2.3.4
Shareholder Value23
Ausgangspunkt für die steigende
Bedeutung des Shareholder Value (SV) war die Liberalisierung der
Finanzmärkte Ende der 70er Jahre in den USA, doch erst in den
90er Jahren wurde Shareholder Value zu einem dominanten
Unternehmensziel großer global operierender Konzerne.
Allerdings ist das Konzept des Shareholder Value keineswegs
unkontrovers, wie die in den vergangenen Jahren entbrannte
Diskussion um die jeweiligen Vor- und Nachteile des
„angelsächsischen“ und „rheinischen“
Ka pitalismus bzw. der hieraus abgeleiteten Systeme der
Unternehmenskontrolle gezeigt hat. Bisher kann bei der Be
wertung der „Corporate Governance“ und des ihr an
gemessenen Konzepts „kein klarer Sieger“ (so die
Überschrift eines vergleichenden Artikels über die
Systeme der Corporate Governance in Deutschland und den USA, IWD
7.12.2000: Kein klarer Sieger) ausge rufen werden.
Die Veränderungen, die sich aus den
Tendenzen der Globalisierung für das Unternehmensmanagement
ergeben, sind gleichwohl radikal, da Finanzinnovationen,
Unternehmensverfassung, Mitarbeiterbeteiligung, Altersversorgung,
Unternehmensfinanzierung und Managementstil aufeinander
„systemisch“ bezogen sind und miteinander im Einklang
stehen müssen, wenn das Unternehmen Erfolg haben soll. Mit
anderen Worten: Wenn mit dem Konzept des Shareholder Value die
Managemententscheidungen stärker als bisher an die Interessen
der Kapitaleigner (Shareholder) gebunden werden sollen,
müssen auch andere institutionelle (Rahmen-)Bedingungen, in
die das jeweilige Unternehmen eingebettet ist, geändert
werden. So erklärt es sich, dass die Mitbestimmung unter Druck
gerät oder das Verhältnis eines Unternehmens zur
„Hausbank“ gelockert wird, weil die Kreditfinanzierung
gegenüber der Aktien- und Anleihenfinanzierung an Bedeutung
verliert. Die Unternehmensstrategie richtet sich verstärkt
daran aus, die Wertsteigerung im Interesse der Anteilseigner zu
maximieren, um in der Konkurrenz um Kapital an vorderster Front
mithalten zu können und um nicht einer Übernahme
ausgesetzt zu sein, wenn der Börsenwert des Unternehmens
zurück geht.
Bei dem Vergleich von
Anlagemöglichkeiten spielen Rating-Agenturen und
Ranking-Tabellen über die Leis tungskraft
(„Performance“) von Unternehmen eine wesentliche
Rolle. Unternehmen werden unter Druck gesetzt, schnell (und
dauerhaft) positive Ergebnisse vorzuweisen, um nicht von den
„Analysten“ der Rating-Agenturen zurückgestuft zu
werden. Dies würde zur Folge haben, dass ein Unternehmen zum
„Übernahmekandidaten“ werden kann, weil es
für Aktionäre interessant wird, die Aktien zu verkaufen
oder gegen die eines anderen Unternehmens zu tauschen.
Um für den Vergleich in der globalen
Konkurrenz überhaupt eine entscheidungsrelevante
ökonomische Größe zu gewinnen, wird der Shareholder
Value auf der Basis des Discounted Cash Flow berechnet.
Darunter wird der Betrag an liquiden Mitteln verstanden, der einem
Unternehmen für neue Investitionen, vor allem aber für
die Ausschüttung an die Kapitalgeber in Form von Zinsen und
Dividenden zur Verfügung steht. Der zukünftige
(erwartete) Cash Flow wird auf den Gegenwartswert abgezinst.
Der Diskontierungssatz richtet sich nach den Kosten für
Fremdkapital, das über den Kapitalmarkt zu dessen aktuellen
Preisen beschafft werden kann. Die Kapitalkosten setzen sich
zusammen aus den Zinszahlungen auf das aufgenommene Fremdkapital,
abzüglich der damit verbundenen Steuervorteile, und den
Eigenkapitalkosten. Hier wird schon deutlich, dass der
„objektive“ Wert des Shareholder Value in fast allen
seinen Bestandteilen auf Erwartungen beruht, die eintreten
können – oder auch nicht. Der Abzinsungsfaktor
hängt von der Entwicklung auf globalen Finanzmärkten, der
erwartete Cash Flow von der Entwicklung von Güter- und
Dienstleistungsmärkten ab (sofern das Unternehmen Güter
und Dienstleistungen auf den Markt bringt).
Vom Shareholder Value, der also stark durch
Erwartungen über zukünftigen Cash Flow geprägt ist,
können der (tatsächliche oder erwartete) Börsenwert
oder die Marktkapitalisierung in erheblichem Maße abweichen.
Der Grund hierfür ist in der Börsenspekulation zu sehen,
die nicht in erster Linie durch Erwartungen über künftige
Erträge, sondern durch Erwartungen über Erwartungen und
über das Kaufverhalten anderer Marktteilnehmer angetrieben
wird.24 Hier kommt
„Herdenverhalten“ ins Spiel, also gleichgerichtete
Verhaltensweisen von Markt ak teuren, die eine Tendenz
– nach oben, wie nach unten – verstärken
können. Mikroökonomisch sind die Verhaltensweisen
völlig rational; makroökonomisch aber stellen sie sich
unter bestimmten Umständen als krisenverstärkend heraus.
Auch hier haben wir es wieder mit „irrationalem
Überschwang“ zu tun (Shiller 2000: 17).
Auch wenn die rationale Basis für die
Bewertung von Unternehmen in keinem Unternehmenskonzept eindeutig
und „objektiv“ ist, so lässt sich doch festhalten,
dass das Shareholder-Value-Konzept eine Überbewertung bei
positiven Zukunftserwartungen begünstigt und Unterbewertungen
bei pessimistischer Börsenstimmung auslösen kann;
für beide Prozesse ist die Entwicklung des „Neuen
Marktes“ – bis Mitte 2000 im Boom, danach in einer
Stagnation – ein aktuelles Beispiel.
Dies ist anders in einem System, das (wie das
deutsche) weniger vom Shareholder Value-Gedanken als vom
Stakeholder-Ansatz geprägt ist. Als Stakeholder einer
Aktiengesellschaft gelten neben den Aktionären insbesondere
die Beschäftigten, aber auch andere Gruppen, die in besonderer Weise mit dem
Unternehmen verbunden sind, z. B. die Kunden, die
Fremdkapitalgeber, teilweise auch Staat (Gemeinde) und Anwohner der
Betriebsstätten. In modernen Theorien der
Wettbewerbsfähigkeit, die nicht nur den mikroökonomischen
(also betrieblichen bzw. unternehmerischen), sondern auch den meso-
und makro-ökonomischen Bedingungen der
Wettbewerbsfähigkeit (also den Verflechtungen der Unternehmen
im Territorium, den industriellen Beziehungen, der Fiskal-, Geld-,
Arbeitsmarktpolitik) Aufmerksamkeit schenken, sind die
„Stakeholders“ Elemente des „sozialen
Kapitals“ (das im Konzept des Shareholder Value allenfalls
implizit berücksichtigt wird).25 Für die Steigerung der
Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen ist die Vernetzung von
Akteuren über den Rahmen einer betriebswirtschaftlichen
Einheit hinaus entscheidend, und die Vernetzung ist nicht nur
marktgesteuert, sondern auch durch Beziehungen der
gesellschaftlichen Reziprozität und politischen Initiative
politischer Institutionen und Organisationen gelenkt.
Welche Perspektive besitzt das Shareholder
Value-Konzept für den Sektor der großen Unternehmen
(Aktiengesellschaften) in Deutschland? „Dem
Shareholder-Value-Ansatz dürfte um so mehr Bedeutung in der
Praxis zukommen, und seine Akzeptanz dürfte um so
größer sein, je mehr sich seine Umsetzung für die
Aktionäre lohnt, je praktikabler er ist und je solider seine
theoretische Fundierung ist“ (Schmidt 1999: 3). Obwohl der
Aktienmarkt in Deutschland im Vergleich zur gesamten Ökonomie
relativ klein ist, gewinnt er zunehmend an Bedeutung. Die
Umsätze auf dem Aktienmarkt lagen 1997 nur bei relativ
geringen 30 Prozent des BIP (Jürgens u. a. 2000: 56), in den
USA und in Großbritannien lagen die Vergleichswerte jeweils
über 100 Prozent. Der Anteil der Aktionäre an der
Bevölkerung über 14 Jahre ist jedoch in den letzten
Jahren auch in Deutschland gestiegen. An der Börse waren im
Jahre 1999 in Deutschland 760 Aktiengesellschaften notiert.
Während in den USA die meisten Aktien im Besitz von
Finanzinstitutionen (Rentenfonds, Versicherungen, Investmentfonds)
sind, zählen in Deutschland die Unternehmen selbst und die
Banken zu den einflussreichsten Shareholdern. Aber die
Strukturveränderungen auf internationalen Finanzmärkten
und die politischen Bestrebungen zur Integration (und Öffnung)
von Märkten begünstigen eher den Typus des
angelsächsischen Kapitalismus. Daher ist auch in Deutschland
in den letzten Jahren die Entwicklung zunehmend von der
Durchsetzung der „Share holder Value“-Strategie
bestimmt worden. Die Unternehmensmitbestimmung ist dabei in die
Kritik geraten. Änderungen des Unternehmens- und
Kapitalmarktrechts sind ein entscheidender Schritt in die Richtung
einer Anpassung an das Shareholder Value-Konzept. Als Folge der
Einführung der kapitalgedeckten Rente
(„Riester-Rente“) werden in naher Zukunft auch in
Deutschland Pensionsfonds eine größere Rolle als bisher
in ihrer Eigenschaft als Shareholder spielen.
Prinzipiell ist zu erwarten, dass sich die im
deutschen Modell bislang engen und längerfristig angelegten
Kreditbeziehungen zwischen Unternehmen und Banken zumindest im
global ausgerichteten Firmensegment lockern und die Finanzierung
über den Kapitalmarkt neben der langfristigen Kreditvergabe
eine größere Rolle spielen wird. Je stärker das
Investmentbanking zum Hauptgeschäft von Großbanken wird
und diese ihre Einnahmequelle mehr in Provisionen für
vermittelte Wertpapiergeschäfte als in Gewinnen aus
Zinsdifferenzen sehen, desto weniger attraktiv wird das
langfristige Kreditgeschäft für die Kreditinstitute. Auch
ist ein schrittweiser Abbau des Anteilsbesitzes von Banken an
Industrieunternehmen zu erwarten, da 2002 die Besteuerung der
Erträge von Kapitalgesellschaften aus dem Verkauf von
Unternehmensbeteiligungen wegfällt. Es ist jedoch noch zu
früh, um die tatsächlichen Auswirkungen bewerten zu
können. Doch ist damit zu rechnen, dass Versicherungen und
Banken für sie unrentable Aktien pakete abstoßen
und ihre Vermögensportefeuilles neu zusammenstellen
werden.26
Das
Konzept des Shareholder Value ist durch die jüngste
Entwicklung im Unternehmenssektor, vor allem in den USA, in die
Kritik geraten. Nicht nur sind spektakuläre Fälle von
überhöhten Einkünften von Managern im Vergleich mit
den Renditen der Aktienbesitzer ihrer Unternehmen in die
öffentliche Diskussion gekommen. Auch die
Unternehmenszusammenbrüche seit dem Ende des Booms werfen
Fragen auf, z. B. nach Regeln der Bewertung und der
Rechnungslegung. Bislang galten die US-amerikanischen
„Generally Accepted Accounting Principles“, kurz
US-GAAP genannt, als Vorbild an Klarheit und Transparenz, was die
Information der Anleger über das Unternehmen betrifft. Viele
europäische Unternehmen bilanzieren ebenfalls nach dem
US-GAAP. Jedoch ist das gesamte System der US-Rechnungslegung nach
dem Bankrott des texanischen Energiekonzerns Enron sowie dem
Zusammenbruch von Pacific Gas & Electric und K-Mart in Verruf
geraten. Besonders wichtig ist es daher, dass Wirtschafts
prüfung und Unternehmensberatung institutionell strikt
getrennt werden, um Interessenkonflikte zu Lasten des Unternehmens
– und zwar der „Shareholder“ ebenso wie der
„Stakeholder“ – zu vermeiden. Zu dieser Frage,
wie generell zur Bedeutung der „Rating-Agenturen“ hat
sich die Enquete-Kommission noch kein abschließendes Urteil
bilden können; dieses ist weiteren Arbeiten
vorbehalten.
Als Hauptursachen für den
Vertrauensverlust des US- Bilanzierungsstandards werden die
Möglichkeiten zur Verschleierung der Schuldenlage, zur
Verschleierung der tatsächlichen Gewinnsituation und zum
Verbergen von Insider-Geschäften genannt. Die
tatsächliche Unter neh menslage ist besonders bei
den so genannten Part ner schaften nicht aus der
Bilanzierung nach US-GAAP ersichtlich. Vom Mutterunternehmen können
Partnerschaften („Special Purpose Entities“ –
SPE) gegründet werden, die finanzielle Risiken separieren.
Zunehmend werden diese SPE zu bilanzpolitisch motivierten Zwecken
eingesetzt. Bei Enron gab es über 900 solcher SPE, um Schulden
zu verstecken. In der Regel gibt es keine entsprechende
Berichtspflicht über diese Partnerschaften.
Die Einzelnormen (Standards) des US-GAAP
werden von einem privaten Rechnungslegungsgremium, dem Financial
Accounting Standards Board (FASB), seit 1973 veröffentlicht.
Anders als bei den deutschen Rechnungslegungsvorschriften handelt
es sich beim US-GAAP jedoch nicht um Rechtsnormen, sondern
lediglich um „allgemein angenommene Prinzipien“. Sie
wurden nie gesetzlich im Einzelnen kodifiziert. Damit stellt das
US-GAAP ein Gemisch aus Einzelnormen zur Rechnungslegung mit
unterschiedlichem Verbindlichkeitsgrad und tatsächlichen
Bilanzierungspraktiken dar. Es ergeben sich für vergleichbare
Sachverhalte völlig unterschiedliche Bilanzierungspraktiken.
Das Management verfügt über viele Freiheiten.
Im Fall Enron scheint die Einheit zwischen
Unternehmensberatung und Prüfung der Rechnungslegung durch die
Unternehmensberatung Arthur Andersen und der dadurch entstandene
Interessenkonflikt die Manipulierung der Gewinne – vermutlich
ohne formelle Verletzung der Regeln des US-GAAP –
möglich gemacht zu haben.
Derzeit bilanzieren europäische Konzerne
wahlweise nach US-GAAP, nach dem International Accounting Standard
(IAS) oder nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger
Buchführung (GoB). Eine Vereinheitlichung der Rechtslage ist
dringend geboten. Die EU-Kommission will die Gelegenheit nutzen,
den von ihr favorisierten IAS gegenüber dem US-GAAP
voranzutreiben. Dabei sollte insbesondere darauf geachtet werden,
dass die Arbeit von Rating-Agenturen, Beratungsfirmen und die
Prüfung der Bilanzen streng getrennt wird. Es sollte zur
strikten Vermeidung von Interessenkonflikten niemand die Bilanzen
treuhänderisch prüfen dürfen, der einem Unternehmen
mit Beratungsaufgaben zur Verfügung stand und steht oder am
Rating eines Unternehmens beteiligt war. Es muss klar sein, dass
Wirtschaftsprüfung eine Aufgabe im öffentlichen Interesse
ist.
Gleichgültig also, welches
Management-Konzept verfolgt wird, die Regeln guter
Unternehmensführung („Corporate Governance“) sind
einzuhalten. Sie sind von der OECD 1999 (BMWi 2000) erneut
kodifiziert worden. Sie enthalten eine Abwägung von Rechten
der Aktionäre und der „Stakeholder“ in den
Unternehmensstrukturen, Schutzvorschriften für
Minderheitsaktionäre, Regeln der Transparenz und
Verantwortlichkeit von Management und Aufsichtsrat.
Wir haben bereits gesehen, dass die
Intransparenz der Rechnungslegung hinsichtlich der Risiken auch den
IWF in seinem „Global Financial Stability Report“
beschäftigt. Denn der Kollaps von Enron könnte in der Tat
die Stabilität von Finanzmärkten insgesamt in
Mitleidenschaft ziehen.
23 Vgl. hierzu das Minderheitenvotum der FDP-Fraktion in
Kapitel 11.2.2.2.1.
24 Das wird beim Börsenwert des Internet-Portals
Yahoo! von 90 Milliarden Euro während des „New
Economy-Booms“ im ersten Halbjahr 2000 deutlich. Er
überstieg damit den Börsenwert von Volkswagen, BASF,
VEBA, Metro und Lufthansa zusammen (90 Milliarden Euro) (Möser
2000). Diese absurd erscheinende Relation ist nach dem Ende des New
Economy-Booms seit der zweiten Hälfte des Jahres 2000
korrigiert worden.
25 Die modernen Theorien der Wettbewerbsfähigkeit
können hier nicht gewürdigt werden; vgl. daher Porter
1990; Eßer 1994; Messner 1995.
26 Die Allianz AG hat diesbezügliche Absichten
bereits angekündigt; die Deutsche Bank reduzierte ihren Besitz
von Anteilen über 25 Prozent und will keine Aktienpakete
größer als zehn Prozent halten.
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