*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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11.1.7     Minderheitsvoten der CDU/CSU zu speziellen Kapiteln und Handlungsempfehlungen des Mehrheitsberichts

11.1.7.1   Finanzmärkte

Vorbemerkungen

Die Arbeitsgruppe „Finanzmärkte“ hatte bereits im Zwischenbericht der Enquete-Kommission eine Vielzahl von Handlungsempfehlungen vorgelegt. Die CDU/CSU-Gruppe hatte damals der Mehrheitsmeinung in vielen Punkten widersprochen, aber auch erwartet, dass der ihrer Meinung nach verfrüht vorgelegte Zwischenbericht in weiteren Diskussionen vertieft würde. Das ist nur in Ausnahmefällen geschehen.

Auch bei neu diskutierten Themen traten erneut schwerwiegende Meinungsdifferenzen zwischen den Koalitionsparteien – in der Regel verstärkt durch die PDS – und der CDU/CSU-Gruppe sowie der FDP auf. Das ist in Anbetracht der Bedeutung der behandelten Themen für den Globalisierungsprozess bedauerlich.

Die Mehrheit steht der Globalisierung der Finanzmärkte ablehnend gegenüber. Schlimmer jedoch ist, dass die Mehrheit diese Skepsis an den Anfang ihrer Überlegungen stellt und daher bei allen weiteren Betrachtungen systematisch empirische Entwicklungen und Theorien ausblendet, die nicht in diese Kritik passen. So setzt sie sich bereits mit der sonst allgemein anerkannten Überzeugung der „herrschenden Lehre“ nicht einmal ernsthaft auseinander, wonach weitgehend freie Kapitalmärkte nicht nur notwendige Voraussetzung funktionierender internationaler Gütermärkte sind, sondern auch aus sich heraus dazu beitragen, den Wohlstand in der Welt zu mehren („das zentrale Argument für einen freien internationalen Kapitalverkehr ist sein Beitrag für das Wirtschaftswachs­ tum“ (Deutsche Bundesbank 2001d: 21). Sie erweckt stattdessen den Eindruck, die positiven Wirkungen globaler Finanzmärkte könnten nur unter sehr speziellen, in der Realität nicht gegebenen Voraussetzungen eintreten.

An vielen weiteren Stellen werden Stil und Inhalt des Mehrheitsbericht den Ansprüchen, die an eine ausgewogene Darstellung und wissenschaftliche Auseinandersetzung zu stellen sind, nicht gerecht. Dies betrifft vor allem die Teile, die sich mit dem Problem hoher Realzinsen, dem Entstehen und den Folgen von Finanzkrisen sowie dem europäischen Finanzmarkt und der Europäischen Währungsunion beschäftigen. Ein Bemühen um Konsens in der Arbeitsgruppe war bei der Mehrheit nicht festzustellen. Dies führte dazu, dass die Meinung der Minderheit im Kommissionsbericht fast an keiner Stelle sichtbar wird. Im Folgenden können nur die wichtigsten Themen angesprochen werden.

a)   liberalisierte Finanzmärkte

Die Mehrheitsmeinung geht davon aus, dass die Globalisierung der Finanzmärkte für eine Vielzahl von Fehlentwicklungen und Krisen der Weltwirtschaft verantwortlich zu ma    chen und deshalb einzuschränken und zu kontrollieren sei. Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte gelten als gefährlich und als Ursache von Finanzkrisen.

Die CDU/CSU-Gruppe betont dagegen die durchweg positiven Auswirkungen der Liberalisierung der Finanzmärkte. Sie bewirkt z.B., dass

–    Kapital seiner produktivsten Verwendung zugeführt werden und damit eine wachstumssteigernde Wirkung entfalten kann.

–    kapitalsuchende Marktteilnehmer nicht nur auf ihre nationalen Märkte beschränkt bleiben bzw. verzerrte Preise zu zahlen haben.

–    „privates Kapital mittlerweile für eine zunehmende Zahl von Entwicklungs- und Schwellenländern zur dominierenden Finanzierungsquelle geworden (ist)“ (Deutsche Bundesbank 2001d: 17)

–    Investitionsrisiken auf verschiedene Marktteilnehmer verteilt werden können.

–    gesamtwirtschaftliches Angebot und Nachfrage zu niedrigen Preisen einen Ausgleich finden und die Auswahlmöglichkeiten der Marktteilnehmer reichhaltiger werden.

–    kurzfristige Schwankungen des Sozialproduktes durch Kapitalimporte bzw. -exporte ausgeglichen werden können.

–    die Effizienz nationaler Finanzsysteme erhöht wird.

b)   Finanzkrisen

Die Mehrheit ist der Meinung, Ausgangspunkt der Finanz­ krisen sei ein überhöhtes Kapitalangebot. Besonders attraktiv erscheinende Länder seien „überschwemmt“ worden. Die Welle sei dann zurückgeschwappt, wenn sich eine zu geringe Absorptionsfähigkeit des nationalen Marktes gezeigt habe.

Die CDU/CSU-Gruppe widerspricht dieser einfachen Argumentation. Nachfrageaspekte bleiben dabei unberücksichtigt.

Es ist richtig, dass in den neunziger Jahren die privaten Kapitalflüsse in die Entwicklungsländer außergewöhnlich stark anstiegen, nachdem sie vorher v.a. in Industrieländer geströmt waren. Nun ist es aber nicht so, dass die Entwicklungsländer nutzen- und schutzlos einem einströmenden Kapital ausgesetzt sind. Zum einen profitieren von der Kapitalanlage beide Seiten – die Anleger und die Anlageorte –, zum anderen liegt es im Verantwortungsbereich der Anlageländer, durch eine (fortgesetzte) rationale, attraktive und an nationalen Gegebenheiten orientierte Politik die Bedingungen für ein rentables Kapitalangebot aufrechtzuerhalten und für eine solide nationale Marktaufsicht zu sorgen.

Länder, die nicht durch eine solide Wirtschaftspolitik ausländisches Kapital attrahierten, sondern durch anders motivierte Einflussnahmen auf den Wechselkurs bzw. das Wirtschaftsgeschehen erst Anreize für exzessive Kapitalzuströme schufen und dabei implizit Wechselkurs- und Kreditgarantien vorzugeben schienen, sind an „ihrer“ Krise selbst schuld – nicht ein anonymer internationaler Kapitalmarkt oder „die Globalisierung“. Diese Anschauung setzt sich auch nach den Krisen der jüngsten Zeit (z.B. in Argentinien) mehr und mehr durch.

Damit sollen die Fehleinschätzungen und Überreaktionen seitens der Marktteilnehmer im Vorfeld und während der Finanzkrisen nicht verharmlost werden. Sie waren aber alleine niemals die Ursache. Es gibt auch kein einziges Beispiel dafür, dass wirtschaftlich gesunde Länder in eine ausschließlich durch Spekulation verursachte schwere Krise gerieten. „Freier Kapitalverkehr kann also Krisen verstärken und beschleunigen, ihre Ursachen liegen aber anderswo“ (Deutsche Bundesbank 2001d: 25), nämlich in wirtschaftspolitischem Fehlverhalten der betroffenen Länder. „Der freie Kapitalverkehr legt (es)... offen und übt so einen Rechtfertigungszwang auf die politisch Verantwortlichen aus“ (Deutsche Bundesbank 2001d: 25).

Ungeachtet der grundsätzlichen Befürwortung freier internationaler Kapitaltransaktion muss es jedem Land überlassen bleiben, frei darüber zu entscheiden, ob und in welcher Weise es seine Grenzen für ausländisches Kapital öffnet. Umgekehrt muss jeder Staat, der am globalen Finanzsystem teilnehmen will, die internen Voraussetzungen, insbesondere mit Blick auf das heimische Banksys­ tem hierfür schaffen

c)   Devisenumsatzsteuer („Tobin-Steuer“)

Das Eintreten der Mehrheit in der Arbeitsgruppe für Kapitalverkehrskontrollen einschließlich einer Devisenumsatzsteuer („Tobin-Steuer“) wird von einer breiten Mehrheit von Währungs- und Finanzwissenschaftlern und -politikern verworfen. Das kürzlich vom BMZ in Auftrag gegebene Gutachten kommt zwar zum Ergebnis, dass es technisch möglich sei, die Steuer zu erheben, enthält sich aber jeder Wertung, ob das sinnvoll sei (Spahn 2002).

Die CDU/CSU-Arbeitsgruppe lehnt die Tobin-Steuer entschieden ab. Abgesehen davon, dass sie in der Praxis kaum umzusetzen ist (sie müsste weltweit eingeführt werden, um wirklich wirksam zu sein), würde der internationale Waren- und Dienstleistungsverkehr massiv beeinträchtigt. Die Auffassung, man träfe mit einer Besteuerung kurzfristiger Kapitaltransaktionen nur die „Spekulanten“, ist naiv. Die Mehrheitsmeinung nimmt nicht zur Kenntnis, in welchem Umfang kurzfristige Finanzoperationen unmittelbar und mittelbar mit klassischen Waren- und Dienstleistungstransaktionen verbunden sind und übersieht, dass ein großer Teil kurzfristiger Finanzgeschäfte der zum Teil durch rechtliche Vorgaben erzwungenen Kurssicherung dienen. Eine Beschränkung auf unerwünschte Transaktionen ließe sich weder durchsetzen noch kontrollieren. In echten Krisen übersteigen zudem die Ertragserwartungen aus Währungsgeschäften deutlich die Größenordnung einer Tobin-Steuer. Würde die verschiedentlich vorgeschlagene hohe Steuer mit einem Satz von bis zu 60 % Realität, könnte vielleicht die Spekulation erschwert werden. Gleichzeitig aber würden Investitionen in Entwicklungsländern fragwürdig, wenn das Rücktauschrisiko mit einem so hohen Steuersatz verbunden wäre. Höchstwahrscheinlich müssten am Ende vor allem die Entwicklungsländer und ihre Kapitalmärkte unter dieser Steuer leiden.

   Gerade das Ziel, die Wachstumsbedingungen in Entwicklungsländern zu verbessern, würde verfehlt, wenn die Finanzmärkte durch eine Zusatzsteuer belastet würden und die Steuer zu Fehlallokationen des Kapitals führen würde. Die mit der Tobin-Steuer häufig verbundene Vorstellung, man könne auf diesem Weg zusätzliche Staatseinnahmen generieren, verkennt, dass in den meisten Ländern eine Senkung der Abgabebelastung erforderlich ist, und nicht eine Erhöhung.

d)   Realzinsen

Der Mehrheitsbericht der Arbeitsgruppe „Finanzmärkte“ beschäftigt sich recht ausführlich mit der Problematik hoher Realzinsen, insbesondere mit ihrem Verhältnis zum realen Wachstum des Sozialprodukts. Obwohl hierzu zwei, auch zitierte Gutachten vorgelegen haben, stützt sich der Bericht nur einseitig auf ein Gutachten von Felix (2002), der in der Fachwelt für seine Minderheitsmeinung bekannt ist. Das andere Gutachten von von Hagen (2002) weist nach, dass hohe Realzinsen per se keinen Anlass zur Besorgnis bieten. Von Hagen weist nach, dass die Nettokapitalrendite (=Ertragsrate vor Sachkapitalkosten) in allen beobachteten Ländern über den langfristigen Realzinsen lagen. Die Ausführungen des Mehrheitsberichts aber stehen im Gegensatz zu dieser Fest­ stellung.

Die CDU/CSU-Gruppe schließt sich der Stellungnahme der FDP an, die von der herrschenden Lehre ausgeht und zum Ergebnis kommt, dass die Realzinsen in den 1990er Jahren weder besonders hoch waren noch, dass von ihnen für die Finanzmärkte negative Wirkungen ausgehen.

e)   Zu einzelnen Handlungsempfehlungen

Zur Handlungsempfehlung 2.1

Geldwäsche wirksam bekämpfen

Selbstverständlich unterstützt die CDU/CSU-Arbeitsgruppe jede wirksame Bekämpfung von Geldwäsche und kriminellen Geldgeschäften. Daher wird auch der Forderung zugestimmt, dass die FATF ihre „40 Empfehlungen“ weiterentwickeln soll.

Der Staat muss Möglichkeiten dazu haben, gegen dubiose und kriminelle Geldtransaktionen vorzugehen. Allerdings ist es zweifelhaft, ob dies mit den von den Mehrheitsfraktionen genannten Mitteln möglich und zielführend ist. Stattdessen ist zu befürchten, dass vor allem unerwünschte Bürokratie produziert wird. Die Anzahl aller Transaktionen alleine einer großen Bank beläuft sich auf bis zu zehn Millionen pro Tag. Die Wirksamkeit von „Filtern“ ist damit fragwürdig.

Zur Handlungsempfehlung 2.6

Einen einheitlichen europäischen Finanzmarkt schaffen

Grundsätzlich ist der Zielsetzung zuzustimmen, einen europäischen Finanzmarkt zu schaffen, der funktionsfähig, wettbewerbsfähig und demokratisch legitimiert ist. Die Empfehlung wird jedoch abgelehnt, weil hier Finanzmärkte mit einer Zielsetzung versehen werden sollen, die sie nicht leisten können. Ob ein Finanzmarkt reguliert werden muss, um „einem sozialstaatlichen Entwicklungsmodell in Europa Rechnung (zu) tragen“, muss stark bezweifelt werden. Natürlich sollten keine Widersprüche zwischen sozialer und (finanz)marktwirtschaftlicher Politik entstehen. Es handelt sich aber um zwei verschiedene Politikfelder. Die Finanzmärkte sollten nicht einer entsprechenden direkten Regulierung unterliegen.

Völlig unklar bleibt, wie und auf welchem Weg „die Sys­ teme der sozialen Sicherheit“ so ausgestaltet werden sollen, dass „sie vor den Risiken der Finanzmärkte abgeschirmt bleiben“. Das kann nur so verstanden werden, dass soziale Sicherheit nicht über Finanzmärkte finanziert werden soll. Das aber würde bedeuten, dass sie auch von den (Ertrags-) Chancen der Finanzmärkte ausgeschlossen wäre. Sie wäre damit teuer und liefe Gefahr, den Menschen gerade keine Sicherheit zu bieten.

Schließlich wird auch in dieser Empfehlung wieder der „schädliche Steuerwettbewerb“ angesprochen, vor dem man sich schützen müsse. Nach Kenntnis der CDU/CSU-Gruppe gibt es indes keinen Beweis für diese Schädlichkeit. Im Gegenteil: Der Steuerwettbewerb kann dazu führen, dass die Belastung der Menschen gesenkt wird, dass effektiver gewirtschaftet wird. Wenn ehemals staatliche Aufgaben wegen geringerer Staatseinnahmen durch private Unternehmen erbracht werden, so kann dies zu Effizienzsteigerungen führen.

Zur Handlungsempfehlung 2.7

Stabilitäts-, Beschäftigungs- und Wachstumspolitik in der Europäischen Währungsunion besser verzahnen

Gegen eine bessere Verzahnung der genannten Politikbereiche kann niemand sein. Es ist allerdings von entscheidender Bedeutung, in welcher Weise das erreicht werden soll. Bereits in dem der Empfehlung zugrunde liegenden Text wird überdeutlich, dass die Mehrheit einem weitgehend freien Finanzmarkt (als Beispiel wird der US-amerikanische herangezogen) sehr kritisch gegenübersteht. Hinzu kommen offenkundig falsche Darstellungen, die in dem Satz gipfeln: „Die gesamtwirtschaftliche Orientierung der EU ist schädlich für die Stabilität und Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte in der EU“ und die Politik von Kommission und Europäischer Zentralbank einer harschen, ungerechtfertigten Kritik unterzieht.

Der Empfehlung muss insoweit widersprochen werden, als wir es für völlig falsch halten, das Mandat der Europäischen Zentralbank zu ändern und „beschäftigungs- und wachstumspolitische Ziele“ mit zu verfolgen. Die vorrangige Ausrichtung des Notenbanksystems auf die Geldwertstabilität, wie sie im Maastricht-Vertrag verankert ist, ist die grundlegende Bedingung für den dauerhaften Erfolg der Währungsunion und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung. Einen Widerspruch zwischen stabilem Geld und Beschäftigung, wie ihn die Empfehlung der Kommissionsmehrheit suggeriert, gibt es nicht. Im Gegenteil: Nur in einer Volkswirtschaft mit niedrigen Preis    steigerungsraten können die Preise ihre Lenkungsfunktion am Markt voll erfüllen. Geldwertstabilität fördert damit dauerhaft wachstumsfreundliche Rahmenbedingungen; ihre Einschränkung begrenzt hingegen Wachstums- und Beschäftigungschancen.

Die bestehenden Beschäftigungsprobleme in Europa und insbesondere in Deutschland sind eindeutig nicht die Folge einer übermäßig restriktiven Geldpolitik, sondern das Ergebnis einer unsachgemäßen nationalen Wirtschaftspolitik. Sie können auch nicht durch billiges Geld gelöst werden. Die Erfahrung der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat gerade erwiesen, dass eine solche Politik zu einer höheren Inflationsrate bei unverändert niedrigem Beschäftigungsniveau führt.

Eine Zielerweiterung der EZB ist somit nicht erforderlich, sie wäre schädlich, weil sie die EZB Politik überfrachtete und die Gefahr bestünde, dass das Stabilitätsziel vernachlässigt würde.

Zur Handlungsempfehlung 2.8

Für die Einführung einer Devisentransaktionssteuer und die Aufrechterhaltung von Möglichkeiten zur Kontrolle kurzfristiger Kapitalbewegungen

Zur generellen Problematik (Tobin-Steuer) wurde oben bereits Stellung genommen. Aber auch diese Empfehlung lehnen wir strikt ab. Wenn in dem vorliegenden Text zunächst eine europäische Einführung vorgeschlagen wird, dann erkennt man eine gewisse Oberflächlichkeit. Denn einerseits wurde bereits oben darauf hingewiesen, dass eine Tobin-Steuer nur wirken kann, wenn sie weltweit eingeführt wird. Zum anderen sind durch das System der Europäischen Währungsunion mit der Euro-Einführung die meisten Wechselkurse zueinander fest. Eine europaweite Tobin-Steuer wäre völlig sinnlos. Der Devisenhandel würde in die Länder abwandern, in denen eine solche Steuer nicht erhoben würde. Schließlich haben gerade die Finanzkrisen des Jahres 2002 gezeigt, dass eine Steuer die Krisengefahr nicht ursachengerecht eindämmen könnte.

Zur Handlungsempfehlung 2.9

Die Beteiligung des privaten Sektors („Private Sector Involvement“) bei der Vorbeugung und Bewältigung von Finanzkrisen stärken

Die CDU/CSU-Arbeitsgruppe teilt die Ansicht der Deutschen Bundesbank (Deutsche Bundesbank 1999: 33, Deutsche Bundesbank 2002: 126), dass im Krisenfall alle Beteiligten – Schuldner, öffentliche und private Gläubiger – sich an der Krisenbewältigung einschließlich einer etwaigen Umschuldung in angemessener Weise zu beteiligen haben. Auf diese Weise lässt sich dem „moral hazard“- Risiko vorbeugen. Hierfür muss selbstverständlich Sorge getragen werden.

Auch in der Vergangenheit haben sich private Gläubiger an Umschuldungen aktiv beteiligt. Bereits 1999 haben die G7-Staaten Grundsätze zur Einbindung des privaten Sektors in die Krisenbewältigung aufgestellt. Dieses Fünf-Punkte Programm (Deutsche Bundesbank 1999: 43) sollte baldmöglichst umgesetzt werden.

Die Empfehlung, Gläubiger in einem vorher ausgehandelten Maße an den Kosten einer Schuldenrestrukturierung zu beteiligen, wird auch von der CDU/CSU mitgetragen. Dabei muss jedoch stets eine Balance zwischen grundsätzlichen Festlegungen und einer ausreichenden Flexibilität gewahrt werden, weil sich jede Krise von den anderen unterscheidet. Das verbietet zu weitgehende und straffe Regeln.

Schwierigkeiten bestehen offenbar bei der Einbeziehung von Anleihegläubigern. Hier sollten Mechanismen entwickelt werden, die diese Gläubigergruppe stärker in Umschuldungen einbindet. Um zu vermeiden, dass die internationalen Kapitalmärkte für Entwicklungsländer als Finanzierungsquelle ausfallen, muss es sich um marktmäßige Mechanismen, wie beispielsweise die Aufnahme von Umschuldungsklauseln in Anleiheverträge, handeln. Andernfalls würde gerade die Finanzierung von Entwicklungsländern von Anfang an erheblich verteuert werden.

Die Forderung der Mehrheit, dass „Kreditgeber, die ihren Verpflichtungen bei einer vereinbarten Umschuldung nicht nachkommen, (...) bei öffentlichen Aufträgen (...) zeitweise ausgeschlossen werden“, ist abzulehnen. Unklar bleibt hierbei zunächst, welche Kreditgeber gemeint sind. Soweit es sich um Anleihegläubiger handelt, läuft die Empfehlung ins Leere. Das gleiche gilt für Bankkredite. Es ist nicht im Sinne der Minderheit, bestimmte Gläubigergruppen und Interessen zu diskriminieren. Außerdem unterstellt die Empfehlung ohne sachliche Rechtfertigung, dass sich Gläubiger an Vereinbarungen, die sie bei Umschuldungsabkommen eingegangen sind, nicht halten.

Zur Handlungsempfehlung 2.10

Offshore Zentren zur Kooperation veranlassen

Die Existenz von Finanzplätzen mit fehlenden oder schwachen Regulierungen und niedrigen Steuersätzen bieten einen Anreiz für kriminelle Aktivitäten.

Sie können zu erheblichen Problemen für die Stabilität der internationalen Finanzbeziehungen führen. Darum ist die Informationslage über die in Offshore-Zentren abgewickelten Finanzgeschäfte erheblich zu verbessern.

Vor allem aber wäre es wichtig, die Informationslage über die anscheinend umfangreichen Finanztransaktionen zu verbessern, die außerhalb des Bankensektors z.B. über Fonds oder spezielle Gesellschaftskonstruktionen, wie z.B. die „International Business Corporations“ abgewickelt werden. Auch die Aufsichtsregeln sind in den meisten Offshore-Zentren verbesserungsfähig. Insofern unterstützt die CDU/CSU-Arbeitsgruppe die Vorgehensweise der OECD, welche durch Ihre Anstrengungen wirkungsvoll die Unterbindung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung in Offshore-Zentren voranbringen. Auf diesem Wege müssen die Staatengemeinschaft alle Wege und Mittel einsetzen, um die Vorgaben der OECD umzusetzen.

   Die Staatengemeinschaft muss in international vereinbarter Weise mit geeigneten – auch scharfen – Sanktionen die nicht kooperativen Offshore-Finanzzentren zur Korrektur ihrer gefährlichen Finanzmarktpolitik zwingen.

Bei gemeinsamen Willen muss es möglich sein, diese nicht-kooperationsbereiten Finanzplätze zur Einhaltung von Mindeststandards bringen.

Die im Mehrheitsbericht empfohlene öffentliche Brandmarkung von Unternehmen, die zu nicht kooperativen Offshore-Finanzplätzen Geschäftsbeziehungen unterhalten, ist zunächst abzulehnen. Diese Maßnahme ist unserer Auffassung erst dann gerechtfertigt, wenn zuvor alle Möglichkeiten der internationalen Politik zur Beseitigung oder Verringerung dieses nicht hinnehmbaren Fehlverhaltens gescheitert sind.

Zur Handlungsempfehlung 2.12

Die Institutionen von Bretton Woods nicht schwächen, sondern reformieren

Die Überschrift dieser Handlungsempfehlung überrascht, da sie suggeriert, dass es irgendwo die ernsthafte Forderung nach Schwächung der Institutionen gebe. Das ist nach unserem Wissen nicht der Fall. Die CDU/CSU-Gruppe steht inhaltlich hinter dieser Handlungsempfehlung, allerdings sind Einzelheiten zu unklar formuliert.

So steckt hinter der Forderung, der IWF solle sich bei der Erarbeitung von Programmen „zur Lösung von Schulden- und Finanzkrisen (...) an den Entwicklungsbedingungen von Ländern oder Regionen und an den Lebensbedingungen der Menschen ausrichten“ offenbar der Vorwurf, der IWF habe dies in der Vergangenheit nicht getan. Der Mehrheitsbericht lastet dem IWF eine nicht gerechtfertigte Schuld an Finanzkrisen an.

Ähnlich vorwurfsvoll klingt es, wenn gefordert wird, dass „soziale und ökologische Belange berücksichtigt und Formen der Partizipation der Bevölkerung gefunden werden müssen“. Die Mehrheit unterstellt, dass in der bisherigen Politik der Institutionen soziale und ökologische Belange nicht berücksichtigt wurden. Das ist nicht richtig.

Richtig ist, dass in der Politik der Institutionen ökonomische Belange im Vordergrund gestanden haben. So muss es auch bleiben, da die Institutionen im Auftrag von und mit finanziellen Mitteln unabhängiger Gläubiger (Staaten) handeln.

In diesem Zusammenhang sehen wir auch die geforderte „Demokratisierung“ der Entscheidungsstrukturen in IWF und Weltbank kritisch. Eine massive Neuverteilung der Stimmrechte erscheint der CDU/CSU-Arbeitsgruppe nicht sinnvoll. Die Länder, die die Mittel zur Verfügung stellen, sollten auch das Recht behalten, letztlich über die Konditionen der Vergabe zu entscheiden. Sonst werden sie wahrscheinlich ihr finanzielles Engagement verringern oder ganz aufgeben.

Zur Handlungsempfehlung 2.13

Geschlechtergerecht Haushalte („Gender Budgets“)

Wir unterstützen das Ziel, mehr Klarheit über geschlechtsspezifische Auswirkungen von Haushaltsbeschlüssen zu bekommen. Die Formulierung der Handlungsempfehlung geht allerdings viel zu weit. Mit welch riesigem Aufwand soll es möglich sein, alleine die Analysen „auf allen Ebenen (international, regional, lokal und auf EU-Ebene)“ geschweige denn die Aufstellung geschlechtergerechter Haushalte durchzuführen? Bereits die geforderte Datenerhebung oder das „gendersensitive Training für MitarbeiterInnen der Finanz- und Wirtschaftsverwaltung“ würde einen sehr hohen Aufwand bedeuten, wenn die Ergebnisse brauchbar sein sollen. Die CDU/ CSU-Gruppe hält diesen Aufwand nicht für gerechtfertigt und lehnt deshalb die Empfehlung ab.

Zur Handlungsempfehlung 2.16

Die HIPC- Initiative fortsetzen und den Schuldendienst an der Tragfähigkeit bemessen

Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds haben bereits 1999 im Rahmen der beschlossenen HIPC- Initiative für die ärmsten und hochverschuldeten Länder einen weitreichenden Schuldenerlass beschlossen. Dies ist auch in den Augen der CDU/CSU-Gruppe ein richtiger und notwendiger Schritt gewesen. Ebenso ist es sinnvoll, die Entschuldung mit Hilfe der freiwerdenden Mittel („Poverty Reduction Strategy Program“, PRSP) an eine sinnvolle nationale Armutsbekämpfung zu knüpfen und künftige Kreditmittel nur zu vergeben, wenn ein solches PRSP vorliegt.

Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass die HIPC- Initiative Gefahren in sich birgt: Zum einen könnten Länder, die große Probleme mit ihrer Verschuldung haben, in der Hoffnung, in den Genuss der Initiative zu kommen, in ihren eigenen Anstrengungen zur Schuldenbewältigung nachlassen und sich auf die Solidarität anderer Länder verlassen. Zum anderen sollten Kreditgeber vor (!) der Bereitstellung der Kredite auf eine sinnvolle Verwendung der Kredite ebenso dringen wie auf eine „Good Governance“ (in den Bereichen von Menschenrechten, Demokratie, Bildungsinvestitionen, Rechtsstaatlichkeit und Reduzierung von Rüstungsaufgaben) des betreffenden Staates. Ohne eine solche könnte die Kreditvergabe (v.a. unter dem Schild der HIPC-Initiative) ein Fass ohne Boden werden.

Deshalb sollte die Tragfähigkeit nicht die „zentrale Rolle bei der Beurteilung der ‚Überschuldung’“ spielen, denn es geht nicht nur darum im Nachhinein, „eine ökonomische, soziale und politische Überforderung zu vermeiden“, sondern eine solche Gefahr bereits vor der Kreditvergabe zu sehen und entsprechend zu handeln. Schließlich sollte die Tragfähigkeit – anders als die Mehrheit es vorschlägt – auf    die wirtschaftliche Tragfähigkeit bezogen bleiben. Andere Merkmale wie die genannten, ökologischen oder genderspezifischen Gesichtspunkte – können an anderen Stellen berücksichtigt werden, z.B. bei der Vergabe neuer Kredite.

Deutlich unterschieden werden muss zwischen HIPC und den Ländern mit mittlerem Einkommen. Für diese Länder greift die Forderung nach Umschuldungen bzw. Schulden­ erlass zu kurz, muss doch das Ziel der Bemühungen sein, ihnen Spielräume gerade dadurch zu verschaffen, dass Zugang zu inter­ nationalen Mitteln besteht. Besonders negativ ist zu beurteilen, wenn auch für internationale Handelsfinanzierungen ein Schuldenerlass gefordert wird. Dies kommt einer sofortigen und empfindlichen Störung der Ressourcentransfers in die betroffenen Ländern gleich.

Zur Handlungsempfehlung 2.17

Eine internationale Insolvenzregelung entwickeln

Eine internationale Insolvenzregelung ist seit längerem im Gespräch. Eine neue Regelung erscheint grundsätzlich auch der CDU/CSU-Gruppe als notwendig. Allerdings sind noch zu viele, vor allem juristische Probleme zu lösen, denn hier wird absolutes Neuland beschritten. Die Hinweise auf individuelle Insolvenzrechte – auch in Richtung der US-amerikanischen Regelungen zu „Chapter 9“ bzw. „Chapter 11“ greifen nicht richtig. Mindestens auf Jahre hinaus sind derartige Regelungen nicht realisierbar. Zu den Problemen, die bestehen, gehört z.B. dass alle Länder bereit sein müssen, für bestimmte Zwecke ihr nationales Insolvenzrecht einer internationalen Regelung, die u.U. aus einem völlig anderen Rechtssystem und Rechtsverständnis stammt, unterzuordnen.

Hinzu kommt, dass sich diese Vorschriften nicht auf bestimmte Gläubigergruppen (z.B. ausländische Besitzer von Staatsanleihen) beschränken lassen. Vielmehr würden alle, also auch die inländischen Besitzer aller Staatsschulden hiervon erfasst. Fraglich ist, welche Behörde den Umschuldungsfall erklären soll. Unklar sind zudem die Kriterien anhand derer der konkrete Umschuldungsfall identifiziert werden soll. Jeder Umschuldungsfall ist anders. Einheitliche Bewertungsfaktoren sind schwierig zu finden. Außerdem kann ein Umschuldungsprozess nur dann erfolgreich sein, wenn auch ein Strukturanpassungsprogramm des Schuldners erstellt und vor allem seine Einhaltung kontrolliert wird.

Der Wissenschaftliche Beirat beim BMZ hatte Anfang 2000 ein Gutachten vorgelegt, das zum Ergebnis kommt, dass die politische Souveränität und damit verbunden die Nichtabsetzbarkeit einer Regierung einem internationalen Insolvenzverfahren aus einem Guss entgegenstehen. Das Gutachten empfiehlt, das Augenmerk vielmehr auf eine schrittweise Veränderung der bestehenden quasi-insolvenzrechtlichen Verfahren und deren einzelner Elemente zu richten. Diese Sichtweise ist von einer weiteren Stellungnahme durch die Hermes Kreditversicherungs-AG bestätigt worden. Begrüßenswert ist die Haltung der gegenwärtigen Bundesregierung, die zwar Denkmodelle eines internationalen Insolvenzrechts durchaus ernst nimmt und eingehend prüft, ansonsten aber die Umsetzung eines internationalen Insolvenzverfahrens als allenfalls sehr langfristig realistische Alternative betrachtet.

Es gibt auch andere kritische Stimmen, die von einer solchen „umwälzenden Neuerung der Finanzbeziehungen“ Nachteile erwarten. So spricht Schweickert (Institut für Weltwirtschaft, Kiel) davon, dass sich damit „das Kredit­ risiko erhöhen werde und damit die Kapitalkosten“ (Schweickert 2001).

Völlig lehnen wir die Mehrheitsempfehlung ab, wonach eine „unabhängige Schiedsstelle mit neutralem Vorsitz und bei paritätischer Beteiligung von Schuldnern und Gläubigern“ verbindliche Entscheidungen in Fällen von Staaten-Insolvenz fällen soll. Das ist kein praktikables Verfahren.

Im IWF werden zur Zeit Pläne diskutiert, wie ein geordneter Umschuldungsprozess organisiert werden könnte. Hierbei sind Verfahrensregeln geplant, die „Mehrheits­ entscheidungen vorsehen, die für alle Gläubiger rechtswirksam wären“ (Deutsche Bundesbank 2002: 130). Dieses Vorgehen erscheint angemessen und realisierbar.




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