11.1.5.4 Die Voraussetzung für eine gerechte
globale Wirtschaft: Eine internationale Wettbewerbspolitik
schaffen
Eine funktionierende Wettbewerbsaufsicht ist
also eine der zentralen Aufgaben eines für internationalen
Handel und Austausch attraktiven Rechtsstaats. Defizite an
Planungssicherheit für die Unternehmen, aber auch Risiken der
unkontrollierten Vermachtung der Märkte, entstehen, wenn
unternehmerische Aktivitäten in „rechtsfreie“
Räume vorstoßen.
Nationale Wettbewerbsordnung
Eine nationale Wettbewerbsordnung ist nur auf
eine Jurisdiktion begrenzt. Mit der Internationalisierung der
Märkte und der Durchlässigkeit von politischen Grenzen
wachsen zunehmend grenzüberschreitende unternehmerische
Aktivitäten aus dem Geltungsbereich ihrer Rechtsordnungen
heraus in neue hinein und/oder „emanzipieren“ sich gar
von jeglicher Jurisdiktion. Diese Entwicklung ist dem Grunde nach
nicht neu, sie hat sich nur in den vergangenen zehn Jahren ganz
wesentlich beschleunigt. Sie ist Mitursache für die wachsende
Bedeutung des Völkerrechts, das zum Ziel hat, das Entstehen
rechtsfreier Räume zu verhindern. Nationale Rechtsordnungen
sind oft dazu nicht mehr in der Lage. So sind das Europäische
Recht und seine Institutionen entstanden, so entsteht eigene
völkerrechtsbasierte Jurisdiktion in neuen Wirtschaftszonen,
und dieser Prozess findet nun auch verstärkt global statt.
Internationale Wettbewerbsordnung
Für marktwirtschaftlich orientierte
Staaten und Staatengemeinschaften ist Wettbewerb das konstitutive
Element ihrer Wirtschaftsordnungen. Der aus der Freiheit der
Wirtschaftssubjekte resultierende Wettbewerb muss aber ebenso wie
die auf den politischen Freiheiten basierende Demokratie
ständig gegen Vermachtung geschützt werden. Hierfür
sind ein Wettbewerbsrecht und Institutionen erforderlich, die auf
die Einhaltung der vorgegebenen Spielregeln achten und sie
durchsetzen. Auch die internationalen Handelsbeziehungen
bedürfen eines solchen Rechtsrahmens. Die Initiativen hierzu
gehen in drei Richtungen, die nebeneinander verfolgt werden
sollten: den multilateralen, den plurilateralen und den bilateralen
Ansatz.
Multilateraler Ansatz
Multilateral ist der Ansatz,
Wettbewerbsregeln im Rahmen der WTO auszuhandeln. Er wurde auf der
WTO-Ministerkonferenz 1996 in Singapur mit Gründung der
„Working Group on the Interaction between Trade and
Competition Policy“ aufgegriffen und auf der jüngsten
Ministerkonferenz in Doha bestätigt. Allerdings hat sich die
Einsicht in die Wichtigkeit von Missbrauchsaufsicht und
Fusionskontrolle bisher noch nicht in der WTO durchgesetzt. Dies
ist bei der Zahl der Mitglieder der WTO und der
Einstimmigkeitsmethode nicht weiter überraschend. Es
verwundert daher nicht, das die Working Group in den fünf
Jahren ihrer Existenz noch zu keinen greifbaren Ergebnissen gelangt
ist. Wenn ihr das irgendwann mit einem Verbot von
Hardcore-Kartellen gelingen sollte, wäre multilateral sicher
ein sehr wichtiger erster Schritt getan. Bis dahin kann die Gruppe
im Sinne einer „competition advocacy“
bewusstseinsbildend wirken, was nicht zu unterschätzen
wäre. Mit dem um vieles komplexeren Thema
„Fusionskotrolle“ aber wäre die WTO wohl für
nicht absehbare Zeit überfordert. Hier jedoch liegen –
angesichts des noch keineswegs ausgelaufenen Trends zu Megafusionen
– die eigentlichen, nicht nur wettbewerblichen Risiken einer
wirtschaftlichen Vermachtung.
Plurilateraler Ansatz
Pragmatisch ist
der plurilaterale Ansatz, der bei der Diskussion über eine
globale Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen und
Missbrauch von Marktmacht mit Industriestaaten beginnt, die bereits
eine entwickelte Wettbewerbsordnung und Erfahrungen mit ihrer
Implementierung haben, und diesen „Club“ beitrittsoffen
gestaltet. In eine solche Richtung zielt das im Oktober 2001 in New
York gegründete „International Competition
Network“ (ICN). Auch hier wird es zunächst um
intensiveren Informationsaustausch und verbesserte Kooperation ge
hen. Die allermeisten
Mitglieder des ICN haben jedoch langjährige Erfahrungen mit
dem Antitrust-Recht, auch mit dem Instrument der Fusionskontrolle.
Dies bietet die Chance, dass sich hier schneller als sonst im Wege
einer „soft harmonisation“ zunächst
gemeinsame Auslegungsregeln herausbilden, die sich nach und nach zu
einem Regelwerk verdichten. Auch das wird seine Zeit brauchen, aber
schon jetzt wird immer öfter der Bedarf an internationalen
Fusionsregeln von den international tätigen Unternehmen
eingefordert.
Bilateraler Ansatz
Auch die
bilaterale Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden sollte
weitergeführt und intensiviert werden, denn sie erzeugt
Wirkung in Sachen Kohärenz nicht nur zwischen den Parteien
solcher zweiseitiger Abkommen. Zum Beispiel ist das
deutsch-amerikanische Regierungsabkommen inhaltlich weitgehend im
bilateralen transatlantischen Abkommen der EU mit den USA
aufgegangen, und die USA haben ein ähnliches Abkommen mit
Kanada abgeschlossen. Beide wiederum haben Pate für das
jüngs te Abkommen der EU mit Kanada gestanden. Soweit
sich solche Kooperationsformen bewähren, und das haben sie
bisher, erscheint der Übergang vom bilateralen zu
plurinationalen Vertragsbeziehungen geradezu programmiert.
Inwieweit sich
langfristig der Bedarf nach einer völkerrechtlich
abgesicherten internationalen Wettbewerbsorganisation
(„Weltkartellamt“) ergibt, lässt sich noch nicht
abschätzen, kann und soll aber auch nicht ausgeschlossen
werden.
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