*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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10.2.1.4   „Regional Governance“ als Baustein einer Global Governance

Mit Blick auf die bislang existierenden völkerrechtlichen Regelwerke sind v.a. regionale Integrationsprojekte (wie die EU, NAFTA, ASEAN, Mercosur) Vorreiter für das Regieren jenseits des Nationalstaates. Hier lässt sich nicht nur eine Orientierung der Wirtschaft, sondern – zumindest in Ansätzen – auch der Politik in Richtung auf plurinationale Regionen beobachten. Global Governance muss auf solchen größeren regionalen Kooperationskernen aufbauen und sie als organisatorischen Unterbau nutzen, weil das Subsidiaritätsprinzip auch im globalen Kontext sinnvoll bleibt und dem Aufbau teurer, aber ineffizienter bürokratischer Wasserköpfe vorbeugen kann. Die Spanne zwischen den Bedürfnissen der Menschen auf der lokalen Ebene und den globalen Ereignissen soll durch regionale Komponenten überbrückt werden.

In Europa ist diese Instanz die sich erweiternde Europäische Union, die sich seit Mitte der 90er Jahre – mittels der GASP – auch als außenpolitischer Akteur zu konstituieren begann. Häufig wird von außen gar eine Vorbildfunktion der EU für andere Regionen gesehen.19 Dabei steht vor allem das europäische, auf sozialen Ausgleich gerichtete Marktmodell im Vordergrund, das in den Augen vieler Menschen eine attraktive Alternative zum amerikanischen Modell ist. Diese Wahrnehmung Europas in der Welt sollte von den Regierungen als Aufforderung verstanden werden, dieses Modell zu verteidigen und die soziale Absicherung von Menschen weltweit zu befördern (vgl. auch Kapitel 4).Auch die demokratische Qualität der EU muss verbessert und durch Strukturreformen gefestigt werden. Dies gilt auch im Hinblick auf die Verwirklichung von Geschlechterdemokratie und Gleichstellung.20 Die Strukturreformen der EU sollten noch vor der anstehenden Erweiterung abgeschlossen werden und eine Ausweitung des Mehrheitsprinzips sowie ein höheres Maß an Legitimität der EU beinhalten.21

Das Weißbuch „Europäisches Regieren“ der EU-Kommission (2001f.) geht vom Befund eines rückläufigen Zutrauens der EU Bürger in die EU-Institutionen bei gleichzeitig zunehmenden Forderungen nach politischen Lösungen von Alltagsproblemen (Arbeitslosigkeit, Nahrungsmittelrisiken, Kriminalität, Konflikte an den Außengrenzen) aus. Zusätzliche Herausforderung erkennen die Autoren im laufenden Erweiterungsprozess.

Das Weißbuch hebt die folgenden Grundsätze „guten Regierens“ hervor: Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität sowie Kohärenz, neben Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität.22 Seine Autoren fordern die Entwicklung von Kriterien, die auf eine stärkere und transparente Einbeziehung der Menschen in die Politik­ gestaltung zielen.23 Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten an der Erarbeitung solcher Kriterien beteiligt werden. Über die Organisation und Rolle des bisherigen Wirtschafts- und Sozialausschusses soll neu nachgedacht werden, für die Beiziehung von Sachverständigen (derzeit fast 700 beratende ad-hoc Gremien) mehr Transparenz,24 Rechenschaftspflicht und damit auch Chancengleichheit erreicht werden. Die EU-Kommission will dafür einen Verhaltenskodex vorlegen. Weitere Vorschläge zielen auf eine Konzentration der Organe auf ihre Kernaufgaben: Der Rat sollte die Fachministerräte besser koordinieren und seine politische Führungsfähigkeit verbessern. Die EU-Kommission soll sich auf die Formulierung von Ini-    tiativen und deren Durchführung konzentrieren. Sie ist die Hüterin der Verträge und übernimmt die internationale Vertretung der Gemeinschaft. Das Europäische Parlament soll die öffentliche Debatte über die Zukunft der EU und ihrer außenpolitischen Rolle anleiten sowie die Durchführung der EU-Politiken und den Vollzug des Haushalts stärker kontrollieren. Außerdem sollen seine Mitentscheidungsbefugnisse erweitert werden. Leider bleibt im Weißbuch die Rolle des Europäischen Parlaments, dessen Stärkung ein wichtiger Schritt zu einer größeren Legitimität der Exekutive in Brüssel wäre, sonst weitgehend ausgeblendet.

Ein 105-köpfiger EU-Konvent, unter Beteiligung aller EU-Organe und der nationalen Parlamente, soll in den kommenden zwei Jahren Schlüsselfragen zur künftigen Entwicklung der Europäischen Union erörtern und beantworten helfen sowie einen weit gehenden Vorschlag für einen neuen EU-Vertrag bzw. eine mögliche Verfassung der EU erarbeiten.25 Ziel ist es, die innere und äußere Handlungsfähigkeit einer sich erweiternden Union in einer globalisierten Welt sicherzustellen und gleichzeitig auch die demokratische Legitimität und Transparenz der EU zu verbessern. Die Mitglieder des Verfassungskonvents sollen hierzu bis Sommer 2003 Reformvorschläge ausarbeiten. Auch die Institutionen der EU stehen dabei auf dem Prüfstand. So soll etwa das Zusammenwirken und die Zusammensetzung der wichtigsten Gremien, wie dem Rat als Organ der Regierungen, der Kommission und dem Parlament, neu geregelt werden. Eine weitere Frage wird sein, wie die Effizienz der Beschlussfassung in einer künftigen Union von etwa 30 Mitgliedstaaten erhöht werden kann, z.B. ob mehr Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden können sollten. Der Konvent will einen intensiven Dialog mit der Zivilgesellschaft suchen, die über ein Forum eingebunden werden soll.26

Eine erfolgreiche Reform der Governance im eigenen Haus kann auch mehr Glaubwürdigkeit und Gehör bei multilateralen Verhandlungen verschaffen. Die innerhalb der EU verfolgten Ziele Frieden, nachhaltiges Wachstum, Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit sollten auch jenseits ihrer Grenzen gefördert werden. Regionale Integrationsprojekte, die sich bislang nur als rein wirtschaftliche Freihandelszonen verstehen (z.B. NAFTA), sollten auch auf der politischen Ebene ausgebaut werden, um Handlungsspielräume gegenüber dem Globalisierungsdruck zu erweitern. Schließlich sollte auch die Kooperation zwischen den Regionen ausgebaut werden. Mit dem Ziel einer verbesserten Kooperation wurde am 23. Juni 2000 das sog. „Abkommen von Cotonou“ zwischen der EU und den z.Zt. 77 Ländern der Staatengruppe Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP-Staaten) unterzeichnet. Das neue Kooperationsabkommen setzt auf die Weiterentwicklung des politischen Dialogs, die Beteiligung der Zivilgesellschaft, Bekämpfung der Armut, regionale Freihandelsabkommen (statt der bisherigen Handelspräferenzen und der Exporterlösstabilisierung) sowie die Reform der finanziellen Zusammenarbeit. Ebenso wichtig ist die Absicht der EU, die subregionale Integration zu fördern, um die Stellung dieser Gebiete auf dem Weltmarkt langfristig zu verbessern.

Kritische Beobachter aus dem Süden27 haben einhellig auf das heute in Folge des Nord-Süd Machtgefälles fehlende „level playing field“ im internationalen Handel hingewiesen. Zugleich formulieren sie das Bedürfnis nach einem – in der Sprache der Handelspolitik – „special and differential treatment“ als unerlässliche und in den Prinzipien von ITO28 und GATT verankerte Voraussetzung für die nachholende Industrialisierung der EL. Die Beschränkung auf je Land und den Einzelfall spezifizierte Ausnahmen im Rahmen der WTO habe den Aufholprozess gerade von Ländern auf der Schwelle zur Industrialisierung aufgehalten. Vor diesem Hintergrund haben sich Vertreter des Südens (vgl. Bello 2001) für stärker regionale Governance Strukturen anstelle der zunehmend zentralisierenden Strukturen von Weltbank, IWF und WTO ausgesprochen.

Empfehlung 10-3       Regionalisierungsanstrengungen der Entwicklungs­ länder unterstützen

Die Enquete-Kommission empfiehlt Bundestag und Bundesregierung im Bereich der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern Strategien zu unterstützen, die auch in anderen Regionen der Welt Formen der regionalen Kooperation entstehen lassen.

Ein erster Ansatz ist der Stabilitätspakt Südosteuropa, der auf eine regionale Zusammenarbeit abzielt, bei der internationale Institutionen nur noch flankierend den Prozess begleiten, die Initiativen letztendlich aber aus den Ländern der Region selbst entstehen. Im Rahmen des Abkommens von Cotonou sind politische und wirtschaftliche Partnerschaften zwischen der EU und AKP-Staaten bzw. deren regionalen Zusammenschlüssen vereinbart worden. Solche Ansätze zur Bündelung regionaler Kräfte und Interessen sollten auf die regionalen Bedürfnisse zugeschnitten werden, um Entwicklungsländer dabei zu unterstützen, stärker als bisher von den Vorteilen der Globalisierung zu profitieren.



19 Vgl. den Bericht der Delegationsreise der Enquete-Kommission nach Mexiko 2001.
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20 Die EU hat im Vertrag von Amsterdam (1997, gültig seit 1999) die Gleichstellung als vorrangiges Ziel fest geschrieben; Art. 2 des Vertrages lautet: „Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Art. 3 und 4 genannten gemeinsamen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Gemeinschaft (...) die Gleichstellung von Männern und Frauen (...) zu fördern”. Art. 3 Abs. 2 des Amsterdamer Vertrages besagt: „Bei allen in diesem Artikel genannten Tätigkeiten wirkt die Gemeinschaft darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern.”
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21 Vgl. dazu auch Helmut Schmidt (2000: 248ff.), für den jedoch ein Gelingen dieser notwendigen Reformschritte noch nicht garantiert ist.
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22 „Governance steht für die Regeln, Verfahren und Verhaltensweisen, die die Art und Weise, wie auf europäischer Ebene Befugnisse ausgeübt werden, kennzeichnen, und zwar in Bezug auf Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität und Kohärenz“ (Europäische Kommission 2001f: 11).
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23 Entsprechend wird das Weißbuch derzeit in einem öffentlichen Diskussionsprozess (bislang über 2 500 beteiligte Organisationen und Personen) diskutiert (vgl. http://europa.eu.int/comm/governance/ index_en.htm 30. April 2002).
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24 Wegweisend ist hier im Umweltbereich die Aarhus-Konvention, das UN-ECE Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (vgl. http://www.unece. org/env/pp/documents/cep43e.pdf 10. Mai 2002).>
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25 Die „Erklärung über die Zukunft der Union“ des Europäischen Rats vom 14./15. Dezember 2001 in Laeken erläutert Inhalt und Verfahren des Prozesses zur Zukunft Europas. Dieser Prozess soll im Jahr 2004 in eine erneute Regierungskonferenz münden, die durch den Konvent zur Zukunft Europas vorbereitet wird (für Dokumente und weitere Informationen vgl. die Internetseite des Konvents http://european- convention.eu.int/ 10. Mai 2002).
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26 Siehe die Internetseite dieses Forums zum EU-Konvent (http://www.europa.eu.int/futurum/index_de.htm 10. Mai 2002).
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27 Vgl. die Beiträge von Bello (2001), Bullard (2001), Singh und Dhumale (1999), siehe auch UNCTAD (2002).
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28 Die „International Trade Organisation“ war in den Nachkriegsjahren als UN-Sonderorganisation geplant. Die Satzung der ITO, die Havanna Charta, wurde jedoch 1947 von den USA nicht ratifiziert, da die Ausnahmen bei den Handelsbestimmungen, wie sie v. a. von den Entwicklungsländern gefordert wurden, auf Kritik stießen.
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