*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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   11.1.4     Globalisierung führt zu mehr Wohlstand

Empirische Untersuchungen und Beobachtungen aus den letzten Jahrzehnten zeigen: Die Globalisierung führt zu Wachstum und damit zu mehr Wohlstand in solchen Ländern, die sich bewusst dem internationalen Wettbewerb stellen und ihre eigenen Grenzen öffnen (s. Abbildungen 11-1 und 11-2). Diese Länder haben neben durchweg höheren Wachstumsraten auch höhere Einkommen und mehr Arbeitsplätze, geringere Armut und Ungleichheiten in der Einkommens- und Vermögensverteilung, ja sogar eine bessere Umweltqualität als Länder, die sich dem Geschehen auf den Weltmärkten entziehen.

Dies wird im Vergleich der Entwicklungen mancher la­ teinamerikanischer Länder mit den meisten Südostasiens offensichtlich. Während Länder Lateinamerikas die entwicklungspolitische Strategie der Importsubstitution befolgten – Importe sollten durch den Aufbau eigener Indus­ trien „gespart“ werden – öffneten sich südostasiatische Länder und verfolgten eine exportorientierte Strategie. Binnen einer Generation konnten sich viele südostasiatische Länder von Entwicklungsländern zu Schwellenländern entwickeln. Viele der dortigen Branchen und Unternehmen zählen heute zu den Führern auf den jeweiligen Weltmärkten. Und was oft übersehen wird: Auch Deutsch­land und Europa verdanken u.a. dieser Strategie ihr „Wirtschaftswunder“ nach dem Krieg.

Wie entsteht dieses Wohlstandspotenzial?

Werden die Grenzen durchlässig, können Unternehmen natürliche, wirtschaftliche und politisch bedingte Standortvorteile besser nutzen und ihre Geschäfte dort tätigen, wo ihnen dies am günstigsten erscheint (Standortwettbewerb). Dies gilt für den Absatz, aber auch für Forschung und Entwicklung sowie die Produktion. Die Unternehmen werden in die Lage versetzt, Technologien anzuwenden, die sonst nicht vorhanden wären bzw. erst hätten entwickelt werden müssen. Eine Vergrößerung der Märkte ermöglicht ihnen Größen- (economies of scale) und Verbundeffekte (economies of scope) zu nutzen. Die Kosten der Beschaffung und Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen sinken, da die Fixkosten auf größere Stückzahlen umgelegt werden können. Die Gewinne aus der verbesserten Effizienz stehen für weitere Investitionen zur Verfügung oder werden in Form niedrigerer Preise an die Verbraucher und als Dividenden an die Aktionäre weitergegeben.

Globalisierung bedeutet mehr Wettbewerb

Die ökonomische Globalisierung findet im Wesentlichen auf zwei Ebenen statt: auf der Ebene der Märkte und auf Unternehmensebene. Beide Prozesse verlaufen zunächst parallel und führen zu größeren Räumen, in denen die Marktteilnehmer, aber auch Arbeitnehmer, Verbraucher, die Wissenschaft und die Politik agieren. Die Anzahl der Akteure in den einzelnen Märkten erhöht sich sowohl auf Seite der Anbieter als auch auf Seite der Nachfrager. Mehr Nachfrager fordern mehr Anbieter heraus. Bei offenen Grenzen stehen sie im Wettbewerb zueinander. Dies vergrößert die Wahlmöglichkeiten und Handlungsspielräume für beide, erhöht aber auch die Komplexität der Entscheidungen. Die Globalisierung, d.h. die Öffnung der Grenzen für Handel, Investitionen, Kapital sowie für die Menschen, führt also zunächst – solange sich die Marktstrukturen durch Unternehmenskonzentration nicht wieder verengen – zu mehr Wettbewerb.

Wir begrüßen den Wettbewerb nachdrücklich. Wir stellen uns damit auch bewusst gegen weite Teile des Mehrheitsberichts, den an vielen Stellen eine diffuse Furcht vor dem Wettbewerb kennzeichnet. Tendenzen zur Begrenzung des Wettbewerbs auf den verschiedensten Gebieten ziehen sich wie ein roter Faden durch den Mehrheitsbericht, etwa wenn es um die Öffnung der Märkte in Industrieländern für arbeitsintensive Produkte der Entwicklungsländer geht, bei der Diskussion um die Öffnung der Dienstleistungsmärkte, bei der Diskussion um Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, der „Harmonisierung“ von Steuern und Abgaben, etc.

Angesichts der enormen Bedeutung des Wettbewerbs sehen wir eine der vornehmsten und wichtigsten Aufgaben der politischen Gestaltung in der Wahrung seiner globalen Funktionsfähigkeit. Eine der von uns eingebrachten und für uns zentralen Handlungsempfehlungen dreht sich daher um die Forderung nach einer internationalen Wettbewerbspolitik. Im Zuge der Globalisierung wird mittel- und längerfris­ tig das Risiko einer Vermachtung weltweiter Märkte durch Unternehmenskonzentration eine der großen Herausforderungen sein. Die Absicherung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs vermag dem entgegenzusteuern, denn der Wettbewerb ist der große „Entmachter“. Anstatt die Marktkräfte einzuschränken, muss daher der Wettbewerb durch eine grenzüberschreitend effektive Kartellaufsicht und Fusionskontrolle gesichert werden.

Wettbewerb als globaler Koordinationsmechanismus

Wir beobachten übrigens, dass die Diskussion um Wettbewerb als globalen Koordinationsmechanismus in der Enquete-Kommission ein Spiegelbild der innenpolitischen Diskussion über das Thema Wettbewerb ist. Dies ist für uns ein Zeichen dafür, dass die Globalisierungsdebatte in der Regel nicht nur keine grundsätzlich neuen Fragen aufwirft, sondern dass viele Themen, die bereits innerhalb Deutschlands kontrovers diskutiert werden, nunmehr einfach „globalisiert“ werden. Globalisierung wird also häufig als Vorwand benutzt, um neue nationale und internationale Regulierungen, meist mit dem Ziel einer Beschränkung von Wettbewerb, zu rechtfertigen.

Dieser Logik folgend, begründen die Mehrheitsfraktionen negative Entwicklungen der Weltwirtschaft kausal mit der „Globalisierung“, ohne diese Bezüge wirklich herstellen zu können. Hierzu gehören implizit gemachte Vorwürfe, die Globalisierung gefährde Arbeitsplätze in den Indus­ trieländern, vergrößere die Armut im Süden und die Ungleichheit zwischen Nord und Süd, zerstöre soziale Strukturen, die Umwelt und destabilisiere durch Spekulation das weltweite Finanzsystem. Wir werden im Folgenden darauf eingehen, dass viele dieser in der Tat unguten Entwicklungen mit der Globalisierung im engeren Sinne nichts zu tun haben.

   Globalisierung belohnt gute Politik

Die disziplinierende Wirkung des Wettbewerbs gilt nicht nur für den Privatsektor, sondern ebenfalls für die Politik. Das weltweite Zusammenrücken der Menschen sorgt für mehr Transparenz, nicht nur auf den Märkten, sondern auch in der Politik. Eine Politik des gezielten Ausbaus liberaler internationaler Rahmenbedingungen für Handel und Investitionen trägt global nicht nur zu einer Erhöhung des Lebensniveaus der Menschen und des Wohlstands bei. Sie erhöht zugleich das Potenzial für mehr Demokratie und die Menschenrechte. Politische und wirtschaftliche Freiheit hängen eng zusammen.

Außerdem bestrafen liberalisierte Märkte sowie die Mobilität qualifizierter Arbeitskräfte und des Kapitals rasch und unerbittlich eine schlechte Wirtschaftspolitik. Der durch die Globalisierung bedingte Wettbewerb deckt so Stärken und Schwächen einzelner Standorte nicht nur im ökonomischen, sondern auch in sonstigen Lebensbereichen auf.

Dies gilt auch für die sozialen Sicherungssysteme. Aber hier gilt ebenso: Die Globalisierung und der Wettbewerb bedrohen unsere Sozialsysteme nicht, wenn wir sie – rechtzeitig – den veränderten Realitäten anpassen. Staatliche Sozialpolitik muss finanzierbar bleiben und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft – vor allem im Interesse der Bürger – berücksichtigen. Nur ein Mehr an privater Eigenverantwortlichkeit anstatt staatlicher Rundum-Versorgung und Bevormundung kann das leisten, ein Prinzip, das nicht nur in der Sozialpolitik sondern bei allen staatlichen Aktivitäten wieder mehr zur Geltung gebracht werden muss. Dieser Ansatz würde übrigens auch die Steuerdiskussion entschärfen.

Wettbewerb ist der beste Katalysator, um Kosten und Nutzen der öffentlichen Leistungspalette besser als bisher in Übereinstimmung zu bringen. So würde nicht nur der Verschwendung von Steuergeldern und Abgaben vorgebeugt, die Bürger bekämen auch mehr Leistung für ihr Geld.

Die Globalisierung schafft insgesamt also starke Anreize für die Regierungen, durch eine gute (Wirtschafts- und Sozial)Politik für ihren Standort zu werben. Viele Politiker fühlen sich durch die Globalisierung „gefangen“ und übersehen, dass sie nach wie vor frei sind, die richtigen Weichenstellungen für das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen ihres Landes zu treffen. Dies ist sogar durch die Globalisierung immer wichtiger geworden. Die Globalisierung macht die positiven und negativen Folgen nationaler Weichenstellungen deutlicher als dies ohne den globalen Wettbewerb der Politik wäre.

Globalisierung bietet Chancen für alle

–    Globalisierung führt zu mehr individueller Freiheit. Die Globalisierung bietet jedem die Möglichkeit, seine individuellen Ziele und Wünsche besser zu verwirklichen als das ohne die internationale Arbeitsteilung und das Zusammenwachsen der Märkte der Fall wäre. Das geht über den materiellen Wohlstand hinaus, Freiheit und Entscheidungsvielfalt nehmen ebenso zu.

–    Globalisierung schafft Wissen. Freier Handel gibt den Menschen die Möglichkeit, von anderen zu lernen. Durch den Austausch von Waren und Dienstleistungen, insbesondere aber durch unternehmerische Auslandsaktivitäten bei Direktinvestitionen, werden Wissen und Technologie in alle Richtungen transferiert. Da Wissen und Bildung die Grundlage schlechthin für eine weitere Entwicklung sind, kommt diesem Globalisierungseffekt eine besondere Bedeutung für die Wohlfahrtsentwicklung aller, insbesondere unterentwickelter, Volkswirtschaften zu.

–    Globalisierung schafft Arbeitsplätze auch mit wachsender Qualität. Die Arbeitnehmer jener Branchen, die an der Globalisierung teilnehmen, profitieren davon. Da die dem Wettbewerb ausgesetzten Branchen produktiver arbeiten als geschützte, erlauben die höheren Produktivitäten auch entsprechend hohe Löhne – und dies zu in der Regel auch sonst besseren Arbeitsbedingungen.

–    Aber auch die Verbraucher profitieren von der Globalisierung, und zwar gleich doppelt: Zum einen führen die globalen Produktionsmöglichkeiten und der globale Wettbewerb zu niedrigeren Preisen. Zum anderen ermöglicht Handel überhaupt erst den Konsum von Gütern, die bei geringer Öffnung nur in einem begrenzten Maße den Konsumenten zur Verfügung stehen. Die Öffnung führt also zu einer deutlich ausgeweiteten Produktvielfalt für die Verbraucher.

Wie groß ist dieses Globalisierungspotenzial in quantitativer Hinsicht?

Der Abbau von Handelsschranken allein im Rahmen der Uruguay-Runde brachte der Welt einen Wohlstandsgewinn von bis zu 680 Mrd. US-Dollar. Die genannten Effekte haben das Potenzial, die jährliche globale Wirtschaftsleis­ tung enorm zu steigern. Schon ein 33prozentiger Abbau bestehender Handelsbarrieren bei Güter- und Dienst­ leistungsmärkten kann zu einer Steigerung der jährlichen weltweiten Wirtschaftsleistung von 613 Mrd. US-Dollar bzw. 680 Mrd. Euro führen (Brown u.a. 2001).

Globalisierung ist also kein „Nullsummenspiel“, in dem wachsender Wohlstand bei dem Einen mit wachsender Armut und Entwicklungsrückschritten bei Anderen finanziert wird. Diejenigen, die dieses behaupten, übersehen Folgendes:

–    Weder nationale noch globale Wirtschaftsentwicklungen sind endlich begrenzt, Wachstumschancen bestehen immer. Die Vorstellung, dass der Eine nur auf Kosten des Anderen wachsen und dass Bestehendes nur umverteilt werden könne, steht im Widerspruch zu Theorie und Empirie.

–    Beobachtungen von Unterschieden sind lediglich Momentaufnahmen. Handel und Wettbewerb sind aber keine statischen Größen, sondern sind ständig in Bewegung. Wettbewerbsvor- und nachteile können sich im Zeitverlauf ändern oder verschieben. Es gibt deshalb keine strukturell bedingte Unterlegenheit oder gar schicksalhafte Vorbestimmtheiten.

–    Innerstaatliche Verhältnisse werden kaum berücksichtigt. Meist sind es aber gerade diese, auf die Miss    stände zurückzuführen sind. Die Globalisierung hilft jedoch, solche Missstände transparent zu machen.

Globalisierung: ein „Positivsummenspiel“

Stattdessen ist Globalisierung ein „Positivsummenspiel“, das weltweit gesehen zu mehr Wohlstand führt. Die Globalisierung bietet Chancen der Entwicklung für jeden Einzelnen, der an der internationalen Öffnung teilhaben kann.

Wir wollen dieses immense Potenzial für die Menschen in der Welt freilegen und ausbauen. Handelsschranken müssen weiter abgebaut werden. Dies ist gleichermaßen im Interesse der Entwicklungs- und Schwellenländer sowie der Industrieländer.

Globalisierung ist keine „Naturgewalt“. Sie wird von Menschen aktiv gestaltet. Bei richtiger Rahmensetzung überwiegen die Chancen der Globalisierung für eine nachhaltige Entwicklung in ökonomischer, sozialer und auch ökologischer Sicht. Den Menschen in der dritten Welt eröffnet sie lebenswichtige Chancen zur Bekämpfung der Armut.

Leider konnte in dieser zentralen Frage keine Zustimmung seitens der Mehrheitsfraktionen erreicht werden. Dies ist umso verwunderlicher, als einzelne Passagen und Handlungsempfehlungen des Mehrheitsberichts, etwa bei der Bewertung der Entwicklungschancen der ärmeren Länder durch Marktöffnungen, durchaus implizit oder explizit von Wohlstandseffekten der Globalisierung ausgehen.

Konsens wurde dagegen erzielt, dass Globalisierung gestaltbar ist und eines ordnungspolitischen Rahmens bedarf. Wenn jedoch die prinzipiellen Chancen der Globalisierung unterschiedlich bewertet werden, kann es nicht verwundern, dass auch die Handlungsempfehlungen an die Politik so unterschiedlich ausfallen.




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