11.4.1 Nachhaltigkeit als Imperativ der
Globalisierung
Nachholbedarf
besteht nach über 10 Jahren der derzeitigen
Globalisierungswelle – neben der Frage von Fairness und
Gerechtigkeit – vor allem in der ökologischen Dimension
dieses Imperativs. Weltweit hat seine ökonomische und im
Norden meist auch seine soziale Dimension eine stärkere Lobby
als die ökologische Dimension. Die Zeit, die uns auf dem Weg
zu einem neuen Zivilisationsmodell bleibt, das den
ökologischen Grenzen des Wachstums Rechnung trägt1, ist gemessen in Wahlperioden
unbekannt. Unbestreitbar ist, dass seit der globalen
Über einkunft anlässlich der UNCED Konferenz in Rio
de Janeiro 1992 keine Umkehr wesentlicher damals beklagter
negativer globaler Trends bei zentralen sozialen und
Umweltbedingungen erreicht werden konnte.2 Der nach 200 Jahren westlicher
Industrialisierung verbliebene Umweltraum für eine Entwicklung
des Südens nach gleichem Muster wird zunehmend eingeengt,
obwohl wir das in unserem Alltag in Deutschland kaum wahrnehmen
können.
Dies in
Fortführung bisheriger ökonomischer Muster und Trends
weiterhin ungenügend zu beachten, würde in diesem
Jahrhundert unbestreitbar die geophysikalischen Gegebenheiten der
Erde überfordern. Die bisher verfügbaren multilateralen
Verfahren im UN-Kontext reichen für ein Gegensteuern erkennbar
nicht aus. Der gewachsenen Ernüchterung ja Verzweiflung
mancher Entwicklungsexperten steht allerdings die immer wieder neue
Hoffnung auf eine bessere Welt entgegen, die Zehntausende von
Menschen in Orten wie Seattle, Porto Alegre oder in Johannesburg
ausdrücken.
Für die
Arbeit der Enquete-Kommission hierfür zentrale textliche
Grundlagen – insbesondere die Kapitel 8.
Nachhaltigkeit3 und 9.
Weltbevölkerung – wurden buchstäblich in letzter
Minute entworfen. Sie konnten daher weder sorgfältig
diskutiert noch in den Dialog mit den unsere nicht nachhaltige
Wirtschafts- und Lebensweise in wesentlichen Punkten
fortschreibenden Kapiteln 3. Waren und Dienstleistungen und 4.
Arbeitsmärkte geführt werden.
Die nötige
fachliche Diskussion hätte den Einstieg in die nach den
Berichten der oben genannten Enqueten überfällige
Auseinandersetzung über das Wie eines Übergangs in eine
ressourceneffiziente und ressourcenleichtere nachfossile
Wirtschaftsweise und Empfehlungen zum kreativen Umgang mit den
dabei unvermeidbaren gesellschaftlichen Konflikten werden
müssen.4 Heute
wäre dieser Umstieg aufgrund breiter Vorarbeiten
tatsächlich noch ohne von der Bevölkerung im Norden
schwer akzeptierbare Einbußen an Lebensstandard
vorstellbar.
1 Ich verweise hier auf die Ergebnisse von Enquete
Kommissionen des 12. („Schutz der Erdatmosphäre“
sowie „Schutz des Menschen und der Umwelt“) und 13.
(„Schutz des Menschen und der Umwelt“) BT. Siehe
besonders die damaligen Minderheitenvoten und das Sondervotum von
Prof. Rochlitz, MdB, im Endbericht der letzteren Enquete. Zu
aktuellen Einschätzungen s. z. B. die Veröffentlichungen
des WBGU (www.wbgu.de) und des Worldwatch Instituts
(www.worldwatch.org).
2 Siehe z. B. Sachs (2002). In isolierter Betrachtung
scheint diese Einschätzung für Deutschland nicht
zuzutreffen, vgl. Umweltbundesamt (2002). Der Fokus auf die
nationale Dimension lässt aber den ökologischen Rucksack
unserer Wirtschafts- und Lebensweise außer acht (Wackernagel,
Rees 1997). Eine Weiterführung der Ökosteuer, die
Umsetzung der Zielstellungen: 50 Prozent erneuerbare
Energieerzeugung 2050 sowie Steigerung der Energie- und
Rohstoffproduktivität um 40 Prozent bis 2020 – jeweils
bezogen auf 1990 – sind wichtige Elemente der
Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Eine vom WBGU, dem
Nachhaltigkeitsrat und NGOs geforderte Zielstellung für die
Reduktion von klimaschädlichen Emissionen von – 40
Prozent für 2020, wie parteiübergreifend bereits 1998 in
der o. g. Enquete beschlossen – wurde mit Rücksichtnahme
auf die deutsche Wirtschaft nicht in die Strategie der
Bundesregierung aufgenommen. Dies gilt ähnlich für die
Fortführung umweltschädlicher Subventionen. Aus
ökologischen Gründen – „Faktor 4“, zu
dem sich auch die Bundesregierung „langfristig“ bekennt
(Bundesregierung 2002: 68) – wäre bis 2050 eine
Reduzierung um 80 Prozent erforderlich. Die Einführung eines
verbindlichen Emissionshandelssystems sowie eine
vollständigere preisliche Berücksichtigung von
Umweltrisiken durch erweiterte Haftungsregeln sind weitere
notwendige Schritte auf dem Weg zu einem nachhaltigen
Wirtschaftsmodell (Bals 2002: 28ff.).
3 Wichtige Ergebnisse zur Nachhaltigkeit finden sich vor
allem im Kapitel 10 (Global
Governance). Nachhaltigkeit wird dort zum programmatischen Ziel
von Politik (Empfehlung 10-1) empfohlen. Empfehlungen zur
Ressourceneffizienz , zur Welternährung und Landwirtschaft,
zur biologischen Vielfalt, zum Klimaschutz im Flugverkehr, zum
nachhaltigen Konsum, zum Technologietransfer werden im Kapitel 7 entwickelt. Auch zum nachhaltigen/ethischen
Investment, gibt es im Bericht konkrete Ergebnisse (Kapitel 2.4.5,
Empfehlung 2-14).
4 Siehe Kopfmüller u. a. (2001), Grunewald
(2001).
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