*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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11.1.7.4   Globale Wissensgesellschaft

Zum Teil „Hochschulen“

Vorbemerkungen

Die Mehrheitsfraktion in der Enquete-Kommission hat an Ende der Beratungen einen bis zu diesem Zeitpunkt gemeinsamen Bericht zum Bereich „ Hochschulen und Globalisierung“ zurückgezogen. Die CDU/CSU-Arbeitsgruppe hält es für erforderlich, diesen so bedeutsamen Bereich und die Empfehlungen dem Deutschen Bundestag vorzulegen. Sie gibt deshalb folgendes Minderheitenvotum ab.

Wissensübertragung- Wissensgenerierung

Die Enquete-Kommission hat sich das deutsche Hochschulsystem als Fallbeispiel für die Übertragung von Wissen im globalen Wettbewerb ausgesucht, weil Hochschulen dem globalen Wettbewerb besonders ausgesetzt sind.

Das Gutachten von Dierkes und Merkens (2002) für die Enquete-Kommission Globalisierung des Bundestages bildet die Grundlage der folgenden Ausführungen.

Globalisierung, Wissenschaft und Hochschulen: eine Einführung

Der jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, erreichte und wahrscheinlich fortschreitende Stand der Globalisierung der Weltwirtschaft mag einmalig sein, er mag vielleicht auch nur den Umfang repräsentieren, der die damalige Welt bei der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert charakterisierte; so oder so hat er tiefgreifende Konsequenzen für die Wirtschaft aller Nationen und Regionen: der Wettbewerb wird intensiviert, neue Wettbewerber treten auf und brechen in Märkte ein, die bislang von wenigen dominiert wurden. Wirtschaftsstandorte wie die Bundesrepublik Deutschland müssen so zunehmend Anstrengungen unternehmen, um ihre Marktführerschaft in einzelnen Märkten und ihre generelle Exportfähigkeit zu erhalten.

   Unterhalb dieser Makrotrends ist festzustellen, dass neben einer großen Steigerung bei den einfachen Dienstleis­ tungen, die in der Regel weiterhin lokal und regional nachgefragt und angeboten werden, der Markt an wissensintensiven Dienstleistungen – global nachgefragt und angeboten – deutlich zunimmt. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass die für die modernen Ausprägungen traditioneller Produkte und Techniken erforderliche Wissensbasis ebenfalls deutlich zunimmt. Ob diese Entwicklung nun als Wissensgesellschaft oder auch nicht bezeichnet wird mag Anlass zu trefflichen Diskursen geben. Erheblich ist es nicht. Erheblich ist, dass sowohl bei Dienstleis­ tungen als auch bei Produkten mehr Technik, neuere Technik, neuere Kombinationen von Technik und damit verknüpft, mehr und besseres Wissen erforderlich ist. Unstrittig ist auch wohl, dass durch die Vernetzung, Datenbanken und Datenaufbereitungsmethoden immer mehr Informationen zur Verfügung stehen.

Wissensbasis vergrößern – Investitionen erforderlich

Die Konsequenz liegt auf der Hand: Nationen und Regionen, die in die Wissensbasis ihrer Bevölkerung investieren, sind diejenigen, die in diesem Rennen die Chance haben, auf der Gewinnerseite zu stehen. Die, die es nicht tun, oder deren Bevölkerung nicht bereit ist zu lernen und ständig neu zu lernen, dürften eher zu den Verlierern zählen. Investitionen in das Humankapital sind damit ein Schlüsselfaktor im gegenüber den letzten Jahrzehnten intensiveren und globaleren Wettbewerb. Damit steht und fällt die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit einer Region und Nation mit der Leistungsfähigkeit ihrer Bildungseinrichtungen auf allen Stufen und für alle Phasen des Lebensprozesses. Wissen, Umgang mit Wissen, Schaffen von neuem Wissen muss gelernt und immer wieder gelernt werden im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit, sieht man einmal von allem anderen, nämlich den kulturellen, sozialen und politischen Aspekten des Bildungsprozesses ab.

Die Frage nach der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Bundesrepublik Deutschland lässt sich daher zu einem großen Teil auf die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit der Bildungsinstitutionen, der Prozesse im Bildungswesen und die Bildungsinhalte zurückführen. Angesichts der großen Bedeutung von Wissen macht es Sinn hier exemplarisch die Hochschulen he­ rauszugreifen und zu fragen: Inwieweit sind diese in der Lage, Jugendliche und Menschen jenseits der Erstausbildung auf diesen Wettbewerb um Wissen vorzubereiten und zu unterstützen.

Global wettbewerbsfähige Hochschulen

Hochschulen sind in diesem Zusammenhang auch noch von besonderem Interesse weil sie selbst, mehr als andere Teile des Bildungssystems, einem Globalisierungsdruck und verschärftem Wettbewerb ausgesetzt sind. Während vorschulische Bildung, Grundschulen und das Angebot der Sekundarstufe fast ausschließlich regional und lokal angeboten werden und nur auf dieser Ebene einem Wettbewerb – je nach Kulturraum – unterliegen, sind die Nach­frager nach Hochschulausbildung, wenn Sprachbarrieren unbedeutend werden und die finanziellen Mittel bereitstehen, grundsätzlich mobil. Sie können und werden dies in Zukunft immer mehr tun, sich weltweit die leistungsfähigs­ten Hochschulen aussuchen, die sie am besten auf den für die hochtalentierten und -motivierten Studierenden immer mehr globaleren Arbeitsmarkt vorbereiten.

Global wettbewerbsfähige Hochschulen haben darüber hinaus noch eine Fülle zusätzlicher positiver Sekundär- und Tertiäreffekte. Sie binden Studenten an den Kulturraum, in dem sie studiert haben, seine Institutionen, Technologien und Verfahren und tragen somit langfristig und nachhaltig zur weiteren Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit einer Region mit global wettbewerbsfähigen Hochschulen bei.

Die Frage ist also damit ganz einfach: Wo steht das deutsche Hochschulsystem in dieser dualen Verantwortung, selbst global wettbewerbsfähig und damit für Studierende und Forscher aus anderen Regionen attraktiv zu sein und gleichzeitig die in diesem Land heute und vor allem zu­ künftig Lebenden optimal auf den globalen Wettbewerb vorzubereiten, der zunehmend von der Qualität des Human­kapitals bestimmt wird.

Die Sogwirkung der US-amerikanischen und englischen Hochschulen

Bei einer Gesamtschau der faktischen und auch wahrgenommenen Wettbewerbssituation im Bereich der Hochschulbildung gelten global in erster Linie und mit großem Abstand die Vereinigten Staaten als das „Mekka“ der Bildungswilligen und Leistungsorientierten. Für Südostasien beginnt Australien mehr und mehr eine ähnliche Rolle als regionales Zentrum einzunehmen. Aus kontinentaleuropä­ ischer Sicht sind es vor allem wiederum die Vereinigten Staaten und Großbritannien, denen die höchste Attraktivität beigemessen wird. Eine gewissen Wettbewerbsstärke ist noch in den skandinavischen Ländern und in den Niederlanden festzustellen.

Attraktivität von ausländischen Hochschulen

Diese Daten werden gestützt durch aktuelle Wanderungsbewegungen von Jugendlichen aus den hochschulpolitisch weniger wettbewerbsfähigen Regionen. Das lässt sich eindrucksvoll, neben vielen anderen Statistiken, mit der Tatsache illustrieren, dass 50 Prozent der PhD-Studenten in den Vereinigten Staaten heute nicht Bürger dieses Landes sind. Diese Attraktion wird vor allem von Natur-, Ingenieur-, und medizinischen Wissenschaften ausgeübt. Sie wird, gerade am Bildungsstandort Deutschland, reflektiert durch immer stärkere Anfragen von Jugendlichen und ihren Eltern aus der oberen Mittelschlicht, dem Bildungsbürgertum, im Hinblick auf die Bedingungen eines Studiums vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in Großbritannien. Die generelle Veränderung, die sich hier niederschlägt, ist in dreierlei Hinsicht zu sehen. Erstens wird angenommen, dass die Chancen in zunehmend globalisierten Arbeitsmärkten für die oberen, mächtigen und interessanten Positionen noch mehr als zuvor von der Qualität der Ausbildung abhängt, dass zweitens eine solche Qualität am Hochschulstandort Deutschland nicht ge    boten werden kann, sondern hier ein Ausweichen in die faktisch besseren und höher reputierlichen Top 20 bis 30US-amerikanischen Universitäten erforderlich ist und dass letztlich – dies ist die weitgehendste Veränderung – die Bereitschaft wächst, ein volles Studium und nicht allein ein Auslandssemester zu finanzieren, d.h. in Inves­ titionskategorien zu denken, die sich gut und gerne auf über 100000bis 200000 Euro belaufen können.

Hochschulstandort Deutschland für Ausländer wenig attraktiv

Die Zahl der Jugendlichen, die diesen Weg einschlagen, und ihrer Familien, die in der Lage und bereit sind, diese Finanzierungsmittel aufzubringen, ist immer noch, gemessen an der Gesamtzahl der Studenten am Hochschulstandort Deutschland, recht klein. Sie nimmt jedoch zu und dürfte bei einem weiteren Auseinanderklaffen der Wettbewerbsfähigkeitsschere gerade unter der Erbengeneration deutlich zunehmen. Bei der augenblicklichen Situation muss diese Entwicklung als Indikator dafür angesehen werden, dass gerade die bildungspolitisch hochsensiblen und gutinformierten Bevölkerungskreise den Hochschulstandort Deutschland als weniger attraktiv einschätzen als die Top 20 bis 30 amerikanischen Universitäten. Insofern kann diese Entwicklung als Früh­ warnindikator für breitere Tendenzen gelten, die, besonders wenn sie durch mangelnde finanzielle Möglichkeiten beschnitten werden, sich in politischer Unzufriedenheit mit dem deutschen Bildungssystem niederschlagen. Generell ist natürlich zu sagen, dass jeder Jugendliche, der an Spitzeneinrichtungen der Forschung und Wissenschaft im Aus­ land Qualifikationen erwirbt, begrüßenswert ist, wenn er oder sie zurückkehrt und damit nicht Teil des wachsenden Brain Drains auf der Welt wird, und wenn auf der anderen Seite in ähnlichem Umfang Studenten anderer Länder, insbesondere der stark wissensbasierten Volkswirtschaften nach Deutschland kommen würden und ihre Qualifikation hier erwerben. Diese Art der Vermischung, Internationalisierung und Globalisierung der Ausbildung ist nur wünschenswert. Die augenblickliche Situation zeigt jedoch, dass sich bei dieser bildungspolitisch kritischen und sensiblen Bevölkerungsschicht zunehmend eine Schere herausbildet zwischen der Attraktivität des Studierens in den Vereinigten Staaten oder auch in Großbritannien und der zurückgehenden Attraktivität, ein Studium am Hochschulstandort Deutschland zu beginnen.

Die Markenstärke US-amerikanischer Spitzenuniversitäten als Zugfaktor für den Hochschulstandort USA

Die besondere Anziehungskraft US-amerikanischer Universitäten weltweit ist im wesentlichen auf der faktischen Ebene auf eine jahrzehntelange Hierarchisierung des Bildungssystems zurückzuführen, bei der die leistungsfähigen Privat- wie Staatsuniversitäten durch starke Finanzkraft (Endowment, Alumni Donations, andere Unterstützung privater Personen und Organisationen, Forschungsförderung) die kompetentesten Fakultät mit den besten Studenten zusammengebracht haben. Strenge Selektion, Leis­ tungsstreben und Kommunikation der Leistungsfähigkeit der Institution durch eine entsprechende Informationspolitik sind hier, neben intensiver Studenten- und Ehemaligenbetreuung, die Schlüsselfaktoren. Die breite öffentliche Diskussion verschiedener allgemeiner und fachspezifischer Rankings der Universitäten macht, bei allen methodischen Schwächen, dieses deutlich und verstärkt die hier wirkende Faktoren noch einmal.

Die Reputation der hervorragenden 20 bis 30 Universitäten bestimmt das Image und die Attraktivität des Hochschulsystems der USA insgesamt. Ein USA-Studium gilt generell als „besser“ und damit – in den meisten Ländern – als karriereförderlicher im Vergleich zu Abschlüssen nationaler Universitäten. Obwohl sehr viel für den objektiven Qualitätsvorsprung der Spitzenuniversitäten und die Berechtigung ihrer hohen Attraktivität spricht, ist dies im Hinblick auf den verbleibenden Großteil des Hochschulsystems der USA eher fragwürdig.

Qualität der Hochschulen steigern – Schwerpunkte herausstellen

Einige Faktoren wie beispielsweise intensive Studentenbetreuung, Flexibilität, Leistungsstreben oder die breite Akzeptanz von neuen, auf die Kundeninteressen bezogenen Entwicklungen in den Curricula müssen auch hier als weitgehend durchgängige Wettbewerbsvorteile angesehen werden. Die Qualität der Lehrenden und Forschenden bleibt jedoch, ebenso wie die Qualität der Studenten, in der Regel hinter einer durchschnittlichen Universität in Kontinentaleuropa zurück. Aber auch für Bildung gilt, was auch vielen Produkt- und Dienstleistungsmärkten zu beobachten ist: nicht nur die Fakten zählen; die aus dem „Image“ resultierenden Wahrnehmungen sind ebenfalls sehr wichtig, und diese werden, wenn keine Strategieänderungen des Hochschulstandorts Deutschland auf der faktischen wie auch kommunikativen Ebene erfolgen, noch lange für einen Wettbewerbsvorteil des US-amerikanischen Bildungssystems sorgen. Dieses wird so auch noch langfristig in der Lage sein, hervorragende und hochmotivierte Jugendliche von überall aus der Welt an sich zu ziehen mit all den damit verknüpften positiven Sekundär- und Tertiärwirkungen. Das hier über die US-amerikanischen Hochschulen Gesagte gilt mit gewissen Einschränkungen auch für die Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulsystems in Großbritannien gegenüber den kontinentaleuropäischen Konkurrenten, bei denen die kleinen Länder, vor allem Skandinavien und Holland, eine Mittelstellung einnehmen dürften.

Die Globalisierungsstrategien US-amerikanischer Universitäten

Die große Kompetenz führender US-amerikanischen Universitäten, Institutionen hoher Bildungs-, Ausbildungs- und Forschungskompetenz zu schaffen, wie auch deren exzeptionelle Leistungsfähigkeit zu erhalten oder noch auszubauen, hat nicht nur zur großen Aktivität bei hochmotivierten und begabten Jugendlichen weltweit geführt; sie hat gleichzeitig in den letzten zwei Jahrzehnten die strategische Option, auch physisch-räumlich auf neue Kundengruppen zuzugehen, verstärkt. Der Ausbau von    Programmen und Studiengängen bis hin zur Gründung von Zweigniederlassungen in anderen Teilen der Welt ist die logische Konsequenz einer solchen Strategie, die sich zunehmend als systematisch verfolgtes Globalisierungskonzept einer Reihe von hochreputierlichen Universitäten, aber auch einer nicht zu vernachlässigenden Zahl von im qualitativen Sinne „Billiganbietern“ geführt hat.

Die Entwicklung zur Präsenz solcher Niederlassungen von als leistungsfähig angesehenen und besonders kundenorientierten Mitbewerbern in angestammten Marktterritorien wird Hochschulen auch in Deutschland zunehmend unter Druck setzen, entweder wettbewerbsfähiger zu werden, oder auch im Heimatmarkt in eine „zweite Liga“ abzusteigen. Die nächsten Jahre werden hier die entscheidenden sein. Sie werden auch bestimmen, ob ein nicht unwichtiger Teil gerade der begabtesten Jugendlichen Deutschlands nach curricularen Bestimmungen, basierend auf den Grundsätzen US-amerikanischen Akkreditierungseinrichtungen, studieren werden oder ob hier eine eigenständige europäische Lösung als Wettbewerbsmodel gefunden wird.

Ob die finanzielle Unterstützung von Filialgründungen US-amerikanischer Universitäten durch den deutschen Steuerzahler – wie in Bremen im Fall der Rice University geschehen – eine sinnvolle Strategie ist, die Wettbewerbsfähigkeit des Bildungsstandorts Deutschland auf Hochschulebene zu fördern, bleibt abzusehen. Es scheint a priori als eher relativ fragwürdig.

Die sinkende Attraktivität deutscher Hochschulen bei ausländischen Studierenden, vor allem aus wissenschaftsintensiven Volkswirtschaften

US-amerikanische und zum Teil auch englische Universitäten nehmen damit den Wettbewerbsrang ein, den die deutschen Hochschulen sehr lange, fast bis zur Zeit des Nationalsozialismus, in vielen Disziplinen im 20sten Jahrhundert hatten, nämlich zum „Mekka“ der Hochbegabten und Leistungsmotivierten Jugendlichen aller Welt zu werden.

Diese Verschiebung spiegelt sich in einer sinkenden Attraktivität des Hochschulstandortes Bundesrepublik Deutschland wieder: Die Zahl der ausländischen Studierenden, vor allem solcher aus wissensintensiven Volkswirtschaften, ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Programme wie Sokrates und Erasmus konnten hier nur geringe Kompensation bieten. Vor allem blieben sie auf Europa beschränkt. Die Nachteile liegen auf der Hand: geringe Vertrautheit zukünftiger ausländischer Eliten mit Deutschland, seinen Institutionen und seiner Kultur. Weniger „Botschafter“ deutscher Technologien und weniger Rückkoppelung aus der Praxiserfahrung ehemaliger Studenten in die deutsche Hochschul- und Forschungslandschaft. Damit ergibt sich ein langfristig wirkendes weiteres Element einer Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsstandortes Deutschland und insbesondere seiner Hochschulen.

Der Erfolg neuer Wettbewerber am Beispiel Australiens

Hochschulbildung als Exportgut ist einer der am schnells­ ten wachsenden Industriezweige in Australien und lag im Jahre 2001 an 14ter Stelle, als Dienstleistungsexport sogar an dritter Stelle. Die hieraus resultierende Einnahmen betrugen über A$ 4 Milliarden – eine Erhöhung von 19Prozent im Vergleich zum Jahre 2000. Die Bildungs-Export-In­ dustrie spielt damit eine wichtige Rolle in der rapide wachsenden australischen Wirtschaft, die sich während der letzten zehn Jahre immer mehr zu einer wissensbasierten Gesellschaft entwickelt hat.

Dank des Columbo Plans, bietet Australien schon seit den 50er und 60er Jahren Stipendien für eine kleine Anzahl hervorragender Studenten aus Asien und afrikanischen Ländern. Bis zum Jahre 1986, als Studiengebühren in vollem Umfang für ausländische Studenten eingeführt wurden, profitierten die australischen Hochschulen und die australischer Wirtschaft in nur geringem Maße von diesen Studenten. Seit 1986 ist jedoch eine dramatische Änderung festzustellen. Im Herbst 2001 studierten 126807 Ausländer in Australien, mehr als 80 Prozent von ihnen kamen aus Asien.

Die drastische Änderung in der Einstellung zum Hochschulwesen – von der des Empfängers von öffentlichen Geldern zu der eines geschätzten Exportgutes – ist das Ergebnis der Änderungen in den Hochschulfinanzierungsprogrammen in den späten 80er Jahren. Diese zwangen die Hochschulen dazu, zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb des öffentlichen Sektors zu suchen. Dies führte zu einem erhöhten Interesse an ausländischen Studenten als externe Einkommensquelle. Der enorme Zuwachs an ausländischen Studenten seit Ende der 80er Jahre ist das Resultat einer konzertierten Aktion, australische Universitäten für den internationalen, in erster Linie südostasiatischen Markt attraktiv zu machen.

Eine Vielzahl von Nutzen zeigten sich durch diese neue Strategie. Von den A$ 4 Milliarden Einnahmen durch ausländische Studenten im Jahre 2001ist ungefähr die Hälfte auf reine Studiengebühren zurückzuführen, die restlichen A$ 2 Milliarden wurden von den Studenten für Essen, Wohnen, Reisen, Freizeit. Weitere A$ 1000 pro Student flossen durch Freunde oder Familienmitglieder ins Land, die nach Australien zu Besuchszwecken reisten.

Wettbewerbsvorteile durch Qualität der Hochschulausbildung

Zusätzlich zu dem wirtschaftlichen Gewinn profitiert das australische Bildungs- und Ausbildungswesen sehr durch die ausländischen Studenten. Die Öffnung der Hochschulen für internationale Konkurrenz, „Best Practice“ und das Streben, konkurrenzfähig zu bleiben, führten dazu, dass die Qualität der Hochschulausbildung auf ein hohes Niveau gestiegen ist. Die Förderung einer stärkeren internationalen Dimension in Lehre, und Forschung kam auch den australischen Studenten zugute – ein wichtiger langfristiger Gewinn für die australische Wirtschaft. Die ausländischen Studenten dienen als „Goodwill Ambassadors“ und werden das australische Hochschulsystem ihren Kindern und Freunden weiterempfehlen. Freundschaften und Beziehungen, die während des Studienaufenthaltes in Australien zustande kamen, werden zu hervorragenden Netzwerken ausgebaut, für zukünftige Aktivitäten im Handel,    Politik oder Technologie, eine wertvolle Komponente im Transformationsprozess zu einer Wissensgesellschaft. Der Export von Wissen ist sauber, „grün“, preisstabil, einer der wenigen „Value-Added“ – Exportindustrien und wächst kontinuierlich und schnell.

Hohe staatliche Bildungsausgaben in Australien

Ein Großteil des Wachstums in der Wissens-Export-Indus­ trie innerhalb der letzten zehn Jahre ist auch auf ein hohes Maß staatlicher Investitionen zurückzuführen. Australiens Ausgaben für Bildung im Jahre 2001 lagen bei A$ 5,8 Milliarden. Dies ist ein bedeutend höherer Anteil des Bruttoinlandsprodukt als das der meisten Industrie­ ländern. Dadurch dass Bildung als eine „Value-Added“- Industrie angesehen wird, und nicht als ein „Kostgänger“ des Staates, erhält das Hochschulwesen auch staatliche Investitionen im selben Maße wie andere Exportindus­ trien wie Bergbau, Landwirtschaft und Tourismus. Diese Investitionen werden langfristige Vorteile für die gesamte Gesellschaft mit sich bringen, nicht nur für die Bildungseinrichtungen.

Eine weitere wichtige Form von staatlicher Investition in das Bildungssystem als Wissensindustrie sind die großen Programme des Auslandsmarketings für Hochschulen wie

–    Repräsentation auf Bildungsmessen

–    Aktivitäten, die Australiens Zugang zu internationalen Bildungs- und Ausbildungsmärkten erhöht.

–    Promotions, sponsoring und Studienreisen

–    Erhöhte Internetpräsenz und Internetkioske in australischen Botschaften

–    Austauschstudienprogramme

–    Stipendien.

Das Hauptziel sind die benachbarten asiatischen Länder (wegen ihrer Nähe zu Australien) mit jährlich 680000Studenten, die ihr Studium im Ausland absolvieren. Viele australische Universitäten haben während der letzten vier Jahre Filialen im Ausland eingerichtet, die eine australische, englischsprachige Ausbildung mit niedrigeren Kosten für Reisen und Unterbringung für mindestens einen Teil der Ausbildungszeit zu ermöglichen. Von der Gesamtzahl Australiens Studierenden im Jahre 2000 waren 35Prozent Off-campus Studenten.

Australien hat insgesamt schon seit mehr als zehn Jahren erkannt, dass Wissen, lebenslanges Lernen, Innovation und Technologie die wichtigsten Faktoren in unserer sich stark verändernden Gesellschaft sind und diese Erkenntnis systematisch in die Positionierung seines Hochschulsystems als führende Exportindustrie des Dienstleistungssektors umgesetzt.

Die Herausforderungen von morgen: Verknüpfung von E-Learning mit Präsenzunterricht

Das Vordringen von E-Learning, die systematische Verknüpfung von Internet gestütztem Unterricht mit Präsenzveranstaltungen stellt eine enorme Herausforderung an die Lehrfunktion der Hochschule dar. Realistisch ist zwar davon auszugehen, dass die vielzitierte „virtuelle Universität“ als alleiniges Lehrkonzept nicht sinnvoll ist, dass aber Teile des heutigen Präsenzunterrichts und Eigenstudiums der Studierenden sinnvoll durch Internet gestützte Lehrformen ersetzt und verbessert werden. Während die Vermittlung von „Tacit Knowledge“ (Erfahrungswissen, Entwicklung von Einfühlungsvermögen) noch lange in auf Praxis ausgerichteten und gruppenbezogenen Formen des Präsenzunterrichtes vonstatten gehen dürfte, ist zu erwarten, dass große Teile des expliziten Wissens, das heute noch die wesentlichen Anteile von Vorlesungen und Lehrbüchern einnimmt, in Internet gestützte Lernformen übergehen wird. Diese Entwicklung hat weitreichende Konsequenzen für die Struktur unserer Hochschulen, die Art des Unterrichts, die Qualifikationsanforderungen an die Lehrenden, die sich insgesamt heute schon abzeichnen und als revolutionär bezeichnet werden müssen.

E-Learning Konzepte an amerikanischen Universitäten

Diese Veränderung bietet ungeheure Chancen auf den Gebiet der Entwicklung von relevanten Lehrtechnologien und Lehrmaterialien. Dieses Feld stellt einen neuen Markt für Universitäten dar. Diejenigen Universitäten, die heute beginnen, diesen Markt zu bedienen, werden nicht nur ein Wettbewerbsvorteil durch erfahrenen Umgang mit ihnen haben, sondern auch starke Akteure im globalen Markt der Lerninhalte der Zukunft sein. Diesen Markt zu erschließen, ist schwierig und mit hohen Kosten verbunden. Die Entscheidung von Stanford University, Princeton University und Harvard University, gemeinsam E-Learning Konzepte zu entwickeln illustriert dieses recht deutlich. Es wird daher in Deutschland, wahrscheinlich sogar Europaweit, ähnliche Konsortien von Universitäten, eingebunden in strategischen Allianzen mit anderen Industrien wie Multimediafirmen oder Verlagen, erfordern. Universitäten in Deutschland, und dies gilt überwiegend auch für die anderen Länder der Europäischen Union, werden die hierfür notwendigen Investitionen nicht aus eigener Kraft tätigen können. Hier sind daher die Bundesregierung und auch die Kommission der Europäischen Union gefordert, gezielt die Entwicklung dieses Teils einer neudefinierten Bildungsindustrie auf Hochschulebene zu unterstützen. Wenn dies nicht bald geschieht, bleiben Chancen ungenutzt mit der Konsequenz, dass die Wettbewerbsfähigkeit anderer Regionen auf diesem globalen Markt der Bildungstechnologien und Bildungsinhalte gestärkt wird.

Konsequenz der Status Quo-Diagnose: abnehmende Bedeutung der deutschen Universitäten im globalen Wettbewerb und Herausforderung durch die Notwendigkeit zunehmender Ausbildung

Zuerst werden im Schulsystem die Wege zum Erwerb der Berechtigung zum Hochschulstudium erweitert und optimiert werden müssen. Dazu bedarf es entsprechende Maßnahmen sowohl im allgemeinbildenden – Allgemeine Hochschulreife – als auch im berufsbildenden Schulwesen Fachgebundene Hochschulreife. Die Qualität des Schulsystems muss verbessert werden. Das deutsche Schulsystem schneidet im internationalen Vergleich schlecht ab. Das setzt eine entsprechende Forschung aber    auch finanzielle Unterstützung voraus: Beispielsweise muss das Angebot an Ganztagsschulen erweitert werden. Nur auf diese Weise kann die Zahl der Studierwilligen dem internationalen Standard angeglichen werden. Gleichzeitig muss die Schulzeit bis zum Erwerb der Hochschulreife verkürzt werden. Die im internationalen Vergleich zu langen Ausbildungszeiten resultieren auch aus einer langen Schulzeit. Ebenso muss der Prozentsatz eines Altersjahrgangs vergrößert werden, der einen Hochschulabschluss erreicht. Bisher sickert ein großer Anteil der Studienanfänger ohne Abschluss in das Beschäftigungssystem ein, wie die Hochschulstatistiken belegen. Studienabschlüsse, die nach kürzeren Studienzeiten erreichbar sind, schaffen hier Abhilfe.

Neben den Hochschulstudiengängen müssen in den Sektoren, in denen die Nachfrage das Angebot an Studienplätzen übersteigt, auch die Studienplätze an Fachhochschulen ausgebaut werden. Auch in diesem Sektor nimmt Deutschland in der OECD-Statistik nur einen Mittelplatz ein.

In den technischen Disziplinen und in den Naturwissenschaften muss der Schwerpunkt an den Hochschulen weniger auf die Schaffung neuer Studienplätze gelegt werden. Es kommt vielmehr darauf an, die vorhandenen Studienplätze auszulasten. Es ist jedenfalls eine falsche Reaktion, wenn gegenwärtig in einzelnen Bundesländern Studienplätze in diesem Bereich gestrichen werden sollen, weil die Nachfrage zu gering ist. Angemessener ist es, die Nachfrage durch geeignete Maßnahmen zu steigern. Es gibt bisher zu geringe Überlegungen in die Richtung, wie man durch geeignete Informationen die Wahl naturwissenschaftlicher und technischer Studiengänge in geeigneter Weise beeinflussen kann. Tage der offenen Tür reichen hier nicht aus.

Die Stärken, Förderung der Graduierten und Postgraduierten, müssen weiter ausgebaut werden. In diesem Bereich funktioniert die Integration von Forschung und Lehre. Deshalb müssen die bisherigen Formen der Förderung durch die DFG – Sonderforschungsbereiche bis Graduiertenkollegs – beibehalten und noch ausgebaut werden. In den Hochschulen müssen ergänzend interdisziplinäre Zentren auf Zeit gebildet werden. Dieses Maßnahmenbündel wird es erlauben, die Wettbewerbsfähigkeit in diesem Sektor zu vergrößern.

Die Investitionen in das Humankapital müssen sowohl in den öffentlichen als auch den privaten Haushalten erhöht werden. Es ist von Interesse, dass es in Deutschland nur eine geringe Bereitschaft gibt, unterdurchschnittliche Leistungen des öffentlichen Bereichs aus dem privaten Bereich zu kompensieren, obwohl ein gewisser Prozentsatz von Eltern die hohen Studiengebühren im Ausland bereitwillig bezahlt. Es mangelt offensichtlich nicht an der Bereitschaft für solche Unterstützungsleistungen.

Konsequenz aus der abnehmenden Bedeutung der deutschen Universitäten

Stellt man die anerkanntermaßen große Stärken den gleichzeitig nicht zu vernachlässigen Schwächen gegenüber, so lässt sich feststellen, dass die Hochschulen heute trotz hoher Motivation und großem Engagements einzelner ihre Aufgaben an vielen Stellen nicht mit der Qualität und Präzision erfüllen können, die von ihnen erwartet werden müssen, um den Wissenschaftsstandort Deutschland langfristig wettbewerbsfähig zu halten. Eine weiterhin restriktive Haushaltspolitik bei den traditionellen Hauptmittelgebern der Hochschulen, den Bundesländern, eine bis jetzt ergebnislos geführte Diskussion über die Einführung von Studiengebühren sowie die Tatsache, dass viele der hier aufgeführten Schwächen sich nicht allein auf mangelnde finanzielle Ausstattung zurückführen lassen machen deutlich, wie hoch der Reformbedarf angesichts der globalen Wettbewerbslage im Bildungssys­ tem einerseits und den Anforderungen durch den Wissensstandort Deutschland andererseits ist. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass das Größenwachstum vieler Universitäten in den letzten 25 Jahren – durch Neugründungen nur ungenügend abgepuffert – zu einer vielbeklagten Schwerfälligkeit bis Handlungsunfähigkeit der Entscheidungsgremien geführt hat, die zunehmende Verrechtlichung vieler universitärer Vorgänge weiter vo­ ranschreiten könnte und die vorhandenen Wettbewerbsmöglichkeiten durch die Bundesländer als politische Entscheidungsträger nur unzulänglich ausgenutzt werden, kann daher bei Unveränderlichkeit der Randbedingungen, Stärken und Schwächen nur auf eine abnehmende Bedeutung der deutschen Hochschulen im globalen Wettbewerb um Reputation, Forschungsmittel und hochqualifizierte Studenten ausgegangen werden. Der deutlichen Verschärfung des Wettbewerbsklimas auf dem Gebiet der Hochschulausbildung durch amerikanische, australische aber auch englische, skandinavische und holländische Hochschulen tritt die deutsche Hochschullandschaft mit zu geringer Ausnutzung der Stärken und zu hoher Belastung durch die Schwächen nicht chancenlos aber chancengemindert gegenüber.

Das Leitbild für ein wettbewerbsfähiges Hochschulsystem: Differenzierung, Leistung, Eigenprofil und Kooperation

Eine Verbesserung dieser Situation erfordert fundamentale Änderungen in der Struktur der Hochschulen selbst und in den Beziehungen der Hochschulen zu dem sie politisch tragenden Institutionen, die weit über die Modifikation der Hochschulgesetze der letzten Jahre hinaus gehen und prinzipielle Neuorientierungen ermöglichen. Ziel muss es sein, die Hochschulen wieder in die Lage zu versetzen, im Rahmen eines globalisierten Umfeldes, dem für die Gesellschaft der Zukunft und ihre weitere Entwicklung notwendigen Aufgaben nachzukommen, nämlich

–    die zentrale Einrichtung für Forschung und

–    ein Ort akademischer Lehre und Ausbildung zu sein,

–    ein Forum für die geistige Auseinandersetzung über Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung zu bilden, und

–    Serviceleistungen bereitzustellen

Die Gutachter sehen in einem Leitbild, das durch die Metapher „differenziertes Effizienzszenario“ gekennzeichnet werden kann die größten Chancen, diese internatio    nale Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erreichen. Dieses Leitbild umfasst insbesondere folgende Einzelziele:

–    Die Entscheidungsautonomie und -fähigkeit der Hoch­ schulen und damit auch die Eigenverantwortung sind zu erhöhen. Den Hochschulen ist so die Möglichkeit zu geben, auf die wechselnden Anforderungen ihrer sozialen, politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und ökologischen Umwelt flexibler als unter dem jetzigen Regelungssystem zu reagieren.

–    Die Orientierung auf Leistung in Forschung und Lehre ist stärker zu institutionalisieren; individuelle Motivation allein reicht als Antriebskraft für akademische Wissenschaft und Lehre unter den heutigen Bedingungen komplexer Verflechtung der Hochschulen mit der Gesellschaft bei gleichzeitiger indifferenter Organisationsstruktur offenkundig nicht aus.

–    Die Steuerung durch staatliche Gremien ist – jenseits der budgetären Prioritätensetzung für den Bereich Wissenschaft und Forschung allgemein – auf die Schaffung genereller Anreiz- und Feedbacksysteme und die Evaluation der Aufgabenerfüllung durch die Hochschulen nach leistungsbezogenen Kriterien zu beschränken und konzentrieren und das Engagement in Detailentscheidungen zurückzunehmen.

Dieses Leitbild ist nur dann zu erreichen, wenn die Hochschulen Deutschlands in Zukunft einen hohen Grad an Autonomie, Wettbewerbs- und Leistungsorientierung, Flexibilität in der Aufgabenerfüllung sowie Spezialisierung und Kooperation in der Aufgabendefinition erreichen können. Ebenso ist eine entsprechende Internationalität oder Europäisierung erforderlich.

Einzelempfehlungen

1.      Deutschland kann nicht länger auf Rang 21 von 25 OECD Ländern im Hinblick auf den Prozentsatz eines Jahrgangs, der einen Hochschulabschluss erreicht, liegen oder zu den führenden Nationen im Hinblick auf die Quote von Studienabbrechern gehören. Wenn sich dies nicht schnell und deutlich ändert, wird die Wettbewerbsposition der Bundesrepublik, vor allem in den zunehmend wissensintensiven Industrien, deutlich beeinträchtigt. Gefordert ist „mehr und bessere Bildung für die Vielen“ die Erreichung dieses Zieles erfordert, bereits Maßnahmen auf höheren Stufen des Bildungssystems zu treffen. Es sind entsprechende Voraussetzungen zu schaffen, damit die Zahl der Jugendlichen zunimmt, die eine Hochschulreife erreichen. Dazu bieten sich in Deutschland zwei Wege an, die sich auch in der Vergangenheit schon bewährt haben.

–       Ausbau des Allgemeinbildenden Schulwesens, um mehr Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, die Allgemeine Hochschulreife zu erwerben.

–       Ausbau der Wege zur fachgebundenen Hochschulreife, um die Praxis- und Berufsnähe im Studium zu verbessern.

Neben dem Ausbau dieser traditionellen Hauptwege zur Erlangung der Hochschulreife gilt es aber auch, in Anlehnung an die Empfehlung des Sachverständigenrates Bildung bei der Hans-Böckler-Stiftung, die anderen Zugangswege zur Hochschulbildung zu verstärken und hierfür auch zu werben. Um die zu langen Ausbildungszeiten in Deutschland im internationalen Vergleich zu reduzieren gilt es außerdem, die Schulzeit bis zum Erwerb der Hochschulreife zu verkürzen.

2.      Innerhalb des Hochschulsystems muss die Zahl der Studienplätze insgesamt gesteigert werden. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, Studienangebote zu entwickeln, die als berufsbezogene Abschlüsse modular angelegt auf die „Vielen“ zugeschnitten sind. Gleichzeitig wird eine Erweiterung des Angebots im Bereich der Fachhochschulen erforderlich sein.

3.      Die Investitionen in das Bildungssystem allgemein und in den tertiären Bereich speziell müssen erhöht werden, wenn Deutschland im internationalen Wettbewerb bestehen will, weil es einen starken Zusammenhang zwischen diesen Investitionen in das Humankapital und der Wettbewerbsfähigkeit einer Region gibt.

4.      Die Notwendigkeit stärker in das Humankapital zu investieren gilt für die öffentlichen und auch die privaten Haushalte. In Deutschland werden die privaten Haushalte im internationalen Vergleich wenig durch das Studieren der Kinder belastet. Bildungsinvestitionen haben offensichtlich in Deutschland bei den Ausgaben privater Haushalte noch einen zu geringen Stellenwert. Es wird erwartet, dass der Staat hier in fast allen Sektoren – Ausnahmen sind der vorschulische und der Weiterbildungsbereich – die entsprechenden finanziellen Verpflichtungen übernimmt. Hier ist eine Umverteilung der Lasten im Lebenszyklus erforderlich: Im vorschulischen Bereich sollten keine Kosten anfallen, demgegenüber erscheint in vielen Fällen eine finanzielle Belastung im tertiären Bereich als gerechtfertigt. Dies fällt umso leichter je mehr auch aus verteilungspolitischen Gründen auf Bildungskonten Vouchersysteme und ähnliche Formen der Bildungsfinanzierung wie vom Sachverständigenrat Bildung der Hans-Böckler-Stiftung schon vorgeschlagen, zu­ rückgegriffen wird.

5.      Speziell bei den Naturwissenschaften, insbesondere Physik und Chemie, sowie in der Mathematik muss die Nachfrage nach Studienplätzen an das Angebot angepasst werden. Es gibt in diesen Fächern nicht zu wenige Studienplätze, sondern eine zu geringe Nachfrage. Das setzt Maßnahmen voraus, die im Schulsystem ergriffen werden. Die Motivation, diese Fächer zu studieren, muss verbessert werden. Mit dem Schwerpunktprogramm BIQUA (Bildungsqualität von Schule) der DFG werden erste, entsprechende Vorarbeiten geleistet.

6.      Neue Studienplätze müssen bis zur Erreichung der Auslastung in den Naturwissenschaften und den technischen Disziplinen speziell in den Geistes- und Sozialwissenschaften eingerichtet werden. Das minimiert auch die entsprechenden Kosten.

   7.      Die Einheit von Lehre und Forschung kann nicht in allen Bereichen des Studiums beibehalten werden. Im Erststudium werden große Teile der Lehre ohne eine enge Verknüpfung mit der Forschung geleistet werden müssen. Deshalb werden Professuren notwendig sein, die ihren Schwerpunkt in der Lehre finden.

8.      Die Qualitätsforderungen in der Lehre müssen generell gesteigert werden. Erforderlich ist hier eine entsprechend bessere Ausbildung für die Lehre durch hochschuldidaktische Kurse sowie der sys­ temweite Ausbau von Qualitätsbeurteilung durch Studierende und Peers.

9.      Die Orientierung auf Leistung in Forschung und Lehre ist stärker zu institutionalisieren; individuelle Motivation allein reicht als Antriebskraft für akademische Forschung und Lehre unter den heutigen Bedingungen komplexer Verflechtung der Hochschulen mit der Gesellschaft bei gleichzeitiger indifferenter Organisationsstruktur nicht aus.

10.    Hochschulen benötigen ein professionelles Management in der Leitung und eine entsprechende Zuordnung von Verantwortung. Universitäre Gremien haben in einem solchen System die Funktion der Aufsicht wahrzunehmen.

11.    Es müssen über die entsprechenden Organisationsstrukturen hinaus Anreizsysteme für die Individuen geschaffen werden. Mit der Besoldungsreform für die Hochschullehrer sind hier erste Schritte getan. Es ist in den nächsten Jahren zu evaluieren, inwieweit der jetzt gegebene Rahmen hierfür ausreicht.

12.    Für Teile des Lehrangebots kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie längerfristiger angeboten werden. Curricula müssen gerade an den Grenzen der Disziplinen flexibel sein und die Lernfähigkeit des Hochschulsektors reflektieren. Damit müssen hochqualifizierte Lehrende auf Zeit gewonnen werden. Hierfür bedarf es entsprechender Entgeltregelungen. Die starre Bindung an das Beamtenrecht bzw. den BAT muss für das wissenschaftliche Personal aufgegeben werden. Für mittelfristige Engagements attraktiver Lehrender müssen entsprechende Handlungsspielräume eröffnet werden. Die Qualitätsanforderungen in der Lehre müssen generell gesteigert werden. Erforderlich ist hier eine entsprechend bessere Ausbildung für die Lehre durch hochschuldidaktische Kurse.

13.    Höhere Anteile einer Alterskohorte, die studieren, erfordern, dass die Zeiten für das Erststudium verkürzt werden. Wenn gleichzeitig die Internationalisierung der Studien gefördert werden soll, setzt das vor allem im Erststudium eine konsequente Modularisierung voraus.

14.    Universitäten müssen das Recht haben, ihre Studierenden mit hochschulspezifischen Auswahlverfahren (Probestudienzeit, Aufnahmeprüfungen) selbst auszuwählen.

15.    Die universitäre Weiterbildung muss ausgebaut werden. In Deutschland wird im internationalen Vergleich nicht, in Jahren bilanziert, zu lange studiert; falsch ist die extreme Konzentration der Zeiten für das Studium auf die Erstausbildung, also vor dem Übertritt in das Beschäftigungssystem.

16.    Die Stärken der deutschen Hochschulen bei der Graduiertenförderung und der Förderung der Postgraduierten müssen ausgebaut werden. In diesen Bereichen müssen verstärkt Arbeits- bzw. Forschergruppen eingerichtet werden. In den Hochschulen muss generell die Form der Kooperation durch die Schaffung geeigneter Zentren auf Zeit verbessert werden.

17.    Hochschulen muss die Wahlfreiheit gelassen werden, ob sie sich insgesamt oder in einzelnen Fachbereichen bzw. Fakultäten mehr auf die Bildung der Vielen oder auf Angebote für Eliten konzentrieren wollen. Sie müssen eigenständige Leitbilder entwickeln und so verstärkt an ihrer Profilbildung arbeiten. Dies setzt weitgehende Autonomie voraus. Um diese Autonomie langfristig zu sichern müssen Hochschulen Systeme zur Überprüfung einrichten, ob und inwieweit sie die Ziele ihres Leitbildes erreichen.

18.    Die Internationalisierung der Studiengänge und Studienabschlüsse muss vorangetrieben werden. Dies hat Konsequenzen sowohl für die inhaltliche Orientierung der Studiengänge als auch für den Anteil der Lehrveranstaltungen, die in der lingua franca der heutigen Welt, Englisch, auf einem didaktisch international wettbewerbsfähigen Niveau angeboten wer­ den. Hier liegt eine besondere Herausforderung an den Wissenschaftsstandort Deutschland im globalen Wettbewerb.

19.    Die bestehenden Instrumente der Europäisierung der Hochschulausbildung sind umfassen auszubauen und beschleunigt voranzutreiben. Dies gilt, neben gemeinsamen Studiengängen einiger europäischer Universitäten und internationalen Abschlüssen, vor allem für die Mobilitätsprogramme wie Sokrates-Erasmus, die quantitativ und von der Ausstattung her deutlich erweitert werden müssen. Dies gilt auch für eine umfassendere Anerkennung von Studienleistungen durch Ausbau des Creditpoint- Systems. Die guten Erfahrungen vieler Fachhochschulen in der Europäisierung, vornehmlich wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge sollten in andere Fachgebiete übernommen werden. Entsprechende Modelvorhaben sind zu unterstützen. Die Europäisierung erfordert darüber hinaus zusätzliche innovative Ansätze, wie sie beispielsweise unter Füh­ rung der Luxemburger Regierung in der Schaffung eines Verbundsystems europäischer Reform­ uni­ ver­ si­ täten unter dem Markennahme „Campus Europae“ entwickelt werden. Hier sollen Studierende an mindestens zwei Verbunduniversitäten in unterschiedlichen europäischen Ländern studiert haben, bevor sie ihren jeweiligen Abschluss erreichen (zu den Einzelheiten siehe Schily, K. et al. Denkschrift der Initiative „Europäische Stiftungsuniversitäten“ zweite Auflage Witten 2000). Alle diese Maßnahmen dienen dazu, die kulturelle Vielfalt Europas bewusst als    Wettbewerbsvorteil zu nutzen und die Studierenden Europas im weitmöglichsten Umfang auf das Arbeiten in globalen Märkten und multikulturellen Umwelten vorzubereiten. Die Kommission der Europäischen Union und die Bundesregierung sind aufgerufen im Interesse des Wirtschaftsstandortes Europa und Deutschland hier schnell und umfassend aktiv zu werden.

20.    Begleitend zu diesen Maßnahmen muss das Potenzial des Wissenschaftsstandortes Deutschland international deutlicher gemacht werden. Hier ist auch die auswärtige Kulturpolitik gefordert, entsprechende Marketing-Maßnahmen nach dem Vorbild anderer Bildungsexportnationen auszubauen. Die Stärkung des Standorts Deutschland durch Ausbau der relevanten Programme des DAAD und der Alexander von Humboldt Stiftung sind ebenfalls richtige und wichtige Maßnahmen. Sie müssen ergänzt werden durch dezentrales Marketing der Hochschulen im Ausland für ihre Dienstleistungen. Zum Start sind befristet Projektmittel hierzu bereitzustellen.

21.    Die Entscheidungsautonomie und -fähigkeit der Hochschulen und damit auch die Eigenverantwortung sind zu erhöhen. Den Hochschulen ist so die Möglichkeit zu geben, auf die wechselnden Anforderungen ihrer sozialen, politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und ökologischen Umwelt flexibler als unter dem jetzigen Regelsystem zu reagieren. Dabei können die Vorteile des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland genutzt werden. Die Länder als Eigentümer der staatlichen Hochschulen müssen diesen einen Wettbewerb von Talenten bei den Forschern, Lehrenden und Studierenden ermöglichen, um so die Gesamtleistungsfähigkeit des Hochschulsystems zu steigern.

22.    Die Steuerung durch staatliche Gremien ist – jenseits der budgetären Prioritätensetzung für den Bereich Wissenschaft und Forschung allgemein – auf die Schaffung genereller Anreiz- und Feedbacksys­ teme und die Evaluation der Aufgabenerfüllung durch die Hochschulen nach leistungsbezogenen Kriterien zu beschränken und zu konzentrieren und das Engagement in Detailentscheidungen zurückzunehmen. Die Wissenschaftsverwaltungen müssen sich so einerseits auf die Setzung von Rahmenbedingungen, die grundlegenden Budgetentscheidungen, Entscheidungen über die Förderung von Forschungsschwerpunkten sowie das Ausmaß von Finanzierung von Lehre konzentrieren und sollen andererseits langfristig die Forschungs- und Ausbildungsleistungen der Hochschulen in Bezug auf Zielerreichung kontrollieren.

23.    Die staatliche Förderung muss zukünftig flexibler gehandhabt werden, indem einerseits Projektförderung auf einen längerfristigen Zeitraum eingerichtet wird, gleichzeitig aber zeitlich befristete Projekte daraus gefördert werden.

24.    Die Hochschulen müssen Verbünde schaffen, die das große intellektuelle und wirtschaftliche Potenzial des E-Learning erschließen. Hierzu müssen auch Allianzen mit den relevanten Softwareanbietern und Multimediaunternehmen geschaffen werden. Die Kommission der Europäischen Union und die Bundesregierung sind aufgerufen durch hohe Förderanstrengungen den deutschen Hochschulen im Verbund mit Universitäten anderer europäischer Länder den Einstieg in diesen großen und schnell expandierenden Markt zu ermöglichen. Dies dient nicht nur dem wirtschaftlichen Ziel der Wettbewerbsfähigkeit auf diesem Gebiet, sondern hat auch hohe kultur- und europapolitische Bedeutung.

Zum Kapitel 5.3.1 „Wissensverwertung durch Patentierung von Wissen“

Vorbemerkung:

Die Mehrheit in der Enquete-Kommission bezieht im Bericht und in den Handlungsempfehlungen eine Position zu Patenten, die die CDU/CSU-Arbeitsgruppe nicht mittragen kann. In diesem Punkt unterstützt die CDU/CSU-Gruppe die Position der Bundesregierung, die ihre Position vor der Enquete-Kommission dargestellt hat. Auf diesem Text basieren die folgenden Ausführungen (Vgl. hierzu Kommissionsdrucksache 14/12a, Stellungnahme vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zur öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission „Von der Industrie zur Wissensgesellschaft: Wirtschaft, Arbeitswelt und Recht, Privatisierung und Patentierung von Wissen“ vom 08.10.2001)

Die Patente im Rahmen der Globalisierung

Mit der zu beobachtenden zunehmenden Internationalisierung von unternehmerischen Aktivitäten, der Globalisierung von Produktion und Märkten sowie der weltumspannenden Kommunikation über Datennetze hat der Bedarf nach Schutz des „vierten“ Produktionsfaktors Wissen stark zugenommen. Dieser gestiegene Bedarf lässt sich an der z. T. dramatischen Entwicklung bei den Anmeldungen von gewerblichen Schutzrechten wie Patente und Marken bei nationalen, regionalen und internationalen Patentämtern ablesen. Weltweit schnellte beispielsweise die Anzahl der gesamten Patentanmeldungen zwischen 1991 und 1998 von 1,6 Mio. auf 5,8 Mio. hoch. Die wachsende Internationalisierung der unternehmerischen Aktivitäten der Anmelder ist daran abzulesen, dass in den Jahren 1997/98 eine nationale Anmeldung zu durchschnittlich 8,1 Folgeanmeldungen in anderen Ländern führte. Drei Jahre zuvor lag die Rate noch bei 3,3.

Bei Betrachtung der reinen Anmeldezahlen ist jedoch zu berücksichtigen, dass längst nicht alle angemeldeten Patente auch erteilt werden (beim Europäischen Patentamt beläuft sich die Erteilungsrate auf etwa ein Drittel). Zudem wird erfahrungsgemäß nur ein Teil der erteilten Patente wirtschaftlich verwertet, d. h. in Innovationen am Markt umgesetzt. Insofern bedarf es für eine Bewertung der Auswirkungen von Patenten sowohl auf die Innovationsdynamik einer Volkswirtschaft wie auf das wirtschaftliche Wachstum insgesamt fundierter empirischer Erhebungen, von denen es bislang zu wenige gibt.

   Die Neigung kleinerer Unternehmen, zu patentieren, ist geringer. Diese Unternehmen haben zum einen besondere Probleme, die vom Patentsystem gebotenen Chancen zu ergreifen und die gewährten Schutzrechte im globalen Wettbewerb durchzusetzen und können sich oft die hohen Gebühren eines internationalen Patentanmeldeverfahrens nicht leisten. Daher müssen in Zukunft internationale Patentanmeldungen auch für solche Unternehmen bezahlbar gestaltet werden.

Warum gibt es Patente und andere Schutzrechte?

Der Patentschutz gibt dem Erfinder das Recht der exklusiven Nutzung einer Erfindung für eine bestimmte Zeit. Dabei dient der Patentschutz nicht der Monopolisierung der Märkte und Schaffung von Marktzugangsbarrieren. Patentschutz bedeutet nicht Eigentumserlangung. Die Idee ist, dass das Schutzrecht dem Erfinder oder Unternehmen die Möglichkeit verschafft, höhere Profite als auf dem Wettbewerbsmarkt zu erzielen und sich auf diese Weise die Erträge aus der Erfindung zu sichern. Patente sind ein Anreiz für Investitionen in weitere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, die zur Generierung neuer Innovationen führen.

Wofür werden Patente erteilt und wofür nicht?

Die Mehrheitsfraktionen sprechen in ihrem Bericht mehrfach von der „Patentierung von Wissen“ und zeigen damit, dass sie sich mit den juristisch bestehenden Grundlagen nicht wirklich auseinandergesetzt haben.

Nur technische Erfindungen können patentiert werden. Wissen als solches ist nicht patentierbar, sondern darf jederzeit frei benutzt werden Nach Art. 52 EPÜ sind wissenschaftliche Theorien, mathematische Modelle, Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten bzw. die bloße Wiedergabe von Informationen vom Patentschutz ausgeschlossen.

Erfindungen stellen „geistiges Eigentum“ dar, das – wie alle Eigentumsarten – durch das Grundgesetz geschützt ist. Der Inhaber geistigen Eigentums hat wie beim Privateigentum zunächst das Recht, frei darüber verfügen zu können. Jedoch verpflichtet Eigentum den Inhaber zu unschädlichem Verhalten gegenüber der Allgemeinheit. Eigentum hat damit Grenzen. Patente sind nur ein „Eigentum auf Zeit“. Dies bedeutet, dass die Allgemeinheit nicht von ihrem positiven Nutzen ausgeschlossen werden darf. Patente bleiben also der Öffentlichkeit zugänglich und können in Fällen der Notwendigkeit dem Inhaber durch das Instrument der Zwangslizenzierung entzogen werden.

Der Patentanmelder muss das technische Wissen, das Gegenstand seines Patentgesuchs ist, der Allgemeinheit bekannt geben. Der „Tauschvertrag“ befördert vom Grundsatz her eine aus gesamtwirtschaftlicher und wohlfahrtsökonomischer Sicht gewünschte relativ zügige und breite Diffusion neuen technischen Wissens, auf das für neue Innovationen aufgebaut werden kann. Ineffiziente Ressourcenallokation bei Forschung und Entwicklung soll damit vermieden werden. Damit dienen Patente dem Technologietransfer, da durch die Offenlegung neue Technologien öffentlich zugänglich werden.

Jedoch ist mit der Einführung eines irgendwie gestalteten Schutzrechtssystems eine optimale Generierung und Diffusion neuen technischen Wissens nicht automatisch gewährleistet. Denn ein zu starker Patentschutz verhindert eine breite Diffusion von Innovationen, ein zu schwacher Patentschutz führt in der Tendenz dazu, dass – bei zwar breiter Diffusion des Wissens – zu wenig neues Wissen produziert wird. Wie die aktuellen Diskussionen zum Patentschutz für bio- und gentechnische Erfindungen wie auch für Software auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene zeigen, stellt sich für die Wirtschafts- und Rechtspolitik deshalb immer wieder die Frage nach einem gesamtwirtschaftlich „optimalen“ Patentregime, das ein Gleichgewicht zwischen Anreiz für und der Diffusion von Innovationen schafft. In einer globalisierten Welt werden befriedigende Antworten letztlich nur im internationalen Konzert gefunden werden können.

TRIPS-Abkommen

Durch die im TRIPS-Übereinkommen niedergelegten Mindeststandards für sämtliche geistige Eigentumsarten und spezifischen Regeln zu deren Durchsetzung wird im multilateralen Rahmen ein substanzieller Beitrag zur Eindämmung der Produkt- und Markenpiraterie geleistet – nach Schätzungen ist hiervon ein Warenwert von 120 bis 200 Milliarden US-Dollar betroffen. Das Übereinkommen wird seitens der Bundesregierung und der CDU/CSU-Arbeitsgruppe deshalb nach wie vor als wichtiges Regelwerk zur Beseitigung von Marktzugangshemmnissen eingestuft.

Das Übereinkommen ist für die Industrieländer bereits seit 1996, für Entwicklungs- und Transformationsländer aber erst seit 2000 in vollem Umfang verpflichtend. Darüber hinaus können die LDC eine zusätzliche Übergangsperiode von weiteren fünf Jahren (ggf. sogar bis 2016) in Anspruch nehmen. Die von der WTO durchgeführte Implementierungs-Überprüfung zeigt, dass bei den Entwicklungsländern die Bereitschaft zur Umsetzung der Regeln besteht und dass auch bisher dem Schutzsystem geistigen Eigentums sehr kritisch eingestellte Staaten dieses nicht mehr grundsätzlich ablehnen. Besonders Schwellenländer erkennen die positiven Anreizwirkungen dieses Systems für Forschung und Innovation sowie als ein Mittel, um ausländische Investitionen anzuziehen. Denn ein gesicherter rechtlicher Rahmen wie ausreichende Möglichkeiten des Patentschutzes ist für Investitionsvorhaben unerlässlich.

In vielen Fällen bestehen jedoch noch technische Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Regeln. Die EU, aber auch andere Industriestaaten, haben deshalb verstärkt technische Hilfe bei der Umsetzung angeboten.

Patentierung von biotechnologischen Erfindungen

Die Biotechnologie hat ein breites Spektrum von Anwendungen in den verschiedensten Bereichen wie Medizin, Umweltschutz, Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion. Sie beinhaltet ein großes Potenzial für Fortschritte in den genannten Bereichen und kann damit auch einen wichtigen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung    leisten. Vor allem in den Entwicklungsländern dürfte sie künftig eine große Rolle im Hinblick auf die Sicherung der Ernährungssituation spielen. Die Möglichkeit zur Erlangung wirksamer Schutzrechte für biotechnologische Erfindungen ist ein wichtiger Anreiz für Investitionen in Forschung und Entwicklung und damit Motor für Fortschritte in Bezug auf diese Zukunftstechnologie.

In der EU wurde nach über zehnjähriger intensiver Diskussion mit der Verabschiedung der Biopatentrichtlinie die Grundlage für eine einheitliche Vorgehensweise beim Schutz geistigen Eigentums im Bereich biotechnologischer Erfindungen in ganz Europa gelegt. Die Bundesregierung hat dem Parlament einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie vorgelegt. Damit wird das nationale Patentrecht in diesem Bereich verbessert und präzisiert.

Bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs spielten insbesondere die aus ethischer Sicht notwendigen Grenzen der Patentierbarkeit von Genen eine wichtige Rolle. Der Gesetzentwurf stellt klar, dass Gene als solche ebenso wenig patentierbar sind wie z. B. der menschliche Körper oder einzelne Körperteile. Ein isolierter oder ein auf andere Weise durch ein technisches Verfahren gewonnener Bestandteil des menschlichen Körpers oder sonstiges auf diesem Wege bereitgestelltes biologisches Material einschließlich der (Teil-)Sequenz eines Gens können jedoch eine patentierbare Erfindung darstellen, wenn ihre Funktion genau beschrieben ist und alle weiteren Voraussetzungen für eine Patenterteilung erfüllt sind, wie insbesondere die Neuheit und die konkrete Beschreibung der gewerblichen Anwendbarkeit. Eine bloße Entdeckung oder das Auffinden von Stoffen (Genen oder Genabschnitten) reicht also nicht.

Die Biopatentrichtlinie schließt Pflanzensorten und Tierrassen ausdrücklich von der Patentierbarkeit aus. Patentschutz und Sortenschutz sind zwei unterschiedliche gewerbliche Schutzrechte. Mit dem Sortenschutz wird ein Gesamtgenom in seiner Individualität geschützt, wohingegen das Patent – auch in Bezug auf Pflanzen – eine Erfindung in Form von generischen Ansprüchen schützt. Jedes Schutzrecht hat also für seinen Bereich angemessene Voraussetzungen und Schutzwirkungen, stehen jedoch nebeneinander. Mit der Biopatentrichtlinie werden also keine Eigentumsrechte an der belebten Natur gewährt.

Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde nach sorgfältiger Abwägung aller relevanten Aspekte, insbesondere der ethischen Fragen vom Kabinett verabschiedet. Er setzt klare Grenzen der Patentierbarkeit. Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist die Umsetzung der Richtlinie eine wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Forschungsstandortes Deutschland.

Die EU-Biopatentrichtlinie verletzt nicht das TRIPS-Abkommen, da der Patentierungsumfang der Richtlinie nicht über den des TRIPS- Abkommens hinausgeht. Ausgenommen sind in beiden Fällen die Patentierung auf Pflanzen und Tiere, wohingegen in beiden Abkommen die Patentierung von Genen/Gensequenzen erlaubt ist. Insbesondere das Diskriminierungsverbot des Art. 27 (1) TRIPS, wonach Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erhältlich und Patentrechte ausübbar sein müssen, verbietet die Einschränkung des Stoffschutzes auf bestimmten Gebieten, z. B. bei humanen Genen. Daher muss die Richtlinie die Patentierung von Genen ermöglichen, um nicht eine Diskriminierung der Gentechnik im Vergleich zu anderen technischen Bereichen und damit eine Verletzung des TRIPS-Abkommens herbeizuführen.

Kritische Stimmen sehen eine Unvereinbarkeit des TRIPS- Abkommens mit dem Abkommen über die biologische Vielfalt (CBD). Die CBD sieht jedoch gerade ausdrücklich die verstärkte Nutzung der biologischen Vielfalt für die Entwicklung der Menschen vor. Die CBD legt die Grundlagen, wie die aus der Nutzung entstehenden Gewinne ausgewogen und gerecht geteilt werden. Insbesondere anerkennt die CBD ausdrücklich den gewerblichen Rechtsschutz als Voraussetzung für Investitionen in die Nutzung der biologischen Vielfalt sowie die Entstehung von Gewinnen für den Vorteilsausgleich. Die CBD bedingt also geradezu eine internationale Patentschutzregelung wie TRIPS. Forscher und Industrie haben ein großes Interesse an Erhalt und Erforschung der biologischen Vielfalt, da gerade sie eine wertvolle Ressource für Innovationen und Produkte bietet.

Zugang zu preiswerten Arzneimitteln im Zusammenhang mit lebensbedrohlichen Krankheiten

Verschiedene durch Pandemien stark betroffene Entwicklungsländer haben das TRIPS- Abkommen und dessen Patentregime kritisiert, da sie dadurch eine Beeinträchtigung der medizinischen Versorgung der betroffenen Bevölkerung befürchten. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang insbesondere Reichweite und Ausnahmen des Patentschutzes, die Voraussetzungen für Zwangslizenzen, sowie die Zulässigkeit von Parallelimporten, also ob und inwieweit einem Lizenznehmer das Recht zum Wiederverkauf in Drittstaaten zusteht.

Deutschland und die EU haben wiederholt erklärt, dass sie die Frage des Zugangs zu preiswerten Medikamenten in vielen Entwicklungsländern für ein ernstes Problem halten. Im Rahmen der EU-„Strategie zur Armutsreduzierung“ wurde mittlerweile ein Aktionsprogramm für eine beschleunigte Hilfe bei AIDS, Malaria und Tuberkulose in den nächsten fünf Jahren entwickelt und vorgestellt. Im Zuge der sich in verschiedenen Foren geführten Diskussion hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass das TRIPS- Übereinkommen nicht die Ursache der im Zusammenhang mit den Pandemien aufgetretenen Probleme ist, sondern zu dessen Lösung beitragen kann.

Im Kern der Lösungsbemühungen stehen allerdings die inzwischen im internationalen Rahmen vereinbarte Einrichtung eines Finanzfonds in Milliardenhöhe einerseits sowie andererseits freiwillige Anstrengungen der Pharmaunternehmen, neue, wirksame und noch unter Patentschutz stehende Medikamente kostenlos bzw. zu deutlich reduzierten Preisen („Tiered Pricing“) in die betroffenen Entwicklungsländer abzugeben. Zurzeit prüft die EU-Kommission, wie durch Handelsregelungen verhindert werden kann, dass derart verbilligt abgegebene Medikamente auf sonstigen Drittmärkten angeboten werden und damit dem Hilfszweck zuwider laufen. Hinsichtlich der in    den TRIPS- Regelungen enthaltenen Möglichkeit zur Verhängung von Zwangslizenzen (Art. 31 TRIPS) hat die EU beschlossen, bei entsprechenden Rechtsfragen den Inte­ ressen der Entwicklungsländer im Wege einer möglichst flexiblen Interpretation des TRIPS-Abkommens weitestgehend Rechnung zu tragen. Zzt. wird im Rahmen der post- Doha- Verhandlungen innerhalb der WTO die Möglichkeit kontrovers diskutiert, sog. grenzüberschreitende Zwangslizenzen zu ermöglichen. Dieses würde bedeuten, dass Entwicklungsländer, die zur ausreichenden Versorgung ihrer Bevölkerung eine Zwangslizenz vergeben müssten, aber über keine ausreichenden nationalen Produktionskapazitäten verfügen, die Lizenz an einen Hersteller in einem Drittland vergeben könnten, um die Versorgung sicherzustellen.

Im Gegensatz zu den USA vertreten Deutschland und die EU die Ansicht, dass das TRIPS-Abkommen in Bezug auf Parallelimporte neutral formuliert ist, da es dem nationalen Gesetzgeber freistellt, sich für eine nationale (für die EU regionale) oder weltweite Erschöpfung für Patente bzw. Marken zu entscheiden. Die Frage der Preisgestaltung ist in TRIPS nicht geregelt; dieses wird ausschließlich der Disposition der Marktteilnehmer überlassen. Art 8 TRIPS eröffnet jedoch den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit zu Eingriffen in die Preisgestaltung für Pharmaprodukte, wenn dies mit dem Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit begründet wird.

Zu einzelnen Handlungsempfehlungen

Zur Empfehlung 5-21 Revision des TRIPS-Abkommens und der EU-Richtlinie

Die CDU/CSU-Gruppe unterstützt die Ansicht der Bundesregierung, wonach weder das TRIPS-Abkommen noch die EU-Biopatentrichtlinie derzeit revisionsbedürftig sind. Die EU-Richtlinie ist wortlautnah und zügig in deutsches Recht umzusetzen. Im Rahmen des TRIPS-Abkommens sollen sich Deutschland und die EU dafür einsetzen, dass eine Sicherstellung der ausreichenden Versorgung mit preiswerten Medikamenten im Wege einer Selbstverpflichtung der Hersteller und nicht mit einer Änderung des Abkommens erfolgt.

Zur Empfehlung 5-22 Demokratische Kontrolle des EPA

Das Patentamt muss nach den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit arbeiten und sich dabei an allgemein geltende Prüfungs- und Verwaltungsrichtlinien halten. Es bestehen daher in diesem Zusammenhang keine Handlungsnotwendigkeiten, da die hausinternen Prüfungs- und Verwaltungsrichtlinien des EPA öffentlich zugänglich und damit transparent sind.

Zur Empfehlung 5-24 Ausschluss der Patentierung von Genen, Lebewesen, Pflanzen und Regelungen zum Schutz der Biodiversität und der Interessen der Entwicklungsländer

Lebewesen und Pflanzen sind von der Patentierung sowohl durch das TRIPS-Abkommen wie durch die EU-Biopatentrichtlinie ausgeschlossen. Gemäß diesen beiden Abkommen ist sicherzustellen, dass eine Patentierung von Genen/Gensequenzen gewährleistet ist. Dies ist nötig, um eine Diskriminierung zu anderen Bereichen der Technik zu vermeiden und so dem Diskriminierungsverbot in TRIPS zu entsprechen.




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