abgesehen davon, dass sie in der Praxis kaum umzusetzen ist (sie
müsste weltweit eingeführt werden, um wirklich wirksam zu
sein), würde der internationale Waren- und
Dienstleistungsverkehr massiv beeinträchtigt. Die Auffassung,
man träfe mit einer Besteuerung kurzfristiger
Kapitaltransaktionen nur die „Spekulanten“, ist naiv.
Die Mehrheitsmeinung nimmt nicht zur Kenntnis, in welchem Umfang
kurzfristige Finanzoperationen unmittelbar und mittelbar mit
klassischen Waren- und Dienstleistungstransaktionen verbunden sind
und übersieht, dass ein großer Teil kurzfristiger
Finanzgeschäfte der zum Teil durch rechtliche Vorgaben
erzwungenen Kurssicherung dienen. Eine Beschränkung auf
unerwünschte Transaktionen ließe sich weder durchsetzen
noch kontrollieren. In echten Krisen übersteigen zudem die
Ertragserwartungen aus Währungsgeschäften deutlich die
Größenordnung einer Tobin-Steuer. Würde die
verschiedentlich vorgeschlagene hohe Steuer mit einem Satz von bis
zu 60 % Realität, könnte vielleicht die Spekulation
erschwert werden. Gleichzeitig aber würden Investitionen in
Entwicklungsländern fragwürdig, wenn das
Rücktauschrisiko mit einem so hohen Steuersatz verbunden
wäre. Höchstwahrscheinlich müssten am Ende vor allem
die Entwicklungsländer und ihre Kapitalmärkte unter
dieser Steuer leiden.
Gerade das Ziel, die Wachstumsbedingungen in
Entwicklungsländern zu verbessern, würde verfehlt, wenn
die Finanzmärkte durch eine Zusatzsteuer belastet würden
und die Steuer zu Fehlallokationen des Kapitals führen
würde. Die mit der Tobin-Steuer häufig verbundene
Vorstellung, man könne auf diesem Weg zusätzliche
Staatseinnahmen generieren, verkennt, dass in den meisten
Ländern eine Senkung der Abgabebelastung erforderlich ist, und
nicht eine Erhöhung.
d) Realzinsen
Der
Mehrheitsbericht der Arbeitsgruppe „Finanzmärkte“
beschäftigt sich recht ausführlich mit der Problematik
hoher Realzinsen, insbesondere mit ihrem Verhältnis zum realen
Wachstum des Sozialprodukts. Obwohl hierzu zwei, auch zitierte
Gutachten vorgelegen haben, stützt sich der Bericht nur
einseitig auf ein Gutachten von Felix (2002), der in der Fachwelt
für seine Minderheitsmeinung bekannt ist. Das andere Gutachten
von von Hagen (2002) weist nach, dass hohe Realzinsen per se keinen
Anlass zur Besorgnis bieten. Von Hagen weist nach, dass die
Nettokapitalrendite (=Ertragsrate vor Sachkapitalkosten) in allen
beobachteten Ländern über den langfristigen Realzinsen
lagen. Die Ausführungen des Mehrheitsberichts aber stehen im
Gegensatz zu dieser Fest stellung.
Die
CDU/CSU-Gruppe schließt sich der Stellungnahme der FDP an, die
von der herrschenden Lehre ausgeht und zum Ergebnis kommt, dass die
Realzinsen in den 1990er Jahren weder besonders hoch waren noch,
dass von ihnen für die Finanzmärkte negative Wirkungen
ausgehen.
e) Zu einzelnen Handlungsempfehlungen
Zur
Handlungsempfehlung 2.1
Geldwäsche wirksam bekämpfen
Selbstverständlich unterstützt die CDU/CSU-Arbeitsgruppe
jede wirksame Bekämpfung von Geldwäsche und kriminellen
Geldgeschäften. Daher wird auch der Forderung zugestimmt, dass
die FATF ihre „40 Empfehlungen“ weiterentwickeln
soll.
Der Staat muss
Möglichkeiten dazu haben, gegen dubiose und kriminelle
Geldtransaktionen vorzugehen. Allerdings ist es zweifelhaft, ob
dies mit den von den Mehrheitsfraktionen genannten Mitteln
möglich und zielführend ist. Stattdessen ist zu
befürchten, dass vor allem unerwünschte Bürokratie
produziert wird. Die Anzahl aller Transaktionen alleine einer
großen Bank beläuft sich auf bis zu zehn Millionen pro
Tag. Die Wirksamkeit von „Filtern“ ist damit
fragwürdig.
Zur
Handlungsempfehlung 2.6
Einen
einheitlichen europäischen Finanzmarkt schaffen
Grundsätzlich ist der Zielsetzung zuzustimmen, einen
europäischen Finanzmarkt zu schaffen, der funktionsfähig,
wettbewerbsfähig und demokratisch legitimiert ist. Die
Empfehlung wird jedoch abgelehnt, weil hier Finanzmärkte mit
einer Zielsetzung versehen werden sollen, die sie nicht leisten
können. Ob ein Finanzmarkt reguliert werden muss, um
„einem sozialstaatlichen Entwicklungsmodell in Europa
Rechnung (zu) tragen“, muss stark bezweifelt werden.
Natürlich sollten keine Widersprüche zwischen sozialer
und (finanz)marktwirtschaftlicher Politik entstehen. Es handelt
sich aber um zwei verschiedene Politikfelder. Die Finanzmärkte
sollten nicht einer entsprechenden direkten Regulierung
unterliegen.
Völlig unklar bleibt, wie und auf
welchem Weg „die Sys teme der sozialen
Sicherheit“ so ausgestaltet werden sollen, dass „sie
vor den Risiken der Finanzmärkte abgeschirmt bleiben“.
Das kann nur so verstanden werden, dass soziale Sicherheit nicht
über Finanzmärkte finanziert werden soll. Das aber
würde bedeuten, dass sie auch von den (Ertrags-) Chancen der
Finanzmärkte ausgeschlossen wäre. Sie wäre damit
teuer und liefe Gefahr, den Menschen gerade keine Sicherheit zu
bieten.
Schließlich wird auch in dieser
Empfehlung wieder der „schädliche
Steuerwettbewerb“ angesprochen, vor dem man sich
schützen müsse. Nach Kenntnis der CDU/CSU-Gruppe gibt es
indes keinen Beweis für diese Schädlichkeit. Im
Gegenteil: Der Steuerwettbewerb kann dazu führen, dass die
Belastung der Menschen gesenkt wird, dass effektiver gewirtschaftet
wird. Wenn ehemals staatliche Aufgaben wegen geringerer
Staatseinnahmen durch private Unternehmen erbracht werden, so kann
dies zu Effizienzsteigerungen führen.
Zur Handlungsempfehlung 2.7
Stabilitäts-,
Beschäftigungs- und Wachstumspolitik in der Europäischen
Währungsunion besser verzahnen
Gegen eine bessere Verzahnung der genannten
Politikbereiche kann niemand sein. Es ist allerdings von
entscheidender Bedeutung, in welcher Weise das erreicht werden
soll. Bereits in dem der Empfehlung zugrunde liegenden Text wird
überdeutlich, dass die Mehrheit einem weitgehend freien
Finanzmarkt (als Beispiel wird der US-amerikanische herangezogen)
sehr kritisch gegenübersteht. Hinzu kommen offenkundig falsche
Darstellungen, die in dem Satz gipfeln: „Die
gesamtwirtschaftliche Orientierung der EU ist schädlich
für die Stabilität und Funktionsfähigkeit der
Finanzmärkte in der EU“ und die Politik von Kommission
und Europäischer Zentralbank einer harschen,
ungerechtfertigten Kritik unterzieht.
Der Empfehlung muss insoweit widersprochen
werden, als wir es für völlig falsch halten, das Mandat
der Europäischen Zentralbank zu ändern und
„beschäftigungs- und wachstumspolitische Ziele“
mit zu verfolgen. Die vorrangige Ausrichtung des Notenbanksystems
auf die Geldwertstabilität, wie sie im Maastricht-Vertrag
verankert ist, ist die grundlegende Bedingung für den
dauerhaften Erfolg der Währungsunion und ihre Akzeptanz in der
Bevölkerung. Einen Widerspruch zwischen stabilem Geld und
Beschäftigung, wie ihn die Empfehlung der Kommissionsmehrheit
suggeriert, gibt es nicht. Im Gegenteil: Nur in einer
Volkswirtschaft mit niedrigen Preis steigerungsraten können die Preise ihre
Lenkungsfunktion am Markt voll erfüllen.
Geldwertstabilität fördert damit dauerhaft
wachstumsfreundliche Rahmenbedingungen; ihre Einschränkung
begrenzt hingegen Wachstums- und Beschäftigungschancen.
Die bestehenden Beschäftigungsprobleme
in Europa und insbesondere in Deutschland sind eindeutig nicht die
Folge einer übermäßig restriktiven Geldpolitik,
sondern das Ergebnis einer unsachgemäßen nationalen
Wirtschaftspolitik. Sie können auch nicht durch billiges Geld
gelöst werden. Die Erfahrung der siebziger Jahre des
vergangenen Jahrhunderts hat gerade erwiesen, dass eine solche
Politik zu einer höheren Inflationsrate bei unverändert
niedrigem Beschäftigungsniveau führt.
Eine Zielerweiterung der EZB ist somit nicht
erforderlich, sie wäre schädlich, weil sie die EZB
Politik überfrachtete und die Gefahr bestünde, dass das
Stabilitätsziel vernachlässigt würde.
Zur Handlungsempfehlung 2.8
Für die Einführung einer
Devisentransaktionssteuer und die Aufrechterhaltung von
Möglichkeiten zur Kontrolle kurzfristiger
Kapitalbewegungen
Zur generellen Problematik
(Tobin-Steuer) wurde oben bereits Stellung genommen. Aber
auch diese Empfehlung lehnen wir strikt ab. Wenn in dem
vorliegenden Text zunächst eine europäische
Einführung vorgeschlagen wird, dann erkennt man eine gewisse
Oberflächlichkeit. Denn einerseits wurde bereits oben darauf
hingewiesen, dass eine Tobin-Steuer nur wirken kann, wenn sie
weltweit eingeführt wird. Zum anderen sind durch das System
der Europäischen Währungsunion mit der
Euro-Einführung die meisten Wechselkurse zueinander fest. Eine
europaweite Tobin-Steuer wäre völlig sinnlos. Der
Devisenhandel würde in die Länder abwandern, in denen
eine solche Steuer nicht erhoben würde. Schließlich haben
gerade die Finanzkrisen des Jahres 2002 gezeigt, dass eine Steuer
die Krisengefahr nicht ursachengerecht eindämmen
könnte.
Zur Handlungsempfehlung 2.9
Die Beteiligung des privaten Sektors
(„Private Sector Involvement“) bei der Vorbeugung und
Bewältigung von Finanzkrisen stärken
Die CDU/CSU-Arbeitsgruppe teilt die Ansicht
der Deutschen Bundesbank (Deutsche Bundesbank 1999: 33, Deutsche
Bundesbank 2002: 126), dass im Krisenfall alle Beteiligten –
Schuldner, öffentliche und private Gläubiger – sich
an der Krisenbewältigung einschließlich einer etwaigen
Umschuldung in angemessener Weise zu beteiligen haben. Auf diese
Weise lässt sich dem „moral hazard“- Risiko
vorbeugen. Hierfür muss selbstverständlich Sorge getragen
werden.
Auch in der Vergangenheit haben sich private
Gläubiger an Umschuldungen aktiv beteiligt. Bereits 1999 haben
die G7-Staaten Grundsätze zur Einbindung des privaten Sektors
in die Krisenbewältigung aufgestellt. Dieses Fünf-Punkte
Programm (Deutsche Bundesbank 1999: 43) sollte baldmöglichst
umgesetzt werden.
Die Empfehlung, Gläubiger in einem
vorher ausgehandelten Maße an den Kosten einer
Schuldenrestrukturierung zu beteiligen, wird auch von der CDU/CSU
mitgetragen. Dabei muss jedoch stets eine Balance zwischen
grundsätzlichen Festlegungen und einer ausreichenden
Flexibilität gewahrt werden, weil sich jede Krise von den
anderen unterscheidet. Das verbietet zu weitgehende und straffe
Regeln.
Schwierigkeiten bestehen offenbar bei der
Einbeziehung von Anleihegläubigern. Hier sollten Mechanismen
entwickelt werden, die diese Gläubigergruppe stärker in
Umschuldungen einbindet. Um zu vermeiden, dass die internationalen
Kapitalmärkte für Entwicklungsländer als
Finanzierungsquelle ausfallen, muss es sich um
marktmäßige Mechanismen, wie beispielsweise die Aufnahme
von Umschuldungsklauseln in Anleiheverträge, handeln.
Andernfalls würde gerade die Finanzierung von
Entwicklungsländern von Anfang an erheblich verteuert
werden.
Die Forderung der Mehrheit, dass
„Kreditgeber, die ihren Verpflichtungen bei einer
vereinbarten Umschuldung nicht nachkommen, (...) bei
öffentlichen Aufträgen (...) zeitweise ausgeschlossen
werden“, ist abzulehnen. Unklar bleibt hierbei zunächst,
welche Kreditgeber gemeint sind. Soweit es sich um
Anleihegläubiger handelt, läuft die Empfehlung ins Leere.
Das gleiche gilt für Bankkredite. Es ist nicht im Sinne der
Minderheit, bestimmte Gläubigergruppen und Interessen zu
diskriminieren. Außerdem unterstellt die Empfehlung ohne
sachliche Rechtfertigung, dass sich Gläubiger an
Vereinbarungen, die sie bei Umschuldungsabkommen eingegangen sind,
nicht halten.
Zur Handlungsempfehlung 2.10
Offshore Zentren zur Kooperation
veranlassen
Die Existenz von Finanzplätzen mit
fehlenden oder schwachen Regulierungen und niedrigen
Steuersätzen bieten einen Anreiz für kriminelle
Aktivitäten.
Sie können zu erheblichen Problemen
für die Stabilität der internationalen Finanzbeziehungen
führen. Darum ist die Informationslage über die in
Offshore-Zentren abgewickelten Finanzgeschäfte erheblich zu
verbessern.
Vor allem aber wäre es wichtig, die
Informationslage über die anscheinend umfangreichen
Finanztransaktionen zu verbessern, die außerhalb des
Bankensektors z.B. über Fonds oder spezielle
Gesellschaftskonstruktionen, wie z.B. die „International
Business Corporations“ abgewickelt werden. Auch die
Aufsichtsregeln sind in den meisten Offshore-Zentren
verbesserungsfähig. Insofern unterstützt die
CDU/CSU-Arbeitsgruppe die Vorgehensweise der OECD, welche durch
Ihre Anstrengungen wirkungsvoll die Unterbindung von
Geldwäsche und Steuerhinterziehung in Offshore-Zentren
voranbringen. Auf diesem Wege müssen die Staatengemeinschaft
alle Wege und Mittel einsetzen, um die Vorgaben der OECD
umzusetzen.
Die Staatengemeinschaft muss in international
vereinbarter Weise mit geeigneten – auch scharfen –
Sanktionen die nicht kooperativen Offshore-Finanzzentren zur
Korrektur ihrer gefährlichen Finanzmarktpolitik zwingen.
Bei gemeinsamen
Willen muss es möglich sein, diese nicht-kooperationsbereiten
Finanzplätze zur Einhaltung von Mindeststandards bringen.
Die im
Mehrheitsbericht empfohlene öffentliche Brandmarkung von
Unternehmen, die zu nicht kooperativen Offshore-Finanzplätzen
Geschäftsbeziehungen unterhalten, ist zunächst
abzulehnen. Diese Maßnahme ist unserer Auffassung erst dann
gerechtfertigt, wenn zuvor alle Möglichkeiten der
internationalen Politik zur Beseitigung oder Verringerung dieses
nicht hinnehmbaren Fehlverhaltens gescheitert sind.
Zur
Handlungsempfehlung 2.12
Die
Institutionen von Bretton Woods nicht schwächen, sondern
reformieren
Die
Überschrift dieser Handlungsempfehlung überrascht, da sie
suggeriert, dass es irgendwo die ernsthafte Forderung nach
Schwächung der Institutionen gebe. Das ist nach unserem Wissen
nicht der Fall. Die CDU/CSU-Gruppe steht inhaltlich hinter dieser
Handlungsempfehlung, allerdings sind Einzelheiten zu unklar
formuliert.
So steckt hinter
der Forderung, der IWF solle sich bei der Erarbeitung von
Programmen „zur Lösung von Schulden- und Finanzkrisen
(...) an den Entwicklungsbedingungen von Ländern oder Regionen
und an den Lebensbedingungen der Menschen ausrichten“
offenbar der Vorwurf, der IWF habe dies in der Vergangenheit nicht
getan. Der Mehrheitsbericht lastet dem IWF eine nicht
gerechtfertigte Schuld an Finanzkrisen an.
Ähnlich
vorwurfsvoll klingt es, wenn gefordert wird, dass „soziale
und ökologische Belange berücksichtigt und Formen der
Partizipation der Bevölkerung gefunden werden
müssen“. Die Mehrheit unterstellt, dass in der
bisherigen Politik der Institutionen soziale und ökologische
Belange nicht berücksichtigt wurden. Das ist nicht
richtig.
Richtig ist, dass in der Politik der
Institutionen ökonomische Belange im Vordergrund gestanden
haben. So muss es auch bleiben, da die Institutionen im Auftrag von
und mit finanziellen Mitteln unabhängiger Gläubiger
(Staaten) handeln.
In diesem
Zusammenhang sehen wir auch die geforderte
„Demokratisierung“ der Entscheidungsstrukturen in IWF
und Weltbank kritisch. Eine massive Neuverteilung der Stimmrechte
erscheint der CDU/CSU-Arbeitsgruppe nicht sinnvoll. Die
Länder, die die Mittel zur Verfügung stellen, sollten
auch das Recht behalten, letztlich über die Konditionen der
Vergabe zu entscheiden. Sonst werden sie wahrscheinlich ihr
finanzielles Engagement verringern oder ganz aufgeben.
Zur
Handlungsempfehlung 2.13
Geschlechtergerecht Haushalte („Gender Budgets“)
Wir
unterstützen das Ziel, mehr Klarheit über
geschlechtsspezifische Auswirkungen von Haushaltsbeschlüssen
zu bekommen. Die Formulierung der Handlungsempfehlung geht
allerdings viel zu weit. Mit welch riesigem Aufwand soll es
möglich sein, alleine die Analysen „auf allen Ebenen
(international, regional, lokal und auf EU-Ebene)“ geschweige
denn die Aufstellung geschlechtergerechter Haushalte
durchzuführen? Bereits die geforderte Datenerhebung oder das
„gendersensitive Training für MitarbeiterInnen der
Finanz- und Wirtschaftsverwaltung“ würde einen sehr
hohen Aufwand bedeuten, wenn die Ergebnisse brauchbar sein sollen.
Die CDU/ CSU-Gruppe hält diesen Aufwand nicht für
gerechtfertigt und lehnt deshalb die Empfehlung ab.
Zur
Handlungsempfehlung 2.16
Die HIPC-
Initiative fortsetzen und den Schuldendienst an der
Tragfähigkeit bemessen
Die Weltbank und
der Internationale Währungsfonds haben bereits 1999 im Rahmen
der beschlossenen HIPC- Initiative für die ärmsten und
hochverschuldeten Länder einen weitreichenden Schuldenerlass
beschlossen. Dies ist auch in den Augen der CDU/CSU-Gruppe ein
richtiger und notwendiger Schritt gewesen. Ebenso ist es sinnvoll,
die Entschuldung mit Hilfe der freiwerdenden Mittel
(„Poverty Reduction Strategy Program“, PRSP) an
eine sinnvolle nationale Armutsbekämpfung zu knüpfen und
künftige Kreditmittel nur zu vergeben, wenn ein solches PRSP
vorliegt.
Es darf
allerdings nicht übersehen werden, dass die HIPC- Initiative
Gefahren in sich birgt: Zum einen könnten Länder, die
große Probleme mit ihrer Verschuldung haben, in der Hoffnung,
in den Genuss der Initiative zu kommen, in ihren eigenen
Anstrengungen zur Schuldenbewältigung nachlassen und sich auf
die Solidarität anderer Länder verlassen. Zum anderen
sollten Kreditgeber vor (!) der Bereitstellung der Kredite auf eine
sinnvolle Verwendung der Kredite ebenso dringen wie auf eine
„Good Governance“ (in den Bereichen von
Menschenrechten, Demokratie, Bildungsinvestitionen,
Rechtsstaatlichkeit und Reduzierung von Rüstungsaufgaben) des
betreffenden Staates. Ohne eine solche könnte die
Kreditvergabe (v.a. unter dem Schild der HIPC-Initiative) ein Fass
ohne Boden werden.
Deshalb sollte
die Tragfähigkeit nicht die „zentrale Rolle bei der
Beurteilung der ‚Überschuldung’“ spielen,
denn es geht nicht nur darum im Nachhinein, „eine
ökonomische, soziale und politische Überforderung zu
vermeiden“, sondern eine solche Gefahr bereits vor der
Kreditvergabe zu sehen und entsprechend zu handeln.
Schließlich sollte die Tragfähigkeit – anders als
die Mehrheit es vorschlägt – auf die wirtschaftliche
Tragfähigkeit bezogen bleiben. Andere Merkmale wie die
genannten, ökologischen oder genderspezifischen Gesichtspunkte
– können an anderen Stellen berücksichtigt werden,
z.B. bei der Vergabe neuer Kredite.
Deutlich
unterschieden werden muss zwischen HIPC und den Ländern mit
mittlerem Einkommen. Für diese Länder greift die
Forderung nach Umschuldungen bzw. Schulden erlass zu kurz,
muss doch das Ziel der Bemühungen sein, ihnen Spielräume
gerade dadurch zu verschaffen, dass Zugang zu inter
nationalen Mitteln besteht. Besonders negativ ist zu beurteilen,
wenn auch für internationale Handelsfinanzierungen ein
Schuldenerlass gefordert wird. Dies kommt einer sofortigen und
empfindlichen Störung der Ressourcentransfers in die
betroffenen Ländern gleich.
Zur
Handlungsempfehlung 2.17
Eine
internationale Insolvenzregelung entwickeln
Eine
internationale Insolvenzregelung ist seit längerem im
Gespräch. Eine neue Regelung erscheint grundsätzlich auch
der CDU/CSU-Gruppe als notwendig. Allerdings sind noch zu viele,
vor allem juristische Probleme zu lösen, denn hier wird
absolutes Neuland beschritten. Die Hinweise auf individuelle
Insolvenzrechte – auch in Richtung der US-amerikanischen
Regelungen zu „Chapter 9“ bzw. „Chapter 11“
greifen nicht richtig. Mindestens auf Jahre hinaus sind derartige
Regelungen nicht realisierbar. Zu den Problemen, die bestehen,
gehört z.B. dass alle Länder bereit sein müssen,
für bestimmte Zwecke ihr nationales Insolvenzrecht einer
internationalen Regelung, die u.U. aus einem völlig anderen
Rechtssystem und Rechtsverständnis stammt, unterzuordnen.
Hinzu kommt, dass
sich diese Vorschriften nicht auf bestimmte Gläubigergruppen
(z.B. ausländische Besitzer von Staatsanleihen)
beschränken lassen. Vielmehr würden alle, also auch die
inländischen Besitzer aller Staatsschulden hiervon erfasst.
Fraglich ist, welche Behörde den Umschuldungsfall
erklären soll. Unklar sind zudem die Kriterien anhand derer
der konkrete Umschuldungsfall identifiziert werden soll. Jeder
Umschuldungsfall ist anders. Einheitliche Bewertungsfaktoren sind
schwierig zu finden. Außerdem kann ein Umschuldungsprozess nur
dann erfolgreich sein, wenn auch ein Strukturanpassungsprogramm des
Schuldners erstellt und vor allem seine Einhaltung kontrolliert
wird.
Der
Wissenschaftliche Beirat beim BMZ hatte Anfang 2000 ein Gutachten
vorgelegt, das zum Ergebnis kommt, dass die politische
Souveränität und damit verbunden die Nichtabsetzbarkeit
einer Regierung einem internationalen Insolvenzverfahren aus einem
Guss entgegenstehen. Das Gutachten empfiehlt, das Augenmerk
vielmehr auf eine schrittweise Veränderung der bestehenden
quasi-insolvenzrechtlichen Verfahren und deren einzelner Elemente
zu richten. Diese Sichtweise ist von einer weiteren Stellungnahme
durch die Hermes Kreditversicherungs-AG bestätigt worden.
Begrüßenswert ist die Haltung der gegenwärtigen
Bundesregierung, die zwar Denkmodelle eines internationalen
Insolvenzrechts durchaus ernst nimmt und eingehend prüft,
ansonsten aber die Umsetzung eines internationalen
Insolvenzverfahrens als allenfalls sehr langfristig realistische
Alternative betrachtet.
Es gibt auch
andere kritische Stimmen, die von einer solchen
„umwälzenden Neuerung der Finanzbeziehungen“
Nachteile erwarten. So spricht Schweickert (Institut für
Weltwirtschaft, Kiel) davon, dass sich damit „das
Kredit risiko erhöhen werde und damit die
Kapitalkosten“ (Schweickert 2001).
Völlig
lehnen wir die Mehrheitsempfehlung ab, wonach eine
„unabhängige Schiedsstelle mit neutralem Vorsitz und bei
paritätischer Beteiligung von Schuldnern und
Gläubigern“ verbindliche Entscheidungen in Fällen
von Staaten-Insolvenz fällen soll. Das ist kein praktikables
Verfahren.
Im IWF werden zur
Zeit Pläne diskutiert, wie ein geordneter Umschuldungsprozess
organisiert werden könnte. Hierbei sind Verfahrensregeln
geplant, die „Mehrheits entscheidungen vorsehen, die
für alle Gläubiger rechtswirksam wären“
(Deutsche Bundesbank 2002: 130). Dieses Vorgehen erscheint
angemessen und realisierbar.
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