*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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7.5          Wasser

7.5.1       Hintergrund und Herausforderungen

1,2 Milliarden Menschen haben zur Zeit keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und ca. 2,5 Milliarden Menschen leben ohne einen Mindeststandard an geregelter Abwasserentsorgung (BMU und BMZ 2001a: 4). Abbildung 7-15 zeigt die Betroffenheit einzelner Regionen. Laut einem Bericht der Weltbank aus dem Jahr 2000 sterben jedes Jahr 2,4 Millionen Kinder an Krankheiten, die durch Wasser übertragen werden (Weltbank 2000b).

Die „Länder der nördlichen Hemisphäre sind, wenngleich nicht ausnahmslos, reichlich mit der Ressource Wasser ausgestattet, während in vielen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas die wirtschaftliche und soziale Entwicklung mit der Knappheit von Wasser eng verbunden ist“ (Pires 2001: 4). Welche Auswirkungen dies insbesondere für die betroffenen Frauen hat, kann Kasten 7-5 entnommen werden. Wasserpolitik ist ein zentraler Bestandteil einer Politik zur Bekämpfung von Armut. Die Problemlagen variieren regional. Dies erfordert dementsprechend auch unterschiedliche Lösungsansätze, ob es sich nun um eine absolute Knappheit, um Zunahme der Wüstenbildung und Zerstörung von Wassereinzugsgebieten, um fehlende Infrastruktur, um Knappheit durch Wasserverschwendung oder um Verschmutzung potenziell vorhandenen Trinkwassers (z. B. durch Überdüngung in der Landwirtschaft) handelt. Der tägliche pro Kopf-Wasserverbrauch schwankt zwischen 3100 Litern in Südkalifornien und 30 Litern in der Sahelzone (s. Kasten7-6) und beträgt in Deutschland ca. 130 Liter (BGW 2001).71

   Unter dem Einfluss der Globalisierung verschärft sich die Situation zunehmend. Mit steigendem Lebensstandard steigt auch der Wasserverbrauch pro Person: Auch das Auto will gewaschen und der Garten gegossen werden. Des Weiteren erhöht die Liberalisierung der Agrarmärkte den Konkurrenzdruck für die Landwirte und fördert die Produktion für den Export – und damit in der Regel eine intensivere Bewässerungslandwirtschaft – gegenüber der Erzeugung für den Lokalmarkt, die teilweise über Regenfeldbau stattfinden kann. Die Allokationsentscheidungen der Landwirte werden dann nicht nur aufgrund der Eignung der Kulturart für den Standort (Wasserverbrauch) getroffen, sondern aufgrund des erwarteten Exportpreises. „Durch den Export der Agrarprodukte wird Wasser ins Ausland transportiert (Schlagwort: Virtuelles Wasser)“ (Neubert 2001: 112). Schließlich wirkt sich die Globalisierung auf die Wasserversorgung dadurch aus, dass immer mehr transnationale Unternehmen im Zuge der Deregulierung und Privatisierung im Wassersektor ökonomisch aktiv werden. Ein extremes Beispiel hierfür ist die Firma U. S. Global Water Corporation. Diese schloss ein Abkommen mit Sitka, Alaska, über den Export von 18 Milliarden Gallonen73 pro Jahr an Gletscherwasser, das per Tanker nach China gebracht wird, um es dort in einer Freien Exportzone durch billige Arbeitskräfte in Flaschen abfüllen zu lassen und zu vermarkten.

Grundversorgung mit sauberem Wasser

Um die Ziele der Armuts-Halbierung und der Halbierung des Anteils derjenigen, die hungern und keinen ausreichenden Zugang zu Trinkwasser haben (Ziel der Millenniums-Deklaration 2000)74 zu erreichen, muss bis 2015 weiteren 1,6 Milliarden Menschen Zugang zu ausreichender Wasser-Infrastruktur und -Diensten verschafft werden. Auch die Zahl der Menschen, die ohne eine minimale Abwasserbeseitigung leben, sollte bis 2015 halbiert werden (The Bonn Keys, International Freshwater Conference 3.–7. Dezember 2001), d. h. mindestens zwei Milliarden Menschen müssen mit einer verbesserten Abwasserinfrastruktur versorgt werden (Bonn Recommendations for Action, The Bonn Keys; BMU und BMZ 2001a: 6, 8). Diese beiden Ziele werden von der Enquete-Kommission vorbehaltlos unterstützt.

„Prioritäre Ziele der internationalen Umwelt- und Entwicklungspolitik sollten die Sicherstellung einer Grundversorgung mit Wasser sowie die Konkretisierung eines Menschenrechts auf Wasser sein. Das Menschenrecht auf Wasser leitet sich unmittelbar aus dem in Artikel 11 des Internationalen Pakts für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt, seit 1976 in Kraft, UN 1996) verankerten Rechts auf Nahrung ab. 1999 hat das im Rahmen des Sozialpakts eingerichtete Komitee über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte die Reichweite des Rechts auf Nahrung eingehend kommentiert. Das Komitee betont die Notwendigkeit, die nationale Umsetzung des Rechts durch die Entwicklung überprüfbarer nationaler Strategien und Zeitvorgaben zu konkretisieren und weist zugleich ausdrücklich auf die in Artikel 2 des Sozialpakts begründete Pflicht der Industrieländer hin, andere Staaten durch ,internationale Hilfe und Zusammenarbeit‘ bei der Umsetzung des Rechts auf Nahrung zu unterstützen“ (WBGU 2001b: 12). Nichtregierungsorganisationen und von der Enquete-Kommission angehörte Experten wie Petrella fordern darüber hinaus bis zum Jahre 2015 eine Wasserver- und Abwasserentsorgung für alle Menschen, um das Recht auf sauberes Trinkwasser und Zugang zu sanitären Einrichtungen als Menschenrecht einzulösen.

Die derzeitig eingesetzten Finanzressourcen sind zur Erreichung der oben genannten Ziele nicht ausreichend. Schätzungen der Investitionen, die für eine erforderliche Wasser-Infrastruktur notwendig sind, gehen bis zu 180Milliarden US-Dollar jährlich. Heute werden circa 70 bis 80 Milliarden US-Dollar pro Jahr investiert. Allein für die Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Wasser sind 20Milliarden US-Dollar nötig, verglichen mit einem heutigen Niveau von 10 Milliarden US-Dollar (BMU und BMZ 2001a: 8). Allerdings wird die Basis dieser Schätzungen auch in Zweifel gezogen, insofern sie auf den Lösungskonzepten und Kostenkalkulationen der Wasserkonzerne beruhen und die Option kostengünstigerer Lösungen nicht in Betracht ziehen (Hoering 2001: 31).75

„Auf dem Weltsozialgipfel 1995 einigte sich die Staatengemeinschaft auf das 20:20-Ziel. Hiernach sollen jeweils    20% der offiziellen Entwicklungsleistungen der Geberländer und 20% des nationalen Budgets der Empfängerländer für soziale Grunddienste (Trinkwasser und Sanitäranlagen, Basisgesundheitsdienste einschließlich reproduktiver Gesundheitsversorgung, Grundbildung, Beseitigung der Mangelernährung bei Kindern und Müttern) aufgewendet werden. Die aktuellen Zahlen auf beiden Seiten verfehlen diese Vorgabe deutlich. So liegt der Durchschnitt auf Geberseite derzeit bei rund 11% der gesamten Leistungen“ (WBGU 2001b: 12f.). Insgesamt hat Deutschland 27 wechselseitige 20:20-Vereinbarungen abgeschlossen und erfüllt in diesem Zusammenhang auch die angesprochenen Verpflichtungen (im Durchschnitt 23,8 Prozent). Allerdings werden auch in Deutschland nur 12 Prozent der gesamten ODA für soziale Grunddienste – unter denen die Versorgung mit Trinkwasser und Sanitäranlagen ohne Zweifel essenziell ist – aufgewendet.76

Eine nachhaltige Wasserpolitik muss international wie national in stärkerem Zusammenhang mit anderen politischen Zielen und Problemen gesehen werden, z. B. Klimaschutz, Schutz der Biologischen Vielfalt, Bodenschutz, Gesundheitsvorsorge etc., eine Koordinationsaufgabe, die nach Ansicht der Enquete-Kommission Aufgabe einer zu einer Weltumweltorganisation ausgebauten UNEP sein sollte (vgl. 7.6). „Zehn Jahre nach der Konferenz von Rio bedarf es einer der Klimafrage vergleichbaren globalen Anstrengung, das Kapitel 18 der Agenda 21 zum Süßwasser in konkreten Schritten umzusetzen“ (Deutscher Bundestag 2001a: 1). Dazu sollten v. a. existierende Abkommen und Konventionen genutzt und ggf. weiterentwickelt werden. Auch die Vorschläge des WBGU hinsichtlich einer Weltwassercharta und eines neuen Finanzierungsinstruments für dieses globale Gemeinschaftsgut verdienen Unterstützung (WBGU 1998: 349, 370ff.).



71 Seit 1996 ist der personenbezogene Wasserverbrauch in Deutschland konstant. In den letzten zehn Jahren hat er sich jedoch um 12 Prozent verringert. Der durchschnittliche Wasserverbrauch der Bevölkerung beträgt heute pro Einwohner und Tag 128 Liter und entspricht damit dem Verbrauch von vor 25 Jahren (BGW 2001b).

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73 Eine US-Gallone entspricht 3,8 Litern.

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74 Internationales Entwicklungsziel der UN-Millennium-Generalversammlung: „bis zum Jahr 2015 den Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, und den Anteil der Menschen, die Hunger leiden, zu halbieren, sowie bis zu demselben Jahr den Anteil der Menschen, die hygienisches Trinkwasser nicht erreichen oder es sich nicht leisten können, zu halbieren“, und „auf Dauer der nicht tragbaren Ausbeutung der Wasserressourcen ein Ende zu setzen“ (CUN 2000c).

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75 „Der immense Investitionsbedarf, den die Weltbank mit jährlich 60 Milliarden US-Dollar veranschlagt, ist ein zentrales Argument für die Beteiligung des privaten Sektors: Nur so seien die erforderlichen Mittel aufzubringen. Diese Schätzungen basieren jedoch weitgehend auf den Lösungskonzepten, Kostenkalkulationen und Gewinnerwartungen der ‚Global Players‘ selbst. Damit nimmt die Argumentation der Weltbank ihr Ergebnis implizit vorweg. Und der Blick auf die Alternative, nämlich Lösungen und damit Akteure zu suchen, die kostengünstiger sind, wird damit verstellt“ (Hoering 2001: 31).

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76 Das BMZ betont, dass die 20:20-Initiative ausdrücklich eine Gegenseitigkeit des quantifizierbaren Engagements voraussetzt und daher Entwicklungszusammenarbeit für soziale Grunddienste gerade in diesem Zusammenhang nicht an der Gesamt-ODA eines Gebers, sondern nur im Rahmen seiner Leistungen für jene Partnerländer gemessen werden kann, mit denen wechselseitige 20:20-Vereinbarungen abgeschlossen wurden. Die „Arbeitsgruppe 20:20“ im Forum Weltsozialgipfel deutscher Nichtregierungsorganisationen hält es dagegen für notwendig, dass die offiziellen Entwicklungsleistungen der Geberländer insgesamt zu 20 Prozent für soziale Grunddienste eingesetzt werden, und es nicht ausreiche, dass die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit oder nur die Leistungen für jene Partnerländer gezählt werden, mit denen wechselseitige 20:20-Vereinbarungen abgeschlossen wurden.

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Abbildung 7-15

Kasten 7-5

Kasten 7-6