*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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10.2.1.2 Global Governance benötigt weiterhin Nationalstaaten

Global Governance meint nicht das Ende des Nationalstaates. Im Gegenteil: Ziel aller zwischenstaatlichen Kooperation ist es, dass Staaten für die Bearbeitung globaler Probleme Handlungsfähigkeit zurückgewinnen sollen. Das heißt, Global Governance läutet gerade nicht das Sterbeglöckchen für den Nationalstaat, sondern will ihm dort Handlungskompetenz zurückgeben, wo er diese durch Globalisierungsprozesse zu verlieren droht. Dies gilt verstärkt für die Zeit nach 1990: Ist es auch zuvor schon darum gegangen, bei zunehmender globaler Vernetzung die gleichzeitig abnehmende Kompetenz der Nationalstaaten zur Problemlösung auszugleichen, so fällt es heute demokratischen Nationalstaaten zunehmend schwer, bislang national verankerte Standards zu halten. Viele Staaten haben diese zentrale Herausforderung erkannt und denken über neue Wege des kooperativen Regierens nach.15

Die Diskussion über die Zukunft der Nationalstaaten unter den Bedingungen der Globalisierung wird häufig in der Logik von Nullsummenspielen geführt: Weil neue Akteure in der Weltpolitik an Bedeutung gewinnen, verlieren die Staaten an Einfluss; weil globale Institutionen wichtiger werden, erodieren die Gestaltungsmöglichkeiten der Staaten. An diesen Argumenten ist die Wahrnehmung richtig, dass Staaten im Alleingang in immer mehr Politikfeldern an die Grenzen ihre Handlungsfähigkeit stoßen, weil Probleme zunehmend grenzüberschreitenden Charakter haben. Sie sind deshalb auf das Zusammenspiel mit anderen Akteuren innerhalb und jenseits der territorialen Grenzen der Staaten angewiesen, um auftretende Probleme lösen zu können. Derzeit spricht jedoch nichts dafür, dass sich globale Probleme und globale Interdependenzen sowie deren Rückwirkungen auf nationale Gesellschaften in absehbarer Zeit ohne Nationalstaaten erfolgreich bearbeiten ließen. Allerdings müssen sich diese neuen Rahmenbedingungen, die durch Globalisierungsprozesse geschaffen werden, anpassen.16

Nach dem Konzept einer Global Governance verbinden sich die verschiedenen politischen Systeme und Ebenen idealiter zu einem subsidiären Mehr-Ebenen-Arrangement. Die Rolle des Nationalstaates entwickelt sich im Rahmen eines solchen Mehr-Ebenen-Modells weiter, er muss zu einer Art „Interdependenzmanager“ (Messner 1998b) werden. Ein idealtypisches Mehr-Ebenen-Modell des subsidiären Regierens jenseits des Nationalstaates könnte sich durch drei Elemente auszeichnen (vgl. Zürn 2001): Als erstes Element entwickeln Staaten, die von grenzüberschreitenden Problemen betroffenen sind, zusammen mit nichtstaatlichen Akteuren (vgl. Kapitel 10.3)Vorschläge für internationale Regelungen. Diese beinhalten bestimmte Zielvorgaben, die dann letztlich von den dafür legitimierten Staaten vereinbart werden, etwa in Form von Rahmenrichtlinien. Zweitens setzen entweder nationale oder auch subnationale politische Einheiten diese Rahmenrichtlinien dank ihrer Ressourcenhoheit um. Drittens schließlich kontrollieren staatliche und nichtstaatliche Akteure die Umsetzung der internationalen Richtlinien und die Einhaltung grundlegender Rechte. Entscheidend ist dabei die gelungene Verzahnung der verschiedenen Ebenen.

Eine solche Mehrebenenpolitik strebt demokratische Strukturen an, die einerseits noch etwas mit Nähe, Überschaubarkeit und Erkennbarkeit zu tun haben und die andererseits globale Probleme effektiv lösen können. Zu bedenken sind dabei mögliche Demokratie- und Koordinationsprobleme einer solchen Mehrebenenpolitik und die Gefahr von Verhandlungsblockaden aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen. Gleichzeitig darf der Verweis auf die Notwendigkeit internationaler Kooperation nicht zur Ausrede werden, um nationale Verantwortlichkeiten wegzuschieben. Effektive und legitime Global Governance ist auf die Existenz demokratischer, verantwortungsvoller und handlungsbereiter Staaten angewiesen. Ergänzend dazu kann sich Global Governance auch positiv auf „Good Governance“ im Inneren von Staaten auswirken, was wiederum eine zentrale Voraussetzung für deren Funktionieren ist. Notwendig sind flankierende Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung sowie die Stärkung demokratischer Strukturen.17

   Auf einer relativ hohen Abstraktionsebene lassen sich vor dem Hintergrund dieser Problemlagen aus einer normativen Perspektive die Aufgaben und Funktionen eines „Global Governance-fähigen“ Staates benennen (vgl. Messner 2001b):

Staatliche Institutionen müssen Scharnierfunktionen zwischen den verschiedenen Politikebenen übernehmen und verstreute Steuerungs- und Problemlösungsressourcen bündeln, um die komplexen Interdependenzprobleme managen zu können. Der Staat muss zunehmend Moderatorenaufgaben übernehmen, die an Bedeutung gewinnen, wo Problemlösungs- und Steuerungsressourcen auf unterschiedliche Akteure und unterschiedliche Handlungsebenen verteilt sind und deshalb zusammengeführt werden müssen. Er sollte als demokratisch legitimierter Akteur aber nicht nur auf Initiativen handlungsmächtiger privater Akteure diesseits und jenseits seiner Grenzen re-agieren: Zöge er sich ausschließlich auf seine Moderatorenrolle zurück, überließe er den jeweils handlungsmächtigsten Privatakteuren das Feld – die Folge wäre ein Substanzverlust der Demokratie.

Der Staat ist und bleibt die einzige Institution der Gesellschaft, die Verantwortung für das „Ganze“ und das (wenn auch immer umstrittene) „Gemeinwohl“ trägt. Das Konzept des demokratischen Rechtstaates kommt ohne den normativen Bezug auf das Gemeinwohl nicht aus. Trotz aller Differenzierungs- und Entgrenzungtrends wird der Staat nicht aus seiner Gesamtverantwortung entlassen, denn es ist kein funktionales Äquivalent in Sicht, dass diese Aufgabe übernehmen könnte. Der Nationalstaat wird zwar in horizontale und vertikale Netzwerke eingebunden und gegenüber internationalen Regelwerken sowie Gerichtsbarkeiten rechenschaftspflichtig – aber er bleibt, ausgestattet mit dem Gewaltmonopol, mehr als nur ein „primus inter pares“.

Einige Reformen sind notwendig, um das deutsche politische System „Global Governance-tauglich“ weiterzuentwickeln und Gefahren zu begegnen, die manche „Globalisierungskritiker“ schon veranlassten, die „Ohnmacht des Staates“ zu beklagen (vgl. Koch 1995).18



15 Diskutiert wurde dies zum Beispiel auf der Reihe von Konferenzen „Modernes Regieren – Modern Governance“. In deren 2002er Stockholmer Kommuniqué heißt es: „Nur durch Kooperation werden die Nationalstaaten in der Lage sein, eine effiziente politische Handlungsfähigkeit auf einer wachsenden Zahl wichtiger Gebiete wiederzugewinnen“ (http://www.progressive.gov.se/files/ Communiquegerman. pdf 30. April 2002).

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16 Vgl. zum Formwandel des Staates durch Globalisierung das ausführliche Gutachten von Messner (2001b).

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17 Vgl. auch BMZ (2002a) zu „Good Governance in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“. Auch die Zivilgesellschaft kann dabei eine Rolle spielen, vgl. den BT-Antrag der Fraktionen der SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen „Förderung der Zivilgesellschaft im Norden und im Süden – eine Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit“ (BT-Drs. 14/5789) (Deutscher Bundestag 2001g) und die Beiträge in FES (2001).

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18 Das Gutachten von Messner (2001b) geht auf verschiedene Aktionsfelder ein: Auf der Mikroebene der Akteure des politischen Systems müssen Global Governance-Kompetenzen gestärkt werden. Auf der Makroebene des politischen Systems geraten organisatorisch-institutionelle Strukturen unter Innovationsdruck. Auf der Metaebene des politischen Systems müssen neue Leitbilder und eine strategische Orientierung in Richtung Global Governance entwickelt werden. Ein viertes Aktionsfeld thematisiert „Wissen als zentrale Machtressource globalisierungstauglicher Politik“.

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