Jörg Eschenfelder
Leichte Beute für die Räuber der
See
Der Welthandel wird zunehmend durch Piraterie
bedroht
Mit M-16-Gewehren und Raketenwerfern bewaffnet, entern die
verschwitzten, grimmig dreinschauenden Männer den Tanker in
der Straße von Malakka. Schüsse knallen. Die
erschrockenen Matrosen gehen in Deckung. Sie fürchten um ihr
Leben. Denn die Piraten der Tropen kennen schon lange kein Pardon
mehr. 30 Seeleute kamen vergangenes Jahr bei ihren
Überfällen ums Leben. Seit Ende Februar 2005 haben sie
schon wieder zwei Schiffe in der Meerenge zwischen der malayischen
Halbinsel und Sumatra überfallen und Menschen entführt.
Die trügerische Ruhe nach dem Tsunami ist vorbei. Die Piraten
kommen wieder hervor, und mit ihnen die Gefahr. Piraten und
Terroristen haben die Schiffe und ihre Besat-zung längst als
leichte Beute ausgemacht. Den Piraten geht es dabei nur ums Geld,
den Terroristen um den Welthandel - der auf sichere Seewege
angewiesen ist und mit einigen wenigen Anschlägen fast schon
lahmgelegt werden kann.
Die 500 Kilometer lange Straße von Malakka ist eine der
wichtigsten Handelsrouten der Welt. Rund 600 Schiffe passieren
tägliche diese Meerenge, transportieren ein Drittel des
Welthandels, die Hälfte der asiatischen Öl-Importe und
zwei Drittel des weltweit verschifften Naturgases. 80 Prozent des
Öls für Japan, Südkorea und China aus dem Persischen
Golf muss durch diesen Brennpunkt, wo islamischer Fundamentalismus,
Piraterie, unübersichtliche Geografie, Armut, Korruption und
Vetternwirtschaft zusammentreffen. Ein, bis zwei von Terroristen
gekaperte Tanker könnten ausreichen, um die Meerenge zu
sperren, die Millionenstadt Singapur in Angst und Schrecken zu
versetzen, die Energieversorgung Ostasiens, den Warenverkehr
für Tage zu stoppen sowie für Wochen und Monate
empfindlich zu stören. War das World Trade Center in New York
vor allem ein Symbol der Globalisierung, so ist die Straße von
Malakka eine Lebensader für deren Fortschreiten. Ein
attraktives Ziel für Terroristen, die in der Region ebenso
Unterschlupf finden, wie die inzwischen wohl organisierten Piraten.
Verbindungen zwischen den Gruppen sind denkbar.
Rund 80 Prozent des Welthandels werden auf 50.000 riesigen und
vielen kleinen Schiffen transportiert. Täglich werden 80
Millionen Barrel Öl verbraucht. 60 Prozent davon sind auf rund
4.000 langsamen und schwerfälligen Tankern unterwegs.
Die dynamischste Wirtschaftsregion der Welt - Ostasien - ist
davon besonders abhängig. Japan importiert sein gesamtes
Öl; China rund ein Drittel, 60 Prozent davon aus dem
Persischen Golf. Indien führt rund 70 Prozent seines
Rohöls ein, über 60 Prozent aus dem Mittleren Osten.
Außer Japan verfügt keines dieser Länder bisher
über nennenswerte strategische Ölreser-ven. Jede
Unterbrechung der Energieversorgung kann ernste Konsequenzen haben.
Produktionen müssten gedrosselt oder eingestellt werden. Schon
jetzt, ohne externe Einflüsse, kann China seinen Energiehunger
nicht stillen und muss immer wieder Ausfälle hinnehmen.
Diese lebenswichtigen Güter-, Öl- und
Naturgaslieferungen müssen sich durch eine Handvoll,
äußerst verwundbarer Meerengen zwängen: durch die
Straße von Hormuz, die Bab el-Mandab-Passage zwischen dem Golf
von Aden und dem Roten Meer, den Bosporus, den Suezkanal, den
Panama Kanal, die Straße von Malakka und Singapur. Dort
müssen die Schiffe äußerst langsam manövrieren
- und werden zu besonders verwundbaren Zielen.
Die Folgen eines erfolgreichen Angriffs könnten verheerend
sein. Allein die Schließung des Hafens von Singapur
dürfte jährlich schätzungsweise über 200
Milliarden US-Dollar kosten. Das Umleiten der Schiffe würde
den Seeweg um zwei Tage verlängern und jährlich acht
Milliarden US-Dollar kosten. Versicherungsprämien würden
in die Höhe schnellen, und das Vertrauen in den freien,
ungefährdeten Handel könnte ernsthaften Schaden nehmen
und die weitere Entwicklung Asiens ernsthaft beschädigen. Der
Schock des 11. Septembers könnte sich wiederholen und
verstärken.
Das offensichtlichste Problem sind die Piraten oder rein
rechtlich die "bewaffneten Räuber auf See." Mit den modernsten
Waffen ausgerüstet und bestens organisiert, stehlen, rauben
und kidnappen sie ohne Rück-sicht auf Verluste. 1994 gab es
weltweit nur 90 gemeldete Überfälle. 2003 waren es schon
445. 2004 waren die Zahlen wieder rückläufig und beliefen
sich nur noch auf 325. Allerdings stieg gleichzeitig die Zahl der
Todesfälle von 21 (2003) auf 30 (2004). Zehn Jahre zuvor gab
es keinen einzigen. Auch die Zahl der Entführungen wuchs von
elf (1994) auf 148 im vergangenen Jahr.
Brennpunkt der Aktivitäten war Südostasien. Dort
ereigneten sich über die Hälfte aller gemeldeten
Über-fälle. Am gefährlichsten war es in den
indonesischen Gewässern, wo sich jeder vierte Überfall
weltweit ereignete. Dabei weisen die Piraten-Überfälle
immer öfter auf bestens organisierte und ausgerüstete
kriminelle Organisation hin, denen häufig nur eine schwache,
schlecht ausgerüstete, teils korrupte Marine und
Küstenwache gegenüberstehen.
Die größere Herausforderung aber ist der Terrorismus.
Al Qaida will den Welthandel stören. Welches leichtere Ziel
könnten sie finden als die Seewege? Während die
Sicherheitsbestimmungen für alle Bereiche des Flugverkehrs
verschärft wurden und werden, ist der Seehandel nahezu
kontrollfrei. Keiner kann sicher sagen, wer welches Schiff besitzt,
wo es sich befindet, was wirklich geladen und wer tatsächlich
an Bord ist. Angriffe auf Schiffe und Häfen könnten
Schockwellen um die Welt senden. Besonders Asien ist
gefährdet. Viele der größten Seehäfen liegen
dort. Die Dschungel- und Inselwelt des Kontinents bietet Tausenden
von Terroristen Unterschlupf. Die mit der Al Qaida verknüpfte
Jemaah Islamiyah (JI) hat dort Stützpunkte und
Anhänger.
Terrorgruppen haben Schiffe längst als Anschlagsziele
ausgemacht. Mit Schnellbooten griffen sie schon die USS Sullivans
(2000), die USS Cole (2000), den Öltan-ker Limburg (2002) und
eine indonesische Fähre (2004) an. Nach dem 11. September
wurden bei einer JI-Zelle in Singapur konkrete Pläne gefunden,
amerikanische Kriegsschiffe anzugreifen. Ursprünglich sollten
gleichzeitig mit den Anschlägen am 11. September in den USA
auch Attentate in Asien erfolgen. Osama Bin Laden hat dies aber
wegen Problemen bei der Koordination verworfen.
Seit Juli 2004 zeigen die Seestreitkräfte Indonesiens,
Malaysias und Singapurs verstärkt Präsenz in der
Straße von Malakka. Unter dem Codenamen MALSINDO koordinieren
sie die Patrouillen ihrer 17 Schiffe, die aber auf das jeweilige
Hoheitsgebiet be-schränkt sind und den Tätern eine
leichte Flucht über Seegrenzen hinweg erlauben. Während
Singapur darin wirklich einen Beitrag sieht, die Piraterie und den
Terrorismus zu bekämpfen, ist MALSINDO für die
musli-mischen Staaten Indonesien und Malaysia vor allem eine
Abwehrreaktion gegen die USA. Die hatten nämlich Anfang 2004
davon gesprochen, mit eigenen Schiffen für Sicherheit zu
sorgen.
MALSINDO zeigt bedingte Erfolge. Im Patrouillengebiet gingen die
Überfälle zurück - und verlagerten sich in den
Norden der Straße von Malakka. Daneben ist die internationale
Gemeinschaft als Ganzes zum Handeln aufgefordert. Ladung,
Schiffsregistrierung und Besatzung müssten gleiche
Sicherheitsstandards schaffen wie im Luftverkehr. Die Proliferation
muss bekämpft werden. Piraten und Terroristen müssen auch
an Land verfolgt werden.
Das 21. Jahrhundert wird ein asiatisch-pazifisches Jahrhundert
sein. Asien ist die dynamischste Wachs-tumsregion der Welt mit dem
größten Bevölkerungsanteil. Ihr weiterer Aufstieg
hängt aber von einem ungestörten Welthandel ab.
Verstärkte Angriffe von Piraten und erfolgreiche
Terrorangriffe könnten ihm empfindlichen Schaden zufügen
und die gesamte Staatengemeinschaft treffen.
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