*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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   10.3.2     Fragen der demokratischen Legitimität

Die demokratische Legitimität nichtstaatlicher Akteure

Oft wird kritisiert, dass nichtstaatliche Akteure keine demokratische Legitimität im streng staatstheoretischen Sinne hätten. In der Tat haben sie kein formelles Mandat, das aus allgemeinen, freien und geheimen Wahlen hervorgegangen wäre. Auch intern sind Nicht-Regierungsorganisationen nicht generell demokratisch strukturiert, oft besteht auch keine Transparenz hinsichtlich ihrer Finanzierung. Und selbst da, wo sie sich auf eine große Mitgliederbasis oder auf hohe und durch Meinungsumfragen belegte Akzeptanz in der Gesellschaft stützen können, repräsentieren sie letztlich nur sich selbst bzw. das Anliegen ihrer Unterstützer. Insofern besteht kein Anspruch für nichtstaatliche Akteure, an (zwischen)staatlichen Entscheidungen formell gleichberechtigt beteiligt zu sein; sie erheben diesen Anspruch aber auch gar nicht (Beisheim 1997, Wahl 2001). Vielmehr agieren etwa der BDI oder Greenpeace als Interessengruppen für ihre Sache und versuchen, im Sinne eines pluralistischen Wettstreits auf die Politik Einfluss zu nehmen. Neu daran ist, dass sich heute zuvor eher unterrepräsentierte Interessen, wie etwa menschenrechts-, umwelt-, entwicklungspolitische Interessen, stärker artikulieren, während wirtschaftspolitische Interessen schon länger bei den internationalen Institutionen präsent sind.

Frauen sollten in den Führungsgremien von nichtstaatlichen Gruppen deutlich besser repräsentiert sein.47 Mehr als zehn Prozent der beim Wirtschafts- und Sozialrat der UNO akkreditierten NGOs sind mittlerweile Frauen-NGOs. Lokale, nationale, regionale und internationale Frauen-NGOs sind recht eng miteinander verknüpft. Mit dem „Caucus-System“ hat die Frauenbewegung einen Verhandlungsmechanismus internationaler NGO-Politik hervorgebracht, der als eine Art Vermittlung zwischen den Basisbewegungen und den offiziellen Verhandlungssystemen zu verstehen ist.48    Als öffentliches Forum der Beratung soll dieses Caucus-System nicht nur die interne Koordinierung des politischen Prozesses erleichtern, sondern vor allem auch die Transparenz von Verhandlungsprozessen gegenüber der eigenen Basis erhöhen und die Legitimationsbasis der Vertreterinnen von Frauen-NGOs in Regierungsverhandlungen verbreitern.

Stärkung der Legitimität politischer Systeme durch nichtstaatliche Akteure

Nach wie vor beruht demokratische Legitimation auf der Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger, Körperschaften und anderer Institutionen am Zustandekommen der Gesetze, die sie betreffen. Freilich traf und trifft die Umsetzung dieser Volkssouveränität schon immer auf konzeptionelle und praktische Schwierigkeiten. Faktisch ist es in allen bestehenden liberaldemokratischen System mediatisiert durch Verfahrensregeln und Institutionen, wie der Wahl politischer Parteien. In einem komplexen System von Global Governance besteht nun die Gefahr, dass solche vorwiegend nationalen Verfahren in ihrer Bedeutung weiter sinken. Schon heute empfinden viele Bürgerinnen und Bürger das ihnen zustehende Wahlrecht als nicht mehr politisch relevant; Zeichen dafür ist die wachsende Zahl von Nicht- oder Stimmungswählern. In der Tat könnten nationale Wahlen insbesondere in kleineren Staaten im Zuge der Globalisierung auf die Bedeutung von Lokalwahlen zurücksinken. Global Governance könnte damit zunehmend zu einer autokratisch verselbständigten Expertokratie werden und den Weg zu einer weltweiten Oligarchie der Besitz- und Bildungseliten ebnen. Gesellschaftliche Gruppen könnten dazu beitragen, diesen Tendenzen entgegenzuwirken.

Nichtstaatliche Akteure erfüllen mit ihrem Engagement in einem System von „Checks and Balances“ eine wichtige demokratische Funktion. Dies ist besonders wichtig, wenn man davon ausgeht, dass das „Herauswachsen“ (J.Habermas) ökonomischer Prozesse und Strukturen aus dem Rahmen des Nationalstaates im Zuge der Globalisierung zu einem Demokratiedefizit führt. Gerade mit Blick auf internationale Verhandlungen besteht eine gravierende Partizipationslücke: Unter den gegenwärtigen Bedingungen sind internationale Entscheidungsprozesse häu­ fig undurchsichtig, u.a. für die Öffentlichkeit, aber auch für die dafür demokratisch legitimierten Akteure, die Parlamente, und selbst für die Administrationen und Regierungen. In diesem Demokratievakuum können NGOs dazu beitragen, Entscheidungsprozesse öffentlicher und transparenter zu machen. Als alleinige Legitimationsressource reichen sie jedoch nicht aus: Im komplexen Institutionengefüge auf den verschiedenen Ebenen einer Global Governance sehen die meisten NGOs ihre Rolle bei Monitoring, Information, Konsultation und kritischem Dialog – gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen treffen sollten letztlich auch zukünftig nur entsprechend demokratisch legitimierte Akteure (vgl. Birle 2002 und Beiträge in Brunnengräber u.a. 2001).

Zivilgesellschaftliche Gruppen stellen schon im nationalen politischen System eine größere Öffentlichkeit her und bieten demokratische Beteiligungsformen. Dieses bürgerschaftliche Engagement sollte ihnen auch im Rahmen einer Global Governance ermöglicht werden, zum Beispiel durch einen freieren Zugang zu den Akten und Verhandlungen von internationalen Organisationen oder rechtsförmlich ausgestattete Eingaben- und Auskunftsrechte ihnen gegenüber, vergleichbar den Petitionen oder den parlamentarischen Anfragen auf nationaler Ebene. Wünschbares Ziel wäre, dass die bereits bestehenden weltweiten Zusammenschlüsse nichtstaatlicher Akteure sich schrittweise intern demokratisieren und mit der zusätzlichen Legitimität gewählter Vertreter und abgestimmter Positionen Agenda-Setting und Problemlösungsvorschläge in ein System der Global Governance einbringen könnten.



47 So lässt sich etwa selbst bei den NGOs im Forum Menschenrechte eine mangelhafte Partizipation von Frauen an den Entscheidungsstrukturen in deutschen NGOs exemplarisch aufzeigen: fünf von 23 Organisationen sind reine Frauenorganisationen; zwei von 18 gemischtgeschlechtlichen Organisationen haben keine Frauen in den Führungsgremien; acht weitere Organisationen haben einen Frauenanteil in den Führungsgremien von zum Teil deutlich weniger als – den bei der parlamentarischen Repräsentation in Deutschland erreichten – 30 Prozent; fünf Organisationen haben einen Frauenanteil in den Führungsgremien zwischen ca. 30 Prozent und 50 Prozent; drei Organisationen haben einen Frauenanteil in den Führungsgremien von 50 Prozent und mehr; im Forum Menschenrechte selbst beträgt die Quote der Frauen knapp 40 Prozent (vgl. Ruppert 2002, vgl. auch Meyer und Prügl 1999, Wichterich 2001).

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48 Der Begriff „Caucus“ bezeichnet eine Versammlung, die sich mit einem bestimmten Thema befasst und für alle Interessierten offen ist. Das „Caucus-System“ soll vor allem als Gremium der Absprache von Lobby-Aktivitäten und Aktionen dienen (Holthaus und Klingebiel 1998: 55).

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