11.2.2.7 Globale Wissensgesellschaft
(Kapitel 5 des Abschlussberichts)
Unter Verweis auf die Kürze der zur
Verfügung stehenden Zeit hat sich die Enquete-Kommission
dafür ausgesprochen, den Themenbereich der
Wissensübertragung und -generierung einer weiteren
Enquete-Kommission zu überlassen. Die FDP ist aber der
Überzeugung, dass es auf der Basis der bisherigen Diskussionen
und dem aktuellen Stand der Kenntnisse durchaus möglich und
nötig ist, eine Darstellung des Hochschulwesens sowie einige
Handlungsempfehlungen in den Abschlussbericht aufzunehmen. Nicht
zuletzt nach dem schlechten Abschneiden bei der PISA-Bildungsstudie
ist es unerlässlich, zügig Korrekturen am deutschen
Bildungssystem vorzunehmen, um im internationalen Vergleich
bestehen zu können.
Auf der Grundlage eines Gutachtens der
Professoren Dierkes und Merkens und mit Beiträgen
verschiedener Experten, auch unter Mitwirkung der FDP, hat die
Arbeitsgruppe „Globale Wissensgesellschaft“ ein
Positionspapier erarbeitet, das zunächst die Zustimmung der
Arbeitsgruppe fand, schließlich aber doch von der
Enquete-Mehrheit abgelehnt wurde. Aus liberaler Sicht sollte die
genannte Ausarbeitung im Abschlussbericht – wie nachstehend
– dargestellt werden. Sie bietet eine solide Grundlage
für den nötigen Aufholprozess im Hochschulwesen.
11.2.2.7.1 Wissensübertragung –
Wissensgenerierung1
Die Unterscheidung von Begriffen wie
„Wissensübertragung“ und
„Wissensgenerierung“ im Zusammenhang einer
Beschäftigung mit dem Thema „Wissen“ verdeutlicht,
dass hier – aufbauend auf der Grundlage der
Organisationstheorie von Probst, G. et al. (Wissen managen, 3.
Aufl.1997) – von einer Systematisierung der
Wissensorganisation ausgegangen wird, in dem die
Wissensübertragung der Lehre und die Wissensgenerierung der
Forschung zugeschrieben werden kann.
Ausgehend von der Annahme, dass unabdingbare
Voraussetzung (und Konsequenz) zunehmend wissensbasierter
Gesellschaften die (globale Qualität der)
Informationsbeschaffung und -verarbeitung, Wissensgenerierung und
-übertragung ist, hat sich die Enquete-Kommission für das
deutsche Hochschulsystem als Fallbeispiel entschieden, weil
Hochschulen zum einen in diesem Prozess eine entscheidende Rolle
spielen und zum anderen dem globalen Wettbewerb in besonderer Weise
ausgesetzt sind.
Wegen der Kürze der zur Verfügung
stehenden Arbeitszeit konnte sich die Enquete-Kommission mit dem
Aspekt der Wissensgenerierung und einem Vergleich mit dem
Forschungssektor in der Welt nicht ausführlich befassen. Sie
empfiehlt, diesen Bereich in einer späteren Untersuchung
genauer zu betrachten und zu bewerten.
Das Gutachten von Dierkes und Merkens
(Dierkes 2002) bildet die Grundlage der folgenden
Ausführungen.
Globalisierung, Wissenschaft und
Hochschulen: eine Einführung
Der jetzt erreichte und wahrscheinlich
fortschreitende Stand der Globalisierung der Weltwirtschaft hat
tiefgreifende Konsequenzen für die Wirtschaft aller Nationen
und Regionen: der Wettbewerb wird intensiviert, neue Wettbewerber
treten auf und brechen in Märkte ein, die bislang von wenigen
dominiert wurden. Wirtschaftsstand orte wie die
Bundesrepublik Deutschland müssen so zunehmend Anstrengungen
unternehmen, um ihre Marktführerschaft in einzelnen
Märkten und ihre generelle Exportfähigkeit zu
erhalten.
Unterhalb dieser
Makrotrends ist festzustellen, dass neben einer großen
Steigerung bei den einfachen Dienstleis tungen, die in der
Regel weiterhin lokal und regional nachgefragt und angeboten
werden, der Markt an wissensintensiven Dienstleistungen –
global nachgefragt und angeboten – deutlich zunimmt.
Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass die für die
modernen Ausprägungen traditioneller Produkte und Techniken
erforderliche Wissensbasis ebenfalls deutlich zunimmt. Ob diese
Entwicklung nun als Wissensgesellschaft oder auch nicht bezeichnet
wird mag Anlass zu trefflichen Diskursen geben. Erheblich ist bei
dieser Entwicklung, dass sowohl bei Dienstleistungen als auch bei
Produkten mehr Technik, neuere Technik, neuere Kombinationen von
Technik und – damit verknüpft – mehr und besseres
Wissen erforderlich sind. Unstrittig ist auch wohl, dass durch die
Vernetzung, Datenbanken und Datenaufbereitungsmethoden immer mehr
Informationen zur Verfügung stehen.
Die Konsequenz
liegt auf der Hand: Nationen und Regionen, die in die Wissensbasis
ihrer Bevölkerung investieren, sind diejenigen, die in diesem
Rennen die Chance haben, auf der Gewinnerseite zu stehen. Die, die
es nicht tun, oder deren Bevölkerung nicht bereit ist, zu
lernen und ständig neu zu lernen, dürften eher zu den
Verlierern zählen. Investitionen in das so genannte
Humankapital sind damit ein Schlüsselfaktor im gegenüber
den letzten Jahrzehnten intensiveren und globaleren Wettbewerb.
Damit steht und fällt die wirtschaftliche
Wettbewerbsfähigkeit einer Region und Nation mit der
Leistungsfähigkeit ihrer Bildungseinrichtungen auf allen
Stufen und für alle Phasen des Lebensprozesses. Wissen, Umgang
mit Wissen, Schaffen von neuem Wissen muss allein schon im
Interesse der Wettbewerbsfähigkeit immer wieder gelernt werden
Dabei sind die mindestens ebenso wichtigen kulturellen, sozialen
und politischen Aspekte des Bildungsprozesses noch nicht einmal
thematisiert.
Die Frage nach
der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit des
Wirtschaftsstandortes Bundesrepublik Deutschland lässt sich
daher zu einem großen Teil auf die Frage nach der
Wettbewerbsfähigkeit der Bildungsinstitutionen, der Prozesse
im Bildungswesen und die Bildungsinhalte zurückführen.
Angesichts der großen Bedeutung von Wissen macht es Sinn, hier
exemplarisch die Hochschulen herauszugreifen und zu fragen:
Inwieweit sind diese in der Lage, Jugendliche und zunehmend auch
Menschen jenseits der Erstausbildung auf diesen Wettbewerb um
Wissen vorzubereiten und zu unterstützen.
Des Weiteren sind
Hochschulen in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse weil
sie selbst, mehr als andere Teile des Bildungssystems, einem
Globalisierungsdruck und verschärftem Wettbewerb ausgesetzt
sein werden . Während vorschulische Bildung, Grundschulen und
das Angebot der Sekundarstufe fast ausschließlich regional und
lokal angeboten werden und nur auf dieser Ebene einem Wettbewerb
– je nach Kulturraum – unterliegen, sind die Nachfrager
nach Hochschulausbildung, wenn Sprachbarrieren weiterhin
unbedeutender werden und die finanziellen Mittel bereitstehen,
grundsätzlich mobil. Sie können und werden dies in
Zukunft wahrscheinlich immer mehr tun und sich verstärkt
weltweit die leistungsfähigsten Hochschulen aussuchen, die sie
am bes ten auf den für die hochtalentierten und
-motivierten Studierenden immer globaleren Arbeitsmarkt
vorbereiten. Gilt dies zunächst auch nur für eben diesen
kleinen Kreis, deuten die mit der Entstehung der
Wissensgesellschaft erhöhten Anforderungen z. B. des
Arbeitsmarktes schon jetzt darauf hin, dass diese Nachfrage steigen
wird.
Global
wettbewerbsfähige Hochschulen haben darüber hinaus noch
eine Fülle zusätzlicher positiver Sekundär- und
Tertiäreffekte. Sie binden Studierende an den Kulturraum, in
dem sie studiert haben, seine Institutionen, Technologien und
Verfahren und tragen somit langfristig und nachhaltig zur weiteren
Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit einer Region mit global
wettbewerbsfähigen Hochschulen bei.
Die Frage ist also damit ganz einfach: Wo
steht das deutsche Hochschulsystem in dieser dualen Verantwortung,
selbst global wettbewerbsfähig und damit für Studierende
und Forscherinnen und Forscher aus anderen Regionen attraktiv zu
sein und gleichzeitig die hiesige zukünftige Generation
optimal auf eine globale Wettbewerbsfähigkeit vorzubereiten,
die zunehmend von der Qualität der Bildung und Ausbildung der
Menschen abhängen wird.
Die Sogwirkung der US-amerikanischen
und englischen Hochschulen
Bei einer Gesamtschau der wahrgenommenen
Wettbewerbssituation im Bereich der Hochschulbildung gelten global
in erster Linie und mit großem Abstand die Vereinigten Staaten
als das „Mekka“ der Bildungswilligen und
Leistungsorientierten. Für Südostasien beginnt Australien
mehr und mehr eine ähnliche Rolle als regionales Zentrum
einzunehmen. Aus kontinentaleuropäischer Sicht sind es vor
allem wiederum die Vereinigten Staaten und Großbritannien,
denen die höchste Attraktivität beigemessen wird. Eine
gewisse Wettbewerbsstärke ist noch in den skandinavischen
Ländern und in den Niederlanden festzustellen.
Diese Aussagen sind einmal gestützt
durch aktuelle Wanderungsbewegungen von Jugendlichen aus den
hochschulpolitisch weniger wettbewerbsfähigen Regionen. Das
lässt sich eindrucksvoll, neben vielen anderen Statistiken,
mit der Tatsache illustrieren, dass 50 Prozent der PhD Studierenden
in den Vereinigten Staaten heute nicht BürgerInnen dieses
Landes sind. Diese Attraktion wird vor allem von Natur-,
Ingenieur-, und medizinischen Wissenschaften ausgeübt. Sie
wird, gerade am Bildungsstandort Deutschland, reflektiert
durch immer stärkere Anfragen von Jugendlichen und ihren
Eltern aus der oberen Mittelschicht und dem Bildungsbürgertum
nach den Bedingungen eines Studiums vor allem in den Vereinigten
Staaten aber auch in Großbritannien. Die generelle
Veränderung, die sich hier niederschlägt, ist in
dreierlei Hinsicht zu sehen. Erstens wird angenommen, dass die
Chancen in zunehmend globalisierten Arbeitsmärkten für
die gehobenen und interessanteren Positionen noch mehr als zuvor
von der Qualität der Ausbildung abhingen, dass zweitens eine
solche Qualität am Hochschulstandort Deutschland nicht geboten
werden könne, sondern hier ein Ausweichen in die besseren und
höher reputierlichen Top 20 bis 30 US-amerikanischen
Universitäten erforderlich sei .Darüber hinaus wird als
wohl weitgehendste Veränderung die Bereitschaft wachsen, ein
volles Studium und nicht allein ein Auslandssemester zu
finanzieren, d. h. in Investitionskategorien zu denken, die gut und
gerne über € 100000 bis € 200000 zu gehen.
Allerdings ist die Zahl der Jugendlichen, die
diesen Weg einschlagen, und ihrer Familien, die in der Lage und
bereit sind, diese Finanzierungsmittel aufzubringen, immer noch,
gemessen an der Gesamtzahl der Studierenden am Hochschulstandort
Deutschland, recht klein. Sie nimmt jedoch zu und dürfte, bei
einem weiteren Auseinanderklaffen der
Wettbewerbsfähigkeitsschere, deutlich zunehmen. Bei der
augenblicklichen Situation muss diese Entwicklung als Indikator
dafür angesehen werden, dass gerade die bildungspolitisch
sensiblen und gutinformierten Bevölkerungskreise den
Hochschulstandort Deutschland als weniger attraktiv
einschätzen als die top 20 bis 30 amerikanischen
Universitäten. Insofern kann diese Entwicklung als
Frühwarnindikator für breitere Tendenzen gelten, die,
besonders wenn sie durch mangelnde finanzielle Möglichkeiten
beschnitten werden, sich in politischer Unzufriedenheit mit dem
deutschen Bildungssystem niederschlagen.
Generell ist
natürlich zu sagen, dass es begrüßenswert ist, wenn
die Jugendlichen, die an Spitzeneinrichtungen der Forschung und
Wissenschaft im Ausland Qualifikationen erworben haben,
zurückkehren und damit nicht Teil des wachsenden brain drains
auf der Welt werden. Genauso zu begrüßen ist, wenn in
ähnlichem Umfang Studierende anderer Länder, insbesondere
der stark wissensbasierten Volkswirtschaften, nach Deutschland
kommen würden und ihre Qualifikation hier erwürben. Diese
Art der Internationalisierung und Globalisierung der Ausbildung ist
nur wünschenswert. Die augenblickliche Situation zeigt jedoch,
dass sich bei dieser bildungspolitisch kritischen und sensiblen
Bevölkerungsschicht zunehmend eine Schere herausbildet
zwischen der Attraktivität eines Studiums in den Vereinigten
Staaten oder auch Großbritannien und der zurückgehenden
Attraktivität, ein Studium am Hochschulstandort Deutschland
aufzunehmen.
Die
Markenstärke US-amerikanischer Spitzen
universitäten als Zugfaktor für den Hochschul
standort USA
Die besondere
Anziehungskraft US-amerikanischer Universitäten weltweit ist
im Wesentlichen auf eine jahr zehntelange Hierarchisierung
des Bildungssystems zu rück zuführen, bei der
die leistungsfähigen Privat- wie Staatsuniversitäten
durch starke Finanzkraft (endowment, alumni donations, andere
Unterstützung privater Personen und Organisationen,
Forschungsförderung) die kompetenteste Fakultät mit den
besten Studierendenten zusammengeführt haben. Strenge
Selektion, Leistungsstreben und Verbreitung der
Leistungsfähigkeit der Institution durch eine entsprechende
Informationspolitik sind hier, neben intensiver Studierenden- und
Ehemaligenbetreuung, die Schlüsselfaktoren. Die breite
öffentliche Diskussion verschiedener allgemeiner und
fachspezifischer Rankings der Universitäten macht dieses, bei
allen methodischen Schwächen, deutlich und verstärkt die
hier wirkenden Faktoren noch einmal.
Die Reputation
der hervorragenden 20 bis 30 Universitäten bestimmt das Image
und die Attraktivität des Hochschulsystems der USA insgesamt.
Ein USA-Studium gilt generell als besser und damit – in den
meisten Ländern – als karriereförderlicher als die
Abschlüsse nationaler Universitäten. Obwohl sehr viel
für den objektiven Qualitätsvorsprung der
Spitzenuniversitäten und die Berechtigung ihrer hohen
Attraktivität spricht, ist dies im Hinblick auf den verbleibenden
Großteil des Hochschulsystems der USA eher fragwürdig.
Einige Faktoren wie beispielsweise intensive Studierendenbetreuung,
Flexibilität, Leistungsstreben oder die breite Akzeptanz von
neuen, auf die „Kundeninteressen“ bezogenen,
Entwicklungen in den Curricula müssen auch hier als weitgehend
durchgängige Wettbewerbsvorteile angesehen werden. Die
Qualität der Lehrenden und Forschenden bleibt jedoch, ebenso
wie die Qualität der Studierenden, in der Regel hinter einer
durchschnittlichen Universität in Kontinentaleuropa
zurück. Nur, auch für Bildung gilt, was in vielen
Produkt- und Dienstleistungsmärkten zu beobachten ist: nicht
nur die Fakten zählen; die aus dem Image resultierenden
Wahrnehmungen sind ebenfalls sehr wichtig, und diese werden, wenn
keine Strategieänderungen des Hochschulstandorts Deutschland
auf der faktischen wie auch kommunikativen Ebene erfolgen, noch
lange für einen Wettbewerbsvorteil des US-amerikanischen
Bildungssystems sprechen. Dieses wird so auch noch langfristig in
der Lage sein, hervorragende und hochmotivierte Jugendliche von
überall aus der Welt mit all den damit verknüpften
positiven Sekundär- und Tertiärwirkungen an sich zu
ziehen. Das hier über die US-amerikanischen Hochschulen
Gesagte gilt mit gewissen Einschränkungen auch für die
Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulsystems in
Großbritannien gegenüber den kontinentaleuropäischen
Konkurrenten, bei denen die kleinen Länder, vor allem
Skandinavien und Holland, eine Mittelstellung einnehmen
dürften.
Die
Globalisierungsstrategien US-amerikanischer Universitäten
Die große
Kompetenz führender US-amerikanischen Universitäten,
Institutionen hoher Bildungs- Ausbildungs- und Forschungskompetenz
zu schaffen, wie auch deren exzeptionelle Leistungsfähigkeit
zu erhalten oder noch auszubauen, hat nicht nur zur großen
Aktivität bei hochmotivierten und begabten Jugendlichen
weltweit geführt; sie hat gleichzeitig in den letzten zwei
Jahrzehnten die strategische Option, auch physisch-räumlich
auf neue „Kundengruppen“ zuzugehen, verstärkt. Der
Ausbau von Programmen und Studiengängen bis hin zur
Gründung von Zweigniederlassungen in anderen Teilen der Welt
ist die logische Konsequenz einer solchen Strategie, die zunehmend
zu einem systematisch verfolgten Globalisierungskonzept einer Reihe
von hochreputierlichen Universitäten geführt hat.
Die Entwicklung
zur Präsenz solcher Niederlassungen von als
leistungsfähig angesehenen und besonders
„kundenorientierten“ Mitbewerberinnen in angestammten
Marktterritorien wird Hochschulen auch in Deutschland zunehmend
unter Druck setzen, entweder wettbewerbsfähiger zu werden,
oder auch im Heimatmarkt in eine „zweite Liga“
abzusteigen. Die nächsten Jahre werden hier die entscheidenden
sein. Sie werden auch bestimmen, ob ein nicht unwichtiger Teil
gerade der begabtesten Jugendlichen Deutschlands nach curricularen
Bestimmungen, basierend auf den Grundsätzen US-amerikanischer
Akkreditierungseinrichtungen, studieren werden oder ob hier eine
eigenständige europäische Lösung als
Wettbewerbsmodell gefunden wird.
Ob die
finanzielle Unterstützung von Filialgründungen
US-amerikanischer Universitäten durch den deutschen
Steuerzahler – wie in Bremen im Fall der Rice University
geschehen – eine sinnvolle Strategie ist, die
Wettbewerbsfähigkeit des Bildungsstandorts Deutschland auf
Hochschulebene zu fördern, bleibt abzusehen. Es scheint a
priori als eher relativ fragwürdig.
Die
sinkende Attraktivität deutscher Hochschulen bei
ausländischen Studierenden, vor allem aus wissensintensiven
Volkswirtschaften
US-amerikanische
und zum Teil auch englische Universitäten nehmen damit den
Wettbewerbsrang ein, den die deutschen Hochschulen sehr lange, d.
h. bis zur Zeit des Nationalsozialismus, in vielen Disziplinen im
20sten Jahrhundert hatten, nämlich zum „Mekka“ der
Hochbegabten und Leistungsmotivierten Jugendlichen aller Welt zu
werden.
Diese
Verschiebung spiegelt sich in einer sinkenden Attraktivität
des Hochschulstandortes Bundesrepublik Deutschland wider: Die Zahl
der ausländischen Studierenden, vor allem solcher aus
wissensintensiven Volkswirtschaften, ist in den letzten Jahren
zurückgegangen. Programme wie Sokrates und Erasmus konnten
hier nur geringe Kompensation bieten. Vor allem blieben sie auf
Europa beschränkt. Die Nachteile liegen auf der Hand: geringe
Vertrautheit zukünftiger ausländischer Eliten mit
Deutschland, seinen Institutionen und seiner Kultur. Weniger
„Botschafter“ deutscher Technologien und weniger
Rückkoppelung aus der Praxiserfahrung ehemaliger Studierenden
in die deutsche Hochschul- und Forschungslandschaft. Damit ergibt
sich ein langfristig wirkendes weiteres Element einer Verringerung
der Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts- und
Wirtschaftsstandortes Deutschland und insbesondere seiner
Hochschulen.
Der
Erfolg neuer Wettbewerber am Beispiel Australiens
Hochschulbildung
als „Exportgut“ ist einer der am schnellsten wachsenden
Zweige in Australien und lag im Jahre 2001 an 14ter Stelle, als
Dienstleistungsexport sogar an dritter Stelle. Die hieraus
resultierende Einnahmen betrugen über vier Milliarden
australische Dollar – eine Erhöhung von 19 Prozent im
Vergleich zum Jahre 2000. Die
„Bildungs-Export-Industrie“ spielt damit eine wichtige
Rolle in der rapide wachsenden australischen Wirtschaft, die sich
während der letzten zehn Jahre immer mehr zu einer
wissensbasierten Gesellschaft entwickelt hat.
Dank des Columbo
Plans bietet Australien schon seit den 50er und 60er Jahren
Stipendien für eine kleine Anzahl hervorragender Studierender
aus Asien und afrikanischen Ländern. Bis zum Jahre 1986, als
Studiengebühren in vollem Umfang für ausländische
Studierenden eingeführt wurden, profitierten die australischen
Hochschulen und die australischer Wirtschaft in nur geringem
Maße von diesen Studierenden. Seit 1986 ist jedoch eine
dramatische Änderung festzustellen. Im Herbst 2001 studierten
126807 AusländerInnen in Australien, mehr als 80 Prozent von
ihnen kamen aus Asien.
Die drastische Änderung in der Einstellung zum
Hochschulwesen – von der des Empfängers von
öffentlichen Geldern zu der eines geschätzten Exportgutes
– ist das Ergebnis der Änderungen in den
Hochschulfinanzierungsprogrammen in den späten 80er Jahren.
Diese zwangen die Hochschulen dazu, zusätzliche
Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb des
öffentlichen Sektors zu suchen. Dies führte zu einem
erhöhten Interesse an ausländischen Studierenden als
externe „Einkommensquelle“. Der enorme Zuwachs an
ausländischen Studierenden seit Ende der 80er Jahre ist das
Resultat einer konzertierten Aktion, australische
Universitäten für den internationalen, in erster Linie
südostasiatischen Markt attraktiv zu machen.
Diese neue Strategie erwies sich in vielerlei
Hinsicht als nutzbringend. Von den vier Milliarden AU-Dollar
Einnahmen durch ausländische Studierende im Jahre 2001 ist
ungefähr die Hälfte auf reine Studiengebühren
zurückzuführen, die restlichen zwei Milliarden
australische Dollar wurden von den Studierenden für Essen,
Wohnen, Reisen und Freizeit aufgewendet. Weitere 1000 australische
Dollar pro Studentin flossen durch Freunde oder Familienmitglieder
ins Land, die zu Besuchszwecken nach Australien reisten.
Vor allem aber profitiert das australische
Bildungs- und Ausbildungswesen jenseits des wirtschaftlichen
Gewinns sehr durch die ausländischen Studierenden. Die
Öffnung der Hochschulen für internationale Konkurrenz, d.
h. best practice-Vorbilder, und das Streben, konkurrenzfähig
zu bleiben, führten dazu, dass die Qualität der
Hochschulausbildung auf ein hohes Niveau gestiegen ist. Die
Förderung einer stärkeren internationalen Dimension in
Lehre und Forschung kam auch den australischen Studierenden zugute
– ein wichtiger langfristiger Gewinn auch wiederum für
die australische Wirtschaft. Die ausländischen Studierenden
dienen als „goodwill ambassadors“ und werden das
australische Hochschulsystem ihren Kindern und Freunden
weiterempfehlen. Freundschaften und Beziehungen, die während
des Studienaufenthaltes in Australien zustande kamen, werden zu
hervorragenden Netzwerken ausgebaut und bilden für
zukünftige Aktivitäten im Handel, Politik oder
Technologie eine wertvolle Komponente im Transformationsprozess zu
einer Wissensgesellschaft. Der „Export“ von Wissen ist
„preisstabil“ und einer der wenigen
„value-added“ „Exportindustrien“.
Erwächst kontinuierlich und schnell.
Ein Großteil des Wachstums in der
„Wissens-Export-Industrie“ innerhalb der letzten zehn
Jahre ist auch auf ein hohes Maß staatlicher Investitionen
zurückzuführen. Australiens Ausgaben für Bildung im
Jahre 2001 lagen bei 5,8 Milliarden AU-Dollar. Dies ist ein
bedeutend höherer Anteil des Bruttoinlandsproduktes als das in
den meisten Industrieländern. Dadurch, dass Bildung als eine
„value-added“ „Industrie“ angesehen wird
und nicht als ein „Kostgänger“ des Staates,
erhält das Hochschulwesen auch staatliche Investitionen im
selben Maße wie andere Exportindustrien, z. B. Bergbau,
Landwirtschaft und Tourismus. Diese Investitionen werden
langfristige Vorteile für die gesamte Gesellschaft mit sich
bringen, nicht nur für die Bildungseinrichtungen.
Eine weitere wichtige Form von staatlicher
Investition in das Bildungssystem als
„Wissensindustrie“ sind die großen Programme des
Auslandsmarketings für Hochschulen wie
–
Repräsentation auf Bildungsmessen
– Aktivitäten,
die Australiens Zugang zu internationalen Bildungs- und
Ausbildungsmärkten erhöht
– Promotionen,
Sponsoring und Studienreisen
– Erhöhte
Internetpräsenz und Internetkioske in australischen
Botschaften
–
Austauschstudienprogramme
– Stipendien.
Das Hauptziel
sind die anderen Asienländer (wegen ihrer Nähe zu
Australien) mit jährlich 680000 Studierenden, die ihr Studium
im Ausland absolvieren. Viele australische Universitäten haben
während der letzten vier Jahre Filialen im Ausland
eingerichtet, die eine australische, englischsprachige Ausbildung
mit niedrigeren Kosten für Reisen und Unterbringung für
mindestens einen Teil der Ausbildungszeit ermöglichen. Von der
Gesamtzahl an Australiens Studierenden im Jahre 2000 waren 35
Prozent Off-campus Studierende.
Australien hat
insgesamt schon seit mehr als zehn Jahren erkannt, dass Wissen,
lebenslanges Lernen, Innovation und Technologie die wichtigsten
Faktoren in unserer sich stark verändernden Gesellschaft sind
und diese Erkenntnis systematisch in die Positionierung seines
Hochschulsystems als führende „Exportindustrie“
des Dienstleis tungssektors umgesetzt.
Die
Herausforderungen von morgen: Verknüpfung von E-Learning mit
Präsenzunterricht
Das schrittweise
Vordringen von E-Learning, die systematische Verknüpfung von
Internet gestütztem Unterricht mit Präsenzveranstaltungen
stellt eine enorme Herausforderung an die Lehrfunktion der
Hochschule dar. Rea listisch ist zwar davon auszugehen, dass
die vielzitierte „virtuelle Universität“ als
alleiniges Lehrkonzept nicht sinnvoll ist, dass aber Teile des
heutigen Präsenzunterrichts und Eigenstudiums der Studierenden
sinnvoll durch Internet gestützte Lehrformen ersetzt und
verbessert werden. Während die Vermittlung von „tacit
knowledge“ (Erfahrungswissen, Entwicklung von
Einfühlungsvermögen) noch lange in auf Praxis
ausgerichteten und gruppenbezogenen Formen des
Präsenzunterrichtes vonstatten gehen dürfte, ist zu
erwarten, dass große Teile des expliziten Wissens, das heute
noch die wesentlichen Anteile von Vorlesungen und Lehrbüchern
einnimmt, in Internet gestützte Lernformen übergehen
wird. Diese Entwicklung wird weitreichende Konsequenzen für
die Struktur unserer Hochschulen, die Art des Unterrichts und die
Qualifikationsanforderungen an die Lehrenden haben, die sich
insgesamt heute schon abzeichnen und als revolutionär
bezeichnet werden können.
Diese Veränderung bietet ungeheure
Chancen auf den Gebiet der Entwicklung von relevanten
Lehrtechnologien und Lehrmaterialien. Dieses Feld stellt einen neuen
Markt für Universitäten dar. Diejenigen
Universitäten, die heute beginnen, diesen Markt zu bedienen,
werden nicht nur einen Wettbewerbsvorteil durch den erfahreneren
Umgang mit ihnen haben, sondern auch starke Akteurinnen im globalen
Markt der Lerninhalte der Zukunft sein. Diesen Markt zu
erschließen, ist schwierig und mit hohen Kosten verbunden. Die
Entscheidung von Stanford University, Princeton University und
Harvard University, gemeinsam E-learning Konzepte zu entwickeln
illustriert dieses recht deutlich. Es wird daher in Deutschland,
wahrscheinlich sogar europaweit, ähnliche Konsortien von
Universitäten, eingebunden in strategischen Allianzen mit
entsprechenden Unternehmen wie Multimediafirmen oder Verlagen,
erfordern. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass E-Learning
ähnlich wie E-Commerce eher ein zusätzlicher
Vertriebskanal von spezialisierten Hochschulen (z.B.
Fernuniversität Hagen) sein wird, werden interessierte
Universitäten in Deutschland, und dies gilt überwiegend
auch für die anderen Länder der Europäischen Union,
die hierfür notwendigen Investitionen nicht aus eigener Kraft
tätigen können. Hier sind daher die Bundesregierung und
auch die Kommission der Europäischen Union gefordert, gezielt
die Entwicklung dieses Teils einer neudefinierten
„Bildungsindustrie“ auf Hochschulebene zu
unterstützen. Wenn dies nicht bald geschieht, bleiben Chancen
ungenutzt mit der Konsequenz, dass die Wettbewerbsfähigkeit
anderer Regionen auf diesem globalen Markt der Bildungstechnologien
und Bildungsinhalte gestärkt wird.
Konsequenz der Status-quo-Diagnose:
Abnehmende Bedeutung der deutschen Universitäten im globalen
Wettbewerb und Herausforderung durch die Notwendigkeit der Bildung
der Vielen
Konsequenz aus der Notwendigkeit zur
Bildung der Vielen
Der zunehmende Wettbewerb um gut ausgebildete
Menschen steigt, weil zukünftig nur noch solche
Volkswirtschaften konkurrenzfähig bleiben werden, die in
hinreichendem Maße über Arbeitsplätze mit hohen
Ansprüchen an die Ausbildung verfügen. Dabei
verändert sich die notwendige Qualifizierung von Menschen
inhaltlich und hinsichtlich der Halbwertzeiten der erworbenen
Kenntnisse. Das deutsche Bildungssystem bietet dafür mit
seinem dualen System der Berufsausbildung und einem
Hochschulsystem, das auf qualitativ guten Niveau prinzipiell allen
Studierwilligen, unabhängig von der wirtschaftlichen Herkunft,
die Chance für eine gute (Aus-)Bildung eröffnet, eine
solide Grundlage.
Allerdings müssen vermehrt Anstrengungen
von Seiten der Politik unternommen werden, um diese Stärken
weiter auszubauen und eindeutig vorhandene Mängel zu
beseitigen. Dies hat auch das von der Bundesregierung initiierte
„Forum Bildung“, an dem die für die Schulpolitik
zuständigen Länder sowie die Sozialpartner und
Vertretungen der gesellschaftlichen Gruppen teilgenommen haben,
konstatiert und Anfang des Jahres 2002 12 Empfehlungen
veröffentlicht, um diesen Herausforderungen zu begegnen.
Zuerst werden im Schulsystem die Wege zum Erwerb einer
qualifizierten Berufsausbildung oder eines Hochschulstudiums
optimiert werden müssen. Dazu bedarf es entsprechender
Maßnahmen sowohl im allgemeinbildenden – Allgemeine
Hochschulreife – als auch im berufsbildenden Schulwesen
– Fachgebundene Hochschulreife. Die Qualität des
Schulsystems muss verbessert werden. Das deutsche Schulsystem
schneidet im internationalen Vergleich schlecht ab. Das setzt eine
entsprechende Forschung aber auch finanzielle Unterstützung
voraus. Nur auf diese Weise kann die Zahl der Studierwilligen dem
internationalen Standard angeglichen werden. Da in Deutschland
weitgehend Inhalte, die in anderen Ländern bereits zu den
Lerninhalten des weiterführenden Bildungssystems gehören,
noch in den Bereich der schulischen Ausbildung fallen, scheint es
gerade angesichts der vielfach beklagten mangelnden Qualifikation
der SchulabgängerInnen eher zweifelhaft, ob eine reine
Verkürzung der Schulzeiten Sinn machte. Zielführender und
auf jeden Fall geboten ist eine deutliche Erweiterung des Angebotes
an Ganztagsschulen. Im Hinblick auf den internationalen Vergleich
sollte der Prozentsatz eines Altersjahrgangs vergrößert
werden, der einen Hochschulabschluss erreicht. Gestaffelte
Studienabschlüsse, die nach kürzeren Studienzeiten
erreichbar sind, können hier Abhilfe schaffen.
Neben den Hochschulstudiengängen
müssen in den Sektoren, in denen die Nachfrage das Angebot an
Studienplätzen übersteigt, auch die Studienplätze an
Fachhochschulen ausgebaut werden. Auch in diesem Sektor nimmt
Deutschland in der OECD-Statistik nur einen Mittelplatz ein.
In den technischen Disziplinen und in den
Naturwissenschaften muss der Schwerpunkt an den Hochschulen weniger
auf die Schaffung neuer Studienplätze gelegt werden. Es kommt
vielmehr darauf an, die vorhandenen Studienplätze auszulasten.
Es ist jedenfalls eine falsche Reaktion, wenn gegenwärtig in
einzelnen Bundesländern Studienplätze in diesem Bereich
gestrichen werden sollen, weil die Nachfrage zu gering ist.
Angemessener ist es, die Nachfrage durch geeignete Maßnahmen
zu steigern. Es gibt bisher zu geringe Überlegungen in die
Richtung, wie man durch geeignete Informationen die Wahl
naturwissenschaftlicher und technischer Studiengänge in
geeigneter Weise beeinflussen kann. Grundsätzlich ist zu
überlegen, mit welchen Maßnahmen nachhaltig dem viel
zitierten, seit langem bekannten und doch immer wieder
beobachtbaren „Schweinezyklus“ in vielen Bereichen
begegnet werden kann.
Eine der Stärken des deutschen
Hochschulsystems, die Förderung der Graduierten und
Postgraduierten, muss weiter ausgebaut werden. Deshalb müssen
die bisherigen Formen der Förderung durch die DFG –
Sonderforschungsbereiche, vor allem aber die Graduiertenkollegs
– beibehalten und noch ausgebaut werden. In den Hochschulen
müssen ergänzend interdisziplinäre Zentren auf Zeit
gebildet werden. Dieses Maßnahmenbündel wird es erlauben,
die Wettbewerbsfähigkeit in diesem Sektor zu
vergrößern. Darüber hinaus sollten die bereits
eingeleiteten Maßnahmen der Bundesregierung, die die
verschiedenen Akteure des Wissenschaftssystems besser miteinander
vernetzen sollen, fortgeführt werden.
Die Investitionen in das so genannte Humankapital
müssen sowohl in den öffentlichen als auch den privaten
Haushalten erhöht werden. Es ist von Interesse, dass es in
Deutschland nur eine geringe Bereitschaft gibt, die Leistungen des
öffentlichen Bereichs durch entsprechende Zusatzleistungen aus
dem privaten Bereich zu flankieren. Dabei geht es nicht um die ca.
5 Prozent der Eltern, die in der Lage sind, die hohen
Studiengebühren im Ausland zu bezahlen und es auch tun.
Vielmehr scheint Bildung generell den Stellenwert als eines der
höchsten Güter, in die zu investieren sich in jedem Fall
lohnt, eingebüßt zu haben. Das ist eine Herausforderung
an die gesamte Gesellschaft.
Konsequenz aus der abnehmenden
Bedeutung der deutschen Universitäten
Stellt man die
anerkanntermaßen große Stärken den gleichzeitig
nicht zu vernachlässigen Schwächen gegenüber, so
lässt sich feststellen, dass die Hochschulen heute trotz hoher
Motivation und großen Engagements einzelne ihrer Aufgaben an
vielen Stellen nicht mit der Qualität und Präzision
erfüllen können, die von ihnen erwartet werden
müssen, um den Wissenschaftsstandort Deutschland langfristig
wettbewerbsfähig zu halten. Eine weiterhin restriktive
Haushaltspolitik bei den traditionellen Hauptmittelgebern der
Hochschulen, den Bundesländern, eine bis jetzt ergebnislos
geführte Diskussion über die Einführung von
Studiengebühren sowie die Tatsache, dass viele der hier
aufgeführten Schwächen sich nicht allein auf mangelnde
finanzielle Ausstattung zurückführen lassen, machen
deutlich, wie hoch der Reformbedarf angesichts der globalen
Wettbewerbslage im Bildungssys tem einerseits und den
Anforderungen durch den Wissensstandort Deutschland andererseits
ist. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass das
Größenwachstum vieler Universitäten in den letzten
25 Jahren – durch Neugründungen nur ungenügend
abgepuffert – zu einer vielbeklagten Schwerfälligkeit
der Entscheidungsgremien und den bekannten Problemen z.B. bei der
Ausstattung geführt hat und die vorhandenen
Wettbewerbsmöglichkeiten durch die Bundesländer als den
politischen Entscheidungsträgern nur unzulänglich
ausgenutzt werden, kann daher bei unveränderten
Randbedingungen nur auf eine abnehmende Bedeutung der deutschen
Hochschulen im globalen Wettbewerb um Reputation, Forschungsmittel
und hochqualifizierte Studierende ausgegangen werden. Der
deutlichen Verschärfung des Wettbewerbsklimas auf dem Gebiet
der Hochschulausbildung durch amerikanische, australische aber auch
englische, skandinavische und niederländische Hochschulen
tritt die deutsche Hochschullandschaft mit zu geringer Ausnutzung
der Stärken und zu hoher Belastung durch die Schwächen
nicht chancenlos aber chancengemindert gegenüber.
Das
Leitbild für ein wettbewerbsfähiges Hochschul
system: Differenzierung, Leistung, Eigenprofil und Kooperation
Eine Verbesserung
dieser Situation erfordert fundamentale Änderungen in der
Struktur der Hochschulen selbst und in den Beziehungen der
Hochschulen zu den sie politisch tragenden Institutionen, die
prinzipielle Neuorientierungen ermöglichen müssen. Ziel
muss es sein, die Hochschulen wieder in die Lage zu versetzen, im
Rahmen eines globalisierten Umfeldes, den für die Gesellschaft
der Zukunft und ihre weitere Entwicklung notwendigen Aufgaben
nachzukommen, nämlich
– die zentrale
Einrichtung für Forschung und
– ein Ort
akademischer Lehre und Ausbildung zu sein,
– ein Forum für
die geistige Auseinandersetzung über Grundfragen der
gesellschaftlichen Entwicklung zu bilden, und
– Serviceleistungen
bereitzustellen
Die Gutachter
sehen in dem Leitbild eines so genannten differenzierten
Effizienzszenarios die größten Chancen, Anschluss an die
internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Dieses
Leitbild umfasst insbesondere folgende Einzelziele:
– Die Entscheidungsautonomie und
-fähigkeit der Hochschulen und damit auch die
Eigenverantwortung sind zu erhöhen. Den Hochschulen ist so die
Möglichkeit zu geben, auf die wechselnden Anforderungen ihrer
sozialen, politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und
ökologischen Umwelt flexibler als unter dem jetzigen
Regelungssystem zu reagieren.
– Die Orientierung auf Leistung in
Forschung und Lehre ist stärker zu institutionalisieren;
individuelle Motivation allein reicht als Antriebskraft für
akademische Wissenschaft und Lehre unter den heutigen Bedingungen
komplexer Verflechtung der Hochschulen mit der Gesellschaft
offenkundig nicht aus.
– Die Steuerung durch staatliche Gremien
ist – jenseits der budgetären Prioritätensetzung
für den Bereich Wissenschaft und Forschung allgemein –
auf die Schaffung genereller Anreiz- und Feedbacksysteme und die
Evaluation der Aufgabenerfüllung durch die Hochschulen nach
leistungsbezogenen Kriterien zu konzentrieren und das Engagement in
Detailentscheidungen zurückzunehmen.
Dieses Leitbild
ist nur dann zu erreichen, wenn die Hochschulen Deutschlands in
Zukunft einen hohen Grad an Autonomie, Wettbewerbs- und
Leistungsorientierung, Flexibilität in der
Aufgabenerfüllung sowie Spezialisierung und Kooperation in der
Aufgabendefinition erreichen können. Ebenso ist eine
entsprechende Internationalität oder Europäisierung
erforderlich.
Empfehlungen
Das
Hochschulsystem Deutschlands hat seine bis in die 30er Jahre des
vorigen Jahrhunderts vorhandene hervorragende
Wettbewerbsfähigkeit nie mehr wiedergewinnen können.
Seine Wettbewerbsfähigkeit muss heute sogar als deutlich zu
niedrig angesehen werden. Dies hat zweierlei weitreichende
Konsequenzen: Zum einen wird die Wettbewerbsfähigkeit des
Wirtschaftsstandortes Deutschland in einer zunehmend als
wissensintensiv angesehenen globalen Wirtschaft mittel- und
langfristig gefährdet sein; zum anderen werden auf dem
globalen Markt der Hoch schulausbildung in Zukunft andere Regionen, vor
allem der angelsächsische Raum, die wachsende Nachfrage nach
Hochschulausbildung befriedigen und damit am meisten von der neuen
„Exportindustrie“ Hochschulbildung in vielfältiger
Weise profitieren. Für Deutschland hat dies die Konsequenz,
dass potenzielle Einnahmen aus dem Studium von Jugendlichen aus
anderen Weltregionen nicht erzielt werden, das enorme Potenzial des
E-Learning Marktes von den deutschen Hochschulen mit all seinen
wirtschaftlichen Sekundär- und Tertiärwirkungen nicht
ausgeschöpft wird und zunehmend finanzielle Ressourcen
deutscher Haushalte in das Studium der hochtalentierten und
-motivierten Jugendlichen an ausländischen Hochschulen mit
besserem Bildungsangebot und einem höheren Marktwert ihre
Abschlüsse fließen. Es wird hierbei bewusst nur auf die
wirtschaftlichen Konsequenzen der zu geringen
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen eingegangen,
auf die in diesem Zusammenhang ebenfalls sehr wichtigen
kulturellen, politischen und sozialen Aspekte muss jedoch
hingewiesen werden.
Es ist daher
dringend erforderlich, eine deutliche Trendwende einzuleiten und
die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Hochschulen zu stärken
und zu verbessern, vor allem durch die Änderung einiger
grundlegender Perspektiven.
– Die Hochschulen dürfen nicht mehr
vorrangig als Belastung staatlicher Budgets angesehen werden,
sondern als Investitionen in den wichtigsten Wettbewerbsfaktor der
Zukunft und als neue „Exportindustrie“
– Den Hochschulen muss eine hohe Autonomie
zugestanden werden Gleichzeitig muss der Wettbewerb zwischen ihnen
und die Konkurrenz mit ausländischen Universitäten um die
besten Studierenden wie auch die besten ForscherInnen und
LehrerInnen, verstärkt werden.
– Durch Budgetautonomie und die
Möglichkeit der Einführung sozial abgefederter
Studiengebühren können Anreize geschaffen werden,
aktiv Studierende im Ausland anzuwerben, höhere Anteile an dem
bei größerer Modularisierung der Studiengänge stark
wachsenden Markt der beruflichen Fortbildung in akademischen
Berufen zu gewinnen und in den lukrativen globalen Markt des
E-Learning mit ausreichender Grundausstattung einsteigen zu
können (kursiv: abweichende Formulierung der FDP).
Das dies auch in
der relativ kurzen Zeit einer Dekade mit zum Teil
spektakulären Ergebnisse möglich ist, haben andere
Länder, beispielsweise die Niederlande und vor allem
Australien, deutlich gemacht. Die hierfür erforder
lichen Einzelmaßnahmen sind in der Fülle von Empfehlungen
vieler Beraterkommissionen zur Entwicklung des Hochschulsystems in
der Bundesrepublik Deutschland bereits niedergelegt. Die
Bundesregierung hat deshalb nicht nur das Budget für Bildung
und Forschung seit 1998 um über 21 Prozent erhöht,
sondern darüber hinaus im Rahmen ihres
Zukunftsinvestitionsprogramms eine Zukunftsinitiative Hochschule
gestartet, in der viele Maßnahmen davon aufgegriffen wurden.
Denn die sich immer deutlicher abzeichnende Krise des
Wirtschaftsstandortes Deutschland und seine durch zu niedrige
Investitionen in Bildung und Ausbildung weitere sinkende
Wettbewerbsfähigkeit war und ist Anlass genug, auf diesem
zentralen Gebiet, der Qualität und Quantität der
Hochschulausbildung, vom Mahnen und Vorschlagen zum Handeln
überzugehen.
Einzelempfehlungen
Deutschland kann nicht länger
auf Rang 21 von 25 OECD Ländern im Hinblick auf den
Prozentsatz eines Jahrgangs, der einen Hochschulabschluss erreicht,
liegen, oder zu den führenden Nationen im Hinblick auf die
Quote von Studienabbrechern gehören. Wenn sich dies nicht
schnell und deutlich ändert, wird die Wettbewerbsposition der
Bundesrepublik, vor allem in den zunehmend wissensintensiven
Industrien, deutlich beeinträchtigt. Gefordert ist „mehr
und bessere Bildung für Alle“, vor allem aber auch
„mehr und bessere Bildung für die Besten“. Die
Erreichung dieses Zieles erfordert Maßnahmen vor allem im
Primarbereich aber auch im Bereich der höheren Stufen des
Bildungssystems. Es sind entsprechende Voraussetzungen zu schaffen,
damit die Zahl der Jugendlichen zunimmt, die eine Hochschulreife
erreichen, ohne dass die Qualität des Abschlusses dadurch
(weiter) gemindert wird Dazu bieten sich in Deutschland zwei Wege
an, die sich auch in der Vergangenheit schon bewährt
haben:
– Ausbau des
Allgemeinbildenden Schulwesens, damit mehr Jugendliche die
Möglichkeit ergreifen, die Allgemeine Hochschulreife zu
erwerben.
– Ausbau der
Wege zur fachgebundenen Hochschulreife, um die Praxis- und
Berufsnähe in entsprechenden Studiengängen zu
verbessern.
Neben dem Ausbau dieser
traditionellen Hauptwege zur Erlangung der Hochschulreife gilt es
aber auch, in Anlehnung an die Empfehlung des
Sachverständigenrates Bildung bei der
Hans-Böckler-Stiftung, die anderen Zugangswege zur
Hochschulbildung zu verstärken und hierfür auch zu
werben. .
Innerhalb des Hochschulsystems muss
die Zahl der Studienplätze insgesamt gesteigert werden. Dabei
wird es vor allem darauf ankommen, Studienangebote zu entwickeln,
die als berufsbezogene Abschlüsse modular angelegt auf die
„Vielen“ zugeschnitten sind. Deshalb hat die
Bundesregierung die Einführung von gestuften
Studiengängen und den Auf- und Ausbau von
Leistungspunktsystemen beschlossen. Gleichzeitig wird eine
Erweiterung des Angebots im Bereich der Fachhochschulen
erforderlich sein.
Die Investitionen
insbesondere in das allgemeine Bildungssystem aber auch in den
tertiären Bereich müssen erhöht werden, wenn Deutschland im
internationalen Wettbewerb bestehen will, weil es – wie
dargelegt – einen starken Zusammenhang zwischen diesen
Investitionen in die Köpfe der Menschen und der
Wettbewerbsfähigkeit einer Region gibt.
Die Notwendigkeit
stärker in Bildung und Ausbildung zu investieren, gilt
für die öffentlichen und auch die privaten Haushalte. In
Deutschland werden die privaten Haushalte im internationalen
Vergleich wenig durch das Studieren der Kinder belastet.
Bildungsinvestitionen haben offensichtlich in Deutschland bei den
Ausgaben privater Haushalte mittlerweile einen zu geringen
Stellenwert. Es wird erwartet, dass der Staat hier in fast allen
Sektoren – Ausnahmen sind der vorschulische und der
Weiterbildungsbereich – die entsprechenden finanziellen
Verpflichtungen übernimmt. Hier ist eine Umverteilung der
Lasten im Lebenszyklus erforderlich: Im vorschulischen Bereich
sollten keine Kosten anfallen, demgegenüber erscheint in
vielen Fällen eine finanzielle Belastung im tertiären
Bereich als gerechtfertigt. Dies fällt umso leichter, je mehr
auch aus verteilungspolitischen Gründen auf Bildungskonten,
Vouchersysteme und ähnliche Formen der Bildungsfinanzierung
wie vom Sachverständigenrat Bildung der
Hans-Böckler-Stiftung schon vorgeschlagen,
zurückgegriffen wird.
Speziell bei den
Naturwissenschaften, insbesondere Physik und Chemie sowie in der
Mathematik, muss die Nachfrage nach Studienplätzen erhöht
werden . Es gibt in diesen Fächern nicht zu wenige
Studienplätze, sondern eine zu geringe Nachfrage. Das setzt
Maßnahmen voraus, die im Schulsystem ergriffen werden. Die
Motivation, diese Fächer zu studieren, muss verbessert werden.
Mit dem Schwerpunktprogramm BIQUA (Bildungsqualität von
Schule) der DFG werden erste, entsprechende Vorarbeiten
geleistet.
Die Einheit von Lehre
und Forschung kann nicht in allen Bereichen des Studiums
beibehalten werden. Im Erststudium werden große Teile der
Lehre ohne eine enge Verknüpfung mit der Forschung geleistet
werden müssen. Deshalb werden Professuren notwendig sein, die
ihren Schwerpunkt in der Lehre finden.
Die
Qualitätsanforderungen an die Lehre müssen generell
gesteigert werden. Erforderlich ist dazu eine entsprechend bessere
Ausbildung für die Lehrenden durch hochschuldidaktische Kurse
sowie der systemweite Ausbau von Qualitätsbeurteilung, unter
Berücksichtigung der Studierenden sowie durch peers. Die
Einführung eines sys tematischen
Qualitätsmanagements in Forschung und Lehre durch die
Bundesregierung ist ein wichtiger Schritt zur Erreichung dieses
Ziels.
Die Orientierung auf
Leistung in Forschung und Lehre ist stärker zu
institutionalisieren; individuelle Motivation allein reicht als
Antriebskraft für akademische Forschung und Lehre unter den
heutigen Bedingungen komplexer Verflechtung der Hochschulen mit der
Gesellschaft nicht aus. Um diese Fragen anzugehen, hat die
Bundesregierung mit den Reformen des Dienstrechts ein Instrument
zur Unterstützung der Verbindung von Theorie und Praxis
geschaffen. Dabei wird der Habilitation traditioneller Prägung
die Juniorprofessur und die Möglichkeit des Rufs durch
Praxiserfahrung an ihre Seite gestellt. Damit können endlich
auch solche Nachwuchskräfte eine Hochschulprofessur erhalten,
die sich in der Praxis als he rausragend bewiesen
haben.
Hochschulen
benötigen ein professionelles Management in der Leitung und
eine entsprechende Zuordnung von Verantwortung. Universitäre
Gremien haben in einem solchen System die Funktion der Aufsicht
wahrzunehmen.
Es müssen
über die entsprechenden Organisationsstrukturen hinaus
Anreizsysteme für die Individuen geschaffen werden. Mit der
Besoldungsreform für die HochschullehrerInnen sind hier erste
Schritte getan. Es ist in den nächsten Jahren zu evaluieren,
inwieweit der jetzt gegebene Rahmen hierfür
ausreicht.
Für Teile des
Lehrangebots kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie
längerfristiger angeboten werden. Studienordnungen müssen
gerade an den Grenzen der Disziplinen flexibel sein und die
Lernfähigkeit des Hochschulsektors reflektieren. Damit
müssen hochqualifizierte Lehrende auf Zeit gewonnen werden.
Hierfür bedarf es entsprechender Entgeltregelungen. Die starre
Bindung an das Beamtenrecht bzw. den BAT muss für das
wissenschaftliche Personal aufgegeben werden. Für
mittelfris tige Engagements attraktiver Lehrender müssen
entsprechende Handlungsspielräume eröffnet werden. Die
Qualitätsanforderungen in der Lehre müssen generell
gesteigert werden. Erforderlich ist hier eine entsprechend bessere
Ausbildung für die Lehrenden durch hochschuldidaktische
Kurse.
Höhere Anteile einer
Altersgruppe, die studieren, erfordern, dass die Zeiten für
das Erststudium verkürzt werden. Wenn gleichzeitig die Internationalisierung der
Studien gefördert werden soll, setzt das vor allem im
Erststudium eine konsequente Modularisierung voraus.
Universitäten müssen das
Recht haben, ihre Studierenden mit hochschulspezifischen
Auswahlverfahren (Probestudienzeit, Aufnahmeprüfungen) selbst
auszuwählen.
Die universitäre Weiterbildung
muss ausgebaut werden. In Deutschland wird im internationalen
Vergleich nicht, in Jahren bilanziert, zu lange studiert, falsch
ist die extreme Konzentration der Studienzeiten auf die
Erstausbildung, also vor dem Übertritt in das
Beschäftigungssystem.
Die Stärken der deutschen
Hochschulen bei der Graduiertenförderung und der
Förderung der Postgraduierten müssen ausgebaut werden. In
diesen Bereichen müssen verstärkt Arbeits- bzw.
Forschergruppen eingerichtet werden. In den Hochschulen muss
generell die Form der Kooperation durch die Schaffung geeigneter
Zentren auf Zeit verbessert werden.
Hochschulen muss die Wahlfreiheit
gelassen werden, ob sie sich insgesamt oder in einzelnen
Fachbereichen bzw. Fakultäten mehr auf die Bildung der Vielen
oder auf Angebote für Eliten konzentrieren wollen. Sie
müssen eigenständige Leitbilder entwickeln und so
verstärkt an ihrer Profilbildung arbeiten. Dies setzt
weitgehende Autonomie voraus. Um diese Autonomie langfristig zu
sichern, müssen Hochschulen Systeme zur Überprüfung
einrichten, ob und inwieweit sie die Ziele ihres Leitbildes
erreichen.
Die Internationalisierung der
Studiengänge und Studienabschlüsse muss vorangetrieben
werden. Dies hat Konsequenzen sowohl für die inhaltliche
Orientierung der Studiengänge als auch für den Anteil der
Lehrveranstaltungen, die in der lingua franca der heutigen Welt,
Englisch, auf einem didaktisch international
wettbewerbsfähigen Niveau angeboten werden. Hier liegt eine
besondere Herausforderung an den Wissenschaftsstand ort
Deutschland im globalen Wettbewerb. Die Bundesregierung hat deshalb
verschiedene Maßnahmen, vor allem im Rahmen der
Zukunftsinitiative Hochschule, initiiert, die von der Gewinnung
exzellenter ausländischer Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler über den Aufbau internationaler
Studiengänge bis hin zur Förderung des
„Exports“ deutscher Studiengänge durch deutsche
Hochschulen reichen.
Die
bestehenden Instrumente der Europäisierung der
Hochschulausbildung sind auszubauen und beschleunigt
voranzutreiben. Dies gilt, neben gemeinsamen Studiengängen
einiger europäischer Universitäten und internationalen
Abschlüssen, vor allem für die Mobilitätsprogramme
wie Sokrates-Erasmus, die quantitativ und von der Ausstattung her
deutlich erweitert werden müssen. Dies gilt auch für eine
umfassendere Anerkennung von Studienleistungen durch den weiteren
Ausbau des Creditpoint Systems. Die guten Erfahrungen vieler
Fachhochschulen in der Europäisierung vornehmlich
wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge sollten in andere
Fachgebiete übernommen werden. Entsprechende Modellvorhaben
sind zu unterstützen. Die Europäisierung erfordert
darüber hinaus zusätzliche innovative Ansätze, wie
sie beispielsweise unter Führung der Luxemburger Regierung in
der Schaffung eines Verbundsystems europäischer
Reformuniversitäten unter dem Markennamen „Campus
Europae“ entwickelt werden. Hier sollen Studierende an
mindestens zwei Verbunduniversitäten in unterschiedlichen
europäischen Ländern studiert haben, bevor sie ihren
jeweiligen Abschluss erreichen (zu den Einzelheiten siehe Schily,
K. et al. Denkschrift der Initiative „Europäische
Stiftungsuniversitäten“ zweite Auflage Witten 2000).
Alle diese Maßnahmen dienen dazu, die kulturelle Vielfalt
Europas bewusst als Wettbewerbsvorteil zu nutzen und die
Studierenden Europas im weitmöglichsten Umfang auf das
Arbeiten in globalen Märkten und multikulturellen Umwelten
vorzubereiten. Die Kommission der Europäischen Union und die
Bundesregierung sind aufgerufen, im Interesse des
Wirtschaftsstandortes Europa und Deutschland hier schnell und
umfassend aktiv zu werden.
Begleitend zu diesen
Maßnahmen muss das Potential des Wissenschaftsstandortes
Deutschland international deutlicher gemacht werden. Hier ist auch
die auswärtige Kulturpolitik gefordert, entsprechende
Marketing-Maßnahmen nach dem Vorbild anderer
Bildungsexportnationen auszubauen. Die Stärkung des Standorts
Deutschland durch Ausbau der relevanten Programme des DAAD und der
Alexander von Humboldt Stiftung sind ebenfalls richtige und
wichtige Maßnahmen. Sie müssen ergänzt werden durch
dezentrales Marketing der Hochschulen im Ausland für ihre
Dienstleistungen. Zum Start sind befris tet Projektmittel
hierzu bereitzustellen. Eine wichtige Ini tiative ist in
diesem Zusammenhang die „Konzertierte Aktion Internationales
Marketing für den Bildungs- und Forschungsstandort
Deutschland“, mit der Bund, Länder, Wirtschaft und
Wissenschaft gemeinsam für die deutschen Hochschulen und
Forschungseinrichtungen international um die besten
WissenschaftlerInnen und Studierenden werben. Erste Erfolge sind
bereits sichtbar: So ist die Zahl der ausländischen
Studierenden nach ersten Schätzungen von 2000 auf 2001 um rund
15 Prozent auf nunmehr 140000 gestiegen.
Die Steuerung durch staatliche
Gremien ist – jenseits der budgetären
Prioritätensetzung für den Bereich Wissenschaft und
Forschung allgemein – auf die Schaffung genereller Anreiz-
und Feedbacksysteme und die Evaluation der Aufgabenerfüllung
durch die Hochschulen nach leis tungsbezogenen Kriterien zu
konzentrieren und das Engagement in Detailentscheidungen
zurückzunehmen. Die Wissenschaftsverwaltungen müssen sich
so einerseits auf die Setzung von Rahmenbedingungen, die
grundlegenden Budgetentscheidungen, Entscheidungen über die
Förderung von Forschungsschwerpunkten sowie das Ausmaß
von Finanzierung von Lehre konzentrieren und sollen andererseits
langfristig die Forschungs- und Ausbildungsleistungen der
Hochschulen in Bezug auf Zielerreichung
kontrollieren.
Die Hochschulen müssen
Verbünde schaffen, die das große intellektuelle und
wirtschaftliche Potenzial des e-Learnings erschließen. Hierzu
müssen auch Allianzen mit den relevanten Softwareanbietern und
Multimediaunternehmen geschaffen werden. Die Kommission der
Europäischen Union und die Bundesregierung sind aufgerufen,
durch Förderanstrengungen den deutschen Hochschulen, die hier
für sich die Möglichkeit der spezifischen Profilbildung
sehen, im Verbund mit Universitäten anderer europäischer
Länder den Einstieg in diesen großen und schnell
expandierenden Markt zu ermöglichen. Dies dient nicht nur dem
wirtschaftlichen Ziel der Wettbewerbsfähigkeit auf diesem
Gebiet, sondern hat auch hohe kultur- und europapolitische
Bedeutung.
11.2.2.7.2 Offene Fragen
E-Commerce ist zwar eine neue wichtige Form
des Handels, es bleibt aber unklar, welche konkreten Fragen noch
zusätzlich behandeln werden sollen.
1 Der Text dieses Unterkapitels wurde von den
Mitgliedern der Enquete- Kommission Dr. Werner Gries, Jörg
Tauss und Prof. Dr. Karl- Heinz Paqué auf der Grundlage des
Gutachtens von Dierkes und Merkens (Dierkes 2002) verfasst.
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