10.1.3 Inhaltliche
Orientierung und normative Kriterien für Global Governance
Dies leitet zu einer weiteren wichtigen
Ausgangsfrage für die Diskussion einer
Global Governance über, der Frage nach den inhaltlichen
und normativen Zielen eines solchen Unterfangens. Schließlich
geht es nicht um irgendeine
Global Governance. Vielmehr ist Global Governance als globale
Struktur- und Ordnungspolitik ein Mittel zum Zweck: Das Konzept
dient der Umsetzung politisch im Einzelnen noch zu bestimmender
Inhalte und Ziele. Welche grundlegenden Vorstellungen und Kriterien
von Demokratie und Partizipation, von sozialer Gerechtigkeit und
nachhaltiger Entwicklung oder von internationaler Politik und
wirtschaftlichem Wachstum liegen
Global Governance zugrunde? Welche Auffassungen von
Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten oder Geschlechterdemokratie10 stellen die inhaltliche
Orientierung einer „Good
Global Governance“ dar?
Deutschland besitzt eine politische Tradition
der sozialen Marktwirtschaft. Während des letzten Jahrzehnts
ist eine beschleunigte Globalisierung der Märkte zu
beobachten. Diese Globalisierung war auch deshalb möglich,
weil eine Vielzahl von Staaten, einschließlich Deutschlands,
sich politisch darauf verständigt hat, dem Konzept des
internationalen Wettbewerbs und des offenen Weltmarktes zu folgen.
Weil diese Entwicklung aber nicht zum Vorteil aller verlaufen ist,
muss es zukünftig verstärkt um die Beseitigung der
Defizite gehen, d.h. um eine andere Gestaltung nationaler wie
internationaler Politik. Vor diesem Hintergrund kann
Global Governance in einem umfassenden Sinne als politisches
Projekt verstanden werden, um negative wirtschafts-, sozial- und
umweltpolitische Tendenzen der internationalen Märkte
beseitigen zu helfen. Wie im Prozess der Entwicklung einer sozialen
Marktwirtschaft gilt es auch auf globaler Ebene, die
Fehlentwicklungen bei der inhaltlich-programmatischen Ausrichtung
des bisherigen globalen Regierens zu korrigieren. Andernfalls
könnten sich die bereits eingetretenen Akzeptanzprobleme
intergouvernementalen Regierens weiter verschärfen.
Dafür müssen in einem breiten
gesellschaftlichen Aushandlungsprozess richtungsweisende Normen
entwickelt werden. Im Rahmen einer freiheitlichen Struktur- und
Ordnungspolitik müssen dabei wirtschaftspolitische, soziale
und ökologische Leitlinien für die globale Weltwirtschaft
gelten, deren Inhalte allerdings nicht „von oben“
vorgegeben, sondern unter Einbezug zivilgesellschaftlicher und
privater Akteure erst noch zu bestimmen sind. In allgemeiner Form
gilt, dass Globalisierung nicht zum Aufbau von Machtpositionen
führen darf, die den Wettbewerb verhindern oder einseitig zu
steuern in der Lage sind. Ebenso müssen Ausgleichsmechanismen
für die Verlierer der Globalisierung geschaffen bzw. neu
justiert werden. Armut und soziale Ungerechtigkeit müssen
weltweit bekämpft sowie die angesprochenen negativen
„externen“ Kosten und negativen Effekte
wirtschaftlichen Handelns auf soziale wie ökologische
Gefüge beseitigt werden.11 Es geht also um eine sozial und
ökologisch nachhaltige Bewahrung, den Schutz und die
Bewirtschaftung globaler öffentlicher Güter. Oberstes
Ziel dabei ist es, dass die Globalisierung und die damit
verbundenen Aktivitäten nationaler Regierungen,
internationaler Instanzen wie wirtschaftlicher Akteure potenziell
für alle Menschen Nutzen bringen sollen.
Als wichtige Orientierung für die
inhaltliche Ausgestaltung einer
Global Governance empfiehlt sich das im vorherigen Kapitel
(8)diskutierte Konzept der Nachhaltigkeit, dessen Leitidee einer
Berücksichtigung von sozialen und ökologischen wie von
wirtschaftlichen Belangen zumindest einen ersten Anhaltspunkt
dafür gibt, welcher Weg eingeschlagen werden soll. Darunter
fallen so unterschiedliche Aspekte wie globaler Umweltschutz,
Konfliktprävention, die Verwirklichung von Menschenrechten,
Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit bis hin zur Bewahrung
und Weiterentwicklung sozialer Standards (vgl. Kapitel 3.6).Der Vorzug des Nachhaltigkeitskonzepts
liegt auch in seiner Eignung als programmatischer Leitfaden
dafür, dass verschiedenste zivilgesellschaftliche Anliegen und
Mitspracheansprüche systematisch berücksichtigt werden
müssen. Bürgerbeteiligung, die auch auf globaler Ebene
verwirklicht werden müsste, wird demnach sowohl ein
demokratischer Eigenwert als auch ein un erlässlicher
Beitrag zur Verbesserung der Qualität der Politikformulierung
und Politikergebnisse zugesprochen.
Eine Nachhaltigkeitsstrategie, so wird hier
bereits deutlich, kann sich nicht nur an Indikatoren orientieren,
auch eine allgemeingültige „Blaupause“ für
nachhaltige Entwicklung kann es nicht geben (vgl. OECD – DAC
2001). Zu berücksichtigen ist, dass die Gefahr besteht, dass
das gut gemeinte Konzept der Nachhaltigkeit, wie es im
Brundtland-Bericht entwickelt wurde (Hauff 1987), verwässert
bzw. spezifischen partikularen Interessen untergeordnet wird.
Für die Umsetzung des Nachhaltigkeitsgedankens wäre ein
tiefgreifender Strukturwandel in allen Bereichen des
wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens nötig, der
aber nicht nur Gewinner hervorbringt und deshalb gegen
Einzel-Interessen durchgesetzt werden muss.
Eine nachhaltige Entwicklung erfordert zudem
die ständige Verbesserung von Kohärenz und
Komplementarität zwischen unterschiedlichen Sektorpolitiken.
Wie schwierig dies in der Umsetzung ist, zeigt etwa die Konkurrenz
zwischen umwelt- und wirtschaftspolitischen Zielen, die sich kaum
problemlos aufeinander abstimmen lassen. Das gilt etwa für den
Klimaschutz, der den Ausbau regenerativer Energien und die
Verringerung des Verbrauchs an fossilen Energieträgern wie
Kohle, Gas und Erdöl erfordern würde. Auch der Abbau
ökologisch kontraproduktiver Subventionen aus den Bereichen
Energie, Verkehr, Flächenverbrauch und Landwirtschaft steht im
Spannungsverhältnis zu wirtschaftlichem Wachstum und
nationaler Wettbewerbsfähigkeit. Soziale Nachhaltigkeit auf
Grund einer globalen Verantwortung und im Sinne sozialer
Gerechtigkeit würde schließlich nicht nur die erhebliche
und dauerhafte Aufstockung des Etats für die
Entwicklungszusammenarbeit erfordern. Hier steht der Verwirklichung
sektorübergreifender Kohärenz nicht selten eine rigide
nationale Finanzplanung entgegen.12
Global Governance soll auch grundsätzlich neue Chancen
für eine globale Politik der Geschlechtergerechtigkeit
eröffnen (vgl.
Kapitel 6)– auch wenn diesbezüglich
eine „Ambivalenz von Governance-Strukturen“
(Holland-Cunz und Ruppert 2000) besteht. „Gender
mainstreaming“ und Geschlechterdemokratie sind keine
widerspruchsfreien Konzepte, die es schlicht zu realisieren gilt.
In erster Linie geht es darum, überhaupt das
„konzeptionelle Schweigen“ im Hinblick auf
Geschlechterverhältnisse und Globalisierungsfragen zu
überwinden (Bakker 1994). Dann sind die schwierigen Dynamiken
dieses Zusammenhangs zu benennen. So wirkt sich die Globalisierung
auf eine Angestellte im Bankensektor anders aus als auf
Migrantinnen aus Polen oder von den Philippinen. Gut verdienende
Angestellte in den Industrieländern haben mit den
Arbeiterinnen des informellen Sektors und den dortigen
prekären Arbeitsverhältnissen wenig gemein, obgleich sie
vielleicht für den gleichen Transnationalen Konzern arbeiten.
Für erstere erweitert sich der individuelle
Entscheidungsrahmen für Lebensmodelle, Berufswege und für
die politische Partizipation. Für letztere wird er nicht
selten eingeschränkt (Ruppert 2002).
Globalisierungsprozesse könnten durchaus
hilfreich sein, um solche Widersprüchlichkeiten
aufzulösen, etwa in dem sie die globale Verbreitung und
Anerkennung von sozialen und ökologischen Standards mit Blick
auf effiziente und demokratische öffentliche Verwaltung, von
Werten wie Freiheit und Wille zu individueller Verantwortung sowie
von wirtschaftlichem Wettbewerb befördern. Hinsichtlich
solcher normativen Fragen macht sich aber die fehlende Vision einer
Weltethik, zumindest im Sinne eines Minimalkataloges weltweit
geteilter grundsätzlicher Werte, negativ bemerkbar. Im
Austausch der Weltreligionen untereinander wurden hierzu jedoch
erste Ansätze erarbeitet (vgl. Küng 1990, Kuschel u.a.
1999 sowie Höffe 1999 und COMECE 2001). Bemerkenswert ist auch
die Initiative von UN-Generalsekretär Kofi Annan, der eine
Arbeitsgruppe weltweit wichtiger Persönlichkeiten (darunter
Richard von Weizsäcker und Hans Küng) ins Leben gerufen
hat, um aus den universal geteilten Werthaltungen die Grundlage
eines zukünftigen Dialogs der Kulturen heraus zu destillieren
und die künftige Rolle der Vereinten Nationen darin zu
beschreiben.13
Global Governance dient nicht der Umsetzung von weltweit
bereits klar definierten Zielen, sondern ist ein Prozess, in dem
teilweise auch die wertorientierten Ziele erst noch politisch
ausgehandelt werden müssen.
Dafür ist neben den staatlichen Aktivitäten eine aktive
und transparente Beteiligung der Zivilgesellschaft und der
Privatwirtschaft auf allen Ebenen der politischen
Entscheidungsfindung unerlässlich.
Empfehlung 10-1
Soziale, ökologische und wirt schaftliche
Nachhaltig keit als Ziel von
Global Governance
Das wichtigste programmatische Ziel
einer
Global Governance-Politik ist es, der sozialen,
ökologischen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit eine konkrete
Gestalt zu geben und die globalisierten Märkte an diese
Leitidee zu binden. Die Leitlinien zur Umsetzung dieses Zieles und
ein entsprechender Regelungsrahmen können nicht von oben
verordnet werden, sondern sollten in einem breiten
öffentlichen Diskussionsprozess festgelegt werden, in dem auch
bisherige Fehlentwicklungen und Möglichkeiten ihrer Korrektur
thematisiert werden. Die Bundesregierung sollte sich dafür
einsetzen, dass national, in der EU wie international einer solchen
Vorgehensweise entsprochen wird, indem die
Global Governance-Ansätze, wie sie von der
Enquete-Kommission entwickelt wurden, angewendet und gestärkt
werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, sind v.a.
folgende Bausteine einer
Global Governance wichtig: die o.g. Entwicklung neuer und
– wo nötig – die Korrektur verfehlter inhaltlicher
Orientierungen globaler Politik, im Kontext des Ausbaus
zwischenstaatlicher Kooperation (vgl. Kapitel10.2) und des
Zusammenwirkens von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren von
der lokalen bis zur globalen Ebene (vgl. Kapitel 10.3).Vor dem Hintergrund der Tatsache,
dass es sich bei Global Governance in einem sehr fundamentalen
Sinne um „Work in Progress“ handelt, wäre es
vermessen, im Folgenden Empfehlungen für die Realisierung
eines starren und statischen Institutionengefüges geben zu
wollen. Es gibt für
Global Governance keinen Organisationsplan. Mit Hilfe des
Konzeptes
Global Governance hat die Enquete-Kommission aber prinzipielle
Überlegungen und Kriterien zu den Inhalten, Formen und
Prozessen des „guten Regierens“ auf nationaler und
internationaler Ebene entwickelt oder umrissen.
10 Das Konzept der globalen Geschlechterdemokratie (Lenz
2001) verweist auf die Notwendigkeit, Partizipation und
Gleichstellung von Frauen und Männern sowie von
marginalisierten Gruppen mit der globalen Entwicklung zur
Demokratie zusammen zu denken und zu führen.
11 U. a. benennt etwa der UNDP-Bericht 2000
entsprechende Ziele und Prioritäten für internationale
Aktivitäten.
12 Vgl. hierzu auch die Stellungnahme des Rates für
Nachhaltige Entwicklung zur Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der
Bundesregierung vom 18.2.2002 (http://www.nachhaltigkeitsrat.de 10.
Mai 2002).
13 Vgl. den Bericht „Brücken in die Zukunft.
Ein Manifest für den Dialog der Kulturen“ (Stiftung
Entwicklung und Frieden 2001a, siehe auch
http://diplomacy.shu.edu/dialogue 10. Mai 2002).
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