11.1.5.1 Grenzüberschreitenden Handel
fördern
Abseits des tagesbezogenen
parteipolitischen Streits, der die Diskussion in der
Enquete-Kommission häufig dominiert hat, ist eine weit
überwiegende Mehrheit in Wissenschaft und Gesellschaft der
Meinung, dass ein freier Waren- und Dienstleistungsverkehr der Welt
einen höheren Wohlstand bringt und so helfen kann, die Armut
in der Welt nachhaltig zu bekämpfen. Es ist empirisch
erwiesen, dass die Länder, die sich gegenüber der
Globalisierung aktiv verhielten, sich dem weltwirtschaftlichen
Güterverkehr öffneten, einen höheren Wohlstand
erreichten als jene, die sich von ihm abschotteten (s. 11-1). Der
Weg der Liberalisierung und Deregulierung sollte deshalb
fortgesetzt werden.
Deutschland ist
das Paradebeispiel dafür, dass die Integration in die
Weltwirtschaft entscheidend für die gesamtwirtschaftliche
Entwicklung und Wohlstand ist. Nationale Verteilungsspielräume
können erhöht werden. Die soziale Marktwirtschaft wird
dadurch in die Lage versetzt, gewisse Korrekturen in der Verteilung
von Einkommen, Vermögen und Chancen vorzunehmen.
Nicht nur die
Erfahrungen in Deutschland, sondern auch jene in vielen anderen
Industrie-, Transformations- und Entwicklungsländern haben
gezeigt, dass die Befürchtungen der Mehrheit der Kommission
unzutreffend sind, wonach Länder vor der Globalisierung
geschützt werden müssten. Werden spezielle Maßnahmen
als notwendig erachtet – etwa in Zeiten des Systemwechsels
oder als Teil einer Aufbaustrategie, um im Übergang zu
internationalem Wettbewerb zu bestehen – so sind diese so
marktkonform wie möglich zu gestalten und mit einem zeitlichen
Limit zu versehen. Als spezifische Reaktion auf die Globalisierung
sind diese allerdings nicht zu deuten.
Handelsschranken abbauen:
Entwicklung, gerade der ärmsten Länder, durch Hilfe zur
Selbsthilfe ermöglichen
Seit den 1960er Jahren haben sich die
Wohlstandsunterschiede zwischen Industrie- und
Entwicklungsländern vergrößert. Ist dies eine
Auswirkung der Globalisierung?
Im Wesentlichen gibt es zwei unterschiedliche
Strategien, Entwicklungsrückstände aufzuholen.
Auf Importsubstitution setzende und nach
innen gerichtete Strategien versuchen, in einer nach außen
geschützten Volkswirtschaft eine eigene industrielle Basis zu
entwickeln. Dabei wird angenommen, dass diese Basis in Zukunft im
internationalen Wettbewerb werde bestehen können. Da aber
Wettbewerbsfähigkeit grundsätzlich nur im Wettbewerb
aufgebaut wird, führt diese Strategie – bei beachtlicher
Wirtschaftslenkung durch den Staat – meist zu
beträchtlicher Verschwendung von Ressourcen und ist oft ein
ebenso teures wie erfolgloses Unterfangen. Trotzdem werden so
handelnde Staaten häufig von jenen – ideologisch
motivierten – Kräften unterstützt, die
Entwicklungsunterschiede zwischen Nord und Süd nur in
strukturellen Nachteilen der Länder der südlichen
Hemisphäre, in traditionellen inter-industriellen
Handelsmustern oder in Ausbeutung der Industrieländer sehen.
Viele Länder Südamerikas haben sie in den 1960er und
1970er Jahren verfolgt – ohne nachhaltigen Erfolg, wie wir
inzwischen wissen. In abgeschotteten Märkten können in
der Regel eben keine wettbewerbsfähigen Strukturen
entstehen.
Entwicklungschancen durch
Öffnung der Märkte
Die andere
Strategie, die von vielen Ländern Südostasiens angewendet
wurde, zielt auf eine möglichst frühe han
delspolitische Öffnung und die damit verbundenen Ent
wicklungschancen. Nur diejenigen, die sich in den grenz
überschreitenden Handel integrieren, können an den
Effizienzgewinnen und der weltumspannenden Verbreitung von
technischen Neuerungen partizipieren. Die Gewinne einer
frühzeitigen handelspolitischen Öffnung füh
ren zu einer effizienteren Verwendung von Ressourcen, da
importierte Technologien im Inland nicht noch ein zweites Mal
entwickelt werden müssen. Stattdessen stehen die ersparten
Ressourcen anderen Bereichen zur Verfügung und können
jene Sektoren fördern helfen, in denen das Land komparative
Vorteile besitzt. Nach dem Erfolg dieser Strategie für die
Schwellenländer Südostasiens haben mittlerweile auch
viele Entwicklungsländer die darin liegende Chance
erkannt.
Aber gerade dort,
wo viele Entwicklungsländer komparative Kostenvorteile
aufweisen, ist ihnen der Marktzugang oft durch hohe Zölle oder
quantitative Handelshemmnisse verwehrt. Prominente Beispiele sind
die Textil- und Agrarindustrie, Teile der Schwerindustrie und
andere arbeitsintensive Bereiche. Außerdem sehen sich
Entwicklungsländer oft mit Anti-Dumping-Maßnahmen der
Indus trieländer und einem besonders
entwicklungshemmenden Instrument der Handelsprotektion
konfrontiert, der sog. Tarifeskalation: steigende Zollsätze
analog zum Verarbeitungsgrad der Waren, was vielen
Entwicklungsländern das Herausbilden ertragreicher
Exportsektoren erschwert.
Abbau von protektionistischen
Strukturen
Eine Öffnung der Märkte der
Industrieländer für Produkte der Entwicklungsländer
könnte diesen nach einer UNCTAD-Schätzung bis 2005 zu
zusätzlichen Einnahmen von jährlich 700 Milliarden Dollar
verhelfen. Zum Vergleich: Ein solches Volumen entspricht 35% ihrer
jährlichen Einnahmen bzw. 65% ihrer derzeitigen Warenexporte
(UNCTAD 2002). Die gesamte Entwicklungshilfe der OECD-Länder
beläuft sich demgegenüber zzt. auf jährlich 50
Milliarden Dollar (UNCTAD 2002), um die Dimensionen dieser Chance
einmal herauszustellen. Die Industrieländer sind also
gefordert, ihre Grenzen zu öffnen und protektionistische
Handelspraktiken künftig abzubauen. Das haben nicht zuletzt
die Verhandlungen während der WTO-Ministerkonferenz in Doha
2001 gezeigt. Natürlich wird dies nicht reibungslos zu
bewerkstelligen sein und teils schmerzhafte Anpassungen innerhalb
der Industrie länder erfordern.
Aber auch in den Industrieländern selbst
schlummern noch viele Wachstums- und Entwicklungspotenziale, die
zzt. noch durch protektionismusbedingte Verschwendung von
Ressourcen vergeudet werden. Der weltweite Abbau von
Handelsschranken nutzt nicht nur den Entwicklungsländern,
sondern auch den Industrieländern.
Die Erfahrung zeigt, dass
grenzüberschreitender Handel und Investitionen nicht nur
wirtschaftlichen Fortschritt mit sich bringen, sondern auch einen
höheren Standard bei Menschenrechten und Fortschritten im
Umweltschutz fördern. Zudem ermöglichen sie einen
zielgerechten Einsatz der Entwicklungsbudgets der
Industrieländer zur Lösung besonderer Problemfelder der
Entwicklungspolitik und ermöglichen den
Entwicklungsländern, ihre Zukunft in die eigenen Hände zu
nehmen.
Unsere Kräfte sollten deshalb auf eine
weitere konsequente Marktöffnung und den weiteren Ausbau der
WTO gerichtet sein. Ein für Alle vorteilhafter Welthandel
braucht ein Forum, das die Spielregeln setzt und ihre Einhaltung
überwacht. Der freie Handel ist zwar nicht alleine
verantwortlich für Entwicklungserfolge. Bei entsprechender
Ordnungspolitik im Inneren ist er jedoch willkommener
Beschleuniger.
Sozial- und Umweltstandards durch
Handel und Austausch entwickeln
Mindeststandards im Sozial- und Umweltbereich
sind wesentlich für die Entwicklung von Menschen,
Gesellschaften und Volkswirtschaften. Es darf nicht dazu kommen,
dass Länder im Zuge ihrer Entwicklung dauerhaft Raubbau an
ihren menschlichen und natürlichen Ressourcen betreiben. Ein
dauerhafter Raubbau an diesen Ressourcen würde dazu
führen, dass diese Länder im Entwicklungsprozess nicht
aufholen, sondern immer mehr im Entwicklungsniveau
zurückfallen. Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung zeigt,
dass die Verbesserungen der Leistungsfähigkeit im
ökonomischen, sozialen und ökologischen Bereich sich
gegenseitig bedingen und nicht teiloptimiert werden können,
ohne Entwicklungsprozesse als Ganzes in Frage zu stellen.
Kernarbeitsnormen der ILO
Bei den
Sozialstandards sind vor allem die qualitativen Kernarbeitsnormen
der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von Bedeutung. Diese
Kernarbeitsnormen verbriefen das Recht auf Vereinigungsfreiheit und
Kollektiv verhandlungen, die Abschaffung der Zwangsarbeit,
die Beseitigung von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf
sowie das Verbot von Kinderarbeit. Diesen Standards wird allgemein
der Charakter von universellen Menschenrechten zuerkannt.
Quantitative Sozialstandards wie Höchstarbeitszeiten,
Mindestlöhne, Urlaubszeiten usw. spielen in der Diskussion
noch eine untergeordnete, aber vermutlich künftig wachsende
Rolle. Bei Umweltstandards geht es vor allem um die Verhinderung
einer Übernutzung von Umweltgütern zu Lasten Dritter, wie
etwa der nachfolgenden Generationen.
Als weiteres
Argument für solche Normen wird angeführt, dass sie
für gleiche Wettbewerbsbedingungen notwendig seien.
Unternehmen verließen die hoch regulierten Länder, um in
weniger regulierten Ländern unter weitgehend sanktionsfreier
Nutzung – etwa von Umweltgütern – billiger
produzieren zu können. Länder mit niedrigen oder nicht
vorhandenen Sozial- oder Umweltstandards würden sich dadurch
einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber solchen
Produzenten erwerben, die an Standards gebunden sind. Dieses
Verhalten – häufig etwas polemisch
„Sozialdumping“ und „Umweltdumping“ genannt
– führe zu einem „race to the bottom“
der Standards.
Verknüpfung Handelsregeln mit Sozial- und Umweltstandards:
falsches Signal
Um Sozial- und
Umweltstandards global durchzusetzen, fordern seit einigen Jahren
viele Gruppierungen in Indus trieländern –
insbesondere Gewerkschaftsverbände, verschiedene NGO,
kirchliche Gruppen und weitere Globalisierungskritiker –
entsprechende Mindeststandards in die weltweite Handelsordnung der
WTO einzubeziehen. Durch den dort verankerten
Streitbeilegungsmechanismus hätte man ein effizientes
Sanktionsmittel in der Hand.
Dabei ist jedoch
zu fragen, ob eine Verquickung von Handelsregeln mit Sozial- und
Umweltstandards tatsächlich zu dem gewünschten Resultat
führt, nämlich einer Angleichung der Entwicklungschancen
in Nord und Süd.
Wie kann man höhere Standards
erreichen? Nicht durch Verordnung und auch nicht durch ihre
Integration in die WTO, wie es die Mehrheitsfraktionen vorschlagen.
Der Weg über – seitens der Unternehmen –
freiwillig vereinbarte Standards ist zur Zeit mit Sicherheit der am
meisten Erfolg versprechende Ansatz. Die meisten
Entwicklungsländer können sich wegen der noch geringen
Produktivität ihrer Volkswirtschaften schlicht noch keine
höheren Standards leisten und lehnen eine Kopplung von
Standards an die WTO daher ab, wie auch in Doha wieder klar wurde.
Dies tun sie übrigens nicht, weil sie unsere Sys teme
der sozialen Sicherung zerstören oder die Umwelt verpesten
wollen, sondern weil sie ihre Volkswirtschaften entwickeln
wollen.
Das heißt
nicht, dass man über die Kernarbeitsnormen oder in
Umweltabkommen akzeptierte Umweltstandards hinwegsehen sollte. Wir
sind lediglich der Meinung, dass ihre Durchsetzung mit Mitteln von
Sanktionen der völlig falsche Weg ist. Diese Kopplung
eröffnet protektionistischen Interessen Tür und Tor und
verstärkt oft jene Missstände, zu deren Beseitigung
Standards entwickelt worden sind. Ein Beispiel: Als Resultat des
internationalen Drucks auf Bangladesh, Kinderarbeit in Produktion
von Textilien einzuschränken, wurden viele Kinder entlassen
und mussten sich in wesentlich gefährlicheren Bereichen eine
Beschäftigung suchen: als Prostituierte oder
Steinbrucharbeiter – oder in Industrien, die nur für den
Hei matmarkt und nicht für den Export produzieren.
Ähnlich verhält es sich mit Sanktionen wegen
unzureichender Umweltstandards. Während diese oft zu einem
drastischen Rückgang der Produktion führen, sind die
positiven Umweltwirkungen meist gering. Diese Realitäten
dürfen nicht aus ideologischen Gründen verdrängt
werden. Bei der Einigkeit im Ziel bestehen erhebliche Unterschiede
in der Methodik der Zielerreichung.
Höhere Entwicklung schafft höhere Standards
Die Erfahrung
zeigt, dass wachsender Wohlstand mit dem Wunsch nach höheren
Sozial- und Umweltstandards einhergeht. Deutschland ist
hierfür geradezu ein Paradebeispiel. Daher müssen –
wie schon bei der Entwicklung der heutigen Industrieländer
– neue nationale und internationale Vorgaben im Sozial- und
Umweltbereich unter Berücksichtigung der jeweiligen Lage und
des Standes der verschiedenen Länder getroffen werden.
Standards können keine fixen Ziele per se sein. Ziel
muss es gerade sein, im Laufe einer nachhaltigen Entwicklung diese
Standards schrittweise weiterzuentwickeln.
Wie oben gezeigt, ist aber gerade die
gesteigerte internationale Arbeitsteilung in Form des
grenzüberschreitenden Handels und der Direktinvestition die
wesentliche Quelle für Entwicklung und Wohlstand. Der richtige
Weg zu immer höheren Standards ist daher ein freier Austausch
von Waren und der damit verbundene Transfer von Technologie und die
damit ermöglichte Entwicklung. Soll die Handelspolitik
wirklich zur Besserung der Entwicklungschancen in Schwellen- und
Entwicklungsländern beitragen, so sind die Grenzen der
Industrieländer natürlich auch für jene Produkte zu
öffnen, in den die Schwellen- und Entwicklungsländer
komparative Vorteile haben. Gerade aus Gründen der Fairness
und Solidarität müssen internationale Kosten- und
Preisdifferenzen als Ergebnis unterschiedlicher Faktorausstattungen
und Produktivitäten – zumindest kurzfristig –
akzeptiert werden. Hierzu müssen viele Industrieländer
und Handelsblöcke ihre protektionistischen Mauern
einreißen.
ILO und
UNEP stärken
Die
Kernarbeitsnormen der ILO und Umweltstandards können
verwirklicht werden, ohne in das Regelwerk der WTO einbezogen zu
werden. Hierzu bieten die ILO und die UNEP (United Nations
Environment Programme), die sich direkt mit diesen Standards
beschäftigen, die geeignete Plattform. Diese Institutionen
müssen gestärkt werden und mit anderen
Sanktionsmöglichkeiten als Handelssanktionen ausgestattet
werden. Dazu ist mehr technische und finanzielle Hilfe seitens der
Industriestaaten notwendig. Wir sollten die Energien darauf lenken,
in Schwellen- und Entwicklungsländern jene Institutionen zu
schaffen und zu fördern, die sich die Verbesserung der
Arbeits- und Lebensbedingungen zum Ziel gesetzt haben. Hierzu tragen auch
transnationale Unternehmen bei, wenn sie in jenen Ländern ihre
weltweit geltenden Verhaltensregeln anwenden und moderne Techniken
verwenden.
Zusammenfassend: Die Entwicklung, die
Durchsetzung und das Erreichen immer höherer Standards in
Entwicklungsländern wird nicht durch eine Handelspolitik der
Sanktionen, sondern durch eine regelgestützte Handelspolitik
der Öffnung erreicht.
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