7.5
Wasser
7.5.1
Hintergrund und Herausforderungen
1,2 Milliarden Menschen haben zur Zeit keinen
Zugang zu sauberem Trinkwasser und ca. 2,5 Milliarden Menschen
leben ohne einen Mindeststandard an geregelter Abwasserentsorgung
(BMU und BMZ 2001a: 4).
Abbildung 7-15 zeigt die Betroffenheit einzelner Regionen. Laut
einem Bericht der Weltbank aus dem Jahr 2000 sterben jedes Jahr 2,4
Millionen Kinder an Krankheiten, die durch Wasser übertragen
werden (Weltbank 2000b).
Die „Länder der nördlichen
Hemisphäre sind, wenngleich nicht ausnahmslos, reichlich mit
der Ressource Wasser ausgestattet, während in vielen
Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas die wirtschaftliche
und soziale Entwicklung mit der Knappheit von Wasser eng verbunden
ist“ (Pires 2001: 4). Welche Auswirkungen dies insbesondere
für die betroffenen Frauen hat, kann
Kasten 7-5 entnommen werden. Wasserpolitik ist ein zentraler
Bestandteil einer Politik zur Bekämpfung von Armut. Die
Problemlagen variieren regional. Dies erfordert dementsprechend
auch unterschiedliche Lösungsansätze, ob es sich nun um
eine absolute Knappheit, um Zunahme der Wüstenbildung und
Zerstörung von Wassereinzugsgebieten, um fehlende
Infrastruktur, um Knappheit durch Wasserverschwendung oder um
Verschmutzung potenziell vorhandenen Trinkwassers (z. B. durch
Überdüngung in der Landwirtschaft) handelt. Der
tägliche pro Kopf-Wasserverbrauch schwankt zwischen 3100
Litern in Südkalifornien und 30 Litern in der Sahelzone (s.
Kasten7-6) und beträgt in Deutschland ca. 130 Liter (BGW
2001).71
Unter dem Einfluss der
Globalisierung verschärft sich die Situation zunehmend. Mit
steigendem Lebensstandard steigt auch der Wasserverbrauch pro
Person: Auch das Auto will gewaschen und der Garten gegossen
werden. Des Weiteren erhöht die Liberalisierung der
Agrarmärkte den Konkurrenzdruck für die Landwirte und
fördert die Produktion für den Export – und damit
in der Regel eine intensivere Bewässerungslandwirtschaft
– gegenüber der Erzeugung für den Lokalmarkt, die
teilweise über Regenfeldbau stattfinden kann. Die
Allokationsentscheidungen der Landwirte werden dann nicht nur
aufgrund der Eignung der Kulturart für den Standort
(Wasserverbrauch) getroffen, sondern aufgrund des erwarteten
Exportpreises. „Durch den Export der Agrarprodukte wird
Wasser ins Ausland transportiert (Schlagwort: Virtuelles
Wasser)“ (Neubert 2001: 112). Schließlich wirkt sich die
Globalisierung auf die Wasserversorgung dadurch aus, dass immer
mehr transnationale Unternehmen im Zuge der Deregulierung und
Privatisierung im Wassersektor ökonomisch aktiv werden. Ein
extremes Beispiel hierfür ist die Firma U. S. Global Water
Corporation. Diese schloss ein Abkommen mit Sitka, Alaska,
über den Export von 18 Milliarden Gallonen73 pro Jahr an Gletscherwasser, das per
Tanker nach China gebracht wird, um es dort in einer Freien
Exportzone durch billige Arbeitskräfte in Flaschen
abfüllen zu lassen und zu vermarkten.
Grundversorgung mit sauberem
Wasser
Um die Ziele der Armuts-Halbierung und der
Halbierung des Anteils derjenigen, die hungern und keinen
ausreichenden Zugang zu Trinkwasser haben (Ziel der
Millenniums-Deklaration 2000)74 zu erreichen, muss bis 2015 weiteren 1,6
Milliarden Menschen Zugang zu ausreichender Wasser-Infrastruktur
und -Diensten verschafft werden. Auch die Zahl der Menschen, die
ohne eine minimale Abwasserbeseitigung leben, sollte bis 2015
halbiert werden (The Bonn Keys, International Freshwater Conference
3.–7. Dezember 2001), d. h. mindestens zwei Milliarden
Menschen müssen mit einer verbesserten Abwasserinfrastruktur
versorgt werden (Bonn Recommendations for Action, The Bonn Keys;
BMU und BMZ 2001a: 6, 8). Diese beiden Ziele werden von der
Enquete-Kommission vorbehaltlos unterstützt.
„Prioritäre Ziele der internationalen Umwelt- und
Entwicklungspolitik sollten die Sicherstellung einer
Grundversorgung mit Wasser sowie die Konkretisierung eines
Menschenrechts auf Wasser sein. Das Menschenrecht auf Wasser leitet
sich unmittelbar aus dem in Artikel 11 des Internationalen Pakts
für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
(Sozialpakt, seit 1976 in Kraft, UN 1996) verankerten Rechts auf
Nahrung ab. 1999 hat das im Rahmen des Sozialpakts eingerichtete
Komitee über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
die Reichweite des Rechts auf Nahrung eingehend kommentiert. Das
Komitee betont die Notwendigkeit, die nationale Umsetzung des
Rechts durch die Entwicklung überprüfbarer nationaler
Strategien und Zeitvorgaben zu konkretisieren und weist zugleich
ausdrücklich auf die in Artikel 2 des Sozialpakts
begründete Pflicht der Industrieländer hin, andere
Staaten durch ,internationale Hilfe und Zusammenarbeit‘ bei
der Umsetzung des Rechts auf Nahrung zu unterstützen“
(WBGU 2001b: 12). Nichtregierungsorganisationen und von der
Enquete-Kommission angehörte Experten wie Petrella fordern
darüber hinaus bis zum Jahre 2015 eine Wasserver- und
Abwasserentsorgung für alle Menschen, um das Recht auf
sauberes Trinkwasser und Zugang zu sanitären Einrichtungen als
Menschenrecht einzulösen.
Die derzeitig
eingesetzten Finanzressourcen sind zur Erreichung der oben
genannten Ziele nicht ausreichend. Schätzungen der
Investitionen, die für eine erforderliche Wasser-Infrastruktur
notwendig sind, gehen bis zu 180Milliarden US-Dollar jährlich.
Heute werden circa 70 bis 80 Milliarden US-Dollar pro Jahr
investiert. Allein für die Befriedigung der
Grundbedürfnisse nach Wasser sind 20Milliarden US-Dollar
nötig, verglichen mit einem heutigen Niveau von 10 Milliarden
US-Dollar (BMU und BMZ 2001a: 8). Allerdings wird die Basis dieser
Schätzungen auch in Zweifel gezogen, insofern sie auf den
Lösungskonzepten und Kostenkalkulationen der Wasserkonzerne
beruhen und die Option kostengünstigerer Lösungen nicht
in Betracht ziehen (Hoering 2001: 31).75
„Auf dem Weltsozialgipfel 1995 einigte
sich die Staatengemeinschaft auf das 20:20-Ziel. Hiernach sollen
jeweils 20% der offiziellen
Entwicklungsleistungen der Geberländer und 20% des nationalen
Budgets der Empfängerländer für soziale Grunddienste
(Trinkwasser und Sanitäranlagen, Basisgesundheitsdienste
einschließlich reproduktiver Gesundheitsversorgung,
Grundbildung, Beseitigung der Mangelernährung bei Kindern und
Müttern) aufgewendet werden. Die aktuellen Zahlen auf beiden
Seiten verfehlen diese Vorgabe deutlich. So liegt der Durchschnitt
auf Geberseite derzeit bei rund 11% der gesamten Leistungen“
(WBGU 2001b: 12f.). Insgesamt hat Deutschland 27 wechselseitige
20:20-Vereinbarungen abgeschlossen und erfüllt in diesem
Zusammenhang auch die angesprochenen Verpflichtungen (im
Durchschnitt 23,8 Prozent). Allerdings werden auch in Deutschland
nur 12 Prozent der gesamten ODA für soziale Grunddienste
– unter denen die Versorgung mit Trinkwasser und
Sanitäranlagen ohne Zweifel essenziell ist –
aufgewendet.76
Eine nachhaltige Wasserpolitik muss
international wie national in stärkerem Zusammenhang mit
anderen politischen Zielen und Problemen gesehen werden, z. B.
Klimaschutz, Schutz der Biologischen Vielfalt, Bodenschutz,
Gesundheitsvorsorge etc., eine Koordinationsaufgabe, die nach
Ansicht der Enquete-Kommission Aufgabe einer zu einer
Weltumweltorganisation ausgebauten UNEP sein sollte (vgl. 7.6).
„Zehn Jahre nach der Konferenz von Rio bedarf es einer der
Klimafrage vergleichbaren globalen Anstrengung, das Kapitel 18 der
Agenda 21 zum Süßwasser in konkreten Schritten
umzusetzen“ (Deutscher Bundestag 2001a: 1). Dazu sollten v.
a. existierende Abkommen und Konventionen genutzt und ggf.
weiterentwickelt werden. Auch die Vorschläge des WBGU
hinsichtlich einer Weltwassercharta und eines neuen
Finanzierungsinstruments für dieses globale Gemeinschaftsgut
verdienen Unterstützung (WBGU 1998: 349, 370ff.).
71 Seit 1996 ist der personenbezogene Wasserverbrauch in
Deutschland konstant. In den letzten zehn Jahren hat er sich jedoch
um 12 Prozent verringert. Der durchschnittliche Wasserverbrauch der
Bevölkerung beträgt heute pro Einwohner und Tag 128 Liter
und entspricht damit dem Verbrauch von vor 25 Jahren (BGW
2001b).
73 Eine US-Gallone entspricht 3,8 Litern.
74 Internationales Entwicklungsziel der
UN-Millennium-Generalversammlung: „bis zum Jahr 2015 den
Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, und den Anteil
der Menschen, die Hunger leiden, zu halbieren, sowie bis zu
demselben Jahr den Anteil der Menschen, die hygienisches
Trinkwasser nicht erreichen oder es sich nicht leisten können,
zu halbieren“, und „auf Dauer der nicht tragbaren
Ausbeutung der Wasserressourcen ein Ende zu setzen“ (CUN
2000c).
75 „Der immense Investitionsbedarf, den die
Weltbank mit jährlich 60 Milliarden US-Dollar veranschlagt,
ist ein zentrales Argument für die Beteiligung des privaten
Sektors: Nur so seien die erforderlichen Mittel aufzubringen. Diese
Schätzungen basieren jedoch weitgehend auf den
Lösungskonzepten, Kostenkalkulationen und Gewinnerwartungen
der ‚Global Players‘ selbst. Damit nimmt die
Argumentation der Weltbank ihr Ergebnis implizit vorweg. Und der
Blick auf die Alternative, nämlich Lösungen und damit
Akteure zu suchen, die kostengünstiger sind, wird damit
verstellt“ (Hoering 2001: 31).
76 Das BMZ betont, dass die 20:20-Initiative
ausdrücklich eine Gegenseitigkeit des quantifizierbaren
Engagements voraussetzt und daher Entwicklungszusammenarbeit
für soziale Grunddienste gerade in diesem Zusammenhang nicht
an der Gesamt-ODA eines Gebers, sondern nur im Rahmen seiner
Leistungen für jene Partnerländer gemessen werden kann,
mit denen wechselseitige 20:20-Vereinbarungen abgeschlossen wurden.
Die „Arbeitsgruppe 20:20“ im Forum Weltsozialgipfel
deutscher Nichtregierungsorganisationen hält es dagegen
für notwendig, dass die offiziellen Entwicklungsleistungen der
Geberländer insgesamt zu 20 Prozent für soziale
Grunddienste eingesetzt werden, und es nicht ausreiche, dass die
bilaterale Entwicklungszusammenarbeit oder nur die Leistungen
für jene Partnerländer gezählt werden, mit denen
wechselseitige 20:20-Vereinbarungen abgeschlossen wurden.
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