11.1.4 Globalisierung führt zu mehr
Wohlstand
Empirische
Untersuchungen und Beobachtungen aus den letzten Jahrzehnten
zeigen: Die Globalisierung führt zu Wachstum und damit zu mehr
Wohlstand in solchen Ländern, die sich bewusst dem
internationalen Wettbewerb stellen und ihre eigenen Grenzen
öffnen (s. Abbildungen 11-1 und 11-2). Diese Länder haben
neben durchweg höheren Wachstumsraten auch höhere
Einkommen und mehr Arbeitsplätze, geringere Armut und
Ungleichheiten in der Einkommens- und Vermögensverteilung, ja
sogar eine bessere Umweltqualität als Länder, die sich
dem Geschehen auf den Weltmärkten entziehen.
Dies wird im
Vergleich der Entwicklungen mancher la teinamerikanischer
Länder mit den meisten Südostasiens offensichtlich.
Während Länder Lateinamerikas die entwicklungspolitische
Strategie der Importsubstitution befolgten – Importe sollten
durch den Aufbau eigener Indus trien „gespart“
werden – öffneten sich südostasiatische Länder
und verfolgten eine exportorientierte Strategie. Binnen einer
Generation konnten sich viele südostasiatische Länder von
Entwicklungsländern zu Schwellenländern entwickeln. Viele
der dortigen Branchen und Unternehmen zählen heute zu den
Führern auf den jeweiligen Weltmärkten. Und was oft
übersehen wird: Auch Deutschland und Europa verdanken
u.a. dieser Strategie ihr „Wirtschaftswunder“ nach dem
Krieg.
Wie
entsteht dieses Wohlstandspotenzial?
Werden die
Grenzen durchlässig, können Unternehmen natürliche,
wirtschaftliche und politisch bedingte Standortvorteile besser
nutzen und ihre Geschäfte dort tätigen, wo ihnen dies am
günstigsten erscheint (Standortwettbewerb). Dies gilt für
den Absatz, aber auch für Forschung und Entwicklung sowie die
Produktion. Die Unternehmen werden in die Lage versetzt,
Technologien anzuwenden, die sonst nicht vorhanden wären bzw.
erst hätten entwickelt werden müssen. Eine
Vergrößerung der Märkte ermöglicht ihnen
Größen- (economies of scale) und Verbundeffekte
(economies of scope) zu nutzen. Die Kosten der Beschaffung
und Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen sinken, da
die Fixkosten auf größere Stückzahlen umgelegt
werden können. Die Gewinne aus der verbesserten Effizienz
stehen für weitere Investitionen zur Verfügung oder
werden in Form niedrigerer Preise an die Verbraucher und als
Dividenden an die Aktionäre weitergegeben.
Globalisierung bedeutet mehr Wettbewerb
Die
ökonomische Globalisierung findet im Wesentlichen auf zwei
Ebenen statt: auf der Ebene der Märkte und auf
Unternehmensebene. Beide Prozesse verlaufen zunächst parallel
und führen zu größeren Räumen, in denen die
Marktteilnehmer, aber auch Arbeitnehmer, Verbraucher, die
Wissenschaft und die Politik agieren. Die Anzahl der Akteure in den
einzelnen Märkten erhöht sich sowohl auf Seite der
Anbieter als auch auf Seite der Nachfrager. Mehr Nachfrager fordern
mehr Anbieter heraus. Bei offenen Grenzen stehen sie im Wettbewerb
zueinander. Dies vergrößert die Wahlmöglichkeiten
und Handlungsspielräume für beide, erhöht aber auch
die Komplexität der Entscheidungen. Die Globalisierung, d.h.
die Öffnung der Grenzen für Handel, Investitionen,
Kapital sowie für die Menschen, führt also zunächst
– solange sich die Marktstrukturen durch
Unternehmenskonzentration nicht wieder verengen – zu mehr
Wettbewerb.
Wir begrüßen den Wettbewerb
nachdrücklich. Wir stellen uns damit auch bewusst gegen weite
Teile des Mehrheitsberichts, den an vielen Stellen eine diffuse
Furcht vor dem Wettbewerb kennzeichnet. Tendenzen zur Begrenzung
des Wettbewerbs auf den verschiedensten Gebieten ziehen sich wie
ein roter Faden durch den Mehrheitsbericht, etwa wenn es um die
Öffnung der Märkte in Industrieländern für
arbeitsintensive Produkte der Entwicklungsländer geht, bei der
Diskussion um die Öffnung der Dienstleistungsmärkte, bei
der Diskussion um Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge,
der „Harmonisierung“ von Steuern und Abgaben, etc.
Angesichts der enormen Bedeutung des
Wettbewerbs sehen wir eine der vornehmsten und wichtigsten Aufgaben
der politischen Gestaltung in der Wahrung seiner globalen
Funktionsfähigkeit. Eine der von uns eingebrachten und
für uns zentralen Handlungsempfehlungen dreht sich daher um
die Forderung nach einer internationalen Wettbewerbspolitik. Im
Zuge der Globalisierung wird mittel- und längerfris tig
das Risiko einer Vermachtung weltweiter Märkte durch
Unternehmenskonzentration eine der großen Herausforderungen
sein. Die Absicherung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs
vermag dem entgegenzusteuern, denn der Wettbewerb ist der
große „Entmachter“. Anstatt die Marktkräfte
einzuschränken, muss daher der Wettbewerb durch eine
grenzüberschreitend effektive Kartellaufsicht und
Fusionskontrolle gesichert werden.
Wettbewerb als globaler
Koordinationsmechanismus
Wir beobachten übrigens, dass die
Diskussion um Wettbewerb als globalen Koordinationsmechanismus in
der Enquete-Kommission ein Spiegelbild der innenpolitischen
Diskussion über das Thema Wettbewerb ist. Dies ist für
uns ein Zeichen dafür, dass die Globalisierungsdebatte in der
Regel nicht nur keine grundsätzlich neuen Fragen aufwirft,
sondern dass viele Themen, die bereits innerhalb Deutschlands
kontrovers diskutiert werden, nunmehr einfach
„globalisiert“ werden. Globalisierung wird also
häufig als Vorwand benutzt, um neue nationale und
internationale Regulierungen, meist mit dem Ziel einer
Beschränkung von Wettbewerb, zu rechtfertigen.
Dieser Logik folgend, begründen die
Mehrheitsfraktionen negative Entwicklungen der Weltwirtschaft
kausal mit der „Globalisierung“, ohne diese Bezüge
wirklich herstellen zu können. Hierzu gehören implizit
gemachte Vorwürfe, die Globalisierung gefährde
Arbeitsplätze in den Indus trieländern,
vergrößere die Armut im Süden und die Ungleichheit
zwischen Nord und Süd, zerstöre soziale Strukturen, die
Umwelt und destabilisiere durch Spekulation das weltweite
Finanzsystem. Wir werden im Folgenden darauf eingehen, dass viele
dieser in der Tat unguten Entwicklungen mit der Globalisierung im
engeren Sinne nichts zu tun haben.
Globalisierung belohnt
gute Politik
Die
disziplinierende Wirkung des Wettbewerbs gilt nicht nur für
den Privatsektor, sondern ebenfalls für die Politik. Das
weltweite Zusammenrücken der Menschen sorgt für mehr
Transparenz, nicht nur auf den Märkten, sondern auch in der
Politik. Eine Politik des gezielten Ausbaus liberaler
internationaler Rahmenbedingungen für Handel und Investitionen
trägt global nicht nur zu einer Erhöhung des
Lebensniveaus der Menschen und des Wohlstands bei. Sie erhöht
zugleich das Potenzial für mehr Demokratie und die
Menschenrechte. Politische und wirtschaftliche Freiheit hängen
eng zusammen.
Außerdem
bestrafen liberalisierte Märkte sowie die Mobilität
qualifizierter Arbeitskräfte und des Kapitals rasch und
unerbittlich eine schlechte Wirtschaftspolitik. Der durch die
Globalisierung bedingte Wettbewerb deckt so Stärken und
Schwächen einzelner Standorte nicht nur im ökonomischen,
sondern auch in sonstigen Lebensbereichen auf.
Dies gilt auch
für die sozialen Sicherungssysteme. Aber hier gilt ebenso: Die
Globalisierung und der Wettbewerb bedrohen unsere Sozialsysteme
nicht, wenn wir sie – rechtzeitig – den
veränderten Realitäten anpassen. Staatliche Sozialpolitik
muss finanzierbar bleiben und die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft – vor allem im
Interesse der Bürger – berücksichtigen. Nur ein
Mehr an privater Eigenverantwortlichkeit anstatt staatlicher
Rundum-Versorgung und Bevormundung kann das leisten, ein Prinzip,
das nicht nur in der Sozialpolitik sondern bei allen staatlichen
Aktivitäten wieder mehr zur Geltung gebracht werden muss.
Dieser Ansatz würde übrigens auch die Steuerdiskussion
entschärfen.
Wettbewerb ist
der beste Katalysator, um Kosten und Nutzen der öffentlichen
Leistungspalette besser als bisher in Übereinstimmung zu
bringen. So würde nicht nur der Verschwendung von
Steuergeldern und Abgaben vorgebeugt, die Bürger bekämen
auch mehr Leistung für ihr Geld.
Die
Globalisierung schafft insgesamt also starke Anreize für die
Regierungen, durch eine gute (Wirtschafts- und Sozial)Politik
für ihren Standort zu werben. Viele Politiker fühlen sich
durch die Globalisierung „gefangen“ und übersehen,
dass sie nach wie vor frei sind, die richtigen Weichenstellungen
für das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen ihres Landes
zu treffen. Dies ist sogar durch die Globalisierung immer wichtiger
geworden. Die Globalisierung macht die positiven und negativen
Folgen nationaler Weichenstellungen deutlicher als dies ohne den
globalen Wettbewerb der Politik wäre.
Globalisierung bietet Chancen für alle
– Globalisierung führt zu mehr
individueller Freiheit. Die Globalisierung bietet jedem die
Möglichkeit, seine individuellen Ziele und Wünsche besser
zu verwirklichen als das ohne die internationale Arbeitsteilung und
das Zusammenwachsen der Märkte der Fall wäre. Das geht
über den materiellen Wohlstand hinaus, Freiheit und
Entscheidungsvielfalt nehmen ebenso zu.
– Globalisierung schafft Wissen. Freier
Handel gibt den Menschen die Möglichkeit, von anderen zu
lernen. Durch den Austausch von Waren und Dienstleistungen,
insbesondere aber durch unternehmerische Auslandsaktivitäten
bei Direktinvestitionen, werden Wissen und Technologie in alle
Richtungen transferiert. Da Wissen und Bildung die Grundlage
schlechthin für eine weitere Entwicklung sind, kommt diesem
Globalisierungseffekt eine besondere Bedeutung für die
Wohlfahrtsentwicklung aller, insbesondere unterentwickelter,
Volkswirtschaften zu.
– Globalisierung schafft Arbeitsplätze
auch mit wachsender Qualität. Die Arbeitnehmer jener Branchen,
die an der Globalisierung teilnehmen, profitieren davon. Da die dem
Wettbewerb ausgesetzten Branchen produktiver arbeiten als
geschützte, erlauben die höheren Produktivitäten
auch entsprechend hohe Löhne – und dies zu in der Regel
auch sonst besseren Arbeitsbedingungen.
– Aber auch die Verbraucher profitieren von
der Globalisierung, und zwar gleich doppelt: Zum einen führen
die globalen Produktionsmöglichkeiten und der globale
Wettbewerb zu niedrigeren Preisen. Zum anderen ermöglicht
Handel überhaupt erst den Konsum von Gütern, die bei
geringer Öffnung nur in einem begrenzten Maße den
Konsumenten zur Verfügung stehen. Die Öffnung führt
also zu einer deutlich ausgeweiteten Produktvielfalt für die
Verbraucher.
Wie groß ist dieses
Globalisierungspotenzial in quantitativer Hinsicht?
Der Abbau von
Handelsschranken allein im Rahmen der Uruguay-Runde brachte der
Welt einen Wohlstandsgewinn von bis zu 680 Mrd. US-Dollar. Die
genannten Effekte haben das Potenzial, die jährliche globale
Wirtschaftsleis tung enorm zu steigern. Schon ein
33prozentiger Abbau bestehender Handelsbarrieren bei Güter-
und Dienst leistungsmärkten kann zu einer Steigerung der
jährlichen weltweiten Wirtschaftsleistung von 613 Mrd.
US-Dollar bzw. 680 Mrd. Euro führen
(Brown u.a. 2001).
Globalisierung
ist also kein „Nullsummenspiel“, in dem wachsender
Wohlstand bei dem Einen mit wachsender Armut und
Entwicklungsrückschritten bei Anderen finanziert wird.
Diejenigen, die dieses behaupten, übersehen Folgendes:
– Weder nationale noch globale
Wirtschaftsentwicklungen sind endlich begrenzt, Wachstumschancen
bestehen immer. Die Vorstellung, dass der Eine nur auf Kosten des
Anderen wachsen und dass Bestehendes nur umverteilt werden
könne, steht im Widerspruch zu Theorie und Empirie.
– Beobachtungen von Unterschieden sind
lediglich Momentaufnahmen. Handel und Wettbewerb sind aber keine
statischen Größen, sondern sind ständig in Bewegung.
Wettbewerbsvor- und nachteile können sich im Zeitverlauf
ändern oder verschieben. Es gibt deshalb keine strukturell
bedingte Unterlegenheit oder gar schicksalhafte
Vorbestimmtheiten.
– Innerstaatliche
Verhältnisse werden kaum berücksichtigt. Meist sind es
aber gerade diese, auf die Miss stände zurückzuführen sind. Die
Globalisierung hilft jedoch, solche Missstände transparent zu
machen.
Globalisierung: ein
„Positivsummenspiel“
Stattdessen ist Globalisierung ein
„Positivsummenspiel“, das weltweit gesehen zu mehr
Wohlstand führt. Die Globalisierung bietet Chancen der
Entwicklung für jeden Einzelnen, der an der internationalen
Öffnung teilhaben kann.
Wir wollen dieses immense Potenzial
für die Menschen in der Welt freilegen und ausbauen.
Handelsschranken müssen weiter abgebaut werden. Dies ist
gleichermaßen im Interesse der Entwicklungs- und
Schwellenländer sowie der Industrieländer.
Globalisierung ist keine
„Naturgewalt“. Sie wird von Menschen aktiv gestaltet.
Bei richtiger Rahmensetzung überwiegen die Chancen der
Globalisierung für eine nachhaltige Entwicklung in
ökonomischer, sozialer und auch ökologischer Sicht. Den
Menschen in der dritten Welt eröffnet sie lebenswichtige
Chancen zur Bekämpfung der Armut.
Leider konnte in dieser zentralen Frage keine
Zustimmung seitens der Mehrheitsfraktionen erreicht werden. Dies
ist umso verwunderlicher, als einzelne Passagen und
Handlungsempfehlungen des Mehrheitsberichts, etwa bei der Bewertung
der Entwicklungschancen der ärmeren Länder durch
Marktöffnungen, durchaus implizit oder explizit von
Wohlstandseffekten der Globalisierung ausgehen.
Konsens wurde dagegen erzielt, dass
Globalisierung gestaltbar ist und eines ordnungspolitischen Rahmens
bedarf. Wenn jedoch die prinzipiellen Chancen der Globalisierung
unterschiedlich bewertet werden, kann es nicht verwundern, dass
auch die Handlungsempfehlungen an die Politik so unterschiedlich
ausfallen.
|