*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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   2.3.4       Shareholder Value23

Ausgangspunkt für die steigende Bedeutung des Shareholder Value (SV) war die Liberalisierung der Finanzmärkte Ende der 70er Jahre in den USA, doch erst in den 90er Jahren wurde Shareholder Value zu einem dominanten Unternehmensziel großer global operierender Konzerne. Allerdings ist das Konzept des Shareholder Value keineswegs unkontrovers, wie die in den vergangenen Jahren entbrannte Diskussion um die jeweiligen Vor- und Nachteile des „angelsächsischen“ und „rheinischen“ Ka­ pitalismus bzw. der hieraus abgeleiteten Systeme der Unternehmenskontrolle gezeigt hat. Bisher kann bei der Be­ wertung der „Corporate Governance“ und des ihr an­ ­ gemessenen Konzepts „kein klarer Sieger“ (so die Überschrift eines vergleichenden Artikels über die Systeme der Corporate Governance in Deutschland und den USA, IWD 7.12.2000: Kein klarer Sieger) ausge­ rufen werden.

Die Veränderungen, die sich aus den Tendenzen der Globalisierung für das Unternehmensmanagement ergeben, sind gleichwohl radikal, da Finanzinnovationen, Unternehmensverfassung, Mitarbeiterbeteiligung, Altersversorgung, Unternehmensfinanzierung und Managementstil aufeinander „systemisch“ bezogen sind und miteinander im Einklang stehen müssen, wenn das Unternehmen Erfolg haben soll. Mit anderen Worten: Wenn mit dem Konzept des Shareholder Value die Managemententscheidungen stärker als bisher an die Interessen der Kapitaleigner (Shareholder) gebunden werden sollen, müssen auch andere institutionelle (Rahmen-)Bedingungen, in die das jeweilige Unternehmen eingebettet ist, geändert werden. So erklärt es sich, dass die Mitbestimmung unter Druck gerät oder das Verhältnis eines Unternehmens zur „Hausbank“ gelockert wird, weil die Kreditfinanzierung gegenüber der Aktien- und Anleihenfinanzierung an Bedeutung verliert. Die Unternehmensstrategie richtet sich verstärkt daran aus, die Wertsteigerung im Interesse der Anteilseigner zu maximieren, um in der Konkurrenz um Kapital an vorderster Front mithalten zu können und um nicht einer Übernahme ausgesetzt zu sein, wenn der Börsenwert des Unternehmens zurück geht.

Bei dem Vergleich von Anlagemöglichkeiten spielen Rating-Agenturen und Ranking-Tabellen über die Leis­ tungskraft („Performance“) von Unternehmen eine wesentliche Rolle. Unternehmen werden unter Druck gesetzt, schnell (und dauerhaft) positive Ergebnisse vorzuweisen, um nicht von den „Analysten“ der Rating-Agenturen zurückgestuft zu werden. Dies würde zur Folge haben, dass ein Unternehmen zum „Übernahmekandidaten“ werden kann, weil es für Aktionäre interessant wird, die Aktien zu verkaufen oder gegen die eines anderen Unternehmens zu tauschen.

Um für den Vergleich in der globalen Konkurrenz überhaupt eine entscheidungsrelevante ökonomische Größe zu gewinnen, wird der Shareholder Value auf der Basis des Discounted Cash Flow berechnet. Darunter wird der Betrag an liquiden Mitteln verstanden, der einem Unternehmen für neue Investitionen, vor allem aber für die Ausschüttung an die Kapitalgeber in Form von Zinsen und Dividenden zur Verfügung steht. Der zukünftige (erwartete) Cash Flow wird auf den Gegenwartswert abgezinst. Der Diskontierungssatz richtet sich nach den Kosten für Fremdkapital, das über den Kapitalmarkt zu dessen aktuellen Preisen beschafft werden kann. Die Kapitalkosten setzen sich zusammen aus den Zinszahlungen auf das aufgenommene Fremdkapital, abzüglich der damit verbundenen Steuervorteile, und den Eigenkapitalkosten. Hier wird schon deutlich, dass der „objektive“ Wert des Shareholder Value in fast allen seinen Bestandteilen auf Erwartungen beruht, die eintreten können – oder auch nicht. Der Abzinsungsfaktor hängt von der Entwicklung auf globalen Finanzmärkten, der erwartete Cash Flow von der Entwicklung von Güter- und Dienstleistungsmärkten ab (sofern das Unternehmen Güter und Dienstleistungen auf den Markt bringt).

Vom Shareholder Value, der also stark durch Erwartungen über zukünftigen Cash Flow geprägt ist, können der (tatsächliche oder erwartete) Börsenwert oder die Marktkapitalisierung in erheblichem Maße abweichen. Der Grund hierfür ist in der Börsenspekulation zu sehen, die nicht in erster Linie durch Erwartungen über künftige Erträge, sondern durch Erwartungen über Erwartungen und über das Kaufverhalten anderer Marktteilnehmer angetrieben wird.24 Hier kommt „Herdenverhalten“ ins Spiel, also gleichgerichtete Verhaltensweisen von Markt­ ak­ teuren, die eine Tendenz – nach oben, wie nach unten – verstärken können. Mikroökonomisch sind die Verhaltensweisen völlig rational; makroökonomisch aber stellen sie sich unter bestimmten Umständen als krisenverstärkend heraus. Auch hier haben wir es wieder mit „irrationalem Überschwang“ zu tun (Shiller 2000: 17).

Auch wenn die rationale Basis für die Bewertung von Unternehmen in keinem Unternehmenskonzept eindeutig und „objektiv“ ist, so lässt sich doch festhalten, dass das Shareholder-Value-Konzept eine Überbewertung bei positiven Zukunftserwartungen begünstigt und Unterbewertungen bei pessimistischer Börsenstimmung auslösen kann; für beide Prozesse ist die Entwicklung des „Neuen Marktes“ – bis Mitte 2000 im Boom, danach in einer Stagnation – ein aktuelles Beispiel.

Dies ist anders in einem System, das (wie das deutsche) weniger vom Shareholder Value-Gedanken als vom Stakeholder-Ansatz geprägt ist. Als Stakeholder einer Aktiengesellschaft gelten neben den Aktionären insbesondere die Beschäftigten, aber auch andere Gruppen, die in    besonderer Weise mit dem Unternehmen verbunden sind, z. B. die Kunden, die Fremdkapitalgeber, teilweise auch Staat (Gemeinde) und Anwohner der Betriebsstätten. In modernen Theorien der Wettbewerbsfähigkeit, die nicht nur den mikroökonomischen (also betrieblichen bzw. unternehmerischen), sondern auch den meso- und makro-ökonomischen Bedingungen der Wettbewerbsfähigkeit (also den Verflechtungen der Unternehmen im Territorium, den industriellen Beziehungen, der Fiskal-, Geld-, Arbeitsmarktpolitik) Aufmerksamkeit schenken, sind die „Stakeholders“ Elemente des „sozialen Kapitals“ (das im Konzept des Shareholder Value allenfalls implizit berücksichtigt wird).25 Für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen ist die Vernetzung von Akteuren über den Rahmen einer betriebswirtschaftlichen Einheit hinaus entscheidend, und die Vernetzung ist nicht nur marktgesteuert, sondern auch durch Beziehungen der gesellschaftlichen Reziprozität und politischen Initiative politischer Institutionen und Organisationen gelenkt.

Welche Perspektive besitzt das Shareholder Value-Konzept für den Sektor der großen Unternehmen (Aktiengesellschaften) in Deutschland? „Dem Shareholder-Value-Ansatz dürfte um so mehr Bedeutung in der Praxis zukommen, und seine Akzeptanz dürfte um so größer sein, je mehr sich seine Umsetzung für die Aktionäre lohnt, je praktikabler er ist und je solider seine theoretische Fundierung ist“ (Schmidt 1999: 3). Obwohl der Aktienmarkt in Deutschland im Vergleich zur gesamten Ökonomie relativ klein ist, gewinnt er zunehmend an Bedeutung. Die Umsätze auf dem Aktienmarkt lagen 1997 nur bei relativ geringen 30 Prozent des BIP (Jürgens u. a. 2000: 56), in den USA und in Großbritannien lagen die Vergleichswerte jeweils über 100 Prozent. Der Anteil der Aktionäre an der Bevölkerung über 14 Jahre ist jedoch in den letzten Jahren auch in Deutschland gestiegen. An der Börse waren im Jahre 1999 in Deutschland 760 Aktiengesellschaften notiert. Während in den USA die meisten Aktien im Besitz von Finanzinstitutionen (Rentenfonds, Versicherungen, Investmentfonds) sind, zählen in Deutschland die Unternehmen selbst und die Banken zu den einflussreichsten Shareholdern. Aber die Strukturveränderungen auf internationalen Finanzmärkten und die politischen Bestrebungen zur Integration (und Öffnung) von Märkten begünstigen eher den Typus des angelsächsischen Kapitalismus. Daher ist auch in Deutschland in den letzten Jahren die Entwicklung zunehmend von der Durchsetzung der „Share­ holder Value“-Strategie bestimmt worden. Die Unternehmensmitbestimmung ist dabei in die Kritik geraten. Änderungen des Unternehmens- und Kapitalmarktrechts sind ein entscheidender Schritt in die Richtung einer Anpassung an das Shareholder Value-Konzept. Als Folge der Einführung der kapitalgedeckten Rente („Riester-Rente“) werden in naher Zukunft auch in Deutschland Pensionsfonds eine größere Rolle als bisher in ihrer Eigenschaft als Shareholder spielen.

Prinzipiell ist zu erwarten, dass sich die im deutschen Modell bislang engen und längerfristig angelegten Kreditbeziehungen zwischen Unternehmen und Banken zumindest im global ausgerichteten Firmensegment lockern und die Finanzierung über den Kapitalmarkt neben der langfristigen Kreditvergabe eine größere Rolle spielen wird. Je stärker das Investmentbanking zum Hauptgeschäft von Großbanken wird und diese ihre Einnahmequelle mehr in Provisionen für vermittelte Wertpapiergeschäfte als in Gewinnen aus Zinsdifferenzen sehen, desto weniger attraktiv wird das langfristige Kreditgeschäft für die Kreditinstitute. Auch ist ein schrittweiser Abbau des Anteilsbesitzes von Banken an Industrieunternehmen zu erwarten, da 2002 die Besteuerung der Erträge von Kapitalgesellschaften aus dem Verkauf von Unternehmensbeteiligungen wegfällt. Es ist jedoch noch zu früh, um die tatsächlichen Auswirkungen bewerten zu können. Doch ist damit zu rechnen, dass Versicherungen und Banken für sie unrentable Aktien­ pakete abstoßen und ihre Vermögensportefeuilles neu zusammenstellen werden.26

Das Konzept des Shareholder Value ist durch die jüngste Entwicklung im Unternehmenssektor, vor allem in den USA, in die Kritik geraten. Nicht nur sind spektakuläre Fälle von überhöhten Einkünften von Managern im Vergleich mit den Renditen der Aktienbesitzer ihrer Unternehmen in die öffentliche Diskussion gekommen. Auch die Unternehmenszusammenbrüche seit dem Ende des Booms werfen Fragen auf, z. B. nach Regeln der Bewertung und der Rechnungslegung. Bislang galten die US-amerikanischen „Generally Accepted Accounting Principles“, kurz US-GAAP genannt, als Vorbild an Klarheit und Transparenz, was die Information der Anleger über das Unternehmen betrifft. Viele europäische Unternehmen bilanzieren ebenfalls nach dem US-GAAP. Jedoch ist das gesamte System der US-Rechnungslegung nach dem Bankrott des texanischen Energiekonzerns Enron sowie dem Zusammenbruch von Pacific Gas & Electric und K-Mart in Verruf geraten. Besonders wichtig ist es daher, dass Wirtschafts­ prüfung und Unternehmensberatung institutionell strikt getrennt werden, um Interessenkonflikte zu Lasten des Unternehmens – und zwar der „Shareholder“ ebenso wie der „Stakeholder“ – zu vermeiden. Zu dieser Frage, wie generell zur Bedeutung der „Rating-Agenturen“ hat sich die Enquete-Kommission noch kein abschließendes Urteil bilden können; dieses ist weiteren Arbeiten vorbehalten.

Als Hauptursachen für den Vertrauensverlust des US- Bilanzierungsstandards werden die Möglichkeiten zur Verschleierung der Schuldenlage, zur Verschleierung der tatsächlichen Gewinnsituation und zum Verbergen von Insider-Geschäften genannt. Die tatsächliche Unter­ neh­ menslage ist besonders bei den so genannten Part­ ner­ schaften nicht aus der Bilanzierung nach US-GAAP    ersichtlich. Vom Mutterunternehmen können Partnerschaften („Special Purpose Entities“ – SPE) gegründet werden, die finanzielle Risiken separieren. Zunehmend werden diese SPE zu bilanzpolitisch motivierten Zwecken eingesetzt. Bei Enron gab es über 900 solcher SPE, um Schulden zu verstecken. In der Regel gibt es keine entsprechende Berichtspflicht über diese Partnerschaften.

Die Einzelnormen (Standards) des US-GAAP werden von einem privaten Rechnungslegungsgremium, dem Financial Accounting Standards Board (FASB), seit 1973 veröffentlicht. Anders als bei den deutschen Rechnungslegungsvorschriften handelt es sich beim US-GAAP jedoch nicht um Rechtsnormen, sondern lediglich um „allgemein angenommene Prinzipien“. Sie wurden nie gesetzlich im Einzelnen kodifiziert. Damit stellt das US-GAAP ein Gemisch aus Einzelnormen zur Rechnungslegung mit unterschiedlichem Verbindlichkeitsgrad und tatsächlichen Bilanzierungspraktiken dar. Es ergeben sich für vergleichbare Sachverhalte völlig unterschiedliche Bilanzierungspraktiken. Das Management verfügt über viele Freiheiten.

Im Fall Enron scheint die Einheit zwischen Unternehmensberatung und Prüfung der Rechnungslegung durch die Unternehmensberatung Arthur Andersen und der dadurch entstandene Interessenkonflikt die Manipulierung der Gewinne – vermutlich ohne formelle Verletzung der Regeln des US-GAAP – möglich gemacht zu haben.

Derzeit bilanzieren europäische Konzerne wahlweise nach US-GAAP, nach dem International Accounting Standard (IAS) oder nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB). Eine Vereinheitlichung der Rechtslage ist dringend geboten. Die EU-Kommission will die Gelegenheit nutzen, den von ihr favorisierten IAS gegenüber dem US-GAAP voranzutreiben. Dabei sollte insbesondere darauf geachtet werden, dass die Arbeit von Rating-Agenturen, Beratungsfirmen und die Prüfung der Bilanzen streng getrennt wird. Es sollte zur strikten Vermeidung von Interessenkonflikten niemand die Bilanzen treuhänderisch prüfen dürfen, der einem Unternehmen mit Beratungsaufgaben zur Verfügung stand und steht oder am Rating eines Unternehmens beteiligt war. Es muss klar sein, dass Wirtschaftsprüfung eine Aufgabe im öffentlichen Interesse ist.

Gleichgültig also, welches Management-Konzept verfolgt wird, die Regeln guter Unternehmensführung („Corporate Governance“) sind einzuhalten. Sie sind von der OECD 1999 (BMWi 2000) erneut kodifiziert worden. Sie enthalten eine Abwägung von Rechten der Aktionäre und der „Stakeholder“ in den Unternehmensstrukturen, Schutzvorschriften für Minderheitsaktionäre, Regeln der Transparenz und Verantwortlichkeit von Management und Aufsichtsrat.

Wir haben bereits gesehen, dass die Intransparenz der Rechnungslegung hinsichtlich der Risiken auch den IWF in seinem „Global Financial Stability Report“ beschäftigt. Denn der Kollaps von Enron könnte in der Tat die Stabilität von Finanzmärkten insgesamt in Mitleidenschaft ziehen.



23 Vgl. hierzu das Minderheitenvotum der FDP-Fraktion in Kapitel 11.2.2.2.1.

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24 Das wird beim Börsenwert des Internet-Portals Yahoo! von 90 Milliarden Euro während des „New Economy-Booms“ im ersten Halbjahr 2000 deutlich. Er überstieg damit den Börsenwert von Volkswagen, BASF, VEBA, Metro und Lufthansa zusammen (90 Milliarden Euro) (Möser 2000). Diese absurd erscheinende Relation ist nach dem Ende des New Economy-Booms seit der zweiten Hälfte des Jahres 2000 korrigiert worden.

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25 Die modernen Theorien der Wettbewerbsfähigkeit können hier nicht gewürdigt werden; vgl. daher Porter 1990; Eßer 1994; Messner 1995.

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26 Die Allianz AG hat diesbezügliche Absichten bereits angekündigt; die Deutsche Bank reduzierte ihren Besitz von Anteilen über 25 Prozent und will keine Aktienpakete größer als zehn Prozent halten.

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