11.1.7.3 Arbeitsmärkte
Vorbemerkungen
Der Berichtsteil
der Mehrheitsfraktionen gliedert sich grundsätzlich in einen
Diagnose- und einen Therapie- oder Empfehlungsteil. Im Diagnoseteil
konnten weitgehend Übereinstimmungen mit den
Mehrheitsfraktionen hergestellt werden. Allerdings hegt die
CDU/CSU-Arbeitsgruppe erhebliche Bedenken gegen viele von den
Mehrheitsfraktionen ausgesprochenen Handlungsempfehlungen. Gerade
bei diesem Thema ist offensichtlich, dass die Enquete-Kommission
den Mehrheitsbericht nutzt, um ideologische und nationale
Politikansätze unter Missachtung der empirischen Fakten und
zum Teil gegen sie als angeblich nützliche Rezepte für
komplizierte weltweite Prozesse zu verkaufen versucht.
Die
Mehrheitsfraktionen stellen fest, dass die diagnos tizierten
Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht in un mittelbarem oder
ursächlichem Zusammenhang mit der Globalisierung stehen.
Deshalb werden viele nationale Arbeitsmarktprobleme aufgezeigt und
Handlungsempfehlungen vorgebracht.
Im Folgenden greifen wir explizit Kapitel
undHandlungsempfehlungen aus dem Mehrheitsbericht auf und stellen eigene
Forderungen zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit vor.
Ergänzend verweist die CDU/CSU-Arbeitsgruppe auf ihr Votum zum
Kapitel 5 „Arbeitsmärkte“ im
Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Globalisierung der
Weltwirtschaft“.
Zusammenfassende Bemerkungen
Die Regulierungsdichte wirkt auch auf den
deutschen Arbeitsmärkten seit langem lähmend. Helfen
könnte schon, wenn vor die Normsetzung – wo immer
möglich – zunächst eine limitierte Testphase (siehe
das sog. „Wisconsin-Modell“ der hessischen
Landesregierung) gesetzt würde. Allein hierdurch würde
auf der Zeitachse Flexibilität gewonnen.
Flexibilität und
„Öffnungsklauseln“ notwendig
Vor allem aber müssen die
Rahmenbedingungen im Tarifbereich
(„Öffnungsklauseln“) endlich flexibler werden. Der
in dieser Legislaturperiode wiedereingeführte verstärkte
Kündigungsschutz wirkt beschäftigungsfeindlich. Um die
Einstellungschancen älterer Arbeitnehmer zu verbessern, sollte
diesen beim Abschluss eines Arbeitsvertrages ein Optionsrecht
eingeräumt werden. Sie könnten sich hierbei entscheiden,
bei einer eventuellen späteren Kündigung gegen Zahlung
einer Abfindung auf eine Kündigungsschutzklage zu verzichten.
Ebenso beschäftigungsfeindlich wirken der einseitige
allgemeinen Anspruch auf Teilzeitarbeit und die kostenintensiven
Neuregelungen bei der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im
Jahr 2001. Beide belasten insbesondere die mittelständische
Wirtschaft zusätzlich und schädigen damit die
eigentlichen Träger derzeitiger und zukünftiger
Beschäftigung.
Beschäftigungswirksame
Handlungsempfehlungen für Deutschland
Arbeitslosen- und Sozialhilfe sollten
zusammengefasst und so ausgestaltet werden, dass Anreize zur
Aufnahme einer Beschäftigung entstehen. Deshalb muss das
Lohnabstandsgebot strikt beachtet werden. Zudem sollte die
Anrechnung von Erwerbseinkommen auf die Sozialhilfe reduziert und
die vielfältigen Ansprüche, die über den Regelsatz
der Hilfe zum Lebensunterhalt weit hinausgehen, geprüft
werden. Wer ein Arbeitsangebot ablehnt, der muss mit einer
deutlichen Verringerung seines Anspruchs auf Sozialhilfe rechnen.
Um im Niedriglohnbereich gezielt Beschäftigungsanreize zu
setzen, sollte auf Sozialbeiträge bis zum steuerlichen
Grundfreibetrag (derzeit etwa 10.000 Euro p.a.) verzichtet werden.
Die Beitragsausfälle könnten durch Einschränkungen
der vielen ineffizienten Arbeitsmarktprogramme kompensiert
werden.
Der
relativ niedrige Anteil von Beschäftigten im
Niedriglohnbereich und der hohe Anteil der Schatten
wirtschaft weisen auf die falschen Rahmenbedingungen auf dem
deutschen Arbeitsmarkt hin. Diese sind maßgeblich von der
jetzigen Bundesregierung zu verantworten.
Kommentar zu Kapitel 4.2: Der deutsche Arbeitsmarkt im globalen
Wettbewerb
Zu Kapitel
4.2.3: Zusammenfassende Bewertung, Punkt 1.
Die Stellung Deutschlands im internationalen
Wettbewerb wird hier nicht zutreffend beschrieben. Der von der OECD
entwickelte und verwendete Indikator der Exportperformance zeigt
dies deutlich: Seit Mitte der 80er Jahre hat dieser Indikator fast
25 Prozent eingebüßt. Die Exportperformance anderer
Industrieländer (z.B. USA, Irland, Spanien, Norwegen,
Finnland) hat sich hingegen verbessert, und wichtige
europäische Konkurrenten haben weniger schlecht abgeschnitten
als Deutschland.
Zu Kapitel
4.2.3, Punkt 8.
Zugrundeliegende Ursache der in Deutschland
vergleichsweise geringen Beschäftigung im Bereich der
persönlichen Dienstleistungen ist der unzureichende
Lohnabstand (zur empirischen Relevanz siehe Boss 2001; Klös,
Schäfer 2002). Dieser kann zwar durch die Entlastung geringer
Einkommen von Sozialabgaben gemildert werden, doch dies löst
nicht das eigentliche Problem. Vielmehr werden durch die
Verschiebung von Finanzmitteln von einer öffentlichen Hand
(Steuer) in die andere (Sozialversicherung) die ohnehin schon
problematischen Anreizstörungen durch weitere Verletzungen des
Konnexitätsprinzips verstärkt. Eine problemadäquate
Lösung bestünde in einer Absenkung der Transfereinkommen
und ggf. der Einführung einer negativen Einkommensteuer. Die
Schaffung bzw. Ausdehnung eines öffentlichen
Beschäftigungssektors beseitigt die Arbeitslosigkeit nicht, da
die Opportunitätskosten beachtet werden müssen: Eine
dadurch bedingte Erhöhung der Steuern zur Finanzierung
öffentlicher Beschäftigung führt ihrerseits zur
Erhöhung der Arbeitslosigkeit.
Zu Kapitel
4.2.3, Punkt 9.
Die empirischen und theoretischen Hinweise
auf einen beschäftigungsfeindlichen Einfluss von
Rigiditäten sind unübersehbar (vgl. z.B. Eichhorst u.a.
2001, Berthold u.a. 1999, Siebert 1997). Voraussetzung für die
Absenkung der hohen nationalen Arbeitslosigkeit ist jedoch
Flexibilität, also die Bereitschaft zur Anpassung und die
Öffnung veränderungsfeindlicher tarifrechtlicher
Strukturen. Da dies bisher nicht geschehen ist, die Notwendigkeit
jedoch weiter besteht, entstehen mittlerweile viele
Arbeitsverhältnisse in rechtlichen Grauzonen oder sogar unter
Verstoß des Tarifrechts. Je länger die
arbeitsmarktpolitischen Anpassungen verzögert werden, desto
höher werden im Zeitlablauf die Kosten dafür sein.
Zu Kapitel
4.2.3, Punkt 10.
Die Existenz einer Dienstleistungslücke
ist unumstritten. Umstritten sind allerdings die Messmethode und
daraus resultierende Ergebnisse. Nicht nachvollziehbar ist, warum
eine „generelle Wachstumsschwäche“ und
„Strukturprobleme in den neuen Bundesländern“
dafür ursächlich sein sollen, obwohl die Existenz der
Lücke auch in Westdeutschland einwandfrei nachweisbar ist. Eine
generelle Wachstumsschwäche müsste alle Branchen
betreffen.
Kommentar zu Kapitel 4.3: „Globalisierungs bedingter
Strukturwandel auf dem deutschen Arbeitsmarkt“
Zu Kapitel
4.3.6: Zusammenfassende Bewertung, Punkt 3.
Der Hinweis auf
makroökonomische Faktoren“ (zu geringe Binnennachfrage,
Zunahme des Angebotes an Arbeitskräften,
Produktivitätswachstum) als Ursache struktureller
Arbeitslosigkeit überzeugt nicht. Das
Produktivitätswachstum liefert keine langfristig
zufriedenstellende Erklärung für Arbeitslosigkeit
(Vivarelli 1995). Auch ein höheres Arbeitskräfteangebot
führt nicht unbedingt zu höherer Arbeitslosigkeit. Dies
zeigen Erfahrungen anderer Länder (z.B. der USA).
Maßgeblich für die Absorptionsfähigkeit eines
Arbeitsmarktes ist nämlich seine Flexibilität. Die
Vorstellung, die strukturelle Arbeitslosigkeit sei keynesianischer
Natur und resultiere aus einer unzureichenden Güternachfrage,
ist angesichts des vorgeschlagenen Gegenmittels – einer
Ausweitung der Staatsausgaben – empirisch wenig gehaltvoll:
Die strukturelle Arbeitslosigkeit in Deutschland steigt seit vielen
Jahren – unabhängig davon, ob eine expansive oder
res triktive Fiskalpolitik betrieben wird.
Für die
Lesbarkeit des gesamten Votums bilden wir in dem folgendem Kasten
dieAussagen ab, die bereits im Zwischenbericht als Beispiel
für einen internationalen Vergleich dienen.
Kommentar zu Kapitel 4.4: Handlungsempfehlung 4-1
„Weiterbildung“
Jedes Individuum
investiert durch Bildung und Weiterbildung in seine eigene Zukunft.
Das heißt auch, dass jeder diese Entscheidungen für sich
selbst treffen muss. Gegenwärtig gibt die Bundesanstalt
für Arbeit bereits sieben Milliarden Euro im Jahr für die
berufliche Weiterbildung aus. Angesichts ausstehender Belege
für die Wirksamkeit der Förderung (Hagen, Steiner 2000)
erscheint eine weitere Erhöhung nicht angemessen. Eine
Ausweitung der Regulierungsdichte durch Rahmengesetze und
Ausbildungsumlagen wird ebenso abgelehnt. Die Idee eines
Zertifizierungssystems für Unternehmen erscheint zweifelhaft.
Der Mangel an formalen Qualifikationen kann kaum durch
Formalisierung abweichender Qualifikationen kompensiert werden. Wie
die Unternehmen ihre Weiterbildung organisieren, sollte ihnen
letztlich selbst überlassen werden.
Zu
Handlungsempfehlung 4-3 „Arbeitszeitpolitik“
Diese
Handlungsempfehlung beruht auf der Vorstellung, das Arbeitsvolumen
sei fest vorgegeben und müsse bloß auf mehr Köpfe
verteilt werden, um den Beschäftigungsstand zu erhöhen.
Diese Vorstellung ist unzutreffend. Die Qualifikationen auf dem
Arbeitsmarkt sind viel zu spezifisch, als dass man durch allgemeine
Arbeitszeitverkürzungen die Beschäftigung erhöhen
könnte. Während in einigen Segmenten sogar
Fachkräftemangel herrscht, ist in anderen Segmenten ein
Überschuss zu beobachten. Regulierungen wie das Teilzeit- und
Befristungsgesetz werden diese Segmentierung verschärfen und
die Arbeitslosigkeit erhöhen (vgl. Klös, Schäfer
2000). Bereits im Zwischenbericht 2001 zeigte die CDU/CSU-
Arbeitsgruppe anhand von verschiedenen Beispielen aus dem
europäischen Ausland, dass der hier erneut vorgebrachte
Vorschlag der Arbeitszeitverkürzung nicht zu den
gewünschten Effekten – der Verringerung von
Arbeitslosigkeit – führt (Enquete-Kommission
„Globalisierung“ 2001c: 178ff.). Aus diesem Grund wird
auf eine erneute Darstellung an dieser Stelle verzichtet.
Zu
Handlungsempfehlung 4-4 „Steigerung der Frauen
erwerbstätigkeit“, hier speziell: Rückführung
des Ehegattensplittings“
Bereits der
frühere SPD-Bundesfinanzminister Lafontaine plante die
Begrenzung des Splittingvorteils auf maximal 8000 DM und scheiterte
mit diesem Vorhaben an massiven verfassungsrechtlichen, aber auch
ökonomischen Bedenken. An dieser Sachlage hat sich so gut wie
nichts geändert. Folgende Gründe sprechen für die
Beibehaltung des Splittingverfahrens:
– Das Ehegattensplitting ist keine
disponible Steuervergünstigung, sondern verfassungsrechtlich
geboten, weil die Ehe als Lebensgemeinschaft beide Partner als
gleichberechtigt ansieht und daher das Einkommen auch beiden in gleicher
Höhe zugerechnet werden muss. Außerdem begründet die
Ehe auch zivilrechtliche Unterhaltsansprüche.
– Im Zuge der Steuerreform sinkt die
Grenzsteuerbelas tung und dadurch verringert sich automatisch
auch der Splittingvorteil
– Durch den Splittingvorteil profitieren
nicht nur die kinderlosen Ehepaare, sondern insbesondere die
Ehepaare mit Kindern – eine Kappung des Vorteils müsste
aus verfassungsrechtlichen Gründen auch auf diese Gruppe im
Zuge des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgedehnt werden.
– Nur zwei Prozent der verheirateten
Einkommensteuerzahler kommen gegenwärtig in den Genuss des
vollen Splittingvorteils. Die steuerlichen Einsparpotenziale sind
bei einer Abschaffung deshalb gering.
Zu
Kapitel 4.4.1: Exkurs: Hilfen für die
potenziellen Globalisierungsverlierer durch Subvention gering
qualifizierter Arbeit
Das antizipierte
Primat der Qualifizierungspolitik gegenüber der
Lohnsubventionierung im Niedriglohnbereich stößt an
Grenzen, da die Grenzkosten der Qualifizierung steigen und die
Grenzerträge hieraus letztlich übersteigen. Ein
Arbeitsmarkt muss aber auch Chancen für Geringqualifizierte
bieten. Anreize zur Qualifizierung bietet der Markt durch bessere
Chancen auf einen Arbeitsplatz und höhere Löhne für
Hochqualifizierte genug.
Dass kulturelle
Aspekte einer Ausweitung des Sektors der Einfachdienstleistungen
entgegenstehen, wird bereits durch ein steigendes Angebot dieser
Dienstleistungen in der Schattenwirtschaft widerlegt.
Das Argument, das
Lohnniveau sei zu hoch für einen Niedriglohnsektor leitet sich
nicht aus dem Mangel an entsprechenden Leistungsgruppen in
Tarifverträgen ab. Es resultiert vielmehr aus dem geringem
Arbeitsangebot in diesen Leistungsgruppen. Dies kann mit dem
Mindestlohncharakter der Sozialhilfe erklärt werden.
Zu
Kapitel 4.5: Globalisierung und arbeits- und
sozialpolitische Handlungsfähigkeit des Nationalstaates
Zu den
Handlungsempfehlungen 4-5 und 4-6
„Mindestsozialleistungsquoten“
Die Forderung
nach EU-weiten Mindestsozialleistungsquoten ist irrational, da
einerseits nicht berücksichtigt wird, wie viele soziale
Leistungen notwendig sind und andererseits der politische Wille
einzelner Mitgliedsländer ignoriert wird. Stattdessen sollten
die Sozialbudgets effizienter dazu verwendet werden, um den
Finanzbedarf zu senken und Räume für
wachstumsfördernde Steuer- und Sozialabgabensenkungen zu
schaffen. Im Übrigen wird ein Wirkungszusammenhang impliziert
(niedrigere So zi al leistungsquoten
erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit), der in Abschnitt 4.2
noch heftig angezweifelt wurde.
Mindestsozialleistungsquoten laufen zudem auf
eine Harmonisierung der Sozialausgaben auf hohem Niveau hinaus und
beschränken den Wettbewerb um „Best Practices“.
Zudem ist die Ausgangshypothese eines „Race to the
Bottom“ im Wettbewerb bei den Sozialleistungen nicht
zutreffend. Im Gegenteil, die Sozialleistungsquoten sind im
Zeitraum 1980 bis 1999 in fast allen Ländern der EU gestiegen.
Auch die Sozialleistungen je Kopf tendieren nach oben, nicht nach
unten.
Zu
Kapitel 4.7: Beschäftigungsrelevante
Defizite in der Europäischen Union
Zu
Handlungsempfehlung 4-8 „Erweiterung des Aufgabenbereichs der
EZB“
Die Forderung
nach einer Ausweitung des Zielkatalogs der EZB wird von CDU/CSU
abgelehnt. Aus ordnungspolitischen Gründen sollten die
Zuordnungen von Aufgaben in der Wirtschaftspolitik klar und
eindeutig sein und nicht verwischt werden. Indem die EZB für
Preisstabilität sorgt, leistet sie einen wichtigen Beitrag
für Wachstum und Beschäftigung. Die Bundesregierung hat
durch ihre Wirtschafts-, Steuer-, Finanz- und Sozialpolitik
für wachstums- und investitionsfreundliche Rahmenbedingungen
zu sorgen, die Tarifpartner sind für
beschäftigungsorientierte Löhne verantwortlich.
Zu
Handlungsempfehlung 4-10 „Produktivitäts
orientierte Lohnpolitik“
Die
Lohnentwicklung muss stets im Einklang mit der nationalen
Produktivitätsentwicklung stehen und darf sich nicht an einem
EU-Durchschnitt orientieren. Dies gewährleistet eine
stabilitäts- und beschäftigungsorientierte
Lohnpolitik.
Die
Mehrheitsfraktionen scheinen zudem einen Lohnkos
tenwettbewerb generell negativ zu beurteilen (Vorwurf eines
„Lohndumping-Wettbewerbs“). Auch hier konnte z.B. der
Sachverständigenrat in einem seiner letzten Gutachten kein
„Race to the Bottom“ feststellen. Zudem ist die
implizite Annahme falsch, Lohndisziplin sei
beschäftigungsneutral, wenn dies alle Länder täten.
Lohnmoderation kann vielmehr in allen beteiligten Ländern die
Beschäftigungslage verbessern, denn sie verbessert tendenziell
das Verhältnis von Arbeits- zu Kapitalkosten.
Zu
Kapitel 4.8, 4.8.2: Handlungsempfehlungen
zur Europäischen Steuerpolitik
Die in diesem
Kapitel unterbreiteten Empfehlungen sind alle durch ein tiefes
Misstrauen gegenüber dem internationalen Steuerwettbewerb
gekennzeichnet. Dieser wird einseitig als „unfairer
Wettbewerb“ interpretiert. Bisher existieren allerdings keine
rechtlich verbindlichen und definitorisch klaren
Begriffsunterscheidungen zwischen einem unerwünschten
„unfairen“ und einem erwünschten
„fairen“ Steuerwettbewerb.
Steuerwettbewerb
ist auch nicht zwangsläufig mit Steuermindereinnahmen
verbunden. Auch hier ist ein „Race to the Bottom“
empirisch bislang nicht nachweisbar. Im Gegenteil: Die Anteile der
von den Kapitalgesellschaften gezahlten Gewinnsteuern an den
Steuereinnahmen insgesamt sind laut OECD-Berechnungen in den 90er
Jahren angestiegen und nicht
gesunken. Führt Steuerwettbewerb zu einer höheren
Effizienz der nationalen Steuersysteme, (Senkung der
Steuersätze und gleichzeitig Abschaffung von
Steuerschlupflöchern) so kann dies positive ökonomische
Anreize entfalten. Hohe Steuersätze ohne entsprechende
Gegenleistung führen aber insbesondere im Bereich der
Besteuerung mobiler Faktoren (Sachkapital und hochqualifizierte
Arbeitskräfte) zu Ausweichreaktionen.
Soll eine Harmonisierung der direkten Steuern
auf europäischer Ebene angestrebt werden, dann erscheint es
bei der Unternehmensbesteuerung sinnvoller, an Stelle der
Steuersätze, die steuerlichen Vorschriften der
Gewinnermittlung anzugleichen. Dies würde den Steuerwettbewerb
transparenter machen und nicht ausschalten. Ein solcher Vorschlag
ist in der Diskussion und ein erster sinnvoller Schritt könnte
eine europäische Angleichung im Bereich der
Körperschaftsteuern sein (z. B. Halbeinkünfteverfahren
als einheitliche Besteuerungsmethode).
Zu Handlungsempfehlung 4-13
„Bekämpfung von Standortkonkurrenz, die mittels
Steuer vergünstigungen und steuerlichen Sonder
konditionen für mobile Unternehmensfunktionen
erfolgt“
Dieser Empfehlung liegt erneut die Angst vor
einem „Race to the Bottom“ zu Grunde. Auch hier werden
„mobile Unternehmensfunktionen“ nicht abwandern, so
lange der „Value for Money“ stimmt. Deshalb sollte
zunächst abgewartet werden, ob die bereits beschlossenen
Maßnahmen in Form der Verhaltenskodizes ausreichen. Generell
restriktivere Besteuerungsregeln bei mobilen Unternehmensfunktionen
(Kapitalanlagen, Holding- und Finan zierungsfunktionen,
Lizenzverwaltung, Versicherungsdienstleistungen) werden allerdings
Umgehungs- und Vermeidungsstrategien nach sich ziehen (z.B.
Verlagerungen außerhalb der EU) und sind deshalb nicht
zielführend.
Zu Handlungsempfehlung 4-14
„Anpassung der Doppelbesteuerungsabkommen an veränderte
Gegebenheiten und Subventionskontrolle“
Bevor multilaterale Abkommen geschaffen
werden, sollte geprüft werden, ob die bilateralen
Freistellungs- oder Anrechnungsmethoden für alle EU-
verbindlich gemacht werden sollten. Auch bei dem Vorschlag einer
umfassenden Subventionskontrolle ist Skepsis angebracht. Bereits
auf nationaler Ebene ist eine Kontrolle schwer durchführbar;
auch auf der EU-Ebene gibt es in der Beihilfenkontrolle erhebliche
Probleme. Eine Ausdehnung der Kontrolle auf alle
Steuervergünstigungen würde diese Kontrollprobleme weiter
verschärfen, zumal selbst eine Quantifizierung von Vorteilen
aufgrund von Steuervergünstigungen methodisch schwierig
ist.
Zu Kapitel
4.8.3 Handlungsempfehlungen 4-15 bis 4-17
„Öffentliche
Daseinsvorsorge“
Die in dem
Mehrheitsbericht unter diesem Punkt geforderte Rahmenrichtlinie
wäre bei konsequente Wettbewerbspolitik überflüssig.
Es sollte zudem strikt das Beihilfenverbot und das
Subsidiaritätsgebot durchgesetzt werden. Die Schaffung einer
Rahmenrichtlinie für gemeinwohlorientierte Dienstleistungen
setzt zunächst eine Definition solcher Dienstleistungen
voraus. Allerdings entzieht sich der Begriff der
Gemeinwohlorientierung einer exakten Definition. Es ist deshalb zu
befürchten, dass hierdurch gemeinwohlorientierte
öffentliche Unternehmen gegenüber privaten Unternehmen
bevorzugt werden sollen.
Zu
Kapitel 4.10.1: Handlungsempfehlungen zur
Informalität der Arbeit
Zu
Handlungsempfehlung 4-19 „Ausreichende Versorgung mit
Öffentlichen Gütern“
Die
Schlussfolgerung in dieser Handlungsempfehlung, Informalität
resultiere aus mangelnder Versorgung mit öffentlichen
Gütern, ist unplausibel und von der Analyse nicht gedeckt. Sie
steht auch im Widerspruch zu den Ausführungen über den
informellen Sektor in Kapitel 4.9.1.1 und
die Schattenwirtschaft in Kapitel
4.9.1.5.
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