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Hartmut Hausmann
Runder Tisch mit neuen Vorzeichen
Tschetschenien-Gespräche beim
Europarat
Nach dem Tod Aslan Maschadows ist eine Lösung des
Tschetschenien-Konflikts ungewisser denn je. Mitte Januar hatten
russische Medien noch von einer kurz bevorstehenden Einigung
über eine weitreichende finanzielle, wirtschaftliche und
politische Selbständigkeit der Kaukasusrepublik innerhalb der
russischen Föderation berichtet. Diese positiven Signale
wurden durch eine einseitig von Maschadow verkündigte
Waffenruhe der tschetschenischen Widerstandskämpfer
ergänzt. Doch Ende Januar waren die Verhandlungen bereits
gescheitert, offenbar weil für die russische Seite die
Perspektive auf ein Alleinverfügungsrecht der Tschetschenen
über die reichen Erdölvorkommen unannehmbar schien.
Als einzige internationale Organisation hat der Europarat im
vergangenen Jahrzehnt durch Vermittlungsversuche, aber auch durch
ständige Debatten die Öffentlichkeit immer wieder auf den
Konflikt aufmerksam gemacht. Dabei ging die Parlamentarische
Versammlung 2000 immerhin bis an die Grenzen des ihr zur
Verfügung stehenden "Waffenarsenals": sie entzog den 18
russischen Abgeordneten für mehrere Monate das Stimmrecht.
Kein Ausschluss Russlands
Zugleich forderte sie die Außenminister der
Europaratsstaaten auf, ein Ausschlussverfahren gegen Russland
einzuleiten, wenn Moskau mit der Achtung der Menschenrechte in
Tschetschenien nicht endlich erst mache. Soweit mochte die
Ministerrunde aber nicht gehen, zumal Moskau der Forderung des
Europarats entgegenkam, der Entsendung von Straßburger
Menschenrechtsexperten nach Tschetschenien zuzustimmen. Zusammen
mit Menschenrechtsorganisationen sollten sie dort einzelnen
Verbrechen nachgehen. Vor russischen Gerichten verliefen die
Anklagen zwar meist im Sande, doch ergingen erst kürzlich die
ersten Urteile vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof. Zwar
wurde Moskau zu Wiedergutmachungszahlungen aufgefordert, am
Konflikt änderte dies jedoch nichs.
Am 21. März wird in Straßburg vom Europarat ein
"Runder Tisch" zu Tschetschenien eröffnet, der nach dem Tod
Maschadows unter neuen Vorzeichen steht. Unter dem Vorsitz des
Tschetschenien-Berichterstatters Andreas Gross aus der Schweiz und
seinem Stellvertreter, dem russischen Delegationsleiter beim
Europarat, Konstantin Kosachev, werden 60 Teilnehmer erwartet. Ein
Drittel setzt sich aus Parlamentariern der 46 Mitgliedstaaten des
Europarats zusammen. Ein weiteres Drittel kommt von Seiten der
tschetschenischen Behörden, darunter der amtierende
Präsident Alu Alchanow und der russische
Menschenrechtskommissar Wladimir Lukin. Die anderen Tschetschenen
am Verhandlungstisch stehen zwar der Opposition nahe, haben jedoch
nach eigenen Worten "mit Terror nichts am Hut". Zudem sind sie
bereit, die Integrität der Landesgrenzen der Russischen
Föderation anzuerkennen. Nicht am Tisch sitzen jene
Widerstandskämpfer, die eine Loslösung Tschetscheniens
fordern und zu terroristischen Mitteln greifen. Für sie, darin
sind sich die beiden Moderatoren des Dialogs einig, seien allein
die Gerichte zuständig.
Gross legt Wert darauf, dass zu den Teilnehmern nicht nur
Vertreter von Menschenrechtsorganisationen, sondern auch von
Universitäten und Medien zählen. Und Oppositionelle, die
verstanden haben, dass man mit Waffen nicht weiter komme. Gerade
Maschadow habe, so Gross, auch diejenigen repräsentiert, die
sich für eine politische Verständigungslösung
ausgesprochen hätten.
In Straßburg herrscht Genugtuung darüber, den Dialog
zwischen den Kontrahenten trotz aller Widerstände auf den Weg
gebracht zu haben. Der Delegationsleiter der deutschen Abgeordneten
in Straßburg, Rudolf Bindig, warnt jedoch vor zu hohen
Erwartungen. Natürlich könne ein Runder Tisch nicht an
einem Tag eine Lösung bringen, so Bindig, aber er könne
einen neuen Dialog eröffnen und vielleicht auch Blockaden
lösen. Der Bundestagsabgeordnete gibt jedoch zu bedenken, dass
der Runde Tisch auch der russischen Strategie entgegenkomme, immer
neue Diskussionsrunden oder Institutionen ins Leben zu rufen, um so
öffentliche Kritik abzumildern und Zeit zu gewinnen. Das
Fehlen des Verhandlungspartners Maschadow könne sich
schmerzlich bemerkbar machen. Denn, ob dessen Autorität bei
der Umsetzung von Gesprächsergebnissen auch von einem
Nachfolger zu erreichen sei, müsse abgewartet werden.
Sein Kollege Gross sieht in der Bereitschaft der russischen
Seite zu Verhandlungen ein positives Zeichen. Wenn mit der
russischen Seite über Autonomie gesprochen werde, dürfe
nicht mehr von Modellen im alten sowjetischen Sinne die Rede sein,
sondern von Autonomie in einem demokratischen Kontext, wie sie in
Südtirol, auf den Färöerinseln oder in Grönland
praktiziert werde.
Ein Autonomie-Arrangement kann nach Meinung des
Europarats-Mitglieds immer nur als eine Vereinbarung auf Zeit
geschlossen werde. Auf die Realität in Tschetschenien
übertragen, heißt das laut Gross, dass eine solche
Lösung ein erster Schritt sei. Wenn sie funktioniere, dann
könne vielleicht in zehn oder zwölf Jahren nach einem
noch besseren Modell gesucht werden. Dieses Verständnis sei
aber offenbar von einigen Organisationen noch nicht verinnerlicht
worden, im Gegensatz zu Aslan Maschadow, der kurz vor seiner
Ermordung zu dieser Überzeugung gekommen sei, wie Gross aus
"absolut sicheren Quelle" wissen will. Deshalb bestehe auch bei
oppositionellen Tschetschenen eine politische Unterstützung
für den neuen Versuch des runden Tisches.
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