*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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10.1.3     Inhaltliche Orientierung und normative Kriterien für Global Governance

Dies leitet zu einer weiteren wichtigen Ausgangsfrage für die Diskussion einer Global Governance über, der Frage nach den inhaltlichen und normativen Zielen eines solchen Unterfangens. Schließlich geht es nicht um irgendeine Global Governance. Vielmehr ist Global Governance als globale Struktur- und Ordnungspolitik ein Mittel zum Zweck: Das Konzept dient der Umsetzung politisch im Einzelnen noch zu bestimmender Inhalte und Ziele. Welche grundlegenden Vorstellungen und Kriterien von Demokratie und Partizipation, von sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger Entwicklung oder von internationaler Politik und wirtschaftlichem Wachstum liegen Global Governance zugrunde? Welche Auffassungen von Rechtsstaatlichkeit,    Menschenrechten oder Geschlechterdemokratie10 stellen die inhaltliche Orientierung einer „Good Global Governance“ dar?

Deutschland besitzt eine politische Tradition der sozialen Marktwirtschaft. Während des letzten Jahrzehnts ist eine beschleunigte Globalisierung der Märkte zu beobachten. Diese Globalisierung war auch deshalb möglich, weil eine Vielzahl von Staaten, einschließlich Deutschlands, sich politisch darauf verständigt hat, dem Konzept des internationalen Wettbewerbs und des offenen Weltmarktes zu folgen. Weil diese Entwicklung aber nicht zum Vorteil aller verlaufen ist, muss es zukünftig verstärkt um die Beseitigung der Defizite gehen, d.h. um eine andere Gestaltung nationaler wie internationaler Politik. Vor diesem Hintergrund kann Global Governance in einem umfassenden Sinne als politisches Projekt verstanden werden, um negative wirtschafts-, sozial- und umweltpolitische Tendenzen der internationalen Märkte beseitigen zu helfen. Wie im Prozess der Entwicklung einer sozialen Marktwirtschaft gilt es auch auf globaler Ebene, die Fehlentwicklungen bei der inhaltlich-programmatischen Ausrichtung des bisherigen globalen Regierens zu korrigieren. Andernfalls könnten sich die bereits eingetretenen Akzeptanzprobleme intergouvernementalen Regierens weiter verschärfen.

Dafür müssen in einem breiten gesellschaftlichen Aushandlungsprozess richtungsweisende Normen entwickelt werden. Im Rahmen einer freiheitlichen Struktur- und Ordnungspolitik müssen dabei wirtschaftspolitische, soziale und ökologische Leitlinien für die globale Weltwirtschaft gelten, deren Inhalte allerdings nicht „von oben“ vorgegeben, sondern unter Einbezug zivilgesellschaftlicher und privater Akteure erst noch zu bestimmen sind. In allgemeiner Form gilt, dass Globalisierung nicht zum Aufbau von Machtpositionen führen darf, die den Wettbewerb verhindern oder einseitig zu steuern in der Lage sind. Ebenso müssen Ausgleichsmechanismen für die Verlierer der Globalisierung geschaffen bzw. neu justiert werden. Armut und soziale Ungerechtigkeit müssen weltweit bekämpft sowie die angesprochenen negativen „externen“ Kosten und negativen Effekte wirtschaftlichen Handelns auf soziale wie ökologische Gefüge beseitigt werden.11 Es geht also um eine sozial und ökologisch nachhaltige Bewahrung, den Schutz und die Bewirtschaftung globaler öffentlicher Güter. Oberstes Ziel dabei ist es, dass die Globalisierung und die damit verbundenen Aktivitäten nationaler Regierungen, internationaler Instanzen wie wirtschaftlicher Akteure potenziell für alle Menschen Nutzen bringen sollen.

Als wichtige Orientierung für die inhaltliche Ausgestaltung einer Global Governance empfiehlt sich das im vorherigen Kapitel (8)diskutierte Konzept der Nachhaltigkeit, dessen Leitidee einer Berücksichtigung von sozialen und ökologischen wie von wirtschaftlichen Belangen zumindest einen ersten Anhaltspunkt dafür gibt, welcher Weg eingeschlagen werden soll. Darunter fallen so unterschiedliche Aspekte wie globaler Umweltschutz, Konfliktprävention, die Verwirklichung von Menschenrechten, Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit bis hin zur Bewahrung und Weiterentwicklung sozialer Standards (vgl. Kapitel 3.6).Der Vorzug des Nachhaltigkeitskonzepts liegt auch in seiner Eignung als programmatischer Leitfaden dafür, dass verschiedenste zivilgesellschaftliche Anliegen und Mitspracheansprüche systematisch berücksichtigt werden müssen. Bürgerbeteiligung, die auch auf globaler Ebene verwirklicht werden müsste, wird demnach sowohl ein demokratischer Eigenwert als auch ein un­ erlässlicher Beitrag zur Verbesserung der Qualität der Politikformulierung und Politikergebnisse zugesprochen.

Eine Nachhaltigkeitsstrategie, so wird hier bereits deutlich, kann sich nicht nur an Indikatoren orientieren, auch eine allgemeingültige „Blaupause“ für nachhaltige Entwicklung kann es nicht geben (vgl. OECD – DAC 2001). Zu berücksichtigen ist, dass die Gefahr besteht, dass das gut gemeinte Konzept der Nachhaltigkeit, wie es im Brundtland-Bericht entwickelt wurde (Hauff 1987), verwässert bzw. spezifischen partikularen Interessen untergeordnet wird. Für die Umsetzung des Nachhaltigkeitsgedankens wäre ein tiefgreifender Strukturwandel in allen Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens nötig, der aber nicht nur Gewinner hervorbringt und deshalb gegen Einzel-Interessen durchgesetzt werden muss.

Eine nachhaltige Entwicklung erfordert zudem die ständige Verbesserung von Kohärenz und Komplementarität zwischen unterschiedlichen Sektorpolitiken. Wie schwierig dies in der Umsetzung ist, zeigt etwa die Konkurrenz zwischen umwelt- und wirtschaftspolitischen Zielen, die sich kaum problemlos aufeinander abstimmen lassen. Das gilt etwa für den Klimaschutz, der den Ausbau regenerativer Energien und die Verringerung des Verbrauchs an fossilen Energieträgern wie Kohle, Gas und Erdöl erfordern würde. Auch der Abbau ökologisch kontraproduktiver Subventionen aus den Bereichen Energie, Verkehr, Flächenverbrauch und Landwirtschaft steht im Spannungsverhältnis zu wirtschaftlichem Wachstum und nationaler Wettbewerbsfähigkeit. Soziale Nachhaltigkeit auf Grund einer globalen Verantwortung und im Sinne sozialer Gerechtigkeit würde schließlich nicht nur die erhebliche und dauerhafte Aufstockung des Etats für die Entwicklungszusammenarbeit erfordern. Hier steht der Verwirklichung sektorübergreifender Kohärenz nicht selten eine rigide nationale Finanzplanung entgegen.12

Global Governance soll auch grundsätzlich neue Chancen für eine globale Politik der Geschlechtergerechtigkeit    eröffnen (vgl. Kapitel 6)– auch wenn diesbezüglich eine „Ambivalenz von Governance-Strukturen“ (Holland-Cunz und Ruppert 2000) besteht. „Gender mainstreaming“ und Geschlechterdemokratie sind keine widerspruchsfreien Konzepte, die es schlicht zu realisieren gilt. In erster Linie geht es darum, überhaupt das „konzeptionelle Schweigen“ im Hinblick auf Geschlechterverhältnisse und Globalisierungsfragen zu überwinden (Bakker 1994). Dann sind die schwierigen Dynamiken dieses Zusammenhangs zu benennen. So wirkt sich die Globalisierung auf eine Angestellte im Bankensektor anders aus als auf Migrantinnen aus Polen oder von den Philippinen. Gut verdienende Angestellte in den Industrieländern haben mit den Arbeiterinnen des informellen Sektors und den dortigen prekären Arbeitsverhältnissen wenig gemein, obgleich sie vielleicht für den gleichen Transnationalen Konzern arbeiten. Für erstere erweitert sich der individuelle Entscheidungsrahmen für Lebensmodelle, Berufswege und für die politische Partizipation. Für letztere wird er nicht selten eingeschränkt (Ruppert 2002).

Globalisierungsprozesse könnten durchaus hilfreich sein, um solche Widersprüchlichkeiten aufzulösen, etwa in dem sie die globale Verbreitung und Anerkennung von sozialen und ökologischen Standards mit Blick auf effiziente und demokratische öffentliche Verwaltung, von Werten wie Freiheit und Wille zu individueller Verantwortung sowie von wirtschaftlichem Wettbewerb befördern. Hinsichtlich solcher normativen Fragen macht sich aber die fehlende Vision einer Weltethik, zumindest im Sinne eines Minimalkataloges weltweit geteilter grundsätzlicher Werte, negativ bemerkbar. Im Austausch der Weltreligionen untereinander wurden hierzu jedoch erste Ansätze erarbeitet (vgl. Küng 1990, Kuschel u.a. 1999 sowie Höffe 1999 und COMECE 2001). Bemerkenswert ist auch die Initiative von UN-Generalsekretär Kofi Annan, der eine Arbeitsgruppe weltweit wichtiger Persönlichkeiten (darunter Richard von Weizsäcker und Hans Küng) ins Leben gerufen hat, um aus den universal geteilten Werthaltungen die Grundlage eines zukünftigen Dialogs der Kulturen heraus zu destillieren und die künftige Rolle der Vereinten Nationen darin zu beschreiben.13 Global Governance dient nicht der Umsetzung von weltweit bereits klar definierten Zielen, sondern ist ein Prozess, in dem teilweise auch die wertorientierten Ziele erst noch politisch ausgehandelt werden müssen. Dafür ist neben den staatlichen Aktivitäten eine aktive und transparente Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Privatwirtschaft auf allen Ebenen der politischen Entscheidungsfindung unerlässlich.

Empfehlung 10-1       Soziale, ökologische und wirt­ schaftliche Nachhaltig­ keit als Ziel von Global Governance

Das wichtigste programmatische Ziel einer Global Governance-Politik ist es, der sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit eine konkrete Gestalt zu geben und die globalisierten Märkte an diese Leitidee zu binden. Die Leitlinien zur Umsetzung dieses Zieles und ein entsprechender Regelungsrahmen können nicht von oben verordnet werden, sondern sollten in einem breiten öffentlichen Diskussionsprozess festgelegt werden, in dem auch bisherige Fehlentwicklungen und Möglichkeiten ihrer Korrektur thematisiert werden. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass national, in der EU wie international einer solchen Vorgehensweise entsprochen wird, indem die Global Governance-Ansätze, wie sie von der Enquete-Kommission entwickelt wurden, angewendet und gestärkt werden.

Um dieses Ziel zu erreichen, sind v.a. folgende Bausteine einer Global Governance wichtig: die o.g. Entwicklung neuer und – wo nötig – die Korrektur verfehlter inhaltlicher Orientierungen globaler Politik, im Kontext des Ausbaus zwischenstaatlicher Kooperation (vgl. Kapitel10.2) und des Zusammenwirkens von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren von der lokalen bis zur globalen Ebene (vgl. Kapitel 10.3).Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es sich bei Global Governance in einem sehr fundamentalen Sinne um „Work in Progress“ handelt, wäre es vermessen, im Folgenden Empfehlungen für die Realisierung eines starren und statischen Institutionengefüges geben zu wollen. Es gibt für Global Governance keinen Organisationsplan. Mit Hilfe des Konzeptes Global Governance hat die Enquete-Kommission aber prinzipielle Überlegungen und Kriterien zu den Inhalten, Formen und Prozessen des „guten Regierens“ auf nationaler und internationaler Ebene entwickelt oder umrissen.



10 Das Konzept der globalen Geschlechterdemokratie (Lenz 2001) verweist auf die Notwendigkeit, Partizipation und Gleichstellung von Frauen und Männern sowie von marginalisierten Gruppen mit der globalen Entwicklung zur Demokratie zusammen zu denken und zu führen.

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11 U. a. benennt etwa der UNDP-Bericht 2000 entsprechende Ziele und Prioritäten für internationale Aktivitäten.

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12 Vgl. hierzu auch die Stellungnahme des Rates für Nachhaltige Entwicklung zur Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung vom 18.2.2002 (http://www.nachhaltigkeitsrat.de 10. Mai 2002).

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13 Vgl. den Bericht „Brücken in die Zukunft. Ein Manifest für den Dialog der Kulturen“ (Stiftung Entwicklung und Frieden 2001a, siehe auch http://diplomacy.shu.edu/dialogue 10. Mai 2002).

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